Sein oder Design ist nicht mehr Frage, sondern schon Antwort. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt.

Notizen zur Zeit. `S ist – wieder – Krieg.

25. Februar 2022 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Aus aktuellem, schrecklichem Anlass wird an ein Gedicht von Matthias Claudius erinnert. Dazu ein Originaltext  Jean Paul Richters, den seinerzeit Karl Kraus während des 1. Weltkrieges in der Fackel  abgedruckt hat. Wie wahr. Mehr ist nicht zu sagen.

`S ist Krieg. Von Matthias Claudius

‘s ist Krieg! ‘s ist Krieg!
O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
‘s ist leider Krieg –
und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen
Und blutig, bleich und blaß,
Die Geister der Erschlagenen zu mir kämen,
Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,
Verstümmelt und halb tot
Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten
In ihrer Todesnot?

Wenn tausend tausend Väter, Mütter, Bräute,
So glücklich vor dem Krieg,
Nun alle elend, alle arme Leute,
Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten
Freund, Freund und Feind ins Grab
Versammelten und mir zu Ehren krähten
Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron und Land und Gold und Ehre?
Die könnten mich nicht freun!
‘s ist leider Krieg – und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!

Jean Paul  – Levana oder Erziehlehre – Kapitel 44

 »Bedenk es, ein Schritt über dein Grenzwappen verwandelt zwei Reiche, hinter dir verzerrt sich deines – vor dir das fremde. – Ein Erdbeben wohnt und arbeitet dann unter beiden fort – alle alte Rechtsgebäude, alle Richterstühle stürzen, Höhen und Tiefen werden ineinander verkehrt. – Ein jüngster Tag voll auferstehender Sünder und voll fallender Sterne, ein Weltgericht des Teufels, wo die Leiber die Geister richten, die Faustkraft das Herz. Bedenk es, Fürst! Jeder Soldat wird in diesem Reich der Gesetzlosigkeit dein gekrönter Bruder auf fremdem Boden mit Richtschwert, aber ohne Waage und gebeut unumschränkter als du; jeder feindliche Packknecht ist dein Fürst und Richter, mit Kette und Beil für dich in der Hand! – Nur die Willkür der Faust und des Zufalls sitzt auf dem Doppel-Throne des Gewissens und Lichts. – Zwei Völker sind halb in Sklavenhändler, halb in Sklaven verkehrt, unordentlich durcheinander gemischt. – Für höhere Wesen ist das Menschenreich ein gesetz- und gewissenloses, taubblindes Tier- und Maschinenreich geworden, das raubt, frisst, schlägt, blutet und stirbt. – Immerhin sei du gerecht, du lässest doch durch die erste Manifestzeile wie durch ein Erdbeben die gefesselte Ungerechtigkeit aus ihren Kerkern los! Auch ist ja die Willkür so hergebracht groß, dass dir kleinere Misshandlungen gar nicht, und große nur durch ihre Wiederholung vor die Ohren kommen. Denn die Erlaubnis, zugleich zu töten und zu beerben, schließt jede kleinere in sich. Sogar der waffenlose Bürger tönt in die Misse- und Schrei-Töne ein, vertauschend alle Lebens-Plane gegen Minuten-Genuss und ungesetzliche Freiheit und von den befreundeten Kriegern als ein halber, von den anfeindenden als ein ganzer Feind behandelt und aufgereizt. Dies bedenke, Fürst, bevor du in die Heuschreckenwolke des Kriegs alles dein Licht verhüllst und in dein bisher so treu verwaltetes Land alle Krieger eines fremden zu Obrigkeiten und Henkern einsetzest, oder deine Krieger ebenso ins fremde!«


Und wieder Krieg! In dieser großen Zeit. von Karl Kraus. Vorwort W. K. Nordenham

24. Februar 2022 | Kategorie: Artikel, Aus "Die Fackel", Notizen zur Zeit

Noch ein Versuch wider die Vergeblichkeit von Frieden, weil Machttrunkenheit der Waffen bedarf um dieselbe aufrechtzuerhalten und den ultimativen Rausch erst recht in der Ausdehnung de Machtraumes erlebt! Der Irrsin von Macht und Krieg hat immer Methode und sie ähneln sich erschreckend. Mindesten sein dutzend Kriege finden momentan auf der Welt statt statt, Tendenz zunehmend. Waffen sind überall wie von Zauberhand verfügbar und die Chronisten des Grauens allerorten dabei. Wozu sind sie nütze? Ändert sich irgendetwas?  Wie sagte schon  Kjerkegaard?

Ein einzelner Mensch kann einer Zeit nicht helfen oder sie retten, er kann nur ausdrücken, dass sie untergeht.

Vor über einhundert Jahren schrieb Karl Kraus die unten folgende Abrechnung mit seiner und unserer Zeit. Mir ist klar, dass dieser Kraus´sche Aufsatz für die kurzfloskelgeübte und folglich aufmerksamkeitskurze  Klientel der LOL – Facebook- Twitter-Generation eine nicht zu überschätzende Herausforderung darstellt. Aber vielleicht schafft ja jemand wenigstens die ersten zwei Seiten und  den letzten Absatz. Das wäre weit mehr als ich erhoffe und könnte helfen.  W.K. Nordenham

Ich weiß genau, dass es zu Zeiten notwendig ist, Absatzgebiete in Schlachtfelder zu verwandeln, damit aus diesen wieder Absatzgebiete werden. Aber eines trüben Tages sieht man heller und fragt, ob es denn richtig ist, den Weg, der von Gott wegführt, so zielbewusst mit keinem Schritte zu verfehlen. Und ob denn das ewige Geheimnis, aus dem der Mensch wird, und jenes, in das er eingeht, wirklich nur ein Geschäftsgeheimnis umschließen, das dem Menschen Überlegenheit verschafft vor dem Menschen und gar vor des Menschen Erzeuger.               Karl Kraus

Die Fackel NR. 404 DEZEMBER 1914 XVI. JAHR

I n   d i e s e r   g r o ß e n   Z e i t

die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt; und die wir, weil im Bereich organischen Wachstums derlei Verwandlung nicht möglich ist, lieber als eine dicke Zeit und wahrlich auch schwere Zeit ansprechen wollen; in dieser Zeit, in der eben das geschieht, was man sich nicht vorstellen konnte, und in der g e s c h e h e n  muss, was man sich nicht mehr v o r s t e l l e n  kann, und könnte man es, es geschähe nicht —; in dieser ernsten Zeit, die sich zu Tode gelacht hat vor der Möglichkeit, dass sie ernst werden könnte; von ihrer Tragik überrascht, nach Zerstreuung langt, und sich selbst auf frischer Tat ertappend, nach Worten sucht; in dieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichen Symphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Berichte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie von mir kein eigenes Wort erwarten. Keines außer diesem, das eben noch Schweigen vor Missdeutung bewahrt. Zu tief sitzt mir die Ehrfurcht vor der Unabänderlichkeit, Subordination der Sprache vor dem Unglück. In den Reichen der Phantasiearmut, wo der Mensch an seelischer Hungersnot stirbt, ohne den seelischen Hunger zu spüren, wo Federn in Blut tauchen und Schwerter in Tinte, muss das, was nicht gedacht wird, getan werden, aber ist das, was nur gedacht wird, unaussprechlich. Erwarten Sie von mir kein eigenes Wort. Weder vermöchte ich ein neues zu sagen; denn im Zimmer, wo einer schreibt, ist der Lärm so groß, und ob er von Tieren kommt, von Kindern oder nur von Mörsern, man soll es jetzt nicht entscheiden. Wer Taten zuspricht, schändet Wort und Tat und ist zweimal verächtlich. Der Beruf dazu ist nicht ausgestorben. Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!

Auch alte Worte darf ich nicht hervorholen, solange Taten geschehen, die uns neu sind und deren Zuschauer sagen, dass sie ihnen nicht zuzutrauen waren. Mein Wort konnte Rotationsmaschinen übertönen, und wenn es sie nicht zum Stillstand gebracht hat, so beweist das nichts gegen mein Wort. Selbst die größere Maschine hat es nicht vermocht und das Ohr, das die Posaune des Weltgerichts vernimmt, verschließt sich noch lange nicht den Trompeten des Tages. Nicht erstarrte vor Schreck der Dreck des Lebens, nicht erbleichte Druckerschwärze vor so viel Blut. Sondern das Maul schluckte die vielen Schwerter und wir sahen nur auf das Maul und maßen das Große nur an dem Maul. Und Gold für Eisen fiel vom Altar in die Operette, der Bombenwurf war ein Couplet, und fünfzehntausend Gefangene gerieten in eine Extraausgabe, die eine Soubrette vorlas, damit ein Librettist gerufen werde. Mir Unersättlichem, der des Opfers nicht genug hat, ist die vom Schicksal befohlene Linie nicht erreicht. Krieg ist mir erst, wenn nur die, die nicht taugen, in ihn geschickt werden. Sonst hat mein Frieden keine Ruhe, ich richte mich heimlich auf die große Zeit ein und denke mir etwas, was ich nur dem lieben Gott sagen kann und nicht dem lieben Staat, der es mir jetzt nicht erlaubt, ihm zu sagen, dass er zu tolerant ist. Denn wenn er jetzt nicht auf die Idee kommt, die sogenannte Pressefreiheit*, die ein paar weiße Flecke nicht spürt, zu erwürgen, so wird er nie mehr auf die Idee kommen, und wollte ich ihn jetzt auf die Idee bringen, er vergriffe sich an der Idee und mein Text wäre das einzige Opfer. Also muss ich warten, wiewohl ich doch der einzige Österreicher bin, der nicht warten kann, sondern den Weltuntergang durch ein schlichtes Autodafé ersetzt sehen möchte. Die Idee, auf welche ich die tatsächlichen Inhaber der nominellen Gewalt bringen will, ist nur eine fixe Idee von mir. Aber durch fixe Ideen wird ein schwankender Besitzstand gerettet, wie eines Staates so einer Kulturwelt. Man glaubt einem Feldherrn die Wichtigkeit von Sümpfen so lange nicht, bis man eines Tages Europa nur noch als Umgebung der Sümpfe betrachtet. Ich sehe von einem Terrain nur die Sümpfe, von ihrer Tiefe nur die Oberfläche, von einem Zustand nur die Erscheinung, von der nur einen Schein und selbst davon bloß den Kontur. Und zuweilen genügt mir ein Tonfall oder gar nur die Wahnvorstellung. Tue man mir, spaßeshalber, einmal den Gefallen, mir auf die Oberfläche zu folgen dieser problemtiefen Welt, die erst erschaffen wurde, als sie gebildet wurde, die sich um ihre eigene Achse dreht und wünscht, die Sonne drehte sich um sie.

Über jenem erhabenen Manifest, jenem Gedicht, das die tatenvolle Zeit eingeleitet, dem einzigen Gedicht, das sie bis nun hervorgebracht hat, über dem menschlichsten Anschlag, den die Straße unserm Auge widerfahren lassen konnte, hängt der Kopf eines Varietékomikers, überlebensgroß. Daneben aber schändet ein Gummiabsatzerzeuger das Mysterium der Schöpfung, indem er von einem strampelnden Säugling aussagt, so, mit dem Erzeugnis seiner, ausgerechnet seiner Marke, sollte der Mensch auf die Welt kommen. Wenn ich nun der Meinung bin, dass der Mensch, da die Dinge so liegen, lieber gar nicht auf die Welt kommen sollte, so bin ich ein Sonderling. Wenn ich jedoch behaupte, dass der Mensch unter solchen Umständen künftig überhaupt nicht mehr auf die Welt kommen wird und dass späterhin vielleicht noch die Stiefelabsätze auf die Welt kommen werden, aber ohne den dazugehörigen Menschen, weil er mit der eigenen Entwicklung nicht Schritt halten konnte und als das letzte Hindernis seines Fortschritts zurückgeblieben ist — wenn ich so etwas behaupte, bin ich ein Narr, der von einem Symptom gleich auf den ganzen Zustand schließt, von der Beule auf die Pest. Wäre ich kein Narr, sondern ein Gebildeter, so würde ich vom Bazillus und nicht von der Beule so kühne Schlüsse ziehen und man würde mir glauben. Wie närrisch gar, zu sagen, dass man, um sich von der Pest zu befreien, die Beule konfiszieren soll. Ich bin aber wirklich der Meinung, dass in dieser Zeit, wie immer wir sie nennen und werten mögen, ob sie nun aus den Fugen ist oder schon in der Einrichtung, ob sie erst vor dem Auge eines Hamlet Blutschuld und Fäulnis häuft oder schon für den Arm eines Fortinbras reift, — dass in ihrem Zustand die Wurzel an der Oberfläche liegt. Solches kann durch ein großes Wirrsal klar werden, und was ehedem paradox war, wird nun durch die große Zeit bestätigt. Da ich weder Politiker bin noch sein Halbbruder Ästhet, so fällt es mir nicht ein, die Notwendigkeit von irgendetwas, das geschieht, zu leugnen oder mich zu beklagen, dass die Menschheit nicht in Schönheit zu sterben verstehe. Ich weiß wohl, Kathedralen werden mit Recht von Menschen beschossen, wenn sie von Menschen mit Recht als militärische Posten verwendet werden. Kein Ärgernis in der Welt, sagt Hamlet. Nur dass ein Höllenschlund sich zu der Frage öffnet: Wann hebt die größere Zeit des Krieges an der Kathedralen gegen Menschen! Ich weiß genau, dass es zu Zeiten notwendig ist, Absatzgebiete in Schlachtfelder zu verwandeln, damit aus diesen wieder Absatzgebiete werden. Aber eines trüben Tages sieht man heller und fragt, ob es denn richtig ist, den Weg, der von Gott wegführt, so zielbewusst mit keinem Schritte zu verfehlen. Und ob denn das ewige Geheimnis, aus dem der Mensch wird, und jenes, in das er eingeht, wirklich nur ein Geschäftsgeheimnis umschließen, das dem Menschen Überlegenheit verschafft vor dem Menschen und gar vor des Menschen Erzeuger. Wer den Besitzstand erweitern will und wer ihn nur verteidigt — beide leben im Besitzstand, stets unter und nie über dem Besitzstand. Der eine fatiert ihn, der andere erklärt ihn. Wird uns nicht bange vor irgendetwas über dem Besitzstand, wenn Menschenopfer unerhört geschaut, gelitten wurden und hinter der Sprache des seelischen Aufschwungs, im Abklang der berauschenden Musik, zwischen irdischen und himmlischen Heerscharen, eines fahlen Morgens das Bekenntnis durchbricht: »Was jetzt zu geschehen hat, ist, dass der Reisende fortwährend die Fühlhörner ausstreckt und die Kundschaft unaufhörlich abgetastet wird«! Menschheit ist Kundschaft. Hinter Fahnen und Flammen, hinter Helden und Helfern, hinter allen Vaterländern ist ein Altar aufgerichtet, an dem die fromme Wissenschaft die Hände ringt: Gott schuf den Konsumenten! Aber Gott schuf den Konsumenten nicht, damit es ihm wohl ergehe auf Erden, sondern zu einem Höheren: damit es dem Händler wohl ergehe auf Erden, denn der Konsument ist nackt erschaffen und wird erst, wenn er Kleider verkauft, ein Händler. Die Notwendigkeit, zu essen, um zu leben, kann philosophisch nicht bestritten werden, wiewohl die Öffentlichkeit dieser Verrichtung von einem unabsehbaren Mangel an Schamgefühl zeugt. Kultur ist die stillschweigende Verabredung, das Lebensmittel hinter dem Lebenszweck abtreten zu lassen. Zivilisation ist die Unterwerfung des Lebenszwecks unter das Lebensmittel. Diesem Ideal dient der Fortschritt und diesem Ideal liefert er seine Waffen. Der Fortschritt lebt, um zu essen, und beweist zu Zeiten, dass er sogar sterben kann, um zu essen. Er erträgt Mühsal, damit es ihm wohl ergehe. Er wendet Pathos an die Prämissen. Die äußerste Bejahung des Fortschritts gebietet nun längst, dass das Bedürfnis sich nach dem Angebot richte, dass wir essen, damit der andere satt werde, und dass der Hausierer noch unsern Gedanken unterbreche, wenn er uns bietet, was wir gerade nicht brauchen. Der Fortschritt, unter dessen Füßen das Gras trauert und der Wald zu Papier wird, aus dem die Blätter wachsen, er hat den Lebenszweck den Lebensmitteln subordiniert und uns zu Hilfsschrauben unserer Werkzeuge gemacht. Der Zahn der Zeit ist hohl; denn als er gesund war, kam die Hand, die vom Plombieren lebt. Wo alle Kraft angewandt wurde, das Leben reibungslos zu machen, bleibt nichts übrig, was dieser Schonung noch bedarf. In solcher Gegend kann die Individualität leben, aber nicht mehr entstehen. Mit ihren Nervenwünschen mag sie dort gastieren, wo in Komfort und Fortkommen rings Automaten ohne Gesicht und Gruß vorbei und vorwärtsschieben. Als Schiedsrichter zwischen Naturwerten wird sie anders entscheiden. Gewiss nicht für die hiesige Halbheit, die ihr Geistesleben für die Propaganda ihrer Ware gerettet, sich einer Romantik der Lebensmittel ergeben und »die Kunst in den Dienst des Kaufmanns« gestellt hat. Die Entscheidung fällt zwischen Seelenkräften und Pferdekräften. Vom Betrieb kommt keine Rasse ungeschwächt zu sich selbst, höchstens zum Genuss. Die Tyrannei der Lebensnotwendigkeit gönnt ihren Sklaven dreierlei Freiheit: vom Geist die Meinung, von der Kunst die Unterhaltung und von der Liebe die Ausschweifung. Es gibt, Gott sei gedankt, noch Güter, die stecken bleiben, wenn Güter immer rollen sollen. Denn Zivilisation lebt am Ende doch von Kultur. Wenn die entsetzliche Stimme, die in diesen Tagen das Kommando übergellen darf, in der Sprache ihrer zudringlichen Phantastik den Reisenden auf fordert, die Fühlhörner auszustrecken und im Pulverdampf die Kundschaft abzutasten, wenn sie vor dem Unerhörten sich den heroischen Entschluss abringt, die Schlachtfelder für die Hyänen zu reklamieren, so hat sie etwas von jener trostlosen Aufrichtigkeit, mit der der Zeitgeist seine Märtyrer begrinst. Wohl, wir opfern uns auf für die Fertigware, wir konsumieren und leben so, dass das Mittel den Zweck konsumiere. Wohl, wenn ein Torpedo uns frommt, so sei es eher erlaubt, Gott zu lästern als ein Torpedo! Und Notwendigkeiten, die sich eine im Labyrinth der Ökonomie verirrte Welt gesetzt hat, fordern ihre Blutzeugen und der grässliche Leitartikler der Leidenschaften, der registrierende Großjud, der Mann, der an der Kassa der Weltgeschichte sitzt, nimmt Siege ein und notiert täglich den Umsatz in Blut und hat in Kopulierungen und Titeln, aus denen die Profitgier bellt, einen Ton, der die Zahl von Toten und Verwundeten und Gefangenen als Aktivposten* einheimst, wobei er zuweilen mein und dein und Stein und Bein verwechselt, aber so frei ist, mit leiser Unterstreichung seiner Bescheidenheit und vielleicht in Übereinstimmung mit den Eindrücken aus eingeweihten Kreisen und ohne die Einbildungskraft beiseite zu lassen, »Laienfragen und Laienantworten« strategisch zu unterscheiden. Und wenn er es dann wagt, über dem ihm so wohltuenden Aufschwung heldischer Gefühle seinen Segen zu sprechen und Gruß und Glückwunsch der Armee zu entbieten und seine »braven Soldaten« im Jargon der Leistungsfähigkeit und wie am Abend eines zufriedenen Börsentags zu ermuntern, so gibt es angeblich »nur eine Stimme«, die daran Ärgernis nimmt, wirklich nur eine, die es heute ausspricht — aber was hilft’s, solange es die eine Stimme gibt, deren Echo nichts anderes sein müsste als ein Sturm der Elemente, die sich aufbäumen vor dem Schauspiel, dass eine Zeit den Mut hat, sich groß zu nennen, und solchem Vorkämpfer kein Ultimatum stellt!

Die Oberfläche sitzt und klebt an der Wurzel. Die Unterwerfung der Menscheit unter die Wirtschaft hat ihr nur die Freiheit zur Feindschaft gelassen, und schärfte ihr der Fortschritt die Waffen, so schuf er ihr die mörderischeste vor allen, eine, die ihr jenseits ihrer heiligen Notwendigkeit noch die letzte Sorge um ihr irdisches Seelenheil benahm: die Presse. Der Fortschritt, der auch über die Logik verfügt, entgegnet, die Presse sei auch nichts anderes als eine der Berufsgenossenschaften, die von einem vorhandenen Bedürfnis leben. Aber wenn es so wahr ist wie es richtig ist, und ist die Presse nichts weiter als ein Abdruck des Lebens, so weiß ich Bescheid, denn ich weiß dann, wie dieses Leben beschaffen ist. Und dann fällt mir zufällig bei, an einem trüben Tage wird es klar, dass das Leben nur ein Abdruck der Presse ist. Habe ich das Leben in den Tagen des Fortschritts unterschätzen gelernt, so musste ich die Presse überschätzen. Was ist sie? Ein Bote nur? Einer, der uns auch mit seiner Meinung belästigt? Durch seine Eindrücke peinigt? Uns mit der Tatsache gleich die Vorstellung mitbringt? Durch seine Details über Einzelheiten von Meldungen über Stimmungen oder durch seine Wahrnehmungen über Beobachtungen von Einzelheiten über Details und durch seine fortwährenden Wiederholungen von all dem uns bis aufs Blut quält? Der hinter sich einen Tross von informierten, unterrichteten, eingeweihten und hervorragenden Persönlichkeiten schleppt, die ihn beglaubigen, ihm Recht geben sollen, wichtige Schmarotzer am Überflüssigen? Ist die Presse ein Bote? Nein: das Ereignis. Eine Rede? Nein, das Leben. Sie erhebt nicht nur den Anspruch, dass die wahren Ereignisse ihre Nachrichten über die Ereignisse seien, sie bewirkt auch diese unheimliche Identität, durch welche immer der Schein entsteht, dass Taten zuerst berichtet werden, ehe sie zu verrichten sind, oft auch die Möglichkeit davon, und jedenfalls der Zustand, dass zwar Kriegsberichterstatter nicht zuschauen dürfen, aber Krieger zu Berichterstattern werden. In diesem Sinne lasse ich mir gern nachsagen, dass ich mein Lebtag die Presse überschätzt habe. Sie ist kein Dienstmann — wie könnte ein Dienstmann auch so viel verlangen und bekommen —, sie ist das Ereignis. Wieder ist uns das Instrument über den Kopf gewachsen. Wir haben den Menschen, der die Feuersbrunst zu melden hat und der wohl die untergeordnetste Rolle im Staat spielen müsste, über die Welt gesetzt, über den Brand und über das Haus, über die Tatsache und über unsere Phantasie. Aber wie Kleopatra sollten wir dafür auch, neugierig und enttäuscht, den Boten schlagen für die Botschaft. Sie macht ihn, der ihr eine verhasste Heirat meldet und die Meldung ausschmückt, für die Heirat verantwortlich. »Lass reiche Zeitung strömen in mein Ohr, das lange brach gelegen …. Die giftigste von allen Seuchen dir! Was sagst du? Fort, elender Wicht! Sonst schleudr’ ich deine Augen wie Bälle vor mir her; raufe dein Haar, lasse mit Draht dich geißeln, brühn mit Salz, in Lauge scharf gesättigt.« (Schlägt ihn.) »Gnäd’ge Fürstin, ich, der die Heirat melde, schloss sie nicht.« Aber der Reporter schließt die Heirat, zündet das Haus an und macht die Gräuel*, die er erlügt, zur Wahrheit. Er hat durch jahrzehntelange Übung die Menschheit auf eben jenen Stand der Phantasienot gebracht, der ihr einen Vernichtungskrieg gegen sich selbst ermöglicht. Er kann, da er ihr alle Fähigkeit des Erlebnisses und dessen geistiger Fortsetzung durch die maßlose Promptheit seiner Apparate erspart hat, ihr eben noch den erforderlichen Todesmut einpflanzen, mit dem sie hineinrennt. Er hat den Abglanz heroischer Eigenschaften zur Verfügung und seine missbrauchte Sprache verschönt ein missbrauchtes Leben, als ob die Ewigkeit sich ihren Höhepunkt erst für das Zeitalter aufgespart hätte, wo der Reporter lebt. Ahnen aber Menschen, welches Lebens Ausdruck die Zeitung ist? Eines, das längst ein Ausdruck ist von ihr! Ahnt man, was ein halbes Jahrhundert dieser freigelassenen Intelligenz an gemordetem Geist, geplündertem Adel und geschändeter Heiligkeit verdankt? Weiß man denn, was der Sonntagsbauch einer solchen Rotationsbestie an Lebensgütern verschlungen hat, ehe er 250 Seiten dick erscheinen konnte? Denkt man, wie viel Veräußerung systematisch, telegraphisch, telephonisch, photographisch gezogen werden musste, um einer Gesellschaft, die zu inneren Möglichkeiten noch bereit stand, vor der winzigsten Tatsache jenes breite Staunen anzugewöhnen, das in der abscheulichen Sprache dieser Boten ihre Klischees findet, wenn sich irgendwo »Gruppen bildeten« oder gar das Publikum »sich zu massieren« anfing? Da das ganze neuzeitliche Leben unter den Begriff einer Quantität gestellt ist, die gar nicht mehr gemessen wird, sondern immer schon erreicht ist und der schließlich nichts übrig bleiben wird, als sich selbst zu verschlingen; da der selbstverständliche Rekord keine Zweifel mehr übrig lässt und die qualvolle Vollständigkeit jedes Weiterrechnen erspart, so ist die Folge, dass wir, erschöpft durch die Vielheit, für das Resultat nichts mehr übrig haben, und dass in einer Zeit, in der wir täglich zweimal in zwanzig Wiederholungen von allen Äußerlichkeiten noch die Eindrücke von den Eindrücken vorgesetzt bekommen, die große Quantität in Einzelschicksale zerfällt, die nur die einzelnen spüren, und plötzlich, selbst an der Spitze, der vergönnte Heldentod als grausames Geschick erscheint. Man könnte aber einmal dahinter kommen, welch kleine Angelegenheit so ein Weltkrieg war neben der geistigen Selbstverstümmelung der Menschheit durch ihre Presse, und wie er im Grund nur eine ihrer Ausstrahlungen bedeutet hat. Vor einigen Jahrzehnten mochte ein Bismarck, auch ein Überschätzer der Presse, noch erkennen: »Das,  was das Schwert uns Deutschen gewonnen hat, wird durch die Presse wieder verdorben«, und ihr die Schuld an drei Kriegen beimessen. Heute sind die Zusammenhänge zwischen Katastrophen und Redaktionen viel tiefere und darum weniger klare. Denn im Zeitalter derer, die es mitmachen, ist die Tat stärker als das Wort, aber stärker als die Tat ist der Schall. Wir leben vom Schall und in dieser umgeworfenen Welt weckt das Echo den Ruf.

K a r l  K r a u s

Änderungen : * ß = nach neuer Rechtschreibung als ss * Preßfreiheit= Pressefreiheit * Aktivpost= Aktivposten   Greuel = Gräuel .

Vollständig   :  http://corpus1.aac.ac.at/fackel/  Die Fackel NR. 404 DEZEMBER 1914 XVI. JAHR


Der Vorsitzende Norbert Walter- Borjans und sein Stolperstein. Chronologie einer Posse.

01. Februar 2020 | Kategorie: Notizen zur Zeit

Da Norbert Walter-Borjans inzzwischen den Vorsitz der SPD  führt und zielsicher bei Corona am Thema vorbeischwadroniert, sei ein allgemeiner  Rückblick auf seine Entscheidungsqualität erlaubt. Die Geschichte datiert aus 2011 und bescheinigt ihm eine erstaunliche Wandlungs- und Lernfähigkeit, die manchen Trickkünstler in den Schatten stellte. Das qualifiziert für jeden Vorsitz, Rücksitz  und SPD-Hochsitz und kommt ihm nun zu gute.

Dabei spielt der Künstler Gunter Demnig eine Rolle. Der arbeitet seit fast 30 Jahren an einem Riesenkunstwerk, den „Stolpersteinen“.

Überall in Europa verlegt er vor den Häusern und Wohnungen der von den Nazis vertriebenen und ermordeten Juden mit Messingplatten versehene Erinnerungssteine, auf denen die Namen und Daten der von diesem Ort verschwundenen Menschen eingeprägt sind. Die Steine sind eingelassen in die Bürgersteige und geben als Multiplexdenkmal, dem man nicht ausweichen kann, tagtäglich ihr stummes Memento jedem auch nur flüchtig Vorübereilenden mit auf den Weg.

Das sollte laut Finanzamt Köln-Altstadt im Jahre 2011 keine Kunst mehr sein. Da war Norbert Walter-Borjans Finanzminister in Düsseldorf.

Gunter Demnig sollte für seine Kunst wegen der Gerechtigkeit rückwirkend voll besteuert werden, mit 19 % Mehrwertsteuer statt der sonst üblichen 7%. Der Künstler hätte ad hoc 150 000 € zu zahlen gehabt und wäre damit bankrott gewesen. Aber wozu nützten rotationshalsige Politprofis, wenn die Köpfe nicht ab und zu in die richtige Richtung gedreht werden könnten?

Wie verräterisch das Wort sich gebärden kann, wenn man ihm zu befehlen glaubt und nicht gehorchen will, sei hier als warnendes Beispiel vorgeführt.

Dies ist die Geschichte der wundersamen Läuterung des Norbert Walter-Borjans, wofür der aufmerksamen Presse ausdrücklich gedankt sei.

Es beginnt am 16.6.2011 mit der ARD- Sendung Monitor.

16.06.2011

ARD  TV Monitor Nr. 621

Keine Kunst: „Stolpersteine“ sind für das Finanzamt nur „Hinweisschilder“

Norbert Walter-Borjans, Finanzminister NRW: „Das Entscheidende an unserem Steuersystem ist auch, dass es ein Objektives sein muss, dass man nicht nach     G u t d ü n k e n entscheiden kann, sondern, dass man im Prinzip sich angucken muss, welche Regeln haben wir, was müssen   a n d e r e  tun,  die einen  Umsatz  machen mit  e h r l i c h e r  Ar b e i t.“

Loriot hätte erstaunt ausgerufen: “Ach was!“ Dass Kunst aus der Sicht eines Finanzministers keine ehrliche Arbeit darstellt, im Verhältnis zu anderen, die was tun müssen und einen Umsatz machen, das ist nur scheinbar überraschend. Denn würden Finanzbeamte Kunst für ehrliche Arbeit halten, dann müsste man sich um die geistige Freiheit in dem Lande keine Sorgen machen. Was für Umsatz machen eigentlich Politiker mit ehrlicher Arbeit?  Aber weiter:

Und das müssen wir uns  a n g u c k e n .“ Das sagte uns der Minister am Freitag. Irgendwie schien ihm das Interview  u n a n g e n e h m . (ARD Monitor)

Es wird noch unangenehmer. Da merkt einer, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Deshalb guckt er noch einmal hin, aber jetzt richtiger und fängt unverzüglich mit einem Gutdünken an, welches kurz vorher kategorisch ausgeschlossen wurde.

G e s t e r n  traf er eine Entscheidung:

Demnig  muss  die  150.000 €  doch  nicht  z u r ü c k z a h l e n . (ARD Monitor)

Es trapst die Nachtigall! Und warum eigentlich „zurückzahlen“, wo vom Künstler gar nichts gezahlt war? Ist es die Sicht der Finanzbehörde, dass sie dem Bürger das Geld von Staats wegen nur leihweise überlässt, er also aus Behördensicht gar kein eigenes Geld besitzt und es deshalb nur „zurück“zahlen kann?  Das wäre plausibel. Man weiß es nicht. Jedoch:

Aber  ab  s o f o r t   soll  er (d. h. Gunter Demnig)  19  % pro  Stein abführen. (ARD Monitor)

Weiter als zu 19 % reicht das Gütdunken des Ministers Walter-Borjans im Moment noch nicht.  Das ist für einen Handwerker üblich. Die  Mehrwertsteuer für Kunst liegt bei 7%.  Aber da könnte ja jeder kommen. Also gilt Gunter Demnig ab sofort als ministeriell beglaubigter Handwerker.

Das ist jetzt also  W a r e ,  k e i n e   K u n s t . Über den Stein von Heinrich Müller sind wir gestolpert. Er liegt nämlich genau vor Demnigs F i n a n z a m t  in Köln . (ARD Monitor)

So endet „Monitor“ und Walter-Borjans hat offensichtlich noch nicht das Wehen des Windes mitgekommen, in den er sein Fähnchen zu hängen hat. Nach einem kontemplativen Wochenende von Freitag bis Montag, bis zum 20.Juni dämmert es ihm langsam. Er hat die Nachtigall im Medienwald trapsen gehört und sie singt weiterhin sehr laut. Dann geht es im wahrsten Sinne Schlag auf Schlag.

20.06.11

Kölner Stadt-Anzeiger:  NRW-Finanzminister will Steuersatz für „Stolpersteine“ neu prüfen lassen.

20.06.11 Köln (ots) – Norbert Walter- Borjans, Finanzminister des Landes NRW, will die Umsatzsteuer auf die „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig e r n e u t  prüfen  lassen.

Nun bringt er seine Nachtigall wirklich auf Trab. Es schwant ihm dunkel, dass die alleinige Rücknahme der Nachzahlung und dafür gleichzeitige Einstufung von Kunst als Handwerk verderblich wirken könnte.  Also lässt er schon mal „erneut prüfen“. Wie sagt der Kölner: „Jetz hätt er et  jemerkt.“ Und dann folgt die fundamentale Erkenntnis im Kölner Stadtanzeiger:

Bei den „S t o l p e r s t e i n e n“  handele  es   s i c h   n i c h t   u m   e i n e       M a s s e n a n f e r t i g u n g ,…

Stimmt! Die werden einzeln und individuell angefertigt und vom Künstler verlegt.  Es handelt sich bei den „Stolpersteinen“ gerade um keine Massenanfertigung, sondern um das Gedenken an eine Massenvernichtung. Diese macht das wahrhaft geniale Denkmal Demnigs nachhaltig bewusst.

… sagte Walter-Borjans dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Dienstag-Ausgabe), sondern  “ um ein  e i n z i g e s  Werk der Erinnerung, das durch den Künstler permanent vervollständigt wird“.

Davon hatte  Herr Walter- Borjans bei seiner Äußerung in der Sendung „Monitor“ noch keine Vorstellung. Die Nachtigall sang es ihm nächtens zart.

Zuletzt war festgelegt worden die Mehrwertsteuer von sieben auf 19 Prozent zu erhöhen. Diese Entscheidung hatte für U n v e r s t ä n d n i s  gesorgt. Zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus hat Demnig seit 1993 bislang 30.000 Gedenksteine mit Namen und Lebensdaten von Opfern in Europa verlegt, die im „Dritten Reich“ gewaltsam umkamen. (Kölner Stadtanzeiger)

„Unverständnis gesorgt“ ist hübsch formuliert für etwas, das außer einem Finanzbeamten niemand versteht. Aber es kommt noch geballter. Walter-Borjans spürt das Wehen und bereitet in rotationshalsiger Politikermanier eine grandiose Kehrtwende vor, die als Dreifacher Walter-Borjans beim Eiskunstlauf eine Chance hätte, wenn man dabei nicht so blöd aussähe. Es drängt aus Grottentiefe ministeriellen Schädeldunkels die Überzeugung an ein Licht, das ihm gerade rechtzeitig aufging oder aufgesteckt wurde und das vierundzwanzig Stunden später hell zu leuchten beginnt und zwar erneut im Stadtanzeiger Köln.

21.06.2011 Kölner Stadt-Anzeiger

Warum sind Stolpersteine Kunst?

In den Streit um die Besteuerung der „Stolpersteine“ hat sich jetzt auch NRW-Finanzminister Walter-Borjans eingeschaltet.

Nach dem Verlauf zu urteilen, ist er doch wohl eher von „eingeschaltet“ worden.

Es wird höchste Zeit, die Kunstbanausen-Bürokraten in die Schranken zu weisen. (Kölner Stadt-Anzeiger)

Welcher Bürokrat ist womöglich mit der obigen Bezeichnung gemeint? Nein, nicht doch! Oder doch?

Köln – Rund 30.000 „Stolpersteine“ hat Gunter Demnig seit 1993 in Europa verlegt und damit einen völlig neuen Begriff des Denkmals begründet. Nicht irgendwo hingehen und innehalten – sondern mitten im Alltag durch einen kleinen Hinweis unter den Füßen mit der Geschichte konfrontiert werden. Und sehen, was man aus dieser Begegnung macht. Ob man ihr ausweicht oder sich doch kurz drauf einlässt. Eine ziemlich geniale Idee, gerade als Alternative zum üblichen Gedenken. (….) Wie Norbert Walter-Borjans, Finanzminister des Landes NRW, gestern aber gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu verstehen gegeben hat,  wird   er  die    A n g e l e g e n h e i t   m i t   d e m        a u s d r ü c k l i c h e n   Z i e l   p r ü f e n   lassen , die fragliche Steuer auch künftig bei sieben Prozent zu belassen. (Kölner Stadtanzeiger)

Jetzt endlich und ausdrücklich wird „die Angelegenheit“  auf Walter-Borjans-komm-raus geprüft. Nur ein Schelm sollte über den Schelm Arges denken, der nunmehr einschaltet ist mit dem ausdrücklichen Ziel der Steuerminderung. Das erlebte der Bürger gelegentlich auch gern einmal. Damit sich das zu Beginn ausgeschlossene Gutdünken sich nicht zu gut dünkt, äußert er zur Sicherheit sein

V e r s t ä n d n i s  für die Behörden,…

…deren Entscheid ihm bei Monitor eben noch gut dünkte …

…liefert aber s e l b s t  eine   ü b e r z e u g e n d e  B e g r ü n d u n g   für den künstlerischen Status der „Stolpersteine“:

Die Stellung des Wörtchens „selbst“  im Kölner Stadtanzeiger-Artikel lässt die Überraschung des Journalisten ahnen. Eine künstlerische Begründung geliefert zu bekommen, dazu von einem Finanzminister, damit konnte man so nicht rechnen. Nachdem es sich erst einmal „handelt“, kommt es dann knüppeldick und wörtlich:

„Es  h a n d e l t  sich um ein einziges Werk der  Erinnerung, das durch den Künstler permanent vervollständigt wird.“ Walter-Borjans  s e l b s t zähle sich  seit  l a n g e m  –  auch aus v i e l f a c h e r   e i g e n e r   E r f a h r u n g  – zu  den  B e f ü r w o r t e r n  und  B e w u n d e r e r n  von Demnigs Erinnerungsarbeit. (Kölner Stadtanzeiger)

Das ist starker Tobak. Da möchte man sofort wieder mit dem Rauchen anfangen. „Selbst“, „seit langem“, aus „eigener Erfahrung“ und nicht nur „selbst“ „eigener“, sondern auch „vielfacher“ Erfahrung. Er zählt sich ab sofort „seit langem“ zu „den Befürwortern“ und – da senkt man schamhaft den Blick und rötet nachhaltig die Ohren – zu den „Bewunderern“. Was hat der Mann bloß innerhalb von fünf Tagen geraucht oder getrunken bis er mit dem 3-fachen Walter-Borjans überkam? Wandelte sich da der Saulus zum Paulus oder eher der Bock zum Gärtner? Der Kölner bemerkt dazu lakonisch: „Man kann es auch übertreiben.“ Weiter geht´s!

Er bleibe  j e d e s  M a l  s t e h e n , wenn  er  einen   s o l c h e n   S t e i n  vor   m i r   sehe.

„Jedes Mal…“, das Auge tränt, man meint eine brechende  die Stimme zu vernehmen. Das „er …vor  m i r sehe“ ist wohl ein Setzfehler, aber es passt irgendwie.  Selbst der Setzer war einfach verwirrt vom Drehmoment beim 3-Fachen.

Hunderte von Stolpersteinen liegen allein in Köln. Dann muss Norbert Walter-Borjans also der Mann sein, der immer überall stehend aufgegriffen wird. Ich bleibe schon oft stehen, aber bei so einem Minister komme ich nicht mit. Der Kölner würde sowieso sagen: “ Dat is jelogen.“

Damit dürfte sich auch das behördliche Argument erledigt haben, es handele sich „nur um  H i n w e i s s c h i l d e r “, die das Finanzamt gegenüber Demnig geltend gemacht hat. (Kölner Stadtanzeiger)

Ein Minister, dem das Gutdünken vor ein paar Tagen noch unmöglich dünkte, erledigt das Argument seiner Finanzbehörde per odre mufti. Das kann sich nur ein ausgewiesener, weil langjähriger Befürworter und Bewunderer Gunter Demnigs erlauben.  Den Gedankengang in einem Beamtenschädel allerdings, der Demnigs Gedenksteine zu „Hinweisschildern“ mutieren ließ, konnte ich nach längerem Nachdenken trotz eifrigen Bemühens nicht nachvollziehen.

Weil das Echo des Steuerstreits um Gunter Denmig, bei dem die bis zur Bedeutungslosigkeit missbrauchte Journalistenphrase  S k a n d a l  endlich einmal zutreffend war, inzwischen bundesweit hallte, folgte der Epilog auf eine wundersamen Erleuchtung in nur sechs Tagen  standesgemäß auf allerhöchstem Journaille-Niveau.

22.06.11

BILD-Zeitung Köln – Der Kölner Künstler Gunter Demnig (63) kann aufatmen.

Der wochenlange Steuer-Streit um seine „Stolpersteine“ zur Erinnerung an NS-Opfer ist beendet.  In   B I L D    stoppt    NRW – Finanzminister  N o r b e r t – W a l t e r  B o r j a n s den  K r a c h und erklärt:„ I c h   s a g e:  Es geht nicht um 30 000 einzelne Steine, die unabhängig voneinander sind, sondern um ein Gesamtkunstwerk als  g r o ß e s   O r i g i n a l .“

Der Mann heißt Walter-Borjans, nicht Norbert-Walter. Aber bei dem Tempo der Entscheidung  kann man schon mal einen Fehler machen, vor allem, wenn es um ein „Gesamtkunstwerk als großes Original“ geht, womit er wohl nicht sich selbst gemeint haben kann. Bei keiner Geringeren als “In BILD“ stoppt er den „Krach“ –  um seine Person oder?  – und er sagt es nicht nur, sondern „erklärt„, was immer für jedermann außer Zweifel stand außer für ihn.

Das hatte das Finanzamt Köln-Altstadt vorher so nicht erkannt. Es betrachtete die deutschlandweit bekannten Steine n i c h t   a l s  K u n s t,   s o n d e r n  als   M a s s e n w a r e. Daraus folgerte das Amt: Demnig müsse statt 7% Umsatzsteuer satte 19% bezahlen (BILD berichtete).

Das   f e g t  Borjans jetzt  d e f i n i t i v  vom Tisch! Der Finanzminister zu BILD: „Künftig muss Demning nur 7 Prozent Umsatzsteuer zahlen. Das hat er  n o c h   n i c h t   schriftlich,  wird ihm aber vom Finanzamt zugehen.“

Man sieht Walter-Borjans förmlich fegen und zwar laut „Bild“ „definitiv“. Alles was er vorher nicht gemerkt, geahnt und gewusst hatte, der langjährige Befürworter und Bewunderer der des Künstlers Demnig, wird gleich mit weggefegt! Da kann jeder schriftliche Bescheid warten, wenn ein Minister bei „BILD“ antreten darf, und ein Demnig gerät leicht mal zum Demning.

Hätte der Herr Walter-Borjans nur früher souverän befürwortet und bewundert gegenüber dem Finanzamt Köln-Altstadt, dessen oberster Dienstherr er die ganze Zeit war. Muss ihm nicht bekannt gewesen sein, dass Gunter Demnig längst bei Gericht gegen den Unsinn geklagt hatte? Aber erst kann Herr Walter-Borjans nicht und kann auch nicht gutdünken, dann kommt MONITOR, danach der Kölner Stadtanzeiger, letztendlich „Bild“, und es erfolgt umgehend eine direkte Weisung nach seinem Gutdünken an die Behörde in Köln.

Die Chronologie der zum Leidwesen des damaligen NRW Finanzministers Walter-Borjans an die Öffentlichkeit gelangten finanzamtlichen Entscheidung, offenbart exemplarisch die unerhörte Standhaftigkeit und Entscheidungssorgfalt eines Politikvertreters, bei der ein Gutdünken von vornherein ausgeschlossen war. Nun steht der Herr an der Spitze der SPD. Da passt zu den aktuellen 15 %.

W. K. Nordenham


Notizen zur Zeit. Vom Dusel zum Diesel : NO2-Nebel und kein Ende. Von W.K. Nordenham

11. März 2018 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Ich bin absolut für niedriges Kohlendioxid CO2 und Stickstoffdioxid NO2. Aber was man als wissenschaftlich denkender Mensch fragt: Woher haben die Brüsseler EU Bürokraten die 40 Mikrogramm/ Kubikmeter? Nirgends habe ich eine zuverlässige wissenschaftliche Begründung dazu gefunden. Der Arbeitsplatzgrenzwert für NO2 ist mit 950 µg/m³ extrem höher. Selbst täglich die Hälfte von 425 µg/m³ als Mittelwert  müsste  lebensgefährlich sein – oder eben nicht. Kein Geringerer als Prof. Dr. Hans Draxler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin, hat vor Panikmache gewarnt. Auch bei 100 Mikrogramm NO2 sähe man keinen negativen Effekt, so zur Deutschen Presseagentur.  Das sagen also die Daten, nicht die kolportierte Meinung. Auf jährlich 12.860 vorzeitige Stickoxid-Todesfälle auf Grund von Berechnungen zu schließen, wäre wissenschaftlich unseriös, so Draxler. Also woher die ominösen 40 Mikrogramm/ Kubikmeter?

Inzwischen gibt es eine zweite Verlautbarung, diesmal des Umweltbundesamtes, die die mutmaßlichen Opfer von NO2 binnen Wochenfrist heldenhaft auf etwa die Hälfte reduziert. Prof. Draxler kommt da nicht mehr vor. Aber auch diese Zahl entbehrt jeder harten wissenschaftlichen Grundlage, weshalb das Amt sie umgehend als „statistische“ Größe vorstellt. Was das Amt nicht sagt, weil nicht gewusst oder eher unmessbar: Welchen Anteil haben etwa Feinstaub oder andere Umwelteinflüsse auf die Zahl der nach nichtveröffentlichten Kriterien errechneten fiktiven Toten? Was bewirken etwa Kohlekraftwerke, schwerölbetriebene Handelsschiffe oder die Kreuzfahrtriesen? Allein die 15 größten Schiffe der Welt stoßen pro Jahr so viele Schadstoffe aus wie 750 Millionen Autos, so der NABU (Naturschutzbund Deutschland).  Sind Hamburg oder Rotterdam angesichts der Schwerölemissionen überhaupt noch  bewohnbar? Warum keine Todeszonen um die Häfen? Fegt der Wind das alles weg und wenn, wohin? Auch findet sich im Bericht des Bundesamtes überraschenderweise kein In-Frage-stellen oder überhaupt eine einzige Frage einer wissenschaftlich begründbaren Herkunft der ominösen 40 Mikrogramm/pro Kubikmeter.

Nochmal zum Aufnehmen für Querleser und Schrägdenker, auch ich bin für niedrige Schadstoffwerte nicht nur in Luft, sondern auch in  Erde und Wasser, aber dann wissenschaftlich bitte halbwegs korrekt. Denn es gibt durchaus Daten. Was sagt die WHO und größte Studie aus den USA laut Umweltbundesamt?   „Das WHO-Expertengremium empfahl, auch die wissenschaftlichen Arbeiten zu den Langzeiteffekten intensiv zu sichten, verwies aber darauf, dass sich die Effekte von NO2 bis dato noch immer nicht vollständig von denen der anderen verkehrsbedingten Luftschadstoffe trennen ließen (WHO 2013a). … Der Zusammenhang zwischen einer langfristigen NO2-Belastung und der Asthmaentstehung wird als „ m ö g l i c h e r w e i se “ kausal eingestuft. Es fehlen nach Ansicht der US EPA (Amerikanisches Umweltamt) genügend  a u s s a g e k r ä f t i g e   Studien, die einen von anderen Schadstoffen u n a b h ä n g i g e n Effekt zeigen.“ Veröffentlicht 20.02.2018. Nichts genaues weiß man also natürlich nicht.

Ich stelle mir das so vor. Nach erfolgreichem Animieren der Verbraucher zum vermehrten  Kauf von Dieselautos über mehr als ein Jahrzehnt und der dadurch erfolgten CO2 Absenkung in der Luft, ist Brüssel das NO2 eingefallen.  55 000 Beamten müssen sich beschäftigen. Als man in trauter Runde bei einem Drink oder was Nettem zum Rauchen zusammensaß, zählte man die vollen und leeren Flaschen. Es waren wohl vierzig. So kam man im Dusel bei Diesel auf 40 Mikrogramm/Kubikmeter NO2.  Das würde mir nach Durchsicht der Daten jedenfalls einleuchten. Bis ich bessere, belastbare Daten der Wissenschaft habe, werde ich bei dieser Einschätzung bleiben. Und nebenbei gefragt: Was gehen die EU überhaupt Grenzwerte für NO2 in Europas Städten an? Nach den Maastrichter Verträgen : Nichts! Schimpfen wir deshalb nicht nur auf die Autobauer, die es sicher verdient haben. In diesem Falle handelt es sich um Politik. Von Glyphosat in Muttermilch, Nitrat und Antibiotika im Grundwasser oder Schwerölkreuzfahrt muss man dann nämlich nicht mehr reden. Es stinkt, aber nicht nur vom Diesel!


Notizen zur Zeit – Ein schon vertanes Jahr 2018! – Von W. K. Nordenham

07. Januar 2018 | Kategorie: Apokalypse, Artikel, Notizen zur Zeit

Jetzt ist das Neue Jahr da, für welches ich allen nur das Beste wünsche, und nichts hat sich bislang wirklich verändert. Wozu immer der ganze Zirkus um Silvester?  Ich weiß es nicht. Wie dem auch sei. Ich hatte noch 7 geschenkte alte Raketen von anno Tobak, nie gebraucht und war damit hoffnungslos veraltet. Darüber lachen Böllerfreaks heute nur. Keine Effekte, nix knallt! In Zeiten, wo Stickstoff und Feinstaub die Dieselautos aus den Städten vertreiben soll, fragt man sich, was da die Staub- und Schadstoffmassen von Silvester den jeweiligen Stadtoberen wohl einflüstern mögen oder die Kölner Lichter oder der Rhein in Flammen und sonstiges Feuerwerk im Lande. Der eine Tag entspricht zwei Monaten Autodreck. Man wünschte sich jetzt noch eine Quantifizierung der tatsächlichen Feinstaubopfer oder der durch Stickoxid Dahingerafften, aber es gibt keine verlässlichen Zahlen. Für Glyphosat gibt es mehr Daten, aber  das darf bleiben, wegen des Verdienens, nicht wegen dem Verdienst. „Ja, so isser, der Schmidt.“ O-Ton der Karikatur eines deutschen Ministers nach seiner Zustimmung.

Ist es nicht merkwürdig, dass Genehmigungen und Beschränkungen der Politik im Endeffekt zuverlässig zu Umsatzsteigerungen der Industrie infolge notwendiger neuer Technologien führen, inklusive Klimawandel?  Dann muss sich niemand mehr  um das Naheliegende kümmern, nämlich den konkreten Schutz der Umwelt und zwar jetzt.  Im Nordpazifik gibt es ein Gebiet so groß wie die Nordsee mit meterdickem Plastik. Nur zwei Jahre chinesisches Wachstum produzieren so viel neuen Umweltschmutz wie die gesamte Bundesrepublik pro Jahr ausstößt. Was soll´s! Erst bauen wir mal viele, viele Windparks, jaja, und die fehlenden Anbindungen und Stromspeicher. Das dauert etwa zwanzig oder dreißig Jahre. Bis dahin hat allein Afrika im Jahr 2050 statt jetzt einer Milliarde zweieinhalb Milliarden Bewohner, von der Restwelt zu schweigen. Wovon die Menschen leben und was die wohl essen sollen und wo die sich das notfalls besorgen werden?  Da wird Klimawandel – den niemand wirklich weiß und seit 8 Jahren geht die Temperatur zurück!- zur Marginalie. Aber Hunger und Planung allein für Afrika kostete dort viel Geld, am Klimawandel jedoch wird hier und weltweit verdient. Es gibt genug Hunger auf der Welt, aber wo er am Ärgsten wütet, finden sich die wie durch Zauberhand die meisten Waffen, sozusagen als Trademark kapitalistischer Doppelmoral – erst Absatz, dann Aussatz, dann Tod. Oder doch eher Mord?  Das wäre mein Wort zum Neuen Jahr gewesen,  wenngleich als nutz- und folgenloser Denkzettel für die Politik- und Finanzmarktkannibalen!  So ein Statement unser aller Kanzlerin wäre mal was gewesen für die Geschichtsbücher! Davon hat Frau Merkel, gutgeknöpft und feingerautet, in ihrem Neujahrswort leider nichts gesagt. Schade !


Notizen zur Zeit: Warum posthum Genscher, Herr Steinmeier? Von W.K. Nordenham

27. April 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit, Was ein Mensch wert ist

Neue Züricher Zeitung

«Colonia Dignidad» in Chile

Deutscher Aussenminister gibt Akten zu Auswanderer-Siedlung vorzeitig frei

26.4.2016, 15:53 Uhr

(dpa)Das deutsche Auswärtige Amt gibt seine Akten über die berüchtigte frühere Deutschen-Siedlung «Colonia Dignidad» in Chile vorzeitig für die Öffentlichkeit frei. Das kündigte Aussenminister Frank-Walter Steinmeier in Berlin an. Normalerweise wäre das Material noch bis zu zehn Jahre unter Verschluss geblieben. Zugleich gab Steinmeier zu, dass die deutsche Diplomatie zu wenig unternommen habe, um den Opfern der «Colonia Dignidad» zu helfen.Die Siedlung liegt etwa 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago und war Anfang der 1960er Jahre von deutschen Auswanderern gegründet worden. Ihr Anführer Paul Schäfer machte daraus eine Art Sekte, deren Grundstück mit Stacheldraht abgeriegelt wurde. Ohne Schäfers Erlaubnis durfte niemand das Lager verlassen. Während der chilenischen Militärdiktatur (1973-1990) wurde dort auch gefoltert.

Hochanständig, dass die dpa den vielfachen Kindesmissbrauch Paul Schäfers unerwähnt lässt und sein Terrorregime als eine Art Sekte verniedlicht. Was treibt das Auswärtige Amt die Akten jetzt freizugeben? Liegt es an dem in Kürze erscheinenden Kinofilm über Colonia Dignidad, der das komplette Versagen der deutschen Botschaft aufzeigt? Auch wegens des Todes von  Hans Dietrich Genscher fällt der Zeitpunkt der Freigabe der Akten  günstig, soeben posthum. Ein Zufall? Verantwortlicher Außenminister für „die deutsche Diplomatie“ war von  1974 bis 1992 mit Unterbrechung von einem halben Jahr nämlich Hans Dietrich Genscher, einer deutschen Diplomatie, die laut Steinmeier „zu wenig unternommen“ habe. Dem muss in anderem Sinne widersprochen werden, denn sie hat einiges unternommen um den Sachverhalt zunächst konsequent zu verschleiern. Nett, wenn man sich dann mit dem Begriff „deutsche Diplomatie“  so mir nichts dir nichts in Anonymität flüchten kann. Gerade trug man noch die ganze Verantwortung, einen Moment später, wenn sie übernommen werden soll, weiß man von nichts. Ist der Wind vorbei, dann trägt man sie wieder, wie einen Hut, den man nach gusto aufsetzt. Es macht nämlich einen Unterschied, ob die Verantwortung bloß wichtig herumgetragen und vorgezeigt wird oder ob man sie tatsächlich annimmt, sich zu ihr bekennt. Es ist der zwischen Charakter und Chuzpe, zwischen Sein und Schein und viel zu oft zwischen Leugnen und Schuld. Der da 1989 in Prag auf dem Balkon der Botschaft stand, wusste von der Colonia Dignidad schon früh. Amnesty International und die UNO berichteten seit 1977 über das deutsche Folterlager in Chile. Bis 1985 geschah trotz etlicher Hinweise nichts. Erst danach gab es die seit Jahren überfälligen Interventionen, wenigstens dann, wenngleich mit schmalem Erfolg. Aber da waren hundert weitere Kinder dem Schänder Paul Schäfer zum Opfer gefallen. Sein ärztlicher Mittäter war der Arzt Hartmut Hopp, der wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch von einem chilenischen Gericht zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Er setzte sich nach Deutschland ab und lebt hier geschützt vom deutschen Staat. Ein Strafverfahren hier zieht sich  trotz unstrittiger Schuld seit 2015 diplomatisch hin.  Aber der deutsche Außenminister Genscher wusste 1977 auch von von einer jungen Frau in Argentinien in Folterhaft mit Namen E l i s a b e t h   K ä s e m a n n . „Ach, das Mädchen Käsemann“, soll Hans-Dietrich Genscher einmal bei einer Besprechung gesagt haben(1). Mehr nicht, das geriet zum Todesurteil. De mortuis nihil nisi bene, über die Toten nichts Schlechtes, aber es hätte dem Herrn Genscher mehr als gut angestanden, die causa Colonia Dignidad selbstkritisch zu bewerten und zu Lebzeiten das Versagen im Fall Käsemann  einzugestehen. An Versuchen, ihn zum Sprechen zu bewegen, hat es nicht gefehlt. Nicht nur den Triumph genießen, sondern auch das mea culpa aussprechen, es hätte mehr gewogen als ein halbes Dutzend Prager Balkons und eine Größe bewiesen,  zu der er offenbar unfähig war. So groß er schien, er hätte größer sein können. Wie üblich erblickte der große Moment ein kleines Geschlecht. Über die Schreckensherrschaft der Colonia Dignidad gibt es, wie oben angeführt, einen aktuellen Film von Florian Gallenberger. Das Martyrium von Elisabeth Käsemann wird beschrieben in dem deutschem Dokumentarfilm aus dem Jahr 2014 von Regisseur Eric Friedler “ Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?“

Die komplette Freigabe der Akten zu diesem Fall dürfte noch dauern, nachdem man schon den Dokumentarfilm darüber 2014 ministerlich-diplomatisch unbeschadet ausgesessen hat. Nunmehr wird eine sehr lange posthume diplomatische Anstandsfrist gewahrt werden. Darauf möchte ich wetten, Herr Steinmeier.

https://de.wikipedia.org/wiki/Colonia_Dignidad_%E2%80%93_Es_gibt_kein_Zur%C3%BCck

https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_K%C3%A4semann

http://www.welt.de/politik/deutschland/article128745445/Warum-rettete-Genscher-deutsche-Studentin-nicht.html

(1 ) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/die-bravouroese-ard-dokumentation-das-maedchen-12972669.html


Notizen zur Zeit: Ralph Giordano – Von der Aktualität eines besonderen Zeitgenossen. Von W.K. Nordenham

25. April 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Jetzt erst fiel mir Ralph Giordanos Buch  in die Hände über seinen Aufenthalt in Jerusalem im Jahre 1990, der ihn durch das ganze Land und auch in die besetzten Gebiete führte. Aber er spricht auch von arabischem Denken und erklärt uns damit gleichzeitig eine Geisteshaltung, die uns mit den Flüchtlingen soeben millionenfach erreicht. Die Hellsicht dieses Reiseberichtes mit dem Titel „Israel um Himmels Willen Israel“ ist von solcher Aktualität, dass ich mir mehrfach klarmachen musste: Dies ist ein Buch von 1991 und nicht 2016 und reicht von Israel bis zur aktuellen Weltpolitik. Man versteht die merkwürdige arabische Weltsicht von heute. Solche Hellsicht erscheint undenkbar ohne Wahrhaftigkeit. Das seinen Texten eigene Pathos bezeugt zudem seine Leidenschaft und spiegelt die Liebe zur Sache, eine Liebe und Leidenschaft, die in unbedingter Menschlichkeit wurzelte, einer für ihn unteilbaren „Humanitas“. Im Moment  erlaube ich mir ohne Genehmigung ein paar Seiten aus seinem Israelbuch von 1991 zu veröffentlichen und empfehle es als Lektüre jedem, der schon glaubt, etwas zu wissen.  Rita Süßmuth sagte 1990 in Jerusalem: “ Es wird kein Frieden sein in der Region, bis Israels Nachbarn aufhören es zu bedrohen.“ Das zitiert Ralph Giordano. Da geht es nicht nur um die Palästinenser und Israel, sondern um ganz Arabien und den Iran, also jene die schon 1948 den Staat für die Palästinenser über deren Kopfe hinweg abgelehnt haben und sie heute trotz ihrer Öl-Milliarden komplett allein lassen. EU und USA zahlen mehr als die Golfstaaten. Bemerkenswert Giordanos prophetische Analyse  des islamischen Fundamentalismus, der inzwischen die Welt erfüllt mit sinnlosen Mordtaten. Die menschlichen Opfer verfehlter Nahost-Politik gelangen in ihrer Not zu uns, aber sind sozialisiert in arabisch-muslimischen Raum. Da herrscht eine komplett andere Weltsicht. Diese in Richtung unseres Grundgesetzes zu ändern wird Hauptaufgabe einer Integration sein, die als solche von der Politik bisher kaum verstanden wurde und wird.  Das muss begriffen werden, darum der nachfolgende Text. Ralph Giordano verstarb 2014 in Köln. Am 20 März 2016  wäre er  93 Jahre alt geworden. Für sein Buch möchte ich werben.

Ralph Giordano „Israel um Himmels willen Israel“  Kiepenheuer&Witsch, 1991 und 2002  410 S. bzw. 416 S.

(…) Schon wenn westliche Politiker Gott anrufen, dreht sich mir der Magen um. Die Beschwörung Allahs jedoch und die Trommelei zum „Heiligen Krieg“ in den islamischen Gesellschaften verursacht mir eisiges Entsetzen. Die Aufforderung der schiitisch-iranischen Ayatollahs, den Schriftsteller Salman Rushdie eines Buches (1) wegen zu töten, und die weite Zustimmung, die sie auch unter Sunniten gefunden hat, werfen ein Schlaglicht auf eine Vorstellungswelt, die sich beliebig zum Herrn über Leben und Tod aufwerfen zu können glaubt und eine Kluft zur Weltgesittung aufreißt, die unschließbar scheint. Die Ursachen von Ohnmacht und Rückständigkeit werden immer woanders gesucht, nur nicht im eigenen Versagen, Selbstkritik ist unbekannt. Es sind immer der Kolonialismus und seinen Folgeprobleme, es sind, noch einmal, stets die anderen, die „Weißen“, die Europäer, die Amerikaner, die verantwortlich gemacht werden – alle Übel kommen von außen.

Ein weiteres Charakteristikum des Nahostkonflikt besteht darin, dass er nicht zwischen Demokratien ausgetragen wird, sondern die Feinde Israels Staatsformen und Geschichtsüberlieferungen repräsentieren, in denen Begriffe wie Menschenrechte, Wert des Individuums, gar der Frauen, Gleichberechtigung, Gedankenfreiheit, Säkularisierung Fremdwörter geblieben sind. Einheimische Einparteiendespotien, auf dem Reißbrett nach 1918  künstlich konstruierte Königreiche, mittelalterlichen Traditionen verhaftete Monarchien oder innenpolitisch dauergefährdete Ölscheichtümer, sie haben jede freie Entwicklung unterdrückt, ungeheure Mittel für Prestigebauten und gewaltige Armeen verschwendet und zu phantastischer persönlicher Bereicherung geführt. Dass sich dadurch die schweren sozialen Spannungen noch verschärften, bedarf keiner Erwähnung. Ohne den zionistischen Gegner wäre dieses Pulverfass wahrscheinlich längst in die Luft geflogen(2). So erkennbar die innenpolitische Funktion des sogenannten Antizionismus ist, von den arabischen Ländern dürfte sie bisher kaum erkannt sein.

Deshalb können politische, soziale, militärische Katastrophen in ihren Augen nur die Folge ausländischer Verschwörungen sein, werden also Missstände und Schlimmeres ganz selbstverständlich in die Verantwortung fremder Mächte delegiert(3). Ich sehe keine Möglichkeit die dortigen Verhältnisse zu verändern, ohne diese Weltsicht zu beseitigen, mag die Hilfe von außen noch so groß sein. Leider hindert ein tiefsitzendes schlechtes Gewissen die meisten Europäer dran, der arabischen Welt diese und andere traurige Wahrheiten vorzuhalten.

Zu ihnen gehört die weitverbreitete Abneigung, die Wirklichkeit unvoreingenommen wahrzunehmen und belastende Realitäten, die mit den eigenen Wünschen und Vorstellungen nicht übereinstimmen, anzuerkennen. Die Palästinenser haben dafür während  des Golfkriegs und danach erschütternde Beispiele (4) geliefert. Und es war dann Saddam Hussein selbst, der mit seiner durch nichts gedeckten Großmäuligkeit von der „Mutter aller Schlachten“ das geradezu klassische Beispiel arabischer Realitätsverweigerung geliefert hat. Diese Unfähigkeit trägt das ihre dazu bei, notwendige Wandlungen und Reformen zu behindern. Sie ist Bestandteil des Nahostkonflikts.(…)

Mehr und mehr entpuppt sich dabei als treibende Negativkraft ein bereits erwähnter religiöser Fanatismus, der sich als Renaissance des Islam ausgibt, realistisch gesehen aber nicht anderes ist als die wütende und fruchtlose Antwort auf eine schwere historische Enttäuschung – auf die fehlgeschlagene „Revolution der Erwartung“. Sie war Ausdruck eines kollektiven Aufbruchs in Asien, Afrika und Lateinamerika schon während de zweiten Weltkriegs, der dann aber noch verstärkt wurde durch die Sehnsucht ehemals kolonial unterdrückter Völker, das weiße Joch abzuwerfen, sozial, kulturell, national wie Phönix aus der Asche zu steigen, nach dem siegreichen Kampf gegen die weißen Drohnen in Licht, Glück und Wohlstand einzutauchen und alles zu überwinden, was sich dabei in den Weg stellte.

Es wurde nichts überwunden, wie schon ein erster Blick auf die zeitgenössischen Hunger-, Not- und Elendsszenarien der Dritten Welt erkennen lässt, und ich war in den vergangene dreißig Jahren in meiner Eigenschaft als Fernsehmann oft genug Zeuge der ebenso weltweiten wie herzzerreißenden Desillusionierung dort. Nahezu überall ist sie gescheitert, die „Revolution der Erwartung“, sind ihre wilden Hoffnungen und ihre verzückten Phantasien zerstört worden, auch in der arabischen Welt.

Die Enttäuschung darüber ist der Humus für Israels gefährlichsten Gegner, den islamischen Fundamentalismus (5). Er entspringt nicht historischer Stärke, wie damals, Mitte des 7. Jahrhunderts, als die Reiterscharen unter der grünen Fahne des gerade verstorbenen Propheten Mohammed aus der arabischen Halbinsel hervorbrachen und in unaufhaltsamem Siegeszug ganze Kontinente vom Indus bis zu den Pyrenäen eroberten. Was sich dagegen heute unter ständiger Berufung auf die einstige Größe als Wiedergeburt des Islam gebärdet, ist nicht als der Reflex auf die historische Schwäche der arabischen Welt, ist Schein und Vorspiegelung, ungedeckt durch reale Energien und die Gunst der geschichtlichen Stunde. Die Aufforderung des islamischen Fundamentalismus, zur Strenge der Frühzeit zurückzukehren, dient der Flucht aus diesseitiger Enttäuschung  in die Verheißung jenseitigen Glücks.  (…)

Das Symbol für die verhasste Überlegenheit aber, die tatsächlichen und die eingebildeten Demütigungen, die fremd- und selbstverschuldeten Untergänge, die schlimme Gegenwart und deprimierende Perspektive, das Symbol also für den „Westen“ und seine Hauptmacht USA, den „Großen Satan“- ist Israel. Das sind die größeren Zusammenhänge seiner Bedrohung durch die Araber.

Entgegen anderslautenden Zweckbeteuerungen, die sich während des Golfkriegs nur noch einmal als platonisch entpuppten, ist dem Judenstaat, mit der zerbrechlichen ägyptischen Einschränkung, von seinen Gegnern nie etwas anderes entgegengebracht worden als der gemeinsam arabische Wille zu seiner Vernichtung. Er ist die Ursache der israelischen Unnachgiebigkeit, der israelischen Angst. Ohne ihre Aufhebung wird es keine Lösung geben . (…)

Was sind das für Leute, die Flugzeuge vom Himmel herunterholen mit Menschen, die am israelisch-palästinensisch-arabischen Konflikt völlig unbeteiligt und also gänzlich unschuldig sind – wie jene Passagiere des PanAm Flugs 103 am 21. Dezember 1988 (6) über Lockerbie abstürzten? Was ist das für eine Mentalität, die sich da zum Scharfrichter über 271 Menschen machte und den Massenmord mit eigenen Problemen rechtfertigte? Was sind das für Leute, die während einer Flugzeugentführung den Leichnam des erschossenen Piloten aus der Maschine auf das Rollfeld klatschen ließen wie damals in Mogadischu? Oder die auf dem italienischen Kreuzfahrtschiff „Achille Lauro“ einen jüdischen Amerikaner, Leon Klinghofer, erst töteten und ihn dann mit seinem Rollstuhl ins Meer stießen? Was sind das für Leute, die tatsächliche oder angebliche Kollaborateure  auf der Westbank und im Gazastreifen  auf so grausame Weise langsam Glied um Glied sterben lassen, Kinder, Hausfrauen, alte  Männer, dass ich die Wiedergabe solcher Abschlachtungen (7) meinen Lesern nicht zumuten mochte?

Was sind das für Leute, die hoffen, dass die Intifada – ich weiß, wovon ich spreche – möglichst viele „Märtyrer“ hervorbringen wird? Was sind das für Leute, die in Tel Aviv und seinen Hotels nur deshalb nicht das geplante Blutbad anrichten konnten, weil die Motoren ihrer Schnellboote beim Angriff auf die Küste versagten? Was sind das für Leute, die aus der Tatsache, dass ihnen das eigene Leben gleichgültig ist, den Schluss ziehen, es anderen einfach nehmen zu dürfen? Und welchen Einfluss würden sie in einem Palästinenserstaat ausüben?

Das Elend der Palästinenser, in das ich tiefen Einblick nehmen konnte, muss gewendet, ihre Not beseitigt werden. Ich habe nichts davon vergessen, kein Wort und kein Bild ihres Leids. Gaza verfolgt mich bis in die Träume. Die Parole palästinensischer Selbstbestimmung steht auf der Welttagesordung, und von da kommt sie nicht eher herunter, bis sie durchgesetzt sein wird. (…)

Ich mache hier aus meinem Herzen keine Mördergrube, sondern erkläre meine tiefe Skepsis gegenüber der Friedensfähigkeit einer Organisation, deren Antlitz weit mehr geprägt ist von den Fraktionen der Terroristen als von allen anderen. Natürlich gibt es Differenzierungen, ich selbst habe gemäßigte Palästinenser kennengelernt, ja, Freunde unter ihnen gewonnen, wie dieses Buch ausweist. Aber nicht sie haben bisher das Feld beherrscht. Dennoch ist die PLO (8) die Vertretung der Palästinenser, und wie ich diese kennengelernt habe, werden sie an ihr festhalten.“

 

Anmerkungen von mir:

(1)  Soweit ich weiß, besteht  die Todes-Fatwa immer noch

(2)  Es ist in die Luft geflogen im arabischen Frühling, mündete in Autokratie in Ägypten, eine zerbrechliche Demokratie in Tunesien, EU/USA mit induziertes Chaos in Libyen und aus derselben Ursache einen andauernden Bürgerkrieg in Syrien.

(3) Aktuell sieht sogar ein Nicht-Araber wie Erdogan, immerhin Muslim, die EU am Werk, die Türkei unterdrücken zu wollen.

(4) Man erinnert sich Arafat umarmte Saddam Hussein und die Palästinenser standen auf ihren Hausdächern um den Untergang Israels durch Saddams mit Gas bestückte Raketen zu feiern.

(5) Inzwischen trifft  die ganze Welt der Wahnwitz des IS , Al Quaida,  lokal  Al Shabaab, Bokoharam, Jemaah Islamiah und ungezählter  muslimischer Mordbanden.

(6) Kürzlich der Abschuss einer russischen Maschine mit über dem Sinai. An Bord des Flugs Kogalymavia-Flug 9268  am 31. Oktober 2015 befanden sich 224 Personen (darunter 25 Kinder sowie sieben Besatzungsmitglieder).

(7) Hat Al Quaida und IS inzwischen massenhaft in Bildern nachgeliefert.

(8)  Die PLO lehnt Israel 2014 offiziell als Staat ab, will aber selbst einer sein. Hier die Quelle:

http://www.welt.de/politik/ausland/article125657136/Applaus-fuer-Ablehnung-Israels-als-juedischer-Staat.html

 

 

 


Notizen zur Zeit: Ralph Giordanos nicht gehaltene Rede aus 2007

25. April 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Ich hatte noch kurz vor seinem Tode mit Ralph Giordano wegen der Bitte um Veröffentlichung eines Textes in „DAS ROTE HEFT“ korrespondiert, der sich mit der freien Meinung beschäftigte.  Damals  schrieb ich an ihn:

„Die  Freiheit des Denkens und des freien Sprechens mit der Achtung vor dem Andersdenkenden kann nie zur Disposition stehen. Das erläutern Sie exemplarisch  in der Rede. In dem Zusammenhang  fällt mir  auf, das muslimische Themen, allein das kritische Nennen des Namens Mohammed, bei vielen Redakteuren schon Schüttelfrost auslösen. Kritische Briefe zu Islamterror im Sinne von Religionskritik finden keine Öffentlichkeit, wenigstens meine Briefe nicht. Ich denke, dass die Schere im demokratischen Kopf  des Redakteurs  bereits gut schneidet. Beinahe erschrak ich über den Gedanken, das ich Ihre Rede schon deshalb abdrucken müsste, um ein Zeichen für die Freiheit des Wortes zu setzen, ungeachtet des Inhaltes, der den Kern erfasst,  nämlich das Problem des reaktionären, religiösen Fanatismus. Dabei erscheinen mir die islamistischen Mörder als die Gefährlichsten, weil Entschlossensten. Es gibt da eine bemerkenswerte Verkehrung der Bedeutung des Wortes Märtyrer, von einem, der für den Glauben den Tod erleidet,  zu einem, der für den Glauben mordet. Und die Eltern der toten „Märtyrer“ , ihrer  Kinder sind darauf noch „stolz“.

Aber auch der  Mörder Rabins und die geistigen Brandstifter dahinter,  gehören zu den Verblendeten des Glaubens. Aber sie werden wenigstens nicht gefeiert wie die sogenannten Märtyrer. Falls es einen Gott gibt, was auch Jeshajahu Leibowitz nicht wusste und die Gebote gerade deswegen hielt, so wird jener sich kaum mit Mördern umgeben wollen. Warum leuchtet das Muslimen nicht ein? Vermutlich wurzelt das in derselben Untiefe, die in Kentucky die Kreationslehre der Bibel für verbindlich erklärt, und jüdische Siedler nach 2000 Jahren Land beanspruchen lässt, in dem inzwischen andere Menschen wohnen. Leibowitz sah übrigens die Gabe des gelobten Landes durch Gott als vor 5000 Jahren erfüllt an und lehnte eine aktuelle, zweite Aneignung ab, da nicht in der Thora vermerkt. Das muss irgendwie glöst werden. Aber ohne Toleranz und Freiheit auch des Wortes kann es kein Zusammenleben geben.

Ich gebe zu, für  einen Moment aus gewissermaßen einer „islamic correctness“ –   gefährlicher als die political correctness  –   in meiner Absicht gezögert zu haben,  Sie um Veröffentlichung zu bitten . Soweit haben es die Sirenen selbst bei mir schon gebracht, dass ich überlege, was ich noch tun und sagen darf,  weshalb ich  hiermit den Wunsch nach Abdruck  bekräftige. „

Die Erlaubnis für den Abdruck wurde damals erteilt. Ich bin übrigens für eine Moschee in Köln, meinetwegen auch ein große Moschee, und sie steht jetzt ja auch. Aber warum bezahlt und organisiert das der türkische Staat in Deutschlands Städten, wie auch in Duisburg oder anderswo?  Werden in der Türkei neue Kirchen genehmigt? Im Sinne einer Mogelpackung ja, vor über 4 Jahren für aramäisch-assyrische Christen in Istanbul. Aber nichts ist passiert außer Einsprüchen und Verzögerung. Man sollte in Köln mit der Öffnung der Moschee  so lange warten, bis die Istanbuler Kirche fertig ist. Das wär mal was, auch für die deutschen Muslime. Es spricht Bände für die Toleranzebene, dass die Demonstration damals 2007  aus „Sicherheitsgründen“ nicht stattfinden konnte. Man fürchtete den Mob säkularer und religiöser couleur. Was muss ein Mann wie Giordano gedacht haben?

Aus gegebenem Anlass, nämlich der zu bewältigenden Ankunft von mindestens einer Million muslimischer Flüchtlinge, sei  die Rede Ralph Giordanos nochmal ins Gedächtnis gerufen und der türkische Minsterpräsident Recip Tayyip Erdogan mit seinem Ausspruch:

»Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.«

Es gibt jedoch  eine Basis für Integration : Die uneingeschränkte Gültigkeit des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu jedem Zeitpunkt und für alle. Mehr wird nicht verlangt.  Der Islam als Glaube an  Allah steht dem nicht im Wege. Aber für einen Islam schon à la Erdogan,  mehr noch à la Muslimbruderschaft oder gar Wahhabismus/Salafismus kann deshalb hier kein Platz sein.  Die sollten in der Tat hingehen, wo das Recht und die „Freiheit“ so gehandhabt wird. Was hindert jene eigentlich zu gehen?  Ich habe meinen Koran in mehreren autorisierten Übersetzungen gut gelesen. Dabei lautet nach genauer Prüfung die wesentliche, hochmoralische Forderung, den rechten Glauben bei sich selbst zu suchen. Das ist die Aufgabe. Der Rest beschreibt Administration und Auslegung. Doch dafür gilt hier das Grundgesetz,  zu garantieren von Polizei, wirksam zu schützen von der Justiz, zu begleiten von Politik.  Die bisherige sogenannte Integration macht allerdings nicht viel Mut. Dennoch, unter diesen Prämissen kann man es schaffen. Es wohl besteht auch keine Wahl.

Hier noch einmal die  nicht gehaltene Rede Ralph Giordanos  aus 2007

Cicero   26. September 2007

Eigentlich wollte der Publizist Ralph Giordano auf einer zentralen Kundgebung am 11. September 2007 in Köln eine Rede gegen den Bau der geplanten Großmoschee halten. Die Demonstration wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Wir dokumentieren seine ungehaltene Rede.

Mitkämpferinnen und Mitkämpfer – deutsche, muslimische und andere, welcher ethnischen Herkunft auch immer!

Dies an den Anfang, in alle Ohren, die hören können, urbi et orbi – erstens: Falls sich Anhänger der „Pro-Köln“-Partei hierher verirrt haben sollten, können sie sich kategorisch aufgefordert fühlen, den Schauplatz auf das Schnellste zu verlassen und sich dahin zu verfügen, wo Rassisten, Ausländerfeinde, Neo- und Altnazis hingehören – auf den Kehrichthaufen der Geschichte! Ich komme auf diese parasitären „Bundesgenossen“ im Verlaufe meiner Rede noch zurück – so leicht wollen wir diese falschen Fuffziger für ihre braunen Anschleimungsversuche nicht davonkommen lassen.

Zweitens: Hier ist kein Haufen von Türkenschrecks zusammengekommen, keine Horde von Anti-Muslim-Gurus, und zum Bürgerkrieg ist auch nicht aufgerufen worden. Wir sind hier angetreten, um auf ein schwerwiegendes Problem der deutschen Innen- und Außenpolitik hinzuweisen, das seit Jahrzehnten regierungsübergreifend von den Politikern unter der Decke gehalten, geleugnet, verdrängt oder geschönt worden ist: auf das instabile Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Minderheit, vorwiegend türkischen Ursprungs. Es rührt an die Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaft.

Noch war der erste Pulverdampf des Kampfes um den Bau einer zentralen Großmoschee in Köln-Ehrenfeld nicht ganz verflogen, da meldete sich auch schon eine spezifische Furcht von bundesweiten Ausmaßen – die Furcht vor einer schleichenden Islamisierung unseres Landes. Sie ist nur zu begründet – lokal, national und international.

Mein öffentlicher Vorstoß gegen den Bau der Moschee vom 11. Mai 2007 in einem vom Kölner Stadtanzeiger initiierten Streitgespräch mit einem Funktionär der Ditib hatte offenbar vielen aus der Seele gesprochen. Anders ist die geradezu sturzflutartige Medienlawine nicht zu erklären, die aufdeckte, wie virulent, überall gegenwärtig und hoch bewusst da etwas vor sich hin geschwelt hat, was von der Politikerklasse über Jahrzehnte hin regierungsübergreifend sträflich verdrängt, hartnäckig geleugnet und immer wieder geschönt worden ist. In Hunderten und Aberhunderten von Briefen, Faxen und Telefonaten an mich hieß es, so einheitlich wie bestürzend: „Wir stehen hinter Ihrer Kritik, wagen aber nicht, es auszusprechen, weil wir dann in die falsche, die neonazistische Ecke gestellt werden, wo wir nicht hingehören…“

Auf der ganzen Linie also Triumph des niederträchtigsten aller niederträchtigen Totschlagargumente der „political correctness“: „Wer gegen die Moschee ist oder am Islam Kritik übt und das laut sagt, besorgt die Sache der Nazis von heute.“ Genau in diese Ecke sollen auch unsere Veranstaltung, ihre Organisatoren und ihre Redner gestellt werden, genau damit sollten auch wir erpresst werden. Darauf eine klare, unmissverständliche Antwort: Man braucht, verdammt noch mal, kein Überlebender des Holocaust zu sein, um mit bürgerlichem Selbstbewusstsein deutschen Diffamierungsversuchen und muslimischer Drohung couragiert die Stirn zu bieten (sage ich, der gerade im Fadenkreuz beider steht).

Ein Wort zu meinem persönlichen Strauß mit „Pro Köln“. Als die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei mich mit der Losung „Giordano auf Pro-Köln-Kurs“ zu vereinnahmen suchte, nannte ich sie „die lokale Variante des zeitgenössischen Nationalsozialismus, die, wenn sie könnte, wie sie wollte, mich in eine Gaskammer sperren würde.“ Was die braune Truppe veranlasste, mit einem Verfahren zu drohen, dem ich, falls es zustande käme, mit freudiger Erregung entgegensehe. An meiner politischen Charakteristik jedenfalls hat sich nichts geändert.
Zur lokalen Dimension: Der wahre Bauherr der zentralen Großmoschee in Köln-Ehrenfeld ist, über ihren verlängerten Arm Ditib, die Religionsbehörde Dyanet in Ankara. Dort ist das Projekt ausgeheckt worden, für mich von Anfang an ein Zeichen der Landnahme auf fremdem Territorium, das Symbol einer integrationsfeindlichen Identitätsbewahrung, eine Kriegserklärung. Das einzig Gute an diesem einen verräterischen Schritt zu weit nach vorn: das durch Fehleinschätzung der Reaktionen unfreiwillige Bekenntnis zu den wahren Absichten hinter der Fassade. Sollte der Bau in seiner jetzigen Gigantomanie tatsächlich hochgezogen werden, so geschähe das gegen den erklärten Willen einer nicht unbeträchtlichen Bevölkerungsmehrheit.
Zur nationalen Dimension: Vor uns liegt der Scherbenhaufen einer Immigrationspolitik, die sich zäh geweigert hat, Deutschland zu einem Einwanderungsland zu erklären und es mit den entsprechenden Gesetzen und Regularien auszustatten. Über Jahrzehnte hin gab es deutscherseits nichts als Hilflosigkeit, Konfliktscheue und falsche Toleranz, das ganze Arsenal gutmenschlicher „Umarmer“: verinnerlichte Defensive christlicherseits bei den sogenannten „interreligiösen Dialogen“; verheerende Nachsicht der Justiz bei Straftaten, bis in den Versuch, Teile der Scharia in die deutsche Rechtsprechung einzuspeisen; überängstliches Vorgehen und wehrloses Wegschauen von Polizei und Verfassungsschutz auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik; beängstigende Reserve gegenüber islamischen Organisationen, die den Terror unterstützen, wie auch gegenüber Plänen für eine schleichende Umwandlung westlicher Staaten in eine islamische Staatsform.

Hier ein paar Zitate aus einigen der unzähligen Briefe gleichen Tenors: „Ich bin entsetzt über Politiker der 68er-Generation, die in meinen Augen blauäugig und in falschem weich gespülten Toleranzgebaren einer hoch aggressiven Religion die Hand reicht, ohne die Dynamik dieser Glaubensgemeinschaft einschätzen zu können.“ Eine andere: „Ich bin entsetzt über Politiker, die sich auch aus intellektueller Bequemlichkeit weigern, eine entschiedene Auseinandersetzung mit islamischen Vertretern zu führen.“

Und eine dritte: „Mir macht Islam erhebliche Angst, besonders als Frau stößt mich diese Religion mit ihrem autoritären patriarchalischen Ehrbegriff ab. Mehr Angst aber noch machen mir Politiker, die ihre Denkmuster von Toleranz und Antirassismus heute nicht einer Neudefinition unterziehen. Nur wenige ihrer Vertreter sind in der Lage, die intellektuellen Wertmesser ihrer Jugend infrage zu stellen.“

Die hartnäckigen Versäumnisse hatten nach dem Zustrom vorwiegend türkischer „Gastarbeiter“ der 60er- und 70er-Jahre eine gewaltige Zuwanderungswelle zur Folge gehabt. Was dann nahezu unkontrolliert und in philanthropischer Furcht vor dem Stempel „Ausländerfeindlichkeit“ nachströmte, waren Millionen von Menschen aus einer gänzlich anderen Kultur, die in nichts den völlig berechtigten Eigennutzinteressen des Aufnahmelandes entsprachen, ohne jede Qualifikation waren und nur bedingt integrationsfähig und -willig. Und dazu gewaltige Belastungen der Sozialkassen.

Das Ergebnis im Spiegelbild der Gegenwart: 40 Prozent der türkischen Jugendlichen sind, primär bedingt durch mangelnde Sprachkenntnisse, ohne Schulabschluss, also beruflich und sozial ausgegrenzt. Was heißt, dass die Sprachdefizite vor allem der Mütter inzwischen in die dritte Generation der Kinder weitergegeben worden sind, ohne dass eine Änderung dieser Situation in Sicht ist. Zumal nach wie vor den weiblichen Mitgliedern eines religiös dominierten Kulturkreises die Teilnahme am sozialen Leben der deutschsprachigen Mehrheit versagt bleibt. Erschreckenderweise deuten viele Anzeichen darauf hin, dass die dritte Generation islamischer denkt als ihre Eltern und Großeltern und dass ein Teil von ihnen anfälliger ist für radikale Ideen als diese.

Nicht dass es keine Beispiele gelungener Einordnung in die Mehrheitsgesellschaft gäbe – es gibt sie. Nur: Exemplarisch werden sie auch dadurch nicht, dass türkische Verbände immer wieder versuchen, die Ausnahme zur Norm zu erklären.

Die erste, unbequeme und für beide Seiten schmerzhafte Wahrheit ist: Die Integration ist gescheitert! Und die „Parallelgesellschaften“ sind der deprimierende Ausweis dafür. Es sind türkische Kritikerinnen und Kritiker, die uns authentisch berichtet haben von einem Alltag der Unterdrückung, der Abschottung, der Ausbeutung, der Zwangsehe und der Gefangenschaft muslimischer Frauen und Mädchen als Norm, bis hinein in die namenlose Perversität der sogenannten „Ehrenmorde“.

Wir müssen lernen, die Dinge beim Namen zu nennen, sowohl was die deutschen Defizite im Verhältnis von Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Minderheit betrifft als auch die nicht hinnehmbaren Akte von türkischer Gewaltkultur, Nationalismus, Fundamentalismus und öffentlichem Siegergebaren mit der Drohung demografischer Expansion. Der Stand der Dinge zwischen Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Minderheit ist ungefestigt. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, was sein würde, wenn die beiden von Muslimen gelegten Kofferbomben in Köln gezündet hätten, mit vielen Toten und Verletzten. Es bleibt nichts als die Hoffnung, dass dieser Fall nicht eintritt. Denn erreichte uns der Terror ohne sichtbare Fortschritte bei der Integration, würden der Republik Erschütterungen von bisher unbekannten Ausmaßen ins Haus stehen.

Sowenig wie die muslimische Minderheit unter Generalverdacht gestellt werden kann, so wenig kann ihr ein Blankoscheck für Wohlverhalten überreicht werden. Wenn ihre Mehrheit denn ein friedliches Leben will (und davon ist auszugehen), so wäre sie gut beraten, das unmissverständlich zu bekunden, und zwar so oft die Lage es erfordert. Solche Proteste hat es gegeben, keineswegs aber schon in der Lautstärke, die die Voraussetzung für ihre Glaubwürdigkeit wäre.

Lassen Sie mich noch ein Wort sagen zu der höchst zwielichtigen Rolle der geradezu inflationär emporschießenden türkisch-muslimischen Migrantenverbände in Deutschland, allen voran die am Tropf der türkischen Religionsbehörde Diyanet hängende Ditib, die Türkisch Islamische Union der Anstalten für Religion e.V. Obwohl sie dauernd ihre Treue zum Grundgesetz beteuert, hielte ihr vorgegebenes laizistisches Islamverständnis einer näheren Prüfung nicht stand. Türkische Kritiker halten sie für von radikal-nationalistischen Organisationen unterwandert und nennen Querverbindungen zu Verbänden und Parteien, die statt auf Integration auf kulturelle Identitätsbewahrung der Immigranten und ihrer Nachkommen hinarbeiten. Dazu wird bekannt, dass Ditib-Imame eine Sonderausbildung erhalten, die den Völkermord an den Armeniern 1915/16 im türkisch-osmanischen Reich zu einem „Mythos“ erklärt – „Auschwitz-Lüge“ auf Türkisch.

Was wissen wir von der Tätigkeit der vielen zugewanderten international-islamistisch orientierten Funktionsträger innerhalb der nicht mehr zu zählenden Verbände? Und wie ehrlich können denn Bekenntnisse zu den Prinzipien der säkularen Demokratie sein, wenn es doch die Taqiyya gibt – also die ausdrücklich religiös sanktionierte Erlaubnis zu Täuschung und Verstellung in der Auseinandersetzung mit „Ungläubigen“? Nirgendwo bin ich auf mehr Unfähigkeit zur Selbstreflexion, zu Selbstkritik und Selbstironie gestoßen als in diesen Kreisen, dafür aber auf einen Dauerzustand nervösen Beleidigtseins, das seine Sensibilitäten zur letzten Instanz machen will.

Buchstäblich rot sehe ich auch, wenn die Ditib und andere Verbände wieder einmal penetrant auf Religionsfreiheit pochen – womit ich die Religionsfreiheit hier nicht aufgehoben wissen will, wohl aber darauf hinweise, um wie viel glaubwürdiger diese Berufung wäre, wenn auch nur die kleinsten parallelen Bemühungen für Religionsfreiheit in der Türkei erkennbar sein würden. Sie sind es nicht.

Da wird ein Prinzip sichtbar, das über allen Aktivitäten muslimischer Verbände steht, eingeschlossen den „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZDM) oder die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD): zu fordern, fordern, fordern, ohne jeden Sinn für eine Bringschuld.

Zur dritten, der internationalen Dimension: Die unbequemste, ja, bedrohlichste Frage unter all den unbequemen und bedrohlichen Fragen lautet: Ist Islam reformierbar, modernisierbar? Sind er und die Scharia, das islamische „Rechtssystem“, in Übereinstimmung zu bringen mit Demokratie, Menschenrechten, Meinungsfreiheit, Pluralismus und, dies die Schlüsselfrage überhaupt, Gleichstellung der Geschlechter? Fragen, die den Islam auf den Prüfstand der Geschichte stellen – und die überraschenderweise am negativsten von kritischen Muslimen selbst beantwortet werden. Und das so punktgenau und tabulos, wie es kein Europäer oder Amerikaner je auszusprechen wagen würde – Zitat: „Kaum ein islamischer Geistlicher, geschweige denn ein frommer Laie ist willens und in der Lage, das Kernproblem in der Denkstruktur des eigenen Glaubens zu sehen. Sie sind nicht bereit zur kritischen Analyse der eigenen Tradition, zu einer schonungslosen Gegenüberstellung ihres Glaubens mit der Lebenswirklichkeit in modernen Gesellschaften.“ So der große türkische Lyriker Zafer Senocak.

Was sind Salman Rushdies „Satanische Verse“ gegen diese Analyse, die die Lehre und Praxis des muslimischen Glaubens schonungslos als die eigentliche Quelle der enormen Schwierigkeiten des Islam bei seinem Versuch einer Anpassung an die Moderne vorführt, also eigene Übel zum wahren Ursprung des Terrors erklärt und die Säkularisierung des Islam zur Voraussetzung einer Zukunft macht?

Ein riesiger, revolutionsüberreifer Teil der Menschheit, die Ummah, die globale Gemeinschaft der Muslime, so differenziert sie in sich ist, droht an ihrer eigenen Rückständigkeit zu ersticken. Richtig, die Türkei bietet eine Ausnahme, aber was den Grundkonflikt anbetrifft, Islam und Moderne, steckt sie mittendrin.

Wenn es denn stimmen sollte, dass es einen Unterschied zwischen Islam und Islamismus gibt (was wiederum gerade Muslime bestreiten), dann sollte der Islam bemüht sein, den Unterschied glaubhaft zu machen. Denn wenn das nicht geschieht, kann er bald schon identifiziert werden mit einer Bewegung, die das Zeug zum Totalitarismus des 21. Jahrhunderts in sich trägt. Die Merkmale anhand gegebener historischer Vergleichsmöglichkeiten sind alarmierend genug, bis hinein in das erklärte Ziel des politischen Islam: „Umsturz der gottlosen Regierungen des Westens und ihre Ersetzung durch islamische Herrschaft.“

Ich glaube nicht daran, dass diese wahnsinnigen Fiktionen Wirklichkeit werden könnten. Aber auch über ihren Versuch schon könnte die Welt zuschanden werden, und nicht nur die islamische. Dieser Kampf ist in vollem Gange – und Europa,  Deutschland stecken mittendrin. Deutschland wird sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass Integration auch weiterhin ein Wunschbild bleiben wird, Mehrheitsgesellschaft und muslimische Minderheit aber dennoch miteinander auskommen müssen. Von allen Geschichtsbildern ist dies das wahrscheinlichste. Es schließt individuelle Integration nicht aus, versagt sich aber einer kollektiven Einordnung. Oberstes Gebot: Gewaltlosigkeit!

Und zum Schluss, noch einmal: Ich bin kein Türkenschreck, kein Anti-Muslim-Guru, ich habe nicht zum Bürgerkrieg aufgerufen. Ich habe lediglich im Interesse beider Seiten mitgeholfen, ein verdrängtes, hochexplosives Thema deutscher Innenpolitik in das öffentliche Bewusstsein zu befördern.

Ich werde also auch weiterhin auf meiner kulturellen Selbstbestimmung beharren, auf einer Lebensform, die die meine ist und in mannigfacher Hinsicht mit der islamischen nicht übereinstimmt. Ich werde mich auch weiter abgestoßen fühlen durch verhüllte Frauen, wobei sich meine Abscheu nicht gegen die Frauen richtet, sondern gegen ein religiös dominiertes Patriarchat und seine Verwalter. Auch werde ich meine Ansicht von Meinungsfreiheit nicht einem Ungeist anpassen, der sie so auslegt: „Alle haben das Recht, ihre Meinung frei auf eine Weise auszudrücken, die der Scharia nicht zuwiderläuft.“ Nein und dreimal nein!

Ich will sagen dürfen, dass ich die Scharia, das Gesetz des Islam, für notorisch grundgesetzwidrig halte, für einen skandalösen Anachronismus, das Fossil einer überholten geistesgeschichtlichen Epoche und ein schweres Hindernis auf dem Wege zur Reformierung und Modernisierung des Islam. Sie wird von mir genauso selbstverständlich in die kritische Methode einbezogen wie der Koran, die Biografie Mohammeds und das Alte und das Neue Testament. All das und mehr will ich sagen, schreiben und denken dürfen – offizielle Fatwa-Drohung hin, inoffizielle her. Und das unter der Überschrift: Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem!

Wo sind wir denn, dass wir uns überlegen müssten, ob unser Tun und Handeln radikalen Muslimen gefällt oder nicht? Wo sind wir denn, dass wir uns in vorauseilendem Gehorsam von religiösen und anderen Fanatikern vorschreiben ließen, was wir veröffentlichen dürfen und was nicht? Wo sind wir denn, dass wir in die Knie gehen vor jenen offenbar jederzeit abrufbaren Zorn- und Empörungskollektiven zwischen Kairo und Bali, die der Streit um die dänischen „Mohammed“-Karikaturen uns so drastisch vorgeführt hat? Wie lange sollen wir noch strammstehen vor Traditionen, Sitten und Gebräuchen, die jede Kritik in Beleidigung umfälschen, selbst aber höchst verschwenderisch mit Verbalinjurien gegen Andersdenkende zur Hand sind? Ich wehre mich gegen ein Erpresserpotenzial, das uns unter islamischer Beobachtung halten will und seine Tentakeln von Zentral- und Vorderasien bis in die Mitte Europas ausgeworfen hat, mit dem Motto: „Wer nicht kuscht, der lebt gefährlich!“

Ich werde mir aber auch weiterhin von der Seele schreiben, was dabei ist, mich auf meine späten Tage das Fürchten zu lehren: der politische, der militante Islam und seine Funktionsträger, die grüne Blauäugigkeit deutscher „Umarmer“ und die Sirenentöne der professionellen Taqiyya-Rhetoriker.

Und zum Schluss ein Wort an Kölns politische Spitze, die sich mit einer Überheblichkeit sondergleichen über den immer deutlicher artikulierten Protest einer großen Bevölkerungsgruppe hinweggesetzt hat und sich dabei nicht entblödete, mit den verschämten Korrekturen an der – nach wie vor – Großmoschee nichts als architektonische Kosmetik zu betreiben. Wenn es denn wahr ist, dass auch diese Moschee als eine Fatih-Moschee geplant war, also wie viele andere in Deutschland nach einem osmanischen Eroberer benannt werden sollte, dieses Vorhaben nun aber nach der stürmischen Gegenwehr zurückgenommen würde, so bestätigt sich damit nur eine Taktik der Anpassung, die nichts von der ursprünglichen Absicht dahinter wegnähme: mehr Macht, mehr Einfluss – schleichende Islamisierung.

Ich kann deshalb zum Schluss meiner Rede nur noch einmal an den Oberbürgermeister der Stadt Köln und die befürwortenden Stadträte appellieren, den Bau in Ehrenfeld zu stornieren. Zwischen Hinterhof- und Großmoschee gäbe es viele Abstufungen ohne den Abschreckungseffekt, den der Reißbrettentwurf hervorgerufen hat.

Wenn es denn der Preis sein sollte, ohne Schmusekurs in diesem Konflikt Freunde zu verlieren und persönlich bedroht zu werden, dann bin ich bereit, ihn zu zahlen. Und das, wie bisher, weiter an der Seite so tapferer Frauen wie Necla Kelek, Arzu Toker, Emine Özdamar, Seyran Ates, Ayaan Hirsi Ali und aller anderen, aller anderen friedlichen Muslimas und Muslime.


Notizen zur Zeit: Der Aufschrei Döpfner – Böhmermann und die Folgen. Von Sebastian Knüll

12. April 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit, Was man so lesen muss

Solidarität mit Jan Böhmermann!
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article154171281/Solidaritaet-mit-Jan-Boehmermann.html

Wenn Springer-Chef Mathias Döpfner ran muss, um Jan Böhmermanns vermeintliche „Schmähkritik“  und damit Presse- und Satirefreiheit höchstselbst zu verteidigen, spricht das Bände über den schmählichen Zustand derselben. Und wer hat sich dieser Tage nicht verwundert gefragt: wo ist sie denn nun, die breite Solidarität von Medien- und Volksvertretern, von jenen, die selten um ein klares Statement verlegen sind? Wo sind die, die bei unzureichender Rücksicht auf das, was des Menschen Grundrecht sei, auch gerne und vorschnell die moralische Keule freiwestlicher Rechtschaffenheit schwingen? Nicht nur Jan Böhmermann dürfte dies in seiner Demokratiegläubigkeit „erschüttert“ haben. Dass Kanzlerin Merkel dieser Farce durch Ihr devotes, – gleichwohl naives – politisches Anbiedern die Bühne bereitet hat, ist hinreichend dokumentiert.  Apropos, wurde nicht Angela Merkel in der türkischen Zeitschrift „Vakit“ als Hitler gezeigt[1]? Das war echte Schmähkritik, nicht als Satire gemeint und etwa analog Böhmermann ausdrücklich satirisch als solche vorab deklariert. Doch vielleicht gilt das türkischen Regierungsvertretern dieser Tage gar nicht als Schmähung?

Nun springt Mathias Döpfner heldenhaft auf die Szene und ruft ins Gedächtnis, was Kunst und Satire nach Tucholsky durfte und darf. Wie der Papst in der „Titanic“, so Erdoğan bei Böhmermann! Fast schon möchte man applaudieren. Hatte man ihn doch herbeigesehnt, den Verbündeten im schmählichen Spiel! Doch halt, was passiert im letzten Akt, will heißen: Absatz? Hier demontiert sich der Meinungsmogul selbst, indem er sich der Angstvision und -fiktion der europäischen Rechten „unterwirft“. Gleichzeitig versteht er die Provokation eines Michel Houellebecqs einseitig. Jener hatte zu seinem Roman „Unterwerfung“ in einem Interview[2] geäußert: „Ich spiele mit der Angst. Nur weiß man nicht genau, ob man vor den Identitären oder den Muslimen Angst haben soll“. Die Identitären, das sind die islamophoben, selbsternannten Verteidiger einer „abendländischen Kultur“ unserer Tage. Mit Ihnen macht sich Döpfner gemein, wider das Diktat der Despotie am Bosporus.

Jan Böhmermann hingegen gleicht Houellebecq in seinem Hang zur Provokation, zum Grenzdiskurs. Sicher auch zu verstehen als Gegenentwurf zu den geistig Gestrigen, im Abend- wie im Morgenland. Aus diesem Grund gebührt Jan Böhmermann die uneingeschränkte Solidarität aller europäischen Freigeister. Gerade jetzt bedarf es des Aufschreis der Mitte der Gesellschaft und der jungen Generation, deren Teil er ist.

Mit dem formellen Strafantrag Erdoğans[3] tritt nun das ein, was nicht nur die zum großen Teil Mathias Döpfner unterstellten Mediengestalter dieser Lande gleich einer „self-fulfilling prophecy“ herbeigetextet haben. Im Zweifelsfall für die eigene Quote! Und so eine Steilvorlage ungenutzt zu lassen, um den politischen Verhandlungspartner in diplomatische Zwangshaft zu nehmen, wäre aus Sicht des Fußballers Erdoğan[4] taktisch töricht. Wobei die Türkei hierbei, wie Vize-Ministerpräsident Kurtulmus meint betonen zu müssen, „absolut keinen politischen Druck“ auf Deutschland ausüben will. Dies soll man glauben, nachdem die Türkei wegen eines saloppen Satireliedes den deutschen Botschafter schon glaubte zweimal einbestellen zu müssen.

Angesichts solchen, politischen Blütentreibens scheint das Gebot der Stunde: Wer morgen nicht mundtot sein will, muss heute Wortmeldung machen. In diesem Punkt – und im Zweifelsfall nur diesem Einen – sollten wir uns solidarisch mit Mathias Döpfner machen. Und  in allen Punkten mit Jan Böhmermann.

Von Sebastian Knüll (Zusendung an DAS ROTE HEFT und hier von mir veröffentlicht, W.K. Nordenham)

Quellen:

[1] http://www.freenet.de/unterhaltung/promis/hakenkreuz-und-hitler-baertchen-tuerkische-zeitung-greift-merkel-an_841652_4729180.html

[2] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/boulevard_nt/
article136067088/Michel-Houellebecqs-Spiel-mit-der-Angst.html

[3] https://www.tagesschau.de/inland/tuerkei-boehmermann-107.html

[4] http://www.rp-online.de/sport/fussball/international/recep-tayyip-erdogan-erzielt-hattrick-auf-dem-fussballplatz-aid-1.4412645

 


Nahost: Einäugig hilft nie. Von W.K. Nordenham

09. März 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Tägliche Morde und Gewalt in Israel und im Nahen Osten, einfach nur fürchterlich. Es reicht mir, und die Lügen reichen mir auch. Wer führt hier den Krieg?  Ich war zu Beginn der Unruhen, besser des Messerstecherterrors in Israel, ein nichtjüdischer Tourist.  Woher diese Gewalt? Das kann man leicht erfahren, wenn man will. Zum islamischen Opferfest im Oktober sperrte Israel den Tempelberg vier Tage lang für Juden, damit die Muslime dort ruhig feiern konnten. Dies in Übereinstimmung mit der seit 1967 federführenden muslimischen Verwaltung des Tempelberges. Am letzten Abend des Festes erlebte ich an der kilometerlangen Standpromenade in Tel Aviv ein wunderbares, buntes arabisch-israelisches Treiben.  Danach erlaubte sich dasselbe Israel wegen des direkt folgenden jüdischen Laubhüttenfestes, den Tempelberg vier Tage für Moslems zu sperren, damit ggf. einige Juden gefahrlos den Ort des alten Tempels besuchen könnten. Mehr war da nicht. Das überforderte die palästinensische Toleranz komplett. Reflexartig rief Abbas im besten „Stürmer“-Jargon aus, dass „Juden mit ihren dreckigen Füßen den Tempelberg nicht betreten“ dürften. Das führte bis heute zu vielen unschuldigen Opfern unzähliger Messerattacken, die nur von Palästinensern ausgehen, verblendeten jungen Menschen, die oft selbst einen sinnlosen Tod erleiden. Es wird noch nachgeschoben von Palästinenserseite als Begründung für die Welt und die Zweifelnden, Israel wolle am  Status des Tempelbergs etwas ändern.  Was für eine Deppenbehauptung!  Das kann man nur dem Westen erzählen. Der Dümmste in Israel  weiß, dass dies einen Weltkonflikt mit den Muslimen auslösen würde. Ein paar Tage danach habe ich auch an der Nordgrenze zu Syrien gestanden und die Artillerie Assads und die Maschinenkanonen der ISIS gehört. Das klärt den Geist nachhaltig – Bruderkrieg, Bürgerkrieg. Natürlich sollte Israel sich aus der sog. Westbank davonmachen, im eigenen Interesse, notfalls ohne jeden Vertrag und nur sichern, dass dort nicht gegen sie aufgerüstet würde. Das wäre schon gegen die Ultraorthodoxen im eigenen Lager schwer, die sich an palästinensischer Intoleranz messen lassen können. Zudem hat keine Konzession Israels, angefangen von Räumung des Südlibanon bis Gaza, feindliche Aktionen der Gegenseite auch nur vermindert. Aber was geschähe mit den jüdischen Siedlern im Westjordanland? Mord oder mindestens Vertreibung wie 1948? Denn damals verloren eben nicht nur über 700 000 Araber ihre Heimat bzw. die meisten flohen freiwillig auf den Rat der arabischen Kriegsstaaten hin, sondern es wurden in der Folge dieses ersten Krieges der Araber gegen Israel auch über 700 000 Juden aus den arabischen Ländern und der sog. Westbank vertrieben. Das wird gern unterschlagen. Da gab es also Gräueltaten auf beiden Seiten wie immer im Krieg. Eigentlich müsste doch es auch den Juden erlaubt sein mit all ihrem Nachwuchs nach Arabien zurückzukehren in ihre Häuser und Ländereien im Gegenzug zu der gewünschten Rückkehr der palästinensischen Araber im Sinn  einer Gleichheit, wenn jene denn aus Israel raus wollten.  Aber  die Tatsachen der Geschichte kann man nicht nach gusto zurückdrehen, weder in Europa, noch in Afrika oder Nahost. Das nennt man wohl Realität. Das gilt für Israel wie für die pälästinensischen Araber.

Und Gleichheit? Schon heute kann kaum ein Jude in arabischen Ländern sicher leben, und selbst die heimische Bevölkerung lebt nicht mehr sicher dort. In Israels pluralistischer Vielvölker- Gesellschaft gibt es 1,7 Millionen palästinensische Araber. Dreizehn davon sitzen frei gewählt im israelischen Parlament. Zusammenleben geht offenbar, aber nur dort. In Palästinensergebiet wartet diese Toleranz nicht, auf niemand. Und mit wem sollte Israel verhandeln? Mit dem machtlosen Abbas, der soeben noch den Mörder eines amerikanischen Touristen als Märtyrer feierte und der Fatah? Mit der diktatorisch-fundamentalistischen Hamas, die alle Israelis nur erledigen will?  Und wenn Israel aus der sogenannten Westbank ganz verschwände, hörte der Terror für Israel auf?  Nein, er käme nur noch näher. Frieden aktuell ist eine westliche Illusion. Man muss sich nur anschauen, wie die Araber schon mit einander umgehen. Tag für Tag Morde an der eigenen Bevölkerung. Was täten sie erst mit Juden, wenn sie könnten? Was mich besonders aufregt? Eine eigentlich überwundene mittelalterlich lügenhafte Geschichte über das Judentum wurde in ihrer absurden Widerlichkeit in Arabien tatsächlich als Film produziert:  Das Blut eines vermutlich christlichen Kindes wird von einem Rabbi zu Pessach für das Fastenbrot genommen. Das haben nicht mal die Nazis fertig gebracht. Allerdings Hass, Mord, Lüge für die eigene Sache, sog. Opfertod, Fanatismus werden zu Tugenden stilisiert, wie es weiland auch nur die Nazis fertig brachten. Das Ergebnis waren 55 Millionen Tote. Überhaupt fällt die Ähnlichkeit fundamentalistischer Islam- Ideologie mit dem Hitlerismus auf. Hass hat jedoch noch nie in der Geschichte zu etwas Gutem geführt. Die ganz frühen Texte des Koran haben das noch gewusst. Dann kommt mit der Macht oder soll ich sagen, dem Größenwahn der Hass auf die sog. Ungläubigen. Die revanchierten sich in Mord-Kreuzzügen und führten dabei die christliche Barmherzigkeit im Banner. Auch schon das alte Testament spricht  Gott diese Eigenschaft zu. Die Barmherzigkeit Allahs wird am Anfang eines jeden Koranverses besungen. Wo ist sie, diese Barmherzigkeit in der Welt  und vor allem im Nahen Osten?  Solange man Toleranz, Pluralismus und Demokratie für ein Übel hält, kann sich dort  nichts zum Guten ändern. Das verursacht  die Hoffnungslosigkeit der ganzen Region. Dagegen das aufstrebende Israel : absolut 21. Jahrhundert , einzige echte Demokratie, wo mal nichts war, mit eben 1,7 Millionen freien Arabern, die dort mehr Rechte haben als in jedem anderen arabischen Land. Und das hat nicht Amerika oder gar Deutschland bezahlt, wie mir mal ein ganz heller Kopf glaubte  stecken zu müssen. Über 30 Milliarden bekam übrigens die Palästinenserbehörde seit 1991. Wo ist das alles geblieben? In Gaza versickerte wohl das Meiste in den unzähligen Tunnelsystemen, statt zu den Menschen zu kommen.

Wohlgemerkt, ich bin nach wie vor für einen kompletten Rückzug Israels aus der sog. Westbank und einen Palästinenserstaat, weil das nicht funktionieren wird mit Samaria und Judäa, selbst wenn die Palästinenser in einem gemeinsamen, dann demokratischen Staat mit Israel politisch und vor allem wirtschaftlich ungleich besser aufgehoben wären. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte von Abbas vor einem Jahr bei einem Besuch in den USA die Anerkennung Israels als jüdischer Staat verlangt. Von palästinensischer Seite wurde dies unter dem Beifall des PLO Revolutionsrates umgehend zurückgewiesen. Der arabische Hass sitzt viel zu tief, unmöglich. Und Dauerbesetzung  geht auch nicht. Aber  wer käme, wenn Israel ginge? Nur die bekannten und erprobten Friedensstifter Hamas, Fatah, Hisbollah, IS und die ausgewiesen friedliebenden Unterstützer aus  Iran, Syrien, Libanon, Katar, Saudi-Arabien usw. . Vielleicht fällt Ägypten und Lybien dann auch noch was ein, damit von eigenen Problemen abgelenkt wird, und wir sind wieder bei 1967, als Israels Existenz beim dritten arabischen Angriffskrieg unmittelbar auf dem Spiel stand und Europa sich wie gewohnt fein raushielt. Warum sind EU, westliche Politiker und viele Intellektuelle so blind gegen die palästinensische Gewalt und sehen nur die Reaktionen Israels? Wann tat Amerika in den letzten 20 Jahren im Nahen Osten einmal etwas Vernünftiges, ganz zu schweigen von der Außenpolitik EU? Mit wessen Waffen kämpft ISIS? Außer Chaos hat Amerika nichts bewirkt. Dabei ist die Lage klar. Im Augenblick bleibt für Israel nur der Status quo. Ein Status Quo, der Gespräche miteinander erlaubte und der die palästinensischen Araber paradoxerweise schon jetzt vor IS schützt. An Israel wagen die sich nicht ran. Deshalb: man muss sprechen – ohne Vorbedingungen. Nichts geht dabei schnell.  Und noch ein Satz zur Fluchtbewegung nach Europa: Anfang 2014 sagte der bekannte Nahostexperte Dr. Dan Shiftan, die Lage in Nahost sei absolut hoffnungslos, das gäben kluge Araber auch zu und wenn Europa den Fehler machte, die Arme ausbreitete und alle Araber einladen würde, so bliebe keiner dort – außer denen in Israel. Auch das hätte Frau Merkel wissen können. Realismus ist gefragt, kein Wunsch- oder Gefühlsdenken.

W. K. Nordenham