Sein oder Design ist nicht mehr Frage, sondern schon Antwort. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt.

Notizen zur Zeit: Vor dem Gesetz sind alle Messer ungleich.

31. Oktober 2015 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Süddeutsche Zeitung

22. Oktober 2015

Ausländerfeindliche Attacke in NRW

Mann sticht Albaner nieder

Erst beschimpfte er ihn als „Ausländerschwein“, dann zückte er ein Messer: In Nordrhein-Westfalen hat ein 52-Jähriger auf einen Albaner eingestochen.

Einkaufstüten des Opfers durchwühlt

Offensichtlich aus fremdenfeindlichen Motiven hat ein Mann in Nordrhein-Westfalen einen 31-jährigen Albaner niedergestochen. In einem Regionalbus in Havixbeck im Kreis Coesfeld hatte der 52-Jährige am Mittwochabend zunächst die Einkaufstüten des Albaners durchwühlt, wie die Staatsanwaltschaft Münster mitteilte. Anschließend soll der Mann ihn unter anderem mit den Worten „Ausländerschwein“ und „Kanake“ beleidigt haben.

Messer drang mehrere Zentimeter ein

Als die beiden ausstiegen, sprach der Albaner den Mann auf sein Verhalten an. In diesem Moment stach dieser zu. Das Messer d r a n g   m e h r e r e   Z e n t i m e t e r   t i e f   i n   d i e   B r u s t  ein, jedoch ohne das Opfer lebensgefährlich zu verletzen. Der Mann wurde in die Uniklinik Münster gebracht. Der Angreifer wurde noch am Tatort festgenommen. Die Beantragung eines Haftbefehls wurde geprüft. „Es liegen jedoch keine Haftgründe vor“, erklärte Oberstaatsanwalt Heribert Beck. Ermittelt werde wegen gefährlicher Körperverletzung  und Beleidigung.

Einen Rechten, der nur einen Albaner niedersticht, kann man schon mal laufen lassen. Der Albaner hatte Glück, nur wenige Zentimeter in die Brust, juristisch komplett am Leben vorbei.  Bei Frau Hildegard Reker, Kölner Politikerin –  erkennbar ohne albanische Wurzeln –  war das daher nicht möglich und der Täter wurde umgehend eingebuchtet, denn die Politik schützt in erster  immer Linie sich und dann erst den Bürger. Sie duldet keine Galgen auf geschmacklosen Plakaten  auf denen ein prominenter Name steht.  Vielleicht müssten die Politiker öfter mal in die Ziellinie geraten, damit sie begreifen, was vor Ort dem Bürger schon länger ins Haus steht. Ein Messer scheint seit Jahren keine Mordwaffe mehr in unseren Landen, weil es so viele gern benützen und vorsichtig am Menschen anwenden? Ich ahne es nicht einmal, weil es sich als Waffe potentiell und tatsächlich immer gegen Leben richtet, und das ist mit Rücksicht auf das Grundgesetz für mich im Gegensatz zu Politk und Justiz immer mindestens ein billigend in Kauf genommener Tötungsversuch.

W.K. Nordenham


Was ein Mensch wert ist. Aus der Ärztezeitung 16.1.2015. Von W. K. Nordenham

16. Januar 2015 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit, Was ein Mensch wert ist

Die folgende Geschichte beschreibt nur ein Symptom der Krankheit. Der Vorgang deckt sich mit meinen Erfahrungen. Besonders verwerflich scheinen mir die Anrufe bei  Schwerstkranken, wann man denn endlich wieder arbeiten ginge, ohne vorher mit dem behandelnden Arzt Kontakt aufgenommen zu haben.  Ein psychisch Kranker wurde daraufhin  suizidal. Das änderte nichts an der Praxis. Denn weniger sich der Mensch ähnelt, desto besser funktioniert er. So schafft die entstellteste Gesellschaft das höchste Bruttosozialprodukt.  Was wäre, widmeten  die Menschen  einen größeren Teil ihrer Aufmerksamkeit dem, was im  Kopf ist, statt  immer wieder  dem, was auf ihm ist?  Der Lebensbogen sähe sich weniger vom Ellenbogen dominiert.

W.K. Nordenham

Ärzte Zeitung, 16.01.2015

Betroffener berichtet

Kampf gegen Krebs und Bürokratie

Als Wolfgang Jorzik die Diagnose Krebs erhält, kommt zu der Angst vor der Krankheit schnell ein gewaltiger bürokratischer Aufwand. Seither kämpft der 52-Jährige für eine Entbürokratisierung, schnellere Hilfe für Betroffene – und mehr Menschlichkeit im Umgang mit Schwerstkranken.

Von Anja Krüger und Pascal Beucker

Vielleicht ist es das letzte Fest, das sie zusammen feiern. An einem regnerischen Wintertag treffen sie sich alle noch einmal. Den ganzen Nachmittag kommen immer wieder neue Gäste, viele mit Kindern. Ein Gartenfest, bei Glühwein und Brezeln. Schließlich habe es mit dem geplanten Sommerfest nicht geklappt, hat Wolfgang Jorzik in der Einladung geschrieben. Das soll nachgeholt werden, aber „nicht drinnen in der Comfort-Zone, sondern beinhart und stilecht im Gartenhaus und im Garten“. Herzlich fallen die Begrüßungen aus an diesem Tag, wärmer noch die Verabschiedungen. Das Fest müsse schnell stattfinden, hatte seine Frau Louisa den Eingeladenen mitgeteilt. Sie beobachtet, dass ihr Mann sich verändert. Sie weiß nicht, ob das am Kortison oder den Tumoren in seinem Kopf liegt. Sie will nicht, dass es zu spät sein könnte für ein großes Wiedersehen mit Bekannten, Freunden und Kollegen. Wolfgang Jorzik kämpft gegen den Krebs – und gegen die Bürokratie. „Die Sanduhr läuft“, sagt der 52-Jährige. „Und es ist unglaublich, wie viel Zeit man in Anträge und Formulare stecken muss. „Vor elf Monaten ist sein Leben und das seiner Familie aus den Fugen geraten, von einem Tag auf den anderen. Rückblickend weiß der Journalist die vorangegangenen Veränderungen als Symptome zu deuten. Wortfindungs- und Gleichgewichtsstörungen, ein zwanghaftes Rückwärtslesen von Wörtern, ein merkwürdiges Verhältnis zu Zahlen. So addierte er die Ziffern auf einer Flitzebogenscheibe immer und immer wieder, genau wissend, dass sie 920 ergaben. Plötzlich versetzte sein Fahrstil seine Frau und die Zwillinge des Paares in Angst und Schrecken. Dabei war er doch stets ein äußerst zurückhaltender Autofahrer.

Niederschmetternde Diagnose

Am 17. Februar strandet er auf einem Parkplatz in Leverkusen. Er ruft seine Frau an, ist extrem verwirrt. Sie alarmiert die Polizei. Die Beamten bringen ihn sofort in die Klinik. Zwei Stunden später, nach einem MRT des Kopfes und des Brustkorbs, eröffnet der Oberarzt dem Journalisten: Er hat eine sehr aggressive Form von Lungenkrebs. Weitere Untersuchungen ergeben Metastasen in der Leber und drei Tumore im Kopf, einer mit einem Durchmesser von fast vier Zentimetern im Stammhirn. Die Diagnose ist niederschmetternd. Die Ärzte geben Wolfgang Jorzik ohne Behandlung drei Monate. Im Sommer sollen seine Zwillinge eingeschult werden. Mit der Behandlung beginnt dann auch ein ständiger Kampf mit der Bürokratie. Die Krankenkasse verlangt Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die fristgerecht beim Arzt am anderen Ende der Stadt abgeholt werden müssen. Beim medizinischen Dienst der Krankenkassen muss eine Pflegestufe beantragt, die Begutachtung organisiert werden. Der Schwerbehindertenausweis muss beantragt werden, mit genau definiertem Passbild. Der Antrag an die Krankenkasse für eine Haushaltshilfe zieht sich ewig hin, denn der freie Radiojournalist und seine Frau sind bei unterschiedlichen Kassen versichert.“E r s t  n a c h  d i v e r s e n  A n r u f e n    w a r   z u   e r f a h r e n ,    d a s s    w e i t e r e    U n t e r l a g e n    w i e    A r z t b r i e f e    f e h l e n „, berichtet Jorzik.  D o c h  d a s    t e i l t    d i e   K a s s e   n i c h t   m i t ,   s i e   w a r t e t   e i n f a c h   a b . Aufseiten des Patienten dagegen muss alles so schnell wie möglich geschehen. Werden Unterlagen wie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht fristgemäß eingereicht, wird die Leistung gestrichen. Dabei ist die Diagnose ein Schock, der erst einmal verarbeitet werden muss.   D i e     B ü r o k r a t i e     h i l f t     d a b e i   n i c h t ,   i m   G e g e n t e i l . „Ausgerechnet dann, wenn man am wenigsten Kraft hat, muss man am meisten kämpfen“, sagt Jorziks Frau Louisa Schaefer, die ebenfalls Journalistin ist. Von vielen Mitpatienten erfährt Jorzik, dass sie ähnliche Erfahrungen machen. Der Kampf mit Formularen, Ämtern und Kassen ist für schwer Kranke und ihre Angehörigen eine enorme Belastung. So manchen Patienten erwartet nach dem Klinikaufenthalt erst einmal ein Berg von Formularen, der mühsam abgearbeitet werden muss, weiß der Journalist.

Mehr Menschlichkeit gefordert

Er will eine gesellschaftliche Diskussion in Gang setzen. In einem Beitrag für die Tageszeitung „taz“ fordert er im Mai mehr Menschlichkeit für Schwerstkranke. Der Titel des Artikels, „ICD-10-GM-2014 C34.9“, ist sein Diagnoseschlüssel. „Vieles spricht für eine neue Verwaltungsethik, für Menschlichkeit bei bürokratischen Vorgängen im Angesicht des Todes. Denn es sind Steuergelder und Krankenkassenbeiträge, die diese Verwaltungen finanzieren“, schreibt er. Und bekommt viel Resonanz. Der Text findet im Internet rasche Verbreitung, sein Blog „Cancer Corner“ viele Leser. Jorzik schreibt regelmäßig über seine Erfahrungen.   „Trotz des Ernstes der Lage klingt für mich in Ihren Zeilen viel Mut und Ermutigung durch. Manchmal so viel, dass ich mich frage, wo Sie bloß mit Wut, Trauer und Verzweiflung bleiben. Ich hoffe, auch dafür gibt es Platz“, schreibt ihm ein Arzt. Wolfgang Jorzik ist sich sicher, dass sich für schwerstkranke Patienten und ihre Angehörigen vieles erleichtern ließe – wenn es den politischen Willen dafür gäbe. „Die Nachricht, dass bei dem krankenversicherten Patienten C34.9 und C79.3 diagnostiziert sind, sollte den Verwaltungsapparat in Gang bringen, um dem Mitglied der Kasse sofort mögliche Hilfen vorzuschlagen, von der Übernahme der Fahrtkosten bei ambulanten Behandlungen wie der Strahlentherapie, einer Haushaltshilfe, einen Hinweis auf den Schwerbehindertenausweis und auf den psychosozialen Dienst des Jugendamtes der Kommune“, fordert er. Es gibt Hilfsangebote für Schwerstkranke und ihre Familien, wissen Wolfgang Jorzik und Louisa Schaefer aus eigener Erfahrung. Das Paar ist den Kindern gegenüber offen mit der Erkrankung umgegangen. Leicht war das aber nicht. Die beiden haben sich professionelle Unterstützung geholt. Die Pädagogin, die den Kindern beistehen sollte, stellte ihre Arbeit rasch wieder ein. Ihnen gehe es gut, die Eltern würden genau richtig mit ihnen umgehen. Aber von der Existenz solcher Angebote müssen Betroffene erst einmal erfahren, und sie müssen sie finden. Bewilligt sind sie damit auch noch nicht. Dafür müssen Dutzende von Kopien angefertigt, zigfache E-Mails geschrieben werden. „Mir ist es schleierhaft, warum bürokratische Abläufe in schwierigen Lebenslagen nicht vereinfacht werden können“, sagt Jorzik. „Eine einfache Meldung der Diagnose und Hilfe, ohne seitenweise Formulare ausfüllen zu müssen – das allein würde Betroffene und ihre Familien ungemein entlasten und gäbe den Verwaltungen die Chance, Empathie und Kundenfreundlichkeit zu zeigen“, sagt er. Finanzielle Sorgen kommen hinzu. Doch die Realität sieht ganz anders aus: „Multiple-Choice-Fragebögen erwarten Kreuzchen an der richtigen Stelle, die ersichtlich machen sollen, wer was bei wem wann an finanzieller Unterstützung beantragt hat oder ob schon Geld geflossen ist“, weiß Jorzik. „Was würden sich die Verwaltungen der Krankenkassen, Kommunen und Rentenversicherungen vergeben, wenn sie ihre eigenen und gemeinsamen Hilfsangebote synchronisieren und im Krisenfall leicht abrufbar machen?“ Technisch dürfte das im Internetzeitalter kein Problem sein. Nicht nur der Krebs macht onkologischen Patienten Angst. Viele haben finanzielle Sorgen, auch Jorzik. Noch bekommt er Krankengeld, 1100 Euro im Monat. Wegen derselben Krankheit zahlt die Krankenkasse maximal 78 Wochen Krankengeld. So steht es im Sozialgesetzbuch. Diagnose und Arbeitsunfähigkeit seit Februar 2014 bedeutet ein Mindestmaß an finanzieller Absicherung bis August 2015, glaubte er zunächst: „Vielleicht genügend Zeit, ohne allzu großen finanziellen Druck das eigene Leben und das der Familie in ruhigere Bahnen zu bringen – auch wenn die Krebsstatistik für mich nunmehr 52-Jährigen den August 2015 für kaum erreichbar hält“, schrieb er in seinem Blog. Wolfgang Jorzik ist arbeitsunfähig. So steht es im Entlassungsbericht der Reha-Klinik. Chemo- und Strahlentherapie haben ihre Folgen hinterlassen. Müdigkeit, Kurzatmigkeit und Schwäche sind Normalität geworden. Er kann schlecht hören. N a c h d e m   d i e   R e h a   z u   E n d e   i s t ,   r u f t   d i e   z u s t ä n d i g e     S a c h b e a r b e i t e r i n      d e r      K r a n k e n k a s s e   r e g e l m ä ß i g      a n :   W a n n   e r   w i e d e r   a r b e i t e n   k ö n n e ? Das kann er nicht sagen.  T r o t z d e m   r u f t   s i e    i m m e r     w i e d e r     a n . Dann schickt die Rentenversicherung ein Schreiben mit dem Vorschlag, dass er einen Antrag auf Rente stellt. Er würde viel weniger Geld bekommen, etwa 300 Euro im Monat. Wovon soll die Familie dann leben? Ein Krankenhausaufenthalt überlagert diese Frage. Im Oktober beginnt die nächste Chemotherapie. Gerade aus dem Krankenhaus zurück, ruft die Sachbearbeiterin von der Krankenkasse wieder an. „Ihre Rentenversicherung hat Ihnen geschrieben. Haben Sie sich schon entschieden?“, will sie wissen. Das hat Jorzik, der zu diesem Zeitpunkt wegen einer halbseitigen Kehlkopflähmung nur noch flüstern kann, nicht. „Sie sollten den Rentenantrag stellen“, sagt die Sachbearbeiterin. „Das hat nur Vorteile für Sie.“

Im Ermessen der Krankenkasse

Schließlich deutet die Rentenversicherung seinen Antrag auf Reha-Leistungen um in einen Antrag auf Verrentung. „An dieser Stelle ist die Krankenkasse vom Gesetzgeber gefordert, die entsprechenden Schritte einzuleiten“, sagt Kerstin Danylak von der BKK mhplus. Die Entscheidung treffe aber die Rentenversicherung. Krankenkassen haben einen Ermessensspielraum, das Krankengeld weiter zu zahlen. Der sei auf bestimmte Tatbestände eingegrenzt, sagt Danylak. „Entsprechende Fakten liegen uns im Falle von Herrn Jorzik nicht vor.“ Die mhplus habe sich im November telefonisch mit ihm in Verbindung gesetzt. „Krankheitsbedingt konnte dieses Angebot an Herrn Jorzik nicht umgesetzt werden, da dem Patienten das Sprechen sehr schwerfiel“, sagt Danylak. Die Kasse habe ihn schriftlich über die Notwendigkeit informiert, einen Rentenantrag zu stellen. „An diesem Punkt wurde es jedoch versäumt, alle durch Herrn Jorzik angefragten Informationen zur Verfügung zu stellen. Dieses Versäumnis hat die mhplus eingeräumt und bedauert“, räumt Danylak ein. Wolfgang Jorzik fühlt sich ausgetrickst. Er lässt sich juristisch beraten. Nichts zu machen. Die Krankenkasse darf ihm drohen, die Zahlung des Krankengelds einzustellen, wenn er nicht wie gewünscht einen Antrag auf Rente stellt. Stilvoll und moralisch sei das Verhalten allerdings nicht, konstatiert der Rechtsanwalt. “ S i e   s i n d   e b e n   n u r   e i n   V  o  r  g a n g ,   d e r   a b g e a r b e i t e t   w i r d „, sagt der Jurist zu ihm. Freunde haben ein Spendenkonto für die Familie eingerichtet.

Neue Chemotherapie begonnen

Im Dezember stellen die Onkologen weitere Metastasen im Gehirn fest. Von weit her sind Freunde zum Gartenfest gekommen. Vor der Hütte spielt ein Freund Akkordeon, ein anderer Gitarre. Wolfgang Jorzik und Louisa Schaefer stehen unter dem kleinen Vordach. Etwas entfernt brennt trotzig ein Feuer in einer Metallschale, Kinder spielen Fußball. Jorzik lächelt. Er hebt die Arme, um die vielen Umstehenden zum Singen zu ermuntern. Manche singen, manchen versagt die Stimme. Wider Erwarten finden die Ärzte nach der Gartenparty doch noch eine weitere Therapieoption. Mit dem neuen Jahr hat Wolfgang Jorzik eine neue Chemotherapie begonnen. Die dritte. Und er hat der Bürokratie einen kleinen Sieg abgerungen. Weil die BKK mhplus ihn nicht ausreichend informiert hat, erstattet sie seine Anwaltskosten, hat sie ihm gerade telefonisch mitgeteilt. Jorzik freut sich. „Es lohnt sich, sich zu wehren.“


Notizen zur Zeit : Karl Kraus, Jonathan Franzen, Daniel Kehlmann und die Folgen in der FAZ. Von W.K. Nordenham

15. Dezember 2014 | Kategorie: Artikel, Journalisten, Notizen aus Medienland, Notizen zur Zeit

Franzen: …“Ich betrachte mit seinen Augen das Zeitalter von Google, Facebook und Twitter. Dabei fiel mir etwas Unglaubliches auf: Vieles von dem, was Kraus schrieb, trifft unsere Zeit noch genauer als seine eigene.“

Jonathan Franzen

Das Kraus-Projekt  Rowohlt   2014  304 S.  ISBN 978-3-498-02136-8      19,95 €

Karl Kraus wird immer lebendiger. Das erfreut mich und die ihn schätzen, was mehr beinhaltet  als ein bloßes Verehren, weil dieses kritische Betrachtung ermöglicht, was jene eher hindert. Jonathan Franzen und Daniel Kehlmann geben im Interview in „Die Zeit“ ein  Beispiel für  Ersteres, dem wie zum Gegenbeweis etwas auf  Journailleniveau aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung folgt. Wäre Herr Weidemann nicht Feuilletonchef bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der Text hätte das Lektorat keinesfalls so  passiert.  So mutiert sein  Kommentar ungewollt zu einem  q.e.d. für  Karl Kraus` Argumentation.

DIE ZEIT Nº 49/2014  27. November 2014  07:00 Uhr

Karl Kraus

Der große Bruder

Die Schriftsteller Jonathan Franzen und Daniel Kehlmann sind Freunde, und beide verehren den genialen Satiriker Karl Kraus. Über ihn wollen sie hier reden – aber auch über die Erotik der Sprache, die Freuden des Zorns und über die Abgründe des Internets. Interview: Peter Kümmel

Seit 30 Jahren steht der amerikanische Schriftsteller Jonathan Franzen im Bann des Wiener Satirikers und Kritikers Karl Kraus (1874 bis 1936). Um Kraus endlich wirklich zu verstehen, hat Franzen zwei von Kraus’ zentralen Essays, Heine und die Folgen und Nestroy und die Nachwelt, ausführlich kommentiert und ins Englische übersetzt. Die deutsche Ausgabe dieses Werks heißt Das Kraus-Projekt. Das Buch ist auch ein autobiografisches Unternehmen, ein Ich-Projekt, denn die Fußnoten zu Kraus geben Aufschluss über Franzens eigenes Schriftstellerleben. Als Lektor und Berater stand Franzen sein europäischer Freund Daniel Kehlmann zur Seite, auch er ein großer Kraus-Verehrer. An einem nasskalten Novemberabend treffen wir die beiden zum Gespräch. Treffpunkt ist Franzens Apartment an der Upper East Side von New York.

DIE ZEIT: Meine Herren, Karl Kraus war ein unerbittlicher Gesellschafts- und Sprachkritiker. Haben Sie manchmal rückwirkend Angst vor ihm? Angst davor, dass Ihre Literatur seinem unerbittlichen Blick nicht standhalten würde?

Daniel Kehlmann: Ja, absolut. Wenn man sich mit Kraus beschäftigt hat, hat man diese Fantasie: Was würde er über mich sagen? Und das wäre sicher nichts Nettes. Das Einzige, was uns schützen würde, wäre, dass sich Kraus für Romanautoren nicht interessiert hat. Er war kaum fähig, Romane zu lesen. Alles Narrative war ihm fremd.

Jonathan Franzen: Ich habe so viele Texte geschrieben, die keine Romane sind, dass ich voll in seinem Visier wäre – ich wäre sicher ein mögliches Ziel. Aber ich habe keine Albtraum-Fantasien, in denen Karl Kraus mich vernichtet. Als junger Mensch fürchtete ich mich zwar vor der Schärfe seines Urteils, aber zugleich fühlte ich mich zu ihm hingezogen wie zu einem viel Stärkeren. Mein Kalkül war: Ich musste ihm nur geistig nahe genug kommen, dann würden die wütenden Pfeile, die er in die Welt schleuderte, mich verfehlen.

ZEIT: Sie wählten sich Kraus als einen idealen großen Bruder?

Franzen: Genau. Das war er für mich. An solche Verhältnisse war ich gewohnt. Ich habe zwei größere Brüder. Inzwischen habe ich mir aber selbst ein relativ dickes Fell wachsen lassen, und das brauche ich auch angesichts der Kritik, die ich bekomme. Die Pfeile fliegen wirklich.

ZEIT: Viele Kraus-Interpreten deuten seinen Zorn auf andere als eine Art umgeleiteten Selbsthass. Es ist ja wirklich auffällig, dass er niemals Zeichen der Selbstkritik, des Selbstzweifels zeigte.

Franzen: Er war in einem gewissen Maß der Gefangene seines Stils. Ich habe dieses Problem zum Teil reproduziert – in den Fußnoten des Kraus-Projekts. Ich habe unter seinem Einfluss eigene Aussagen bis zur äußersten Polarität zugespitzt, ich teilte die Welt in Freund und Feind, in Gut und Böse. Dadurch bekommen die Sätze viel mehr Kraft und Schub. Es ist ein Rausch. Man wird süchtig nach dem Krausschen Zorn.

ZEIT: Mich irritiert seine Attitüde, auf die Mitmenschen wie auf seelenlose Untote, nein eigentlich: wie auf Hirntote herabzublicken.

Kehlmann: Aber das stimmt nur für eine bestimmte Klasse von Schriftstellern und Journalisten. Dagegen war er voll des Mitleids für die wirklich leidenden Menschen. Er konnte beispielsweise nicht einstimmen in die Kriegsbegeisterung vor dem Ersten Weltkrieg – weil er genau wusste, welches Leid über die Menschen kommen würde. Er war der einzige bedeutende Schriftsteller, der gegen diesen Krieg war.

Franzen: Es war die Zombie-Sprache, die er angriff. Die sich selbst perpetuierende Phrase des Journalismus, die kein Leben hatte, aber einfach nicht verschwinden wollte. Wer so schrieb, war sein Gegner.

Kehlmann: Mir hat immer sehr die Unterscheidung gefallen, die Schiller in seiner Abhandlung über naive und sentimentalische Dichtung trifft. Er sagt nämlich, es gibt die lachende und die strafende Satire. Die lachende Satire zeigt die Welt, wie sie wirklich ist, und lacht darüber. Während die strafende Satire sich erregt über den Zustand der Welt. Sie ist der Blitzstrahl, der Richtspruch. Dafür steht Kraus.

Franzen: Ich stimme Schiller nur zum Teil zu. Wenn es nicht komisch ist, ist es nicht Satire, sondern etwas anderes: Kritik.

ZEIT: Herr Franzen, Sie selbst teilen die moderne Literatur ein in zwei Kategorien: einerseits Status-Romane, andererseits Kontrakt-Romane. Der Status-Autor demonstriert immerzu seine Einzigartigkeit, er schreibt schwer verständlich und entzieht sich dem Publikum. Der Kontrakt-Autor dagegen schließt einen Vertrag mit seinen Lesern, er will sie in seine Romane hineinziehen und ihnen ein guter Gastgeber sein. Wie liegt der Fall bei Kraus? Einerseits war er ein Status-Autor, der teils kryptisch schrieb und sich als unerreichter Stilist begriff; andererseits wollte er aber den Kontrakt mit seinen Lesern, die ihn süchtig lasen …

Franzen: Diese Begriffe stammen zwar nicht von mir, sondern von William Gaddis, aber ich habe sie auch verwendet. Gaddis fand, dass die Kontrakte zwischen Künstler und Publikum nicht mehr gültig seien. Das führt zur totalen Glorifizierung des Künstlers als einsames Genie, das von der Masse nicht verstanden wird. Eine gefährliche Position, denn unter ihrem Deckmantel findet eine Menge schlechter Literatur Schutz. Auch die Sprache von Kraus sperrt sich gegen den Leser, aber sie ist brillant. Kraus wollte mit seinen Texten klarstellen, dass hier ein geistig unerreichbarer Autor am Werk war. Und er hat sich ein Publikum erzogen, das seine codierte Sprache verstand.

ZEIT: Kraus sagt: „Das Schlimmste, was meine Leser über mich sagen können, ist: Ich kenne Karl Kraus.“ Was für ein Kontrakt ist das denn?

Kehlmann: Er verbat sich Annäherungen. Auf der Rückseite seiner Zeitschrift Die Fackel stand: „Zusendungen welcher Art immer sind unerwünscht.“ Dass man ihn verehrte, hieß nicht, dass man ein Recht hatte, etwas von ihm zu wollen. Einer seiner imponierendsten Sätze steht in einem Text namens Apokalypse, den er schon 1909 schrieb, da heißt es: „Ich bin größenwahnsinnig. Ich weiß, daß meine Zeit nicht kommen wird.“

ZEIT: Hatte er recht?

Kehlmann: Er hatte recht. Seine Zeit ist nicht gekommen. Und sie kommt auch nicht. Das hat wahre Größe. In einer Welt, in der sich alle wünschen, dass ihre Zeit kommt, sagt da einer diesen Satz.

ZEIT: Hat er geahnt, warum seine Zeit nicht kommen würde? Hat er den Nationalsozialismus und den Antisemitismus nicht unterschätzt?

Franzen: Er unterschätzte zumindest die Macht des Antisemitismus. Dafür spricht etwa dieser Aphorismus von Kraus: „Das einzige, was ich mehr hasse als die antisemitische Presse, ist die jüdische Presse. Das einzige was ich mehr hasse als die jüdische Presse, ist die antisemitische Presse.“ Das ist in gewisser Weise fahrlässig, das virtuose, aber auch leere Spiel eines Mannes, der sich mit keinem Lager gemeinmachen will.

Kehlmann: Aber er schildert sehr genau in seiner großen Schrift Die dritte Walpurgisnacht, die allerdings erst posthum erschien, den allmählichen Umschlag in die Barbarei. Er hat nichts anderes getan, als aufmerksam Zeitung zu lesen, bis hin zur kleinsten Lokalzeitung, und da sind eben diese kleinen Momente des Kippens zu erkennen. Jedem, der heute sagt, man habe damals nicht wissen können, wie sich der Faschismus entwickeln würde, muss man nur Die dritte Walpurgisnacht in die Hand drücken.

ZEIT: Kraus hat eine sehr spezielle Beziehung zur Sprache: Er spricht von ihr wie von einer Heiligen und einer großen Geliebten, mit der nur der wahre Schriftsteller – also er – Kinder zeugt, während alle mindereren Geister Unzucht mit ihr treiben. Herr Franzen, Sie schreiben in diesem Zusammenhang, Kraus sei ein Vorläufer der heutigen Rapper – ein Mann, der mit seiner Potenz prahlt.

Franzen: Tatsächlich hat er die Sprache als eine Frau bezeichnet, und diese Frau wollte er erobern. Das war das Rapperhafte an ihm: Ich bringe die Lady besser in Fahrt, als ihr anderen es könnt – because I know her and I know how to really ring her bells!

Kehlmann: Man findet solche Elemente ganz wörtlich in Bezug auf Rilke, denn Rilke war für Kraus im doppelten Sinn der große Rivale, als Lyriker, aber auch als Mann. Beide standen Sidonie Nádherny von Borutin sehr nahe. In Kraus’ Briefen an Rilke sieht man sehr stark diese Rapperattitüde – Kraus weist auf seine überlegene Männlichkeit hin.

ZEIT: Was würde er denn heute tun? In der Welt des World Wide Web, das jeden geistigen Zug, der irgendwo getan wird, kontrolliert und aufzeichnet? Würde er es benützen oder bekämpfen?

Kehlmann: Ich weiß es nicht. Aber ich ahne, wie er es analysieren würde. Kraus hat in der Auseinandersetzung mit Medien hartnäckig eine simple Frage gestellt, von der sich alles andere ableitet: Wem gehört eigentlich das Medium? Diese Frage ist nach wie vor die entscheidende.

ZEIT: Und die Frage führt heute noch weiter als zu seiner Zeit. Ich nehme das Gespräch, das wir gerade führen, mit einem iPhone auf.

Kehlmann: Ganz genau: Wem gehört der Hersteller dieses Gerätes? Wem die Software? Was sind seine Interessen? An der Bedeutung dieser Fragen hat sich nichts geändert.

Franzen: Kraus ist in seinen Analysen dem Geld gefolgt. Was würde er heute tun? Eine sehr interessante Frage. Die Internetfans glauben ja, als Blogger sei man sein eigener Herausgeber. Aber das stimmt nicht. Kraus war wirklich sein eigener Herausgeber: Er hat Die Fackel veröffentlicht, die kleine Zeitschrift, die sich der Wiener Mainstream-Presse widersetzte. Er war unabhängig und unbestechlich. Der heutige Nexus aus Kapitalismus, Technologie und Medien dagegen verkauft seinen Kunden die Idee, sie seien Rebellen, wenn sie ihre Gesellschaftskritik im Internet veröffentlichen. Das Netz macht so aus jungen Menschen Republikaner im Geiste.

ZEIT: Das müssen Sie erklären.

Franzen: Sie erkennen schon gar nicht mehr das Problem, dass die Macht sich in den Händen weniger Menschen und Konzerne befindet. Sie nehmen es als gegeben. Innerhalb dieser Gegebenheit dürfen sie sich dann symbolische Freiheiten nehmen, sich als Rebellen aufführen und ihre „Authentizität“ inszenieren.

ZEIT: Sie haben Kraus’ Methode der Sprachkritik mit dem Stil eines Bloggers verglichen.

Franzen: Ich glaube, Kraus wäre heute in einem wirklichen Dilemma. Er würde diese Technologie genau durchschauen, andererseits ist der Netz-Diskurs wie für ihn geschaffen: Seine Texte waren wie Blogger-Texte: eigene Sätze und Zitate, es fehlen nur die Hyperlinks. Er würde vermutlich 26 Stunden am Tag das Netz nach Material durchsuchen.

Kehlmann: Interessanter als die Frage, was er heute tun würde, ist für mich, was man von ihm lernen kann. Die Frage: „Wem gehört das Medium, und was sind seine Interessen?“, betrifft heute viel mehr Bereiche unseres Lebens als zu Kraus’ Zeit – jeden Akt der Kommunikation, jeden Einkauf, jeden Telefonanruf.

ZEIT: Als Hitler an die Macht kam, sagte Kraus, zu dem falle ihm nichts ein – was natürlich nicht stimmte, es fiel ihm unendlich viel ein. Er wollte nur sagen: Hier helfen die Waffen des Geistes nicht mehr. Könnte es sein, dass ihm heute, überfordert von der Fülle des Daten- und Medienmaterials, zu unserer Welt nichts mehr einfiele?

Franzen: Er sah keine Möglichkeit, sich über die Faschisten lustig zu machen. Dieser Gegner war mit Satire nicht mehr zu bekämpfen. Aber solange wir noch zivilisierte Strukturen haben, kann man sich auch lustig machen. Ich glaube, Kraus würde genug zu unserer Welt einfallen. Nebenbei bemerkt: Wer öffentlich das Internet problematisiert, wie ich das tue, auch im Kraus-Projekt, der muss sich warm anziehen. Das Netz ist voll von harschen Kommentaren über mich – ich werde als Idiot und als Steinzeitmensch bezeichnet.

ZEIT: Sie selbst greifen im Kraus-Projekt den Schriftstellerkollegen Salman Rushdie an, weil der sich naiv für Twitter begeistert.

Franzen: Woraufhin er getwittert hat, Franzen solle mal lieber aus seinem Elfenbeinturm rauskommen. Da ich selbst nicht twittere, habe ich das nicht gelesen, es hat sich aber zu mir rumgesprochen. Ich habe Salman gestern zufällig zum ersten Mal seit dieser kleinen Auseinandersetzung wiedergetroffen. Er war sehr freundlich.

Kehlmann: Er sprach vom Elfenbeinturm? Aber das ist keine Beleidigung.

Franzen: Oh doch, in den USA ist das eine absolute Beleidigung. Er nannte mich elitist.

ZEIT: Herr Franzen, das Kraus-Projekt besteht zum großen Teil aus Fußnoten. In diesen Anmerkungen, die eigentlich Hauptsachen sind, kommentieren Sie nicht nur Texte von Kraus. Sie erzählen auch ein Stück Ihrer Lebensgeschichte: ein Porträt des Künstlers als junger Krausianer. Dass in einem literarischen Werk die Fußnoten das Wesentliche enthalten, gab es schon einmal: in Vladimir Nabokovs Roman Fahles Feuer .

Franzen: Ich wollte immer schon etwas Fahles, Feuer -Artiges schreiben. Ansonsten verkneife ich mir beim Schreiben Fußnoten. Aber zu Kraus passte diese Form, sein ganzes Werk entwickelt sich im Fußnoten-Modus: aus Anmerkungen zu fremdem Text. Ich versuche in diesem Buch über Kraus, selbst ein wenig Kraus zu spielen. Ich betrachte mit seinen Augen das Zeitalter von Google, Facebook und Twitter. Dabei fiel mir etwas Unglaubliches auf: Vieles von dem, was Kraus schrieb, trifft unsere Zeit noch genauer als seine eigene.

ZEIT: Und seine Kritik „traf“ ja wirklich, mit aller Macht. Er machte sich unendlich viele Feinde. Sein Werk erscheint wie die Lebensäußerung eines Mannes, dem jede Angst fehlt, weil sein Zorn so groß war.

Kehlmann: Kannte er Angst? Ich weiß nicht, ob er Angst vor den Nazis hatte. Er wusste sicher, was auf ihn zugekommen wäre, wenn er ihre Herrschaft noch erlebt hätte. Aber er ist ja sozusagen rechtzeitig gestorben. Er lebte eigentlich in einer sehr zivilisierten Welt. Er hat dasselbe Kaffeehaus aufgesucht wie die Leute, die er fürchterlich angegriffen hat – und dann haben die sich höchstens in einen anderen Flügel des Kaffeehauses zurückgezogen, um ihm aus dem Weg zu gehen.

Franzen: Aber so zivilisiert ging es dann doch nicht zu, denn er hat Leute verklagt. Reihenweise. Das ist für mich einer der dunkelsten Aspekte von Kraus: Er war durch das Vermögen seiner Familie geschützt. Wäre er ein armer Mann gewesen, hätte seine Kritik an der Korrumpierbarkeit der Journalisten mehr Biss. Er konnte es sich leisten, nicht korrupt zu sein. Er konnte attackieren, wie es ihm gefiel. Und wenn andere ihn zu sehr attackierten, zerrte er sie vor Gericht – und das ist übel.

Kehlmann: Das hat aber eine Tradition. Schon Voltaire hat gesagt: Um so frei zu sein wie ich, muss man auch sehr alt sein und sehr reich. Und Kraus hat mit manchen Prozessen tatsächlich Exempel statuiert.

ZEIT: Er hat das Justizsystem sozusagen durchgespült mit einem reinigenden, exemplarischen Prozess?

Kehlmann: Genau. Er hatte die Zeit und das Geld, die strafende Satire mit anderen Mitteln, den Mitteln des Gerichts, fortzusetzen.

Franzen: Nun, du kommst aus Wien, du hast eine größere Toleranz gegenüber Leuten mit ökonomischen Privilegien. Das ist bei mir ein wenig anders, weil ich aus dem Mittleren Westen der USA komme. Aber du hast schon recht: Es fehlen Menschen, die diese Kraussche Konsequenz besitzen. Mir geht die fürchterliche Nettigkeit der jungen amerikanischen Schriftsteller auf die Nerven. Ich meine, wer wird heute Schriftsteller? Es sind wohlhabende Leute, denen der Papa die Dichterklause in Brooklyn bezahlt. Diese Leute könnten etwas riskieren – so wie Kraus es tat. Aber sie haben fürchterliche Angst. Vermutlich vor den Internet-Trollen, die unendlich viel Zeit und Raum für ihre Attacken haben.

ZEIT: Was haben die Trolle gemacht, als es das Internet noch nicht gab?

Franzen: Dazu muss ich ein wenig zurück in die Vergangenheit gehen. Das Internet wurde ersonnen von einer Gruppe privilegierter weißer Burschen. Viele von denen waren in den sechziger und siebziger Jahren Hippies, die beim Versuch, eine utopische Welt zu erschaffen, völlig gescheitert waren. Also haben sie sich gesagt: Beim zweiten Mal werden wir es mit Technologie versuchen. Dann werden wir den Weltfrieden schon retten. Und solange nur ein paar Tausend privilegierte weiße Typen am Internet beteiligt waren, hat alles wunderbar funktioniert. Dann wurde das Netz größer und größer – und man stellte fest, dass es nicht sicher ist. Dass es uns alle total kontrolliert. Und dass es niedere Instinkte weckt. Die Trolle sind die Hooligans der Netzwelt.

Kehlmann: Eine Sache, die wir von Kraus nicht übernehmen sollten, ist seine klare Trennung der Welt in die Guten und die Bösen. Ein Troll ist nicht das Böse an sich. Wir sind selbst die Trolle. Jedenfalls haben wir diese Möglichkeit alle in uns. Der Mensch ist ein offenes System. Wenn ihm die Möglichkeit geboten wird, anonym seine Aggressionen zu kultivieren, dann tut er es und wird eben dadurch immer aggressiver. Dem zu widerstehen ist ein Akt der Selbstkontrolle.

ZEIT: Das Internet steht also nicht im Bann des Bösen?

Kehlmann: Es gibt innerhalb des Mediensystems keine Verschwörungen. Das wäre zu einfach. Es war auch im Wien von Karl Kraus nicht so geradlinig, dass die Zeitungsbesitzer einfach den Redakteuren diktierten, was sie zu schreiben hätten. Sondern, wenn man Kraus folgt, ist es so: Die Redakteure schreiben das, was die Besitzer ihrer Zeitungen wollen, die Besitzer lesen es dann – und glauben es. Es ist ein sich selbst erzeugendes System. Das gilt natürlich auch heute. Der Besitzer von Facebook, Mark Zuckerberg, gibt ungeheuer viel Geld aus, um ein bestimmtes Welt- und Menschenbild zu propagieren – und dann glaubt er’s selbst. Adorno hat dafür den Ausdruck des Verblendungszusammenhangs geprägt. Und Adorno war sehr von Kraus beeinflusst.

ZEIT: Das Kraus-Projekt handelt davon, wie Sie, Jonathan Franzen, sich mit diesen geistigen Werkzeugen des Karl Kraus vertraut machen. Es ist aber auch eine Bestandsaufnahme Ihres Verhältnisses zur deutschen Kultur, denn Sie haben Ihre Kraus-Studien an deutschen Universitäten betrieben. Was bedeutet dieses Land für Sie?

Franzen: Ich kam über die deutsche Literatur zum Schreiben. Deutsche Literatur war sättigend. Man war nicht zwei Stunden später wieder hungrig, wenn man ein Stück deutscher Literatur verschlungen hatte. Man konnte den ganzen Tag arbeiten, man hatte genug zu verdauen. Das Wort „Dichtung“ sagt schon alles: Die Idee, die Dinge zu verdichten im Prozess des Schreibens – das wurde meine Definition von Literatur. Für mich war deutsche Kultur immer gleichzusetzen mit „Bedeutung“. Auch wenn ich in meiner Zeit in Berlin eine Überdosis von Bedeutung abbekommen habe – ich wurde ein wenig psychopathisch damals.

ZEIT: Was geschah?

Franzen: Ich setzte mich fürchterlich unter Druck. Alles, was ich tat, musste literarisch bedeutsam sein und dem Werk nutzen, jede Bewegung musste „Signifikanz“ haben. Ich lebte zeitweise in einer Wahnwelt der bedeutungsvollen Zeichen. In gewisser Weise war Deutschland der perfekte Ort für meinen Zusammenbruch.

Der Amerikaner – Jonathan Franzen, 55, Autor der Romane Die Korrekturen und Freiheit, ist einer der wichtigsten Schriftsteller der englischsprachigen Welt.

Der Europäer – Daniel Kehlmann, 39, geboren in München und aufgewachsen in Wien, kam mit dem Roman Die Vermessung der Welt zu Ruhm

Das   Interview von Franzen und Kehlmann offenbart sich ein grundsätzliches Problem, das jedermann haben muss, der sich mit Karl Kraus befasst. Die Unnahbarkeit der Person  und die begrenzte Nahbarkeit der Sprache, beide mit derselben Aura des Faszinierenden, die einem großen Kunstwerk eignet und beim Betrachten jedes Mal einen neuen Blick darauf erlaubt. Bei Karl Kraus heißt das Kunstwerk Sprache. Mir hat das Interview wegen der  reflektierten Antworten einfach nur gefallen. Deshalb wird es hier zur Kenntnis gebracht. Nebenbei bemerkt, das m. E. epochale Buch über die Nazizeit von Karl Kraus heißt „Dritte Walpurgisnacht“ und nicht „Die dritte Walpurgisnacht“. Auf der Korrektur hätte auch Karl Kraus bestanden. Der Rest wäre vermutlich unkommentiert geblieben. Dann äußern sich zu dem Interview zwei, die es auch mal  versuchen wollen, in der FAZ . Der Kontrast könnte größer nicht sein. Wie sagte Karl Kraus: Ein Feuilleton schreiben heißt auf einer Glatze Locken drehen. Die Heraushebungen  stammen von mir.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung  6.1.2.14

Feuilleton

Karl-Kraus-Projekt

Die Schule der Vernichtung

Karl Kraus war erbarmungslos gegen seine Feinde, dafür verehren ihn viele Feuilletonisten und Schriftsteller bis heute. Wir nicht.

06.12.2014, von Niklas Maak und Volker Weidermann

Im Bonn der späten neunziger Jahre gab es einen Dozenten, der jungen Studenten, die Journalisten werden wollten, beibrachte, was einen guten Kritiker ausmacht. Dieser Dozent, ein hagerer Mann mit einer blonden Bürstenfrisur und einem Rucksack, auf dem ein eingerollter Fuchs abgebildet war, ließ seine Studenten vor allem zwei Autoren lesen: Rolf Dieter Brinkmann – und Karl Kraus. Bei ihnen, bekamen die Studenten beigebracht, lerne man, „radikal“, „unversöhnt“, „scharfsinnig“ der Gesellschaft „einen Spiegel vorzuhalten“.

Die erste Aufgabe der Bonner Studierenden bestand darin, sich an der wütigen Großlitanei „Rom. Blicke“ von Brinkmann warmzulesen und dann den Verriss eines beliebigen aktuellen Kulturprodukts im Stil von Karl Kraus zu verfassen – und die Studierenden gaben sich alle Mühe, ein Buch, eine Ausstellung, einen Film möglichst böse, kaltherzig und aphoristisch scharf kleinzumachen, weil es eben kleingemacht werden musste.

Einige, die diese Schule durchliefen, wurden später wirklich Kritiker, sie schrieben für Zeitungen und Radios Verrisse, immer an Karl Kraus denkend: Sie vernichteten Romandebüts, sie höhnten über erste kleine Galerieausstellungen. Sie wussten nicht, wogegen sie kämpften und wofür, warum genau sie etwas verrissen, was ihnen daran nicht gefiel. Sie hatten abgespeichert, dass Kritik in Deutschland „Erledigung“ bedeutete. Sie hatten eine grimmige Freude daran, alles Herausragende in den Brei des Mittelmaßes zurückzustampfen. Sie lernten, die Welt durch einen Hämefilm zu betrachten und nur hin und wieder seinen Gegenstand gnädig mit einem anerkennenden Schulterklopfen zu bedenken – und sie wussten, dass sie klingen mussten wie Karl Kraus.

Mit Kraus begann ihre Erziehung zur Kälte, zum Desinteresse am Menschen, zum Kulturjournalismus als elaborierter Form von Häme, der Glaube, dass die gekonnt gesetzte Infamie einen Inhalt, eine Überzeugung, eine Idee davon, wie es besser, anders sein sollte, ersetze.

Anleitungen zur Vernichtung

Aber sie begriffen Kraus nicht. Sie sahen sein Drama nicht, sahen nicht, d a s s   s e i n   M e n s c h e n h a s s  immerhin dort aufklärerisch war, wo er die durch und durch korrupte Medienbranche seiner Zeit traf, wo seine Rhetorik auf die Fragwürdigkeiten der Psychoanalyse und die Bigotterie der Kriegslyriker zielte, die nach dem Krieg als Pazifisten auftraten. Die Lehre aus Kraus war nicht, sich furchtlos mit mächtigen Feinden anzulegen; der Kraus der deutschen Journalistenschulen ist vor allem ein Sound, eine Anleitung zur gnadenlosen, unbedingten „Erledigung“, zu Vernichtungen ohne Ziel.

Kann man Kraus das vorwerfen, was deutsche Journalistenschulen und Literaturwissenschaftler aus ihm machen? Natürlich nicht. Kraus, 1874 in Böhmen geboren, Herausgeber und ab 1912 alleiniger Autor der Zeitschrift „Die Fackel“, Satiriker, scharfer Kritiker der Presse und gleichzeitig damals einer ihrer Stars, starb 1936.

Interessant aber ist, warum und von wem Kraus heute, 2014, als Leitbild und Offenbarung empfohlen wird – und was aus ihm gemacht wird. Soeben ist Jonathan Franzens Buch „Das Kraus-Projekt“ auf Deutsch erschienen (Rowohlt, 19,95 Euro), in dem er die beiden Essays „Heine und die Folgen“ und „Nestroy und die Nachwelt“ von Karl Kraus mit eigenen Fußnoten der Begeisterung versieht.

Wie kann das sein? Der sanfte Franzen und der wütende Kraus?

Irgendwo mitten in seinen Fußnoten erklärt er, w i e   e r   d a   r e i n –  g e r a t e n   i s t ,   i n   d i e  K r a u s – S c h u l e   d e s   Z o r n s . Es war auf einem Bahnsteig in Hannover, Franzen war 22 Jahre alt, er hatte sich aus irgendwelchen Gründen über eine „alte deutsche Pfennigfuchserin“ aufregen müssen, und kurz zuvor war es „mit einem unglaublich hübschen jungen Mädchen in München nicht zum Sex gekommen“. Um seinen Zorn darüber zu kultivieren, warf er zunächst sein ganzes Kleingeld auf den Bahnsteig, um mickrige deutsche Pfennigfuchser dabei zu beobachten, wie sie sich nach seinen Groschen bücken. Doch das genügte noch nicht. Der schöne Zorn sollte bleiben und noch größer werden: „Dann stieg ich in einen Zug und fuhr nach Berlin und schrieb mich in einen Kurs über Karl Kraus ein.“

U n d   e r   l a s   u n d   l a s   u n d   b e w u n d e r t e   u n d   l i e ß     s e i n e n      n o c h      z a r t e n     k l e i n e n     Z o r n    w e i t e r    w a c h s e n . Er liebte Kraus’ Unbedingtheit, das perfekte System gegen die Welt: „Dass Kraus eine Rückkehr zur Reinheit forderte und ein vollständiges System lieferte, mit dem sich die Welt in Bezug auf ihre Verseuchung begreifen ließe: das sprach mich an, wie einen Zweiundzwanzigjährigen heute die regionale Öko-Landwirtschaft oder der radikale Islam ansprechen mag.“ K r a u s   –   e i n   r a d i k a l e r   Ö k o – B a u e r ,   e i n   I S – T e r r o r i s t ! Ein Kämpfer für die reine Lehre, gegen Ironie, Leichtigkeit, und das hieß vor allem: gegen Frankreich und den alten Dichterfeind, gegen Heinrich Heine schreibt Kraus 1910 in „Heine und die Folgen“, er „wirke aus dem romanischen Lebensgefühl: „Ohne Heine kein Feuilleton. Das ist die Franzosenkrankheit, die er uns eingeschleppt hat. Wie leicht wird man krank in Paris! Wie lockert sich die Moral des deutschen Sprachgefühls!“

Sprachrichter Gnadenlos

Die Fremde ist das Kranke, die deutsche Sprache bekommt in Paris Syphilis: Hier steht K r a u s   i m   b e s t e n   E i n v e r s t ä n d n i s   m i t    d e m   d e u t s c h n a t i o n a l e n   F r a n k r e i c h  –   u n d   F r e m d e n h a s s  seiner Zeit. Klar, das ist nicht der ganze Kraus. Man könnte ein Buch schreiben über d e n   K r a u s ,   d e r   b ö s e ,   m u t i g e ,   a u c h   l u s t i g e   L i e d e r  über gewalttätige Polizeipräsidenten schrieb, die daraufhin zurücktreten mussten; den Kraus, der seine Lesungshonorare mittellosen Kriegswaisen und -witwen überließ; den Pazifisten Kraus, der von einer anderen Sprache träumte, die die Rhetorik der Kriegstreiber entlarven und sprengen würde.

Aber leider beziehen sich die meisten seiner n e r v t ö t e n d e n Anhänger nicht auf diese Seite ihres Idols, sondern auf den Kraus von „Heine und die Folgen“. Und dessen allgemein als „scharf“ und „gnadenlos“ bewunderte Metaphern und Sprachbilder künden vor allem von einem g r ü n d l i c h e n  und  t i e f s i t z e n d e n   P r o b l e m   m i t   F r a u e n : Die französische Sprache gebe sich „jedem Filou“ hin, „vor der deutschen Sprache muss einer schon ein ganzer Kerl sein, um sie herumzukriegen“–und dann werden die Sprachbilder so schief, dass man sie mit vier Dübeln an der Wand befestigen möchte. „Die Sprache regt an und auf, wie das Weib“, erklärt Kraus, aber nur „die deutsche Sprache ist eine Gefährtin, die nur den dichtet und denkt, der ihr Kinder machen kann“. Die Sprache als Frau, die man rumkriegen muss, um ihr Kinder zu machen – man  kann   s i c h    j e d e n f a l l s  n i c h t   ü b e r   B u s h i d o   a u f r e g e n   u n d   g l e i c h z e i t i g   K a r l   K r a u s   v e r e h r e n .

Schmutzfluten aus Frankreich

Franzen vermerkt dazu in einer  k l e i n l a u t e n  Fußnote: „Zur Verteidigung dieser Sichtweise kann nicht viel mehr vorgebracht werden, als dass sein Stil auf extreme, prägnante Kontraste angewiesen war und dass er es nett meinte. Kraus mochte und bewunderte Frauen.“ Ach ja? Und in seinen vielen tausend Texten hat er das mal kurz vergessen? Nicht wichtig genommen? Oder war er etwa – ungenau?   M a n   b e k ä m e   s c h o n   g a n z   g e r n   e i n m a l   e r k l ä r t ,   wo hier jetzt noch mal der unübertreffliche scharfe Stil von Kraus zu finden ist, der „den nachlässigen Umgang mit der Sprache als Zeichen der allgemeinen Gedankenlosigkeit und Unachtsamkeit“ deutete und für den „die Sprache das Medium des Denkens“ war, wie   es    a u f      d e r   W e b s i t e   d e s  „F e r n s t u d i u m s   J o u r n a l i s m u s“   h e i ß t.

Man würde auch gern erfahren, wohin ein Denken führt, das zum Misstrauen gegen Erzähler aufruft, die sich, wie Kraus beklagt, „in exotischen Milieus herumtreiben“, von wo aus dem Leser dann „der Flugsand der französischen Sprache“ in die Augen treibt, die eben noch eine leicht herumzukriegende Frau war, offenbar aber eine aus Sand, während Heine leider auch „der deutschen Sprache“, vor der man ja einst ein ganzer Kerl sein musste, „so sehr das Mieder gelockert hat, dass heute alle Kommis an ihren Brüsten fingern können.“

H e r r j e h ! Der Vorwurf, der in dieser Galerie der schiefen Bilder sichtbar wird, ist: Heine sei zu süßlich, zu spielerisch, zu charmant, französisch kraftlos, ohne t i e f e n   g e r m a n i s c h e n ,   s p r a c h-  f r a u e n b e z w i n g e n de n   E i g e n t l i c h k e i t s d o n n e r.  Die Hoffnung: dass der deutschen Sprache das Mieder zugeknöpft wird, wenn sich in Deutschland die aus Frankreich hereingeschwappte „intellektuelle Schmutzflut“ verläuft und „das Kopfwerk sprachschöpferischer Männlichkeit“ wieder in sein Recht gesetzt wird.

M a n   k a n n ,  b e i   a l l   d e r  K r a u s-V e r e h r u n g ,  s c h o n   a u c h   e inmal  f r a g e n , was  m a n  heute,  wenn   m a n   n i c h t   a n   d i e   w o h l t u e n d e   W i r k u n g   v o n   X e n o p h o b i e , F r a u e n v e r a c h t u n g ,  N a t i o n a l i s m u s  und  d i f f u s e n  M ä n n l i c h k e i t s r i t u a l e n  auf  die  d e u t s c h e   S p r a c h e g l a u b t ,  v o n   d i e s e m   K r a u s   l e r n e n ,  w a s   m a n   a n   s e i n e m   S t i l   b e w u n d e r n   s o l l. Aufklärerisch haben viele andere gewirkt. Man kann Zolas „J’accuse“ lesen, man kann Heines oder Tucholskys kluge, warmherzige, nicht minder scharfe Satiren lieben, die Kraus vor allem einen Humor voraushaben, der den Menschen nicht verlorengegeben hat. Es ist eine deutsche Eigenart, Hass und Borniertheit ohne größere Umwege zu begehrenswerten romantischen Essentialien, nämlich als Ausweis von „Unbedingtheit“, „Radikalität“, „Tiefe“ zu verklären – ohne zu sehen, dass sie das Gegenteil davon sind.

Zurück zur Warmherzigkeit

„Mit unserem Misstrauen haben wir immer recht“, schreibt Franzen in seine Fußnoten hinein. Das ist das Kraus-Gift, das alle seiner Verehrer so magisch anzieht: Schreiben im Modus des Verdachts, des Misstrauens, des Schnüffelns nach Fehlern, statt frei heraus das Schöne zu lieben. Das herrliche Gedicht Heines über das vom Sonnenuntergang entzückte Fräulein: „Mein Fräulein, sein Sie munter, / Das ist ein altes Stück; / Hier vorne geht sie unter, / Und kehrt von hinten zurück.“ Kraus erkennt hier „Heines Zynismus“, das Niveau seiner Sentimentalität stehe „auf dem Niveau des Fräuleins“. Franzen erinnert sich an den Moment, als er Heines Zeilen zum ersten Mal las, an seine Begeisterung – „Wow, dachte ich, der ist ja einer von uns.“ Dann las er Kraus, und er erkannte, was an diesem Gedicht „problematisch ist“. Die Liebe war weg. Verachtung war an die Stelle getreten. Ist das ein Gewinn?

Jonathan Franzen ist kein kalter Zyniker, kein Weltverkleinerer. Seine „Korrekturen“ sind einer der wichtigsten und emphatischsten Romane der letzten Zeit, ein Werk, das scharfsichtig, aber warmherzig mit den Schwächen seiner Protagonisten umgeht, die Welt nicht hasst, sondern vom Kampf einiger Menschen handelt, sie erträglicher, leuchtender, schöner und größer zu machen. Wie er das gemacht hat? Er habe einfach, im Gegensatz zu Kraus, irgendwann angefangen, Romane zu schreiben. Dafür sei es das Wichtigste, „sich vorzustellen, wie es ist, jemand zu sein, der man nicht ist“. Und das untergrabe auf Dauer noch die größte Wut. „Je länger ich Romane schrieb, umso weniger vertraute ich meiner eigenen Selbstgerechtigkeit.“ Und der seines frühen Meisters.

 

Wie gesagt, der Text hätte das Lektorat der FAZ nicht überstanden, wäre sein Verfasser nicht Feuilletonchef. Karl Kraus führte als das stärkste Argument gegen seine Kritiker gern deren eigene Texte in Feld, indem er sie wortwörtlich abdruckte.  Das gilt auch für den FAZ Artikel. Franzen wirkt darin wie ein vorgeschobener Strohmann,  damit  es  dann direkt gegen Karl Kraus gehen kann. Es sei  ergänzend zu bemerken,  dass  die Journalisten Niklas Maak und Volker Weidemann  zu zweit auftreten, um den Versuch  gegen Karl Kraus zu wagen, um einen Heinrich Heine zu retten, der weder gerettet werden muss noch es unter solchen Umständen wollen würde.  Jedenfalls kann man keinen der beiden Journalisten für den einen oder anderen Satz  direkt verantwortlich machen. Keiner ist es gewesen. Dass Jonathan Franzen im Vorbeischreiben abfertigt wird, offenbart ein Unverständnis über dessen Absicht, das dem Denker Franzen deshalb den Gedanken so lassen muss  wie dem  Journalisten die Phrase. Beides bleibt unvereinbar wie  Tiefe und Fläche. So kommt in dem Artikel ein Sammelsurium aus Ungenauigkeiten  zusammen, das sich selbstgemachter Popanze  bedienen muss, die jene glauben Karl Kraus oder Jonathan Franzen  unterjubeln zu dürfen. Woran liegt das? Sie kennen den Text nicht und verfassen einen eigenen, der dann zwangsläufig ebenso wenig trifft.  Da ist Scheitern unvermeidlich. Unsinnig auf die Verbalien zu Karl Kraus Frauenbild oder auf die Heine-Polemik einzugehen. Da wird  „das Kopfwerk sprachschöpferischer Männlichkeit“ aus Karl Kraus  Abrechnung mit Heines Börne-Verriss herangezogen wie es eben passt. Ich lasse es. Der FAZ Text ist es nicht wert. Er ist  selbst  „nervtötend“, weil er einfach nur schlecht ist. Die Heraushebungen weisen die Ungenauigkeit nach.  Was sollen  solche  Sätze wie

„Kraus –  ein radikaler Öko- Bauer, ein IS-Terrorist!“

„Man  kann sich  jedenfalls nicht über Bushido aufregen und gleichzeitig Karl Kraus verehren.“

Bushido und Karl Kraus. Das entsteht aus Hochlraumversieglung oberhalb des Halses. Man fasst es nicht.

„Man kann, bei all der Kraus-Verehrung, schon auch  einmal  fragen, was man heute, wenn man  nicht an die wohltuende  Wirkung von Xenophobie, Frauenverachtung, Nationalismus und diffusen Männlichkeitsritualen  auf die deutsche Sprache glaubt, von diesem Kraus lernen, was man an seinem Stil bewundern soll.“

Was man  lernen können sollte von Karl Kraus?   Nur eines : Niemals so zu schreiben – geschweige denn zu denken – wie die Verfasser des Artikels!

„Das  h e r r l i c h e  Gedicht Heines über das vom Sonnenuntergang entzückte Fräulein: „Mein Fräulein, sein Sie munter, / Das ist ein altes Stück; / Hier vorne geht sie unter, / Und kehrt von hinten zurück.“

Herrlich ? Dazu muss man  Heine-besoffen sein. Wer  das Schmunzeln überstanden hat, der empfindet die Geschmacklosigkeit.

Es könnte weiteres ungenau Ungereimtes folgen, etwa zu „Fernstudium Journalismus“,  aber wozu ? Das oben zitierte Sammelsurium muss  m a n  sich  im Zusammenhang mit Karl Kraus erst  einmal  zusammenfabulieren.   Stellvertretend für Karl Kraus zitiere ich als einzig stimmigen Kommentar dessen Aphorismus:

Ein Feuilleton schreiben, heißt auf einer Glatze Locken drehen.

Fazit : Es scheint besser Karl Kraus zu schätzen, als Heinrich Heine zu verehren.Der Dichter  in Heine ist zudem nicht zu verwechseln mit den Folgen.  Mehr ist zu diesem Fäule-Ton  der FAZ – die Aussprache für Feuilleton gefällt mir gut – nicht zu sagen. Man lese Karl Kraus und erkenne eine kompromisslose Menschlichkeit, die sich entgegen journalistischer Praxis eben weigert, dem Zeitgeist zu dienen und den Menschen ihre Zeit zu stehlen, vielmehr  Zeit zu erschließen –  im Wort.

 

 

 


Notizen zur Zeit. Facebook und Apple legen ein Ei. Von W. K. Nordenham

17. Oktober 2014 | Kategorie: Notizen zur Zeit

Tagesschau.de

15.10.2014 12:13 Uhr

Facebook und Apple wollen ihren Mitarbeiterinnen einem Medienbericht zufolge auf Wunsch das Einfrieren ihrer Eizellen bezahlen, um das Kinderkriegen hinausschieben und so ungehindert Karriere machen zu können.Die beiden IT-Unternehmen übernähmen bis zu 20.000 Dollar (15.800 Euro) der Kosten für Entnahme und Aufbewahrung, berichtet NBC unter Berufung auf Mitarbeiter. Bei Facebook werde die Prämie seit Kurzem ausbezahlt, Apple wolle ein entsprechendes Programm im Januar starten, zitiert der US-Sender Sprecher der beiden Unternehmen.

 

Nichts, aber auch gar nichts wollte ich mehr beitragen zum absurden Zeitgeschehen und zum noch absurderen Konzert journalistischer Kommentare. Nun aber finde ich mich überwältigt von der im Wortsinn Unverschämtheit  eines Angebots zweier Herrscherlein der Erde, die ihren weiblichen Angestellten die Eizellen einfrieren wollen, damit diese ihre Kinder zu späterem Termin oder besser gleich gar nicht bekommen. Natürlich  „All inclusive“  mit Hormonbehandlung und unverrmeidlichem operativem Eingriff bei den wahrhaft zu allem entschlossenen Frauen. Wegen Nebenwirkungen und Risiken fragten diese keinesfalls  ihren Arbeitgeber oder den Arzt, denn der wäre bestenfalls Erfüllungsgehilfe der IT-Industrie. Die optimiert nur die Funktionalität der Betriebe. Der Mensch funktioniert eben desto besser, je weniger er sich ähnelt. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt. Wie weit die Spezies Mensch es schon getrieben hat, offenbart die moderate Reaktion der Öffentlichkeit auf den Eizellenwahnwitz. Ist doch alles gar nicht so schlimm! Das finde ich auch, allerdings verbunden mit einer kleinen unbedeutenden Abänderung des Vorschlages, dass die vorwiegend männlichen Manager nämlich vorangehen und vorab  als Zeichen des guten Willens ihre Zwei dauerhaft einfrieren. Das sollte jenen angesichts der Ungeheuerlichkeit ihres Vorschlages einleuchten. Wenn nicht, so wird es ihnen dann augenblicklich klar werden.


Die Planung des vorhersehbaren Todes. Von W.K.Nordenham

19. März 2014 | Kategorie: Medizin, Notizen zur Zeit, Sterbehilfe, Zeitzeugnisse/Zeitzeugen

Da die Diskussion immer wieder auflammt, hier nochmal zum Mitdenken!

Vorab der Originaltext des Hippokratischen Eides, damit ein jeder die Risiken und Nebenwirkungen seines Arzt oder Apothekers zu erkennen vermag.

Ich schwöre bei Appollon dem Arzt und Asklepios und Hygieia und Panakeia und allen Göttern und Göttinnen, indem ich sie zu Zeugen rufe, daß ich nach meinem Vermögen und Urteil diesen Eid und diese Vereinbarung erfüllen werde:

Den, der mich diese Kunst gelehrt hat, gleichzuachten meinen Eltern und ihm an dem Lebensunterhalt Gemeinschaft zu geben und ihn Anteil nehmen zu lassen an dem Lebensnotwendigen, wenn er dessen bedarf, und das Geschlecht, das von ihm stammt, meinen männlichen Geschwistern gleichzustellen und sie diese Kunst zu lehren, wenn es ihr Wunsch ist, sie zu erlernen ohne Entgelt und Vereinbarung und an Rat und Vortrag und jeder sonstigen Belehrung teilnehmen zu lassen meine und meines Lehrers Söhne sowie diejenigen Schüler, die durch Vereinbarung gebunden und vereidigt sind nach ärztlichem Brauch, jedoch keinen anderen.

Die Verordnungen werde ich treffen zum Nutzen der Kranken nach meinem Vermögen und Urteil, mich davon fernhalten, Verordnungen zu treffen zu verderblichem Schaden und Unrecht. Ich werde niemandem, auch auf eine Bitte nicht, ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen; gleicherweise werde ich keiner Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen geben: Heilig und fromm werde ich mein Leben bewahren und meine Kunst.

Ich werde niemals Kranke schneiden, die an Blasenstein leiden, sondern dies den Männern überlassen, die dies Gewerbe versehen.

In welches Haus immer ich eintrete, eintreten werde ich zum Nutzen des Kranken, frei von jedem willkürlichen Unrecht und jeder Schädigung und den Werken der Lust an den Leibern von Frauen und Männern, Freien und Sklaven.

Was immer ich sehe und höre, bei der Behandlung oder außerhalb der Behandlung, im Leben der Menschen, so werde ich von dem, was niemals nach draußen ausgeplaudert werden soll, schweigen, indem ich alles Derartige als solches betrachte, das nicht ausgesprochen werden darf.

Wenn ich nun diesen Eid erfülle und nicht breche, so möge mir im Leben und in der Kunst Erfolg beschieden sein, dazu Ruhm unter allen Menschen für alle Zeit; wenn ich ihn übertrete und meineidig werde, dessen Gegenteil.

———————-

Man möchte es mehr als nur einer Laune des Zeitgeistes zurechnen, dass ohne Not seit den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Hippokratische Eid nach dem bestandenen Medizinexamen als zwar unausgesprochene, aber präsente Verpflichtung keine wesentliche Rolle mehr spielte und in historischen Kontext verbannt wurde. Neues, Besseres  gedachte man zu formulieren, beabsichtigt von Leuten, die wahrscheinlich auch ein „Vater Unser“ aktualisieren würden. Mir ist über einen verbesserten, also zeitgemäß blankgeputzten, allgemein gültigen Eid in Europa nichts bekannt, obwohl sich seither vieles geändert hat. Es gibt die Genfer Deklaration oder Genfer Gelöbnis, und sie wurde im September 1948 als Hippokrates – Ersatz  verabschiedet. Sie wurde mehrfach revidiert, insgesamt schon fünfmal seither. Ich musste es so wenig sprechen wie alle anderen mir bekannten Ärzte.  Denn es geschah zu der Zeit, dass der Mensch großzügiger an seinesgleichen Hand anzulegen gedachte, angefangen bei vermehrten Schwangerschaftsabbrüchen, zunehmend  fragwürdigen kosmetischen Operationen bis hin zu nunmehr möglichem, genetisch determinierbarem Nachwuchs. Der Körper eingeholt vom Ungeist medizinischer Möglichmacher? Schöne Neue Welt!

Dazu passte vorzüglich ein Artikel zu Sterbehilfe, der ein neues Kapitel zum Umgang mit Leben und Tod im 21. Jahrhundert aufzuschlagen für zeitgemäß hielt.  Gemeint war aber nicht die eigentliche Sterbehilfe, sondern es ging um die Planung des vorhersehbaren Todes, nämlich die Hilfe beim Selbstmord Schwerkranker zum von jenen erwünschten Zeitpunkt. Es handelte sich dabei um die sattsam bekannte Unterwanderung von Öffentlichkeit durch nett und in bester Absicht eingestreute populäre Meinungen, die  wie der Kai aus der Kiste kommen und sich irgendwann als notwendige Wahrheit mit der Aufforderung zur Tat präsentieren,  genau genommen aber den Knüppel aus dem Sack lassen. In dem Artikel teilte ein Arzt mit, dass er gegen die negative Entscheidung zur Sterbehilfe des Deutschen Ärztetages als „Arzt“ Einspruch erhebe. Das zu tun ist  sein gutes Recht, aber es mit dem Zusatz „als Arzt“ zu versehen, erscheint mehr als fragwürdig, hat doch der Urvater der Ärzte, Hippokrates in seinem berühmten Eid ausgeführt: “Auch werde ich niemandem auf seine Bitte hin ein tödlich wirkendes Mittel geben, noch werde ich einen derartigen Rat erteilen.“ Auf wen also beruft  sich jemand, wenn er „als Arzt“ Einspruch erhebt? Hippokrates als Urvater kann es nicht sein und die Großen in seiner Nachfolge auch nicht. „Ärzte töten nicht und helfen nicht bei Selbsttötung“, so wird der Deutsche Ärztetag im Folgenden zitiert und dafür vom Artikelschreiber kritisiert, obwohl auch jener sich in hippokratischer Tradition wähnt. Deshalb muss widersprochen werden, wenn in dem Artikel weiter behauptet wird, „Ärzte töten zum  Beispiel Todeskandidaten in Ländern, in denen es die Todesstrafe gibt, und in Deutschland töten Ärzte im Rahmen legaler Abtreibungen mehr als 150 000 Mal jährlich gesundes Leben.“  So sehr die Fakten über Tötungen und Abtreibungen stimmen mögen, so wenig darf man die Ausführenden der Tat als Ärzte in Hippokrates Sinne bezeichnen, denn ein Arzt in seiner Nachfolge tötet nicht.

Ich verkenne keinesfalls die Segnungen der modernen Medizin und bin nicht so menschenfremd, Abtreibungen angesichts vieler Notlagen in Bausch und Bogen abzulehnen. Dass ein Eingriff von medizinisch ausgebildetem Personal durchgeführt werden muss, liegt auf der Hand. Dem Arzt wird jeder dieser Eingriffe sehr schwer fallen, wie auch den Frauen. Darüber besteht kein Zweifel. Aber sind alle Ausführenden als Ärzte oder nur  als dazu befähigte Fachleute, als Mediziner tätig, vor allem dann, wenn es um Geld geht? Nicht zufällig wird die Bezeichnung Mediziner inzwischen fast gleichrangig zu der des Arztes verwendet,  und es spricht einiges dafür, dass sich die Berufsangabe „Mediziner“ für die Generation des modernen Gesundheitswesens durchsetzen könnte. Leitet sie sich doch nicht mehr uneingeschränkt von der Verbindlichkeit etwa eines  hippokratischen Eides ab, sondern es übernimmt das Gesetz die Führung im Gesundheitswesen, beschreibt den Verantwortungsrahmen für jede Wohltat und Untat und erlaubt in naher Zukunft vielleicht sogar den  finalen pharmakologischen Abschuss.  Alles legal versteht sich.

Die Modifikation zunächst zum Mediziner darf bei zu vielen als im Werden  angesehen werden, die  Entwicklung  zum Pejorativum „Leistungserbringer im Gesundheitswesen“  ist mit den Auswüchsen der  kosmetischen Medizin als weitgehend abgeschlossen zu  betrachten. Der Arzt hingegen verhält sich  zum Mediziner  wie der Helfer zum Vollstrecker. Während der Arzt sich am „nil nocere“ – niemals Schaden – ausrichtet, welches den rücksichtsvollsten Umgang mit dem anvertrauten Menschen schon im Worte beginnt, geriert sich der Mediziner zu oft als Ausführungsbeauftragter  moderner Therapiemöglichkeiten, wie zweifelhaft sie auch sein mögen.  Der Leistungserbringer im Gesundheitswesen orientiert sich dann nur mehr am zu erzielenden Gewinn. Machte man den Arzt  zum Todeshelfer, weil er sich notwendig mit todbringenden Wirkungen von Medikamenten auskennen muss – erlernt allein zum Schutze seiner Patienten ! -,  so rückt ihn das in die Nähe des Henkers. Das möchte der Bravbürger nämlich nicht gern selbst machen und auch nicht zusehen und wünscht sich jemand anders, vorzugsweise den Arzt zum Abschalten des Gerätes Mensch. Das könnte aber im Prinzip jeder, aber der Jedermann möchte  das nicht so gern.

Bewusst verwende ich nicht das Wort „Sterbehilfe“, denn die gibt es, richtig verstanden, schon lange, und sie hat meine volle, auch tatkräftige Unterstützung. Aber nicht als Tötungsinstrument ist sie gedacht, sondern als Begleitung des Menschen auf seinem letzten Wege unter aller möglichen Zuwendung. Sie wird durchgeführt von den Menschen in Hospizen, von Angehörigen zu Hause, von Personal  in den Krankenhäusern, auf den Palliativstationen  und von den Hausärzten draußen in den Wohnungen ihrer Patienten. Da muss der Arzt dann schon mal jeden Tag hingehen und Angst nehmen, auch wenn das nicht bezahlt wird. Diese Hilfe begleitet im wahrsten Sinne des Wortes das Sterben und nimmt mit der Gabe höchstdosierter Medikamente – zur kompletten Linderung von Leiden – auch den dadurch bedingten eventuell eher eintretenden Tod in Kauf. Dieser Eingriff in das menschliche Leben und Sterben geht weit genug, und ich, als Arzt, habe nie anderes gebraucht. Wer aber Hilfe zur Selbsttötung will, hat mehr vor und soll sich willige Helfer schaffen. Möge sich dazu berufen fühlen, wer immer will, auch Mediziner. Ich stünde als Arzt niemals zur Verfügung und auch nicht als Mensch. Henkersknecht liegt mir nicht, auch nicht als der von der immer laut schweigenden Mehrheit akzeptierter Hiwi oder  vom Staat gedeckter Täter.  Denn die Tat ausführen soll, der sie fordert, und so sollte sich der  erst einmal selbst befragen, ob er es könnte und begriffe dann, was „den Tod geben“ bedeutet. Stattdessen mal eben den Arzt zu fordern, offenbart  ein fundamentales Missverständnis, mit dem ich ein für alle Mal  aufgeräumt zu haben hoffe. Ein Arzt tötet per definitionem nicht.


Was ist Kunst? Von W.K. Nordenham

28. Januar 2014 | Kategorie: Artikel, Kunst, Notizen zur Zeit

Die Notwendigkeit bei einer Vernissage eine Ansprache zu halten, erscheint durch langjährige Gewohnheit unvermeidlich und ist dennoch lässlich. Allenfalls die Vorstellung des Künstlers, des Bildhauers oder des Machers wäre erforderlich – sonst nichts. Häufig und ärgerlicherweise erfolgen zusätzlich Interpretationsversuche der Werke durch Redner und Beurteiler. Aber wer soll etwas über diese wissen, wenn nicht der Hersteller. Der aber lässt seine Bilder oder Skulpturen sprechen, als Raum-Bild Kontinuum, eine Verbindung von Kunst und Raum und Zeit. Alle guten Kunstwerke fangen einen Augenblick der absoluten Reflexion der Menschheitsgeschichte ein, als besondere Antwort auf die ewige Frage der Philosophie und heute mehr und mehr auch der Kunst: Wer sind wir und was haben wir auf dieser Erde zu suchen? Denn Kunst hat lange schon einen Auftrag der Philosophie für sich entdeckt, nämlich die Bewahrung und Demonstration der menschlichen Identität. Kunst hat nur eine Verpflichtung: Wahrheit – und eine Bedingung: Freiheit. Das meint die Loslösung von jeder Fessel. Wenn nichts mehr zwingt, dann entsteht die Bedingung für Kunst. Joseph Beuys hat 1977 Ähnliches in einem Vortrag auf der Dokumenta formuliert. Der Betrachter muss also sehr weit mitgehen, wenn er sich nähern will. Das führt dann zu verfrühter Ablehnung, häufiger noch verfrühter Zustimmung. Beides ist jedoch ohne Bedeutung; denn wenn ein Kunstwerk einen wahren Gedanken trifft und ihn erfasst, dann ist letztendlich nur wichtig, dass es diesen Gedanken gibt, wie den Urwaldriesen mitten im Amazonasbecken, den noch niemand geschaut hat. Er ist dennoch vorhanden! Das Urteil darüber – unwichtig.

Die Sprache hat es da leichter als die bildende Kunst. Einen unsinnigen Gedanken erkennt man. Ein unsinniges Kunstwerk ist schwerer auszumachen, weil es um das Geheimnis des Ursprungs geht. Um Missverständnisse zu vermeiden: Beuys Skulpturen, seine Ensembles, seine Fettecken, seine Aphorismenbilder, wie ich sie nenne, sind sein Geheimnis. Es ist wie bei dem Kind, welches in einem beliebig geformten Sandhaufen ein Tier, eine Stadt, einen Riesen ein Auto oder ein Schiff erblickt. Jeder muss selbst sehen, erfinden. Beuys hat sicherlich seinen „Blitzschlag mit Hirsch“ z.B. und seine Bilder so gesehen. Also muss man werden wie ein Kind. Den Kreis von Sein, Bewusstsein, Wissen, Erkenntnis, Handeln schließen zum Sein, zurück zum Ursprung, in den Zustand der „Unschuld“ wie Kleist in seinem Aufsatz > Über das Marionettentheater< schreibt. Dann kann man sich dem Geheimnis wieder nähern, jeder für sich. Wie viele Menschen, so viele Kunst, die sich selbst genügt wie die Schöpfung. Warum ist ein Berg ein Berg, ein Apfel ausgerechnet ein Apfel? Weil ein Bild ein Bild ist und ein Gedanke ein Gedanke, eine Skulptur eine Skulptur!

Unsere Zeit hat die Frage von „Sein oder Nichtsein“ auf „Sein oder Design“ reduziert und gibt sich mit der Frage die Antwort. Der Mensch genügt als Funktion der Hülle; denn je weniger sich der Mensch ähnelt, desto besser funktioniert er. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt. Kunst aber macht ähnlich. Deshalb kann man einfach weitermachen und sich noch freuen im Angesicht des Abgrunds, weil die Schöpfung ungeheuer ist,… Schöpfung, die sich noch in jedem Stein, in jeder Blume, in jedem perfekt formulierten Gedanken, in jedem wirklichen Bild offenbart, so, wie jeder Tag als unwiederbringlich verstanden und einzig gelebt werden muss. Über das Wesen der bildenden Kunst ist viel Widersprüchliches geschrieben worden, dass nur zu sagen bleibt, sie lässt sich nicht mit einer einzigen Metapher erklären. Kunst spricht selbst, und es ist über sie nichts zu sagen als Überflüssiges. Kunst will nicht verstanden, sie kann nur erfühlt werden, wie die Schönheit eben eines Steines, eines Regentropfens, eines Sonnenstrahls, eines Halms. Wenn sie erklärt werden soll, dann ist es mit ihr vorbei, wie mit einem Witz dessen Pointe man erklären muss. Kunst hat ihre eigene Pointe, die dem Schöpferischen entstammt. Andersherum verstanden wäre Kunst also dem Wesen nach ein Witz, über den ein Gott lacht.

Vorgetragen bei einer Vermnissage – Begegnungen am Ursprung 2001


Notizen zur Zeit. Toilettengolf. Von W.K. Nordenham

25. Oktober 2013 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Dass die Götterdämmerung 1914 mit dem ersten Weltkrieg begann, 1933 in bis dahin unvorstellbare Abgründe hinabführte,  sich um die Jahrtausendwende in der Gestalt eines semidebilen amerikanischen Folterpräsidenten  materialisierte, das alles scheint noch nicht genug. Analog dominiert menschliche Erfindungseinfalt auf der Ebene ungeahnter Kauflüste und die Banalität erweist sich als einzig zuverlässige, multikulturelle Bindemasse für den zum Konsumo debilis mutierten homo sapiens. Wann je konnte ein namhafter Teil der Bevölkerung „Shopping“ für ein Hobby ausgeben? Das funktioniert doch nur dann, wenn dem erfolgreich hohlraumversiegelten TV-Werbe-Dumpfschädel  außer den letzten Werbespots absolut nichts gar mehr einfallen will. Warum mir das soeben noch einmal ganz unangenehm aufstößt, macht die beigefügte Grafik deutlich. Der „freie“ Westen,der nur noch im ungehemmten Kaufrausch sich wahrhaft frei wähnen darf, hat ein vorläufiges Meisterstück abgeliefert, dem zuverlässig weitere folgen werden: Ein Toiletten-Golfset!

Produkt-Information Kann man so   – mit Bild  – in großer Auswahl im Internet finden. Der Konsumo muss ja vergleichen können.

Rom ging unter als es die geistige Führung verlor und nur noch überbordenden Konsum und Unterhaltung zum Lebenszweck erhob. Sollte es da eine Parallele geben? Nein!  Eine direkte Linie!


Randnotizen. „Dreimal täglich …“. Von W.K.Nordenham

23. Oktober 2013 | Kategorie: Notizen zur Zeit, Randnotizen

Ärzte Zeitung, 23.10.2013

Ärztetag gegen Massenhaltung von Tieren

BAMBERG. Um der zunehmenden Resistenzentwicklung vieler Bakterienarten gegenüber Antibiotika zu begegnen, hat sich der  B a y e r i s c h e  Är z t e –   t a g  gegen  M a s s e n t i e r h a l t u n g  ausgesprochen.

Ursache für die zunehmende Resistenz sei  n i c h t  a l l e i n die unsachgemäße Verordnung von Antibiotika in der Humanmedizin, sondern ganz erheblich auch deren Einsatz in der Veterinärmedizin und in der Massentierhaltung, heißt es in einer Entschließung, die mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. E t w a   8 5   P r o z e n t   a l l e r   An t i b i o t i k a   w ü r d e n   i n   de r   V e t e r i n ä r m e d i z i n   e i n g e s e t z t .

Erstmalig meldet sich hier eine große Ärzteschaft zu Wort. Das wurde aber auch Zeit, denn sonst wird sich die Behandlung dramatisch ändern müssen. Sagt der Arzt zum Patienten: „ Sie haben eine schwere Mandelentzündung. Ich  gebe ich Ihnen Rezept mit. Gehen Sie sofort zum Brathähnchenwagen beim Supermarkt und nehmen Sie zehn Tage lang dreimal täglich nüchtern ein halbes Hähnchen ein; zur Vorbeugung danach für eine Woche morgens und abends ein Kalbsschnitzel.“

 


Notizen zur Zeit. America the beautiful … Von W.K. Nordenham

01. September 2013 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit, Seelenmord

FOCUS Mittwoch, 28.08.2013

Wegen Doktorspielchen – Zehnjähriges Mädchen wird der Vergewaltigung angeklagt.

Im Oktober wird in Texas voraussichtlich eine Zehnjährige vor Gericht stehen, der Vergewaltigung vorgeworfen wird.

In Houston, Texas, hat die Polizei ein zehnjähriges Mädchen wegen des Vorwurfs der  Vergewaltigung  festgenommen und   m e h r e r e   T a g e   f e s t g e h a l t e n . Das Mädchen hatte mit einer Gruppe von Kindern Doktor gespielt – die Mutter eines Vierjährigen zeigte sie daraufhin an.

Ein zehnjähriges Mädchen ist in Texas der Vergewaltigung angeklagt und für vier Tage in Arrest genommen worden. Das berichtet der amerikanische Fernsehsender Fox. Das Mädchen hatte mit einer Gruppe von Nachbarskindern  i m  H o f   D o k t o r  g e s p i e l t . Ein Nachbar sah die Kinder und berichtete der Mutter eines beteiligten  V i e r j ä h r i g e n  d a vo n . D i e s e  i n f o r m i e r t e   d i e   P o l i z e i . Der Vorwurf: Das Mädchen habe d e n  J u n g e n  u n s i t t l i c h   b e r ü h r t .

Der Vorfall ereignete sich im April dieses Jahres, das Mädchen war zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alt. Zwei Monate später, im Juni, wurde es dann o h n e   j e d e   V o r w a r n u n g   v e r h a f t e t . „Ich war bei einer Freundin und meine Mutter hat sie angerufen und ihr gesagt, dass ich nach Hause kommen soll“, sagte die junge Angeklagte in einem Interview mit Fox. Als sie sich auf den Weg heim machte, wartete vor ihrer Haustür offenbar die Polizei. „Ich weinte und sie brachten mich in das Polizeiauto. Ich wollte nicht einsteigen. Ich weinte und versuchte nicht einzusteigen. Meine Mama sagte, ich solle mich beruhigen.“

Beim Verhör durfte ihre Mutter nicht dabei sein

Vier Tage Jugendgefängnis brachte ihr das Doktorspiel ein. „Es ist ein Albtraum“, sagte ihre Mutter im Fernseh-Interview. Nach eigener Aussage v e r b o t   i h r    d i e    H o u s t o n e r   P o l i z e i ,  b e i  d e m  V e r h ö r  i h r e r   T o c h t e r   a n w e s e n d   z u  s e i n. Das Mädchen sei nach der 45-minütigen Befragung   i n    T r ä n e n   a u f g e l ö s t   g ew e s e n . „Als meine Mama kam um mich zu sehen, habe ich gesagt, dass ich nach Hause will und dann hat sie gesagt, dass ich nicht nach Hause gehen kann.“ Vorbei ist der Spuk für das Mädchen noch nicht: Es wird aller Voraussicht nach  im  Oktober  w e g e n   M i s s b r a u c h s  vor Gericht stehen.

Eigentlich will ich mich nicht mehr aufregen. Dies Land hatte in den 60 er Jahren mit der Friedensbewegung für mich einmal Vorbildcharakter. Aber was geschieht hier ? Was ist in diesem sogenannten Land der Freien seit nunmehr  Jahren los? Waterboarding als Möglichkeit des Verhörs, ohne dass die Verantwortlichen in der Regierung je dafür belangt wurden?  Gelogene Gründe für einen Irakkrieg, in dessen Folge jetzt monatlich mehr Tote zu beklagen sind als zu Saddam Husseins schlimmsten Zeiten und keine Anklage gegen die Verantwortlichen? Guantanamo unter weiterhin rechtsfreien Bedingungen bestehend?  Eine Syrienpolitik Amerikas mit 100 000 Toten und Millionen von Flüchtlingen, das nach zwei Jahren immer noch nicht merkt, wem man da auf den Leim gegangen ist, wo man schon in Afghanistan denselben Irrsinn mit den Taliban veranstaltet hatte, als diese gegen die Sowjets aufgerüstet wurden? Während jene abziehen mussten, wurden diese so stark, dass der 9. September folgen konnte und mit NSA ein Überwachungsmechanismus möglich wurde, der allen Vorstellungen von Demokratie und Freiheit spottet. Jetzt wird eine Zehnjährige eingesperrt wie ein Schwerverbrecher und ohne Beistand verhört.  Das nenne ich unsittlich berührt! Das nenne ich Missbrauch! Anstatt sich zu entschuldigen bereitet man eine Anklage vor, um den Seelenmord zuverlässig zu vollenden. Und am Sonntag gehen die Protagonisten dieses Wahns alle in die Kirche, zusammen mit George W. Bush und beten um eine Vergebung, die, wenn es nach der Schrift geht, nimmer erteilt werden kann. Sie werfen nicht nur den Ersten, sondern jeden greifbaren Stein und verdrängen in ihren Hochmut, der bekanntlich vor dem Fall kommt, dass dies nur den Unschuldigen unter ihnen erlaubt gewesen wäre.  Dann jährt sich noch die berühmte Rede des wahren Friedensnobelpreisträgers Martin Luther King, und die größtmögliche präsidiale Enttäuschung – gemessen an der Erwartung – steht am Rednerpult und gedenkt. Was für Berater hat dieser Mann?  America the beautiful… the land of the free and the home of the brave? Ich fasse es nicht.

P. S. Nach Snowden scheint es angebracht, am Schluss eines Artikels mit doch kritischem Inhalt über die USA, ein paar freundliche Grüße an die Mitarbeiter der NSA anzuhängen, was hiermit geschieht.


Notizen zur Zeit. “Gescheite Kamera” und : Wer fragt, muss raus !

24. August 2013 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Spiegel online 21.8.2013

Bayern: CSU-Fraktionsvize gönnt sich eine Luxuskamera

CSU-Fraktionsvize König: „Gescheite Kamera“ abgerechnet

Kaum ist die Verwandtenaffäre ausgestanden, da ist schon wieder Alarm bei der CSU: Ein führender Christsozialer im bayerischen Landtag langte bei der Kostenerstattung für Kommunikationsgeräte ordentlich zu. Der Betroffene hält alles für normal, Parteifreunde sind entgeistert.

Etwas Solides sollte es sein, eine Kamera, auf die man sich verlassen kann. Alexander König entschied sich für ein Modell der Firma Leica, bekannt für optische Geräte der Spitzenklasse. Der Preis für das Gerät, das der Fraktionsvize der CSU im bayerischen Landtag und Parlamentarische Geschäftsführer wählte: rund 6000 Euro. König zahlte nicht aus eigener Tasche. Vielmehr wurde der Kauf der „mandatsbedingten Aufwendung“ über die Kostenerstattung „für Informations- und Kommunikationseinrichtungen“ abgewickelt, die den bayerischen Parlamentariern in Höhe von 12.500 Euro pro Legislaturperiode zusteht. Die schöne Leica gab es für König damit    a u f   K o s t e n   d e s   S t e u e r z a h l e r s. (…)

Jetzt erscheint das Maximilianeum wenige Wochen vor der Landtagswahl ein weiteres Mal in einem äußerst ungünstigen Licht. Schon wieder geht es um Fälle, bei denen die Grenzen zwischen ordnungsgemäßem Verhalten und Selbstbedienung fließend sind. Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) will die Namen der betroffenen Abgeordneten zunächst nicht veröffentlichen, sondern Erklärungen der Parlamentarier einholen. Unklar ist deshalb weiterhin, welcher Parlamentarier es für nötig hielt, sich für eine 2 , 5 – s t ü n-     d i g e   S c h u l u n g  i n  d e r   S  ch w e i z   H o t e l k o s t e n  erstatten zu lassen. Oder welcher Abgeordnete s e c h s Rechnungen für die Beschaffung von „Informations- und Kommunikations –   einrichtungen“ einreichte – davon waren   f ü n f  Rechnungen  ü b e r    r u n d    3 9 0 0    E u r o    a n   e i n e   F i r m a   a d r e s s i e r t ,     “ d e r e n     G e s c h ä f t s f ü h r e r    d e r    A b g e o r d n e t e        s e l b s t   i s t „, wie es im Bericht des Rechnungshofs heißt.

Vor allem die CSU hat jetzt ein Problem

König sah sich offenbar aufgrund von Recherchen mehrerer Zeitungen gezwungen, den Kauf einzuräumen. Er habe sich r e g e l m ä ß i g  über d e f e k t e   k l e i n e   F o t o a p p a r a t e  geärgert und beim Landtagsamt  nachgefragt,  ob  er  sich  über die  Pauschale auch eine “ g e s c h e i t e “ Kamera kaufen könne, sagte König der Nachrichtenagentur dpa. Dies sei bejaht worden. Nicht nur König hat jetzt ein Problem, sondern vor allem auch die CSU: Erneut steht ein Vertreter der Christsozialen als Raffke da – und genau diesen Eindruck wollte die Partei unbedingt vermeiden, nachdem sie bereits vor wenigen Wochen in der Verwandtenaffäre ziemlich schlecht ausgesehen hatte. Nicht nur der inzwischen abservierte Fraktionschef Georg Schmid hatte eine Übergangsregelung genutzt, um seine Frau mit einem lukrativen Bürojob auf Steuerzahlerkosten zu versorgen, auch  s e c h s   K a b i n e t t s m i t g l i e d e r  waren verwickelt. Zwar gab es einen ähnlichen Fall in der SPD, aber keine andere Partei steckte so tief in der Affäre wie die CSU. (…)

Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge gilt die Kritik des Rechnungshofs weiteren CSU-Parlamentariern. So habe ein Christsozialer in den vergangenen  Jahren  s e i n e   k o m p l e t t e      M i t a r b e i t e r p a u s c h a l e  an eine Rechtsanwaltskanzlei überwiesen, die  v o n  i h m   s e l b s t  gegründet worden sei.(…) CSU-Fraktionschefin Christa Stewens hatte am Dienstag betroffenen Abgeordneten nahegelegt, sich mit einer E n t s c h u l d i g u n g  an die Öffentlichkeit zu wenden. Alexander König betonte zuletzt, seine Abrechnungen mit dem Landtagsamt seien in Ordnung. Er habe den Sachverhalt gegenüber der Nachrichtenagentur dpa vollständig erläutert, teilte der 52-Jährige SPIEGEL ONLINE schriftlich mit. „Mehr weiß ich dazu nicht zu erklären.“

Kölner Stadtanzeiger 27.8.2013

Seehofer attackiert den WDR

Knapp drei Wochen vor der Landtagswahl attackiert CSU-Chef Horst Seehofer den WDR. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Würzburg wollte Landtagspräsidentin B a r b a r a  S t a m m  (CSU) Fragen eines ARD-Fernsehteams zur Verwandtenaffäre im bayerischen Landtag nicht beantworten, wie die „Main-Post“ (Montag) berichtete. S t a m m   f ü h l t e   s i c h  von den Reportern der WDR-Sendung „Monitor“  b e d r ä n g t   u n d   i n f o r m i e r t e  CSU-Chef Horst S e e h o f e r . Der erklärte dem „Main-Post“-Bericht zufolge anschließend: „Das geht so nicht. (…) D i e  m ü s s e n   r a u s  aus Bayern.“

 

Woraus  zum Teufel speist sich bloß diese Politikverdrossenheit? Wer nix weiß, hat nix zu erklären.  Fragen bleiben per ordre mufti unbeantwortet. Eine Entschuldigung wird nahe gelegt, greift aber bei weitem zu kurz. Die Dicke des Brettes vor dem Kopf, lässt auf den beklagenswerten Zustand dahinter schließen. Es kann im Zweifelsfall nur schlimmer kommen. Ein Wulff hätte dreimal gehen müssen. Bleibt die Frage : Macht das Leben in den Wirtshäusern und um sie herum wirklich so blöd, dass die CSU am 15. September wieder mit 50 % rechnen darf? Wetten dazu werden nicht angenommen, die Quote wäre zu schlecht. Noch benötige ich kein Visum für Bayern, würde wohl auch keines erhalten.