Notizen zur Zeit. Eigentlich sollte nur das Volk … . Von Jean Paul Richter
26. Januar 2012 | Kategorie: Artikel, Jean Paul, Notizen zur ZeitAnlässlich der großen Stunde des deutschen Parlamentes, das den Einsatz in Afghanistan unter gebetsmühlenartigem Ableiern der unfrommen Lüge verlängerte, dass dort alles bereits viel besser sei, man schließlich auf der Seite des afghanischen Volkes stehe und getragen von der blinden Zuversicht, es werde nicht so schlimm kommen, wie es längst schon ist; anlässlich der Tatsache, dass die Vertreter des Volkes das selbstredend nicht für sich persönlich beschlossen, sondern stellvertretend nur für die Soldaten, die am Hindukusch seit zehn Jahren die Freiheit unter anderem des Herrn Struck verteidigen müssen und die der Mandatsverlängerung vermutlich nicht zugestimmt hätten, da keines der „Kriegsziele“ erreicht wurde und erreicht werden wird; anlässlich der bedeutungsschweren Stunde, da über Leib und Leben immer der Anderen, sowohl der Täter als auch der Opfer, der Krieg weiterhin verhängt wurde; anlässlich dieser traurigen Stunde, da nämlich das Gewissen, auf welches die Abgeordneten im Parlament sich zu berufen geruhten, allein durch die Worte des Herrn Ströbele sich vertreten sehen konnte, seien zwei Kapitel aus alter Zeit zitiert und jenen ins Stammbuch geschrieben, die mit dem Retortenwort „alternativlos“ neuerdings jede Schweinerei glauben rechtfertigen zu können, was nichts anderes beschreibt als eine zivilisierte Form der Menschenverachtung; denn das Land, in das man den Soldaten schickt, wird nicht dasselbe bleiben, und der Mensch, den man schickt, wird nicht derselbe sein, der zurückkehrt. Jean Paul schrieb die Erziehlehre seinerzeit zwar für Fürsten, aber es spräche für Phantasiearmut würde man nicht in den Wirtschaftsbossen und Politkern der Jetztzeit ohne Mühe ihre der Erziehung bedürftigen Nachfolger sogleich erkennen, ungemein erleichtert durch das Trio infernale: Bush, Cheney, Rumsfeld. W.K. Nordenham (Hervorhebungen im Folgenden durch mich)
Jean Paul Richter: Levana oder Erziehlehre – Kapitel 44
Werden Sie gleich mir eine Friedenpredigt vor dem Kriege an den Fürsten, der eben den Brandbrief zum Kriegsfeuer hinwerfen will, etwa so halten: »Bedenk es, ein Schritt über dein Grenzwappen verwandelt zwei Reiche, hinter dir verzerrt sich deines – vor dir das fremde. – Ein Erdbeben wohnt und arbeitet dann unter beiden fort – alle alte Rechtsgebäude, alle Richterstühle stürzen, Höhen und Tiefen werden ineinander verkehrt. – Ein jüngster Tag voll auferstehender Sünder und voll fallender Sterne, ein Weltgericht des Teufels, w o d i e L e i b e r d i e G e i s t e r r i c h t e n, d i e F a u s t k r a f t d a s H e r z . Bedenk es, Fürst! Jeder Soldat wird in diesem Reich der Gesetzlosigkeit dein gekrönter Bruder auf fremdem Boden mit Richtschwert, aber ohne Waage und gebeut unumschränkter als du; jeder feindliche Packknecht ist dein Fürst und Richter, mit Kette und Beil für dich in der Hand! – Nur die Willkür der Faust und des Zufalls sitzt auf dem Doppelthrone des Gewissens und Lichts. – Zwei Völker sind halb in Sklavenhändler, halb in Sklaven verkehrt, unordentlich durcheinander gemischt. – Für höhere Wesen ist das Menschenreich ein gesetz- und gewissenloses, taubblindes Tier- und Maschinenreich geworden, das raubt, frisst, schlägt, blutet und stirbt. – Immerhin sei du gerecht, du lässest doch durch die erste Manifestzeile wie durch ein Erdbeben die gefesselte Ungerechtigkeit aus ihren Kerkern los! A u c h i s t j a d i e W i l l k ü r s o h e r g e b r a c h t g r o ß , d a s s d i r k l e i n e r e M i s s h a n d- l u n g e n g a r n i c h t , u n d g r o ß e n u r d u r c h i h r e W i e d e r h o l u n g v o r d i e O h r e n k o m m e n . Denn die Erlaubnis, zugleich zu töten und zu beerben, schließt jede kleinere in sich. Sogar der waffenlose Bürger tönt in die Miss- und Schreitöne ein, vertauschend alle Lebenspläne gegen Minutengenuss und ungesetzliche Freiheit und von den befreundeten Kriegern als ein halber, von den anfeindenden als ein ganzer Feind behandelt und aufgereizt. Dies bedenke, Fürst, bevor du in die Heuschreckenwolke des Kriegs alles dein Licht verhüllst und in dein bisher so treu verwaltetes Land alle Krieger eines fremden zu Obrigkeiten und Henkern einsetzest, oder deine Krieger ebenso ins fremde!« (Dies hat Karl Kraus sowohl vorgelesen als auch in DIE FACKEL Nr. 443-444 , 1916 veröffentlich.)
Jean Paul Richter: Levana oder Erziehlehre – Kapitel 45
E i g e n t l i c h s o l l t e n u r d a s V o l k – dies könnte man wenigstens einem Erbprinzen erziehend sagen – ü b e r d e n K r i e g m i t e i n e m a n d e r n , d. h. über die Rückkehr in den e r s t e n N a t u r s t a n d, besonders da nur dessen harte Früchte, nicht dessen süße auf dasselbe fallen, a b z u s t i m m e n h a b e n , ob es sich als Totenopfer dem Gewitter und Sturm des Krieges weihe, oder nicht. Es ist schreiend gen Himmel, der noch nicht hört: dass ein Fürst für den Witzstich eines andern Fürsten zwei Völker unter die Streitaxt treiben darf. Man schaudert in der neuern Geschichte über die kleinen Zündruten der Kriegsminen; wie eine Weiber-Stecknadel, ein Gesandtenfinger oft der Leiter eines länderbreiten Gewitters geworden. Wenigstens sollte der Krieg der neuern Zeiten nur die Krieger treffen, nicht die entwaffneten Stände. Sobald der tätigere Anteil der letzten jene beeinträchtigt, z. B. Schießen aus Häusern: so berufen sie sich gern auf das Recht einer Absonderung und bestrafen und bekriegen zugleich; warum soll dann aber der wehrlose Stand ohne die Vorteile doch alle Leiden des bewehrten, die der Plünderung, Gefangennehmung u. s. w., teilen? – Von drei Zeiten muss einmal nach dieser schlechten vierten eine oder jede kommen, damit die Zukunft die Vergangenheit entsündige: dass es entweder Seekriege ohne Kaperbriefe gibt, und zum Landkrieg man sich, als zu einem vielstimmigen und vielhändigen Zweikampfe, in eine Wüste bestellt – oder dass wieder, wie in eingesunknen oder aufgeflognen Republiken, jeder Bürger Soldat, folglich jeder Soldat auch Bürger ist – oder endlich, dass vom Himmel die ewige Frieden-Fahne herunterflattert und über die Erde im Äther weht. –
Mir ist, als wenn Sie oder einer Ihrer Freunde einmal die Geschichte – diesen langen Kriegsbericht und Bulletin der Menschheit – für eine Kriegsansteckung junger Fürsten erklärt hätten. Fast aber wollt‘ ich ihr die Heilung von der Kriegslust anvertrauen. Karl XII. von Schweden wurde schwerlich bloß durch Curtius‘ Leben des Alexanders ruhm- und länderdurstig, da Alexander selber es gewesen, ohne seinen Biographen gelesen zu haben; wie auch Cäsar, der von Curtius nichts gekannt als dessen Helden. An der Geschichte lässt sich eben die Anker- und Klingenprobe des See- und Landkriegsschwertes machen. Sie allein zeigt dem ruhmdürstigen Prinzen, wie wenig bloße Tapferkeit auslange zum Ruhm. D e n n a u f d e r E r d e i s t e i n f e i g e s V o l k n o c h s e l t e n e r a l s e i n k ü h n e r M a n n ; welche Völker der alten und neuen Zeit waren nicht tapfer? Jetzo z. B. fast ganz Europa, die Russen, Dänen, Schweden, Österreicher, Sachsen, Engländer, Hessen, Franzosen, Bayern und Preußen. – Je tiefer Roms freier Geist einsank, desto wilder und kräftiger hob sich der tapfere empor; Katilina, Cäsar, August hatten siegende Knechte. Die häufige Bewaffnung der alten Sklaven (wie in der neuern die der Bettler) beweiset gegen den Wert der gemeinen Faust- und Wunden-Tapferkeit. Der Athener Iphikrates sagte: raub- und lustgierige Soldaten sind die besten; und der General Fischer setzte dazu: Landstreicher. – Kann ein Fürst in die Nachwelt mit nichts als mit den schönen Tigerflecken der Eroberer strahlen wollen, womit ihn die Timurs, Attilas, Dessalines und andere Geißeln Gottes oder Knuten des Teufels überbieten? – Wie kalt geht man in der Geschichte über die unzähligen Schlachtfelder, welche die Erde mit Todes-Beeten umziehen! Und mit welchen Flüchen eilt man vor der Krone vorüber, welche, wie sogenannte Ajüstagen oder Blechaufsätze nur auf dem fortsprützenden Wasserstrahl der Fontänen, ebenso nur auf empor- springenden Blutströmen in der Höhe sich erhalten! Wo aber einige Helden davon ein ewiger Nachschimmer überschwebet, wie Marathons Ebene, Thermopyläs Tiefe: da kämpften und opferten andere Geister; – himmlische Erscheinungen, der Freiheit-Mut. U n d w e l c h e r E i n z e l n e i n d e r G e s c h i c h t e g r o ß d a s t e h t u n d i h r e R ä u m e er f ü l l t , d e r t u t e s n i c h t a u f e i n e r P y r a m i d e v o n T o t e n k ö p f e n a u s S c h l a c h t e n , s o n d e r n e i n e g r o ß e S e e le s c h w e b e t , w i e di e G e s t a l t e i n e r ü b e r i r d i s c h e n W e l t , v e r k l ä r t i n d e r N a c h t u n d b e r ü h r t S t e r n e u n d E r d e .