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Notizen zur Zeit. `S ist – wieder – Krieg.

25. Februar 2022 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Aus aktuellem, schrecklichem Anlass wird an ein Gedicht von Matthias Claudius erinnert. Dazu ein Originaltext  Jean Paul Richters, den seinerzeit Karl Kraus während des 1. Weltkrieges in der Fackel  abgedruckt hat. Wie wahr. Mehr ist nicht zu sagen.

`S ist Krieg. Von Matthias Claudius

‘s ist Krieg! ‘s ist Krieg!
O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
‘s ist leider Krieg –
und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
‘s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Jean Paul  – Levana oder Erziehlehre – Kapitel 44

 »Bedenk es, ein Schritt über dein Grenzwappen verwandelt zwei Reiche, hinter dir verzerrt sich deines – vor dir das fremde. – Ein Erdbeben wohnt und arbeitet dann unter beiden fort – alle alte Rechtsgebäude, alle Richterstühle stürzen, Höhen und Tiefen werden ineinander verkehrt. – Ein jüngster Tag voll auferstehender Sünder und voll fallender Sterne, ein Weltgericht des Teufels, wo die Leiber die Geister richten, die Faustkraft das Herz. Bedenk es, Fürst! Jeder Soldat wird in diesem Reich der Gesetzlosigkeit dein gekrönter Bruder auf fremdem Boden mit Richtschwert, aber ohne Waage und gebeut unumschränkter als du; jeder feindliche Packknecht ist dein Fürst und Richter, mit Kette und Beil für dich in der Hand! – Nur die Willkür der Faust und des Zufalls sitzt auf dem Doppel-Throne des Gewissens und Lichts. – Zwei Völker sind halb in Sklavenhändler, halb in Sklaven verkehrt, unordentlich durcheinander gemischt. – Für höhere Wesen ist das Menschenreich ein gesetz- und gewissenloses, taubblindes Tier- und Maschinenreich geworden, das raubt, frisst, schlägt, blutet und stirbt. – Immerhin sei du gerecht, du lässest doch durch die erste Manifestzeile wie durch ein Erdbeben die gefesselte Ungerechtigkeit aus ihren Kerkern los! Auch ist ja die Willkür so hergebracht groß, dass dir kleinere Misshandlungen gar nicht, und große nur durch ihre Wiederholung vor die Ohren kommen. Denn die Erlaubnis, zugleich zu töten und zu beerben, schließt jede kleinere in sich. Sogar der waffenlose Bürger tönt in die Misse- und Schrei-Töne ein, vertauschend alle Lebens-Plane gegen Minuten-Genuss und ungesetzliche Freiheit und von den befreundeten Kriegern als ein halber, von den anfeindenden als ein ganzer Feind behandelt und aufgereizt. Dies bedenke, Fürst, bevor du in die Heuschreckenwolke des Kriegs alles dein Licht verhüllst und in dein bisher so treu verwaltetes Land alle Krieger eines fremden zu Obrigkeiten und Henkern einsetzest, oder deine Krieger ebenso ins fremde!«