Sein oder Design ist nicht mehr Frage, sondern schon Antwort. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt.

Notizen zur Zeit: Warum posthum Genscher, Herr Steinmeier? Von W.K. Nordenham

27. April 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit, Was ein Mensch wert ist

Neue Züricher Zeitung

«Colonia Dignidad» in Chile

Deutscher Aussenminister gibt Akten zu Auswanderer-Siedlung vorzeitig frei

26.4.2016, 15:53 Uhr

(dpa)Das deutsche Auswärtige Amt gibt seine Akten über die berüchtigte frühere Deutschen-Siedlung «Colonia Dignidad» in Chile vorzeitig für die Öffentlichkeit frei. Das kündigte Aussenminister Frank-Walter Steinmeier in Berlin an. Normalerweise wäre das Material noch bis zu zehn Jahre unter Verschluss geblieben. Zugleich gab Steinmeier zu, dass die deutsche Diplomatie zu wenig unternommen habe, um den Opfern der «Colonia Dignidad» zu helfen.Die Siedlung liegt etwa 350 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago und war Anfang der 1960er Jahre von deutschen Auswanderern gegründet worden. Ihr Anführer Paul Schäfer machte daraus eine Art Sekte, deren Grundstück mit Stacheldraht abgeriegelt wurde. Ohne Schäfers Erlaubnis durfte niemand das Lager verlassen. Während der chilenischen Militärdiktatur (1973-1990) wurde dort auch gefoltert.

Hochanständig, dass die dpa den vielfachen Kindesmissbrauch Paul Schäfers unerwähnt lässt und sein Terrorregime als eine Art Sekte verniedlicht. Was treibt das Auswärtige Amt die Akten jetzt freizugeben? Liegt es an dem in Kürze erscheinenden Kinofilm über Colonia Dignidad, der das komplette Versagen der deutschen Botschaft aufzeigt? Auch wegens des Todes von  Hans Dietrich Genscher fällt der Zeitpunkt der Freigabe der Akten  günstig, soeben posthum. Ein Zufall? Verantwortlicher Außenminister für „die deutsche Diplomatie“ war von  1974 bis 1992 mit Unterbrechung von einem halben Jahr nämlich Hans Dietrich Genscher, einer deutschen Diplomatie, die laut Steinmeier „zu wenig unternommen“ habe. Dem muss in anderem Sinne widersprochen werden, denn sie hat einiges unternommen um den Sachverhalt zunächst konsequent zu verschleiern. Nett, wenn man sich dann mit dem Begriff „deutsche Diplomatie“  so mir nichts dir nichts in Anonymität flüchten kann. Gerade trug man noch die ganze Verantwortung, einen Moment später, wenn sie übernommen werden soll, weiß man von nichts. Ist der Wind vorbei, dann trägt man sie wieder, wie einen Hut, den man nach gusto aufsetzt. Es macht nämlich einen Unterschied, ob die Verantwortung bloß wichtig herumgetragen und vorgezeigt wird oder ob man sie tatsächlich annimmt, sich zu ihr bekennt. Es ist der zwischen Charakter und Chuzpe, zwischen Sein und Schein und viel zu oft zwischen Leugnen und Schuld. Der da 1989 in Prag auf dem Balkon der Botschaft stand, wusste von der Colonia Dignidad schon früh. Amnesty International und die UNO berichteten seit 1977 über das deutsche Folterlager in Chile. Bis 1985 geschah trotz etlicher Hinweise nichts. Erst danach gab es die seit Jahren überfälligen Interventionen, wenigstens dann, wenngleich mit schmalem Erfolg. Aber da waren hundert weitere Kinder dem Schänder Paul Schäfer zum Opfer gefallen. Sein ärztlicher Mittäter war der Arzt Hartmut Hopp, der wegen Beihilfe zum Kindesmissbrauch von einem chilenischen Gericht zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Er setzte sich nach Deutschland ab und lebt hier geschützt vom deutschen Staat. Ein Strafverfahren hier zieht sich  trotz unstrittiger Schuld seit 2015 diplomatisch hin.  Aber der deutsche Außenminister Genscher wusste 1977 auch von von einer jungen Frau in Argentinien in Folterhaft mit Namen E l i s a b e t h   K ä s e m a n n . „Ach, das Mädchen Käsemann“, soll Hans-Dietrich Genscher einmal bei einer Besprechung gesagt haben(1). Mehr nicht, das geriet zum Todesurteil. De mortuis nihil nisi bene, über die Toten nichts Schlechtes, aber es hätte dem Herrn Genscher mehr als gut angestanden, die causa Colonia Dignidad selbstkritisch zu bewerten und zu Lebzeiten das Versagen im Fall Käsemann  einzugestehen. An Versuchen, ihn zum Sprechen zu bewegen, hat es nicht gefehlt. Nicht nur den Triumph genießen, sondern auch das mea culpa aussprechen, es hätte mehr gewogen als ein halbes Dutzend Prager Balkons und eine Größe bewiesen,  zu der er offenbar unfähig war. So groß er schien, er hätte größer sein können. Wie üblich erblickte der große Moment ein kleines Geschlecht. Über die Schreckensherrschaft der Colonia Dignidad gibt es, wie oben angeführt, einen aktuellen Film von Florian Gallenberger. Das Martyrium von Elisabeth Käsemann wird beschrieben in dem deutschem Dokumentarfilm aus dem Jahr 2014 von Regisseur Eric Friedler “ Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?“

Die komplette Freigabe der Akten zu diesem Fall dürfte noch dauern, nachdem man schon den Dokumentarfilm darüber 2014 ministerlich-diplomatisch unbeschadet ausgesessen hat. Nunmehr wird eine sehr lange posthume diplomatische Anstandsfrist gewahrt werden. Darauf möchte ich wetten, Herr Steinmeier.

https://de.wikipedia.org/wiki/Colonia_Dignidad_%E2%80%93_Es_gibt_kein_Zur%C3%BCck

https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_K%C3%A4semann

http://www.welt.de/politik/deutschland/article128745445/Warum-rettete-Genscher-deutsche-Studentin-nicht.html

(1 ) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/die-bravouroese-ard-dokumentation-das-maedchen-12972669.html


Notizen zur Zeit: Ralph Giordano – Von der Aktualität eines besonderen Zeitgenossen. Von W.K. Nordenham

25. April 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Jetzt erst fiel mir Ralph Giordanos Buch  in die Hände über seinen Aufenthalt in Jerusalem im Jahre 1990, der ihn durch das ganze Land und auch in die besetzten Gebiete führte. Aber er spricht auch von arabischem Denken und erklärt uns damit gleichzeitig eine Geisteshaltung, die uns mit den Flüchtlingen soeben millionenfach erreicht. Die Hellsicht dieses Reiseberichtes mit dem Titel „Israel um Himmels Willen Israel“ ist von solcher Aktualität, dass ich mir mehrfach klarmachen musste: Dies ist ein Buch von 1991 und nicht 2016 und reicht von Israel bis zur aktuellen Weltpolitik. Man versteht die merkwürdige arabische Weltsicht von heute. Solche Hellsicht erscheint undenkbar ohne Wahrhaftigkeit. Das seinen Texten eigene Pathos bezeugt zudem seine Leidenschaft und spiegelt die Liebe zur Sache, eine Liebe und Leidenschaft, die in unbedingter Menschlichkeit wurzelte, einer für ihn unteilbaren „Humanitas“. Im Moment  erlaube ich mir ohne Genehmigung ein paar Seiten aus seinem Israelbuch von 1991 zu veröffentlichen und empfehle es als Lektüre jedem, der schon glaubt, etwas zu wissen.  Rita Süßmuth sagte 1990 in Jerusalem: “ Es wird kein Frieden sein in der Region, bis Israels Nachbarn aufhören es zu bedrohen.“ Das zitiert Ralph Giordano. Da geht es nicht nur um die Palästinenser und Israel, sondern um ganz Arabien und den Iran, also jene die schon 1948 den Staat für die Palästinenser über deren Kopfe hinweg abgelehnt haben und sie heute trotz ihrer Öl-Milliarden komplett allein lassen. EU und USA zahlen mehr als die Golfstaaten. Bemerkenswert Giordanos prophetische Analyse  des islamischen Fundamentalismus, der inzwischen die Welt erfüllt mit sinnlosen Mordtaten. Die menschlichen Opfer verfehlter Nahost-Politik gelangen in ihrer Not zu uns, aber sind sozialisiert in arabisch-muslimischen Raum. Da herrscht eine komplett andere Weltsicht. Diese in Richtung unseres Grundgesetzes zu ändern wird Hauptaufgabe einer Integration sein, die als solche von der Politik bisher kaum verstanden wurde und wird.  Das muss begriffen werden, darum der nachfolgende Text. Ralph Giordano verstarb 2014 in Köln. Am 20 März 2016  wäre er  93 Jahre alt geworden. Für sein Buch möchte ich werben.

Ralph Giordano „Israel um Himmels willen Israel“  Kiepenheuer&Witsch, 1991 und 2002  410 S. bzw. 416 S.

(…) Schon wenn westliche Politiker Gott anrufen, dreht sich mir der Magen um. Die Beschwörung Allahs jedoch und die Trommelei zum „Heiligen Krieg“ in den islamischen Gesellschaften verursacht mir eisiges Entsetzen. Die Aufforderung der schiitisch-iranischen Ayatollahs, den Schriftsteller Salman Rushdie eines Buches (1) wegen zu töten, und die weite Zustimmung, die sie auch unter Sunniten gefunden hat, werfen ein Schlaglicht auf eine Vorstellungswelt, die sich beliebig zum Herrn über Leben und Tod aufwerfen zu können glaubt und eine Kluft zur Weltgesittung aufreißt, die unschließbar scheint. Die Ursachen von Ohnmacht und Rückständigkeit werden immer woanders gesucht, nur nicht im eigenen Versagen, Selbstkritik ist unbekannt. Es sind immer der Kolonialismus und seinen Folgeprobleme, es sind, noch einmal, stets die anderen, die „Weißen“, die Europäer, die Amerikaner, die verantwortlich gemacht werden – alle Übel kommen von außen.

Ein weiteres Charakteristikum des Nahostkonflikt besteht darin, dass er nicht zwischen Demokratien ausgetragen wird, sondern die Feinde Israels Staatsformen und Geschichtsüberlieferungen repräsentieren, in denen Begriffe wie Menschenrechte, Wert des Individuums, gar der Frauen, Gleichberechtigung, Gedankenfreiheit, Säkularisierung Fremdwörter geblieben sind. Einheimische Einparteiendespotien, auf dem Reißbrett nach 1918  künstlich konstruierte Königreiche, mittelalterlichen Traditionen verhaftete Monarchien oder innenpolitisch dauergefährdete Ölscheichtümer, sie haben jede freie Entwicklung unterdrückt, ungeheure Mittel für Prestigebauten und gewaltige Armeen verschwendet und zu phantastischer persönlicher Bereicherung geführt. Dass sich dadurch die schweren sozialen Spannungen noch verschärften, bedarf keiner Erwähnung. Ohne den zionistischen Gegner wäre dieses Pulverfass wahrscheinlich längst in die Luft geflogen(2). So erkennbar die innenpolitische Funktion des sogenannten Antizionismus ist, von den arabischen Ländern dürfte sie bisher kaum erkannt sein.

Deshalb können politische, soziale, militärische Katastrophen in ihren Augen nur die Folge ausländischer Verschwörungen sein, werden also Missstände und Schlimmeres ganz selbstverständlich in die Verantwortung fremder Mächte delegiert(3). Ich sehe keine Möglichkeit die dortigen Verhältnisse zu verändern, ohne diese Weltsicht zu beseitigen, mag die Hilfe von außen noch so groß sein. Leider hindert ein tiefsitzendes schlechtes Gewissen die meisten Europäer dran, der arabischen Welt diese und andere traurige Wahrheiten vorzuhalten.

Zu ihnen gehört die weitverbreitete Abneigung, die Wirklichkeit unvoreingenommen wahrzunehmen und belastende Realitäten, die mit den eigenen Wünschen und Vorstellungen nicht übereinstimmen, anzuerkennen. Die Palästinenser haben dafür während  des Golfkriegs und danach erschütternde Beispiele (4) geliefert. Und es war dann Saddam Hussein selbst, der mit seiner durch nichts gedeckten Großmäuligkeit von der „Mutter aller Schlachten“ das geradezu klassische Beispiel arabischer Realitätsverweigerung geliefert hat. Diese Unfähigkeit trägt das ihre dazu bei, notwendige Wandlungen und Reformen zu behindern. Sie ist Bestandteil des Nahostkonflikts.(…)

Mehr und mehr entpuppt sich dabei als treibende Negativkraft ein bereits erwähnter religiöser Fanatismus, der sich als Renaissance des Islam ausgibt, realistisch gesehen aber nicht anderes ist als die wütende und fruchtlose Antwort auf eine schwere historische Enttäuschung – auf die fehlgeschlagene „Revolution der Erwartung“. Sie war Ausdruck eines kollektiven Aufbruchs in Asien, Afrika und Lateinamerika schon während de zweiten Weltkriegs, der dann aber noch verstärkt wurde durch die Sehnsucht ehemals kolonial unterdrückter Völker, das weiße Joch abzuwerfen, sozial, kulturell, national wie Phönix aus der Asche zu steigen, nach dem siegreichen Kampf gegen die weißen Drohnen in Licht, Glück und Wohlstand einzutauchen und alles zu überwinden, was sich dabei in den Weg stellte.

Es wurde nichts überwunden, wie schon ein erster Blick auf die zeitgenössischen Hunger-, Not- und Elendsszenarien der Dritten Welt erkennen lässt, und ich war in den vergangene dreißig Jahren in meiner Eigenschaft als Fernsehmann oft genug Zeuge der ebenso weltweiten wie herzzerreißenden Desillusionierung dort. Nahezu überall ist sie gescheitert, die „Revolution der Erwartung“, sind ihre wilden Hoffnungen und ihre verzückten Phantasien zerstört worden, auch in der arabischen Welt.

Die Enttäuschung darüber ist der Humus für Israels gefährlichsten Gegner, den islamischen Fundamentalismus (5). Er entspringt nicht historischer Stärke, wie damals, Mitte des 7. Jahrhunderts, als die Reiterscharen unter der grünen Fahne des gerade verstorbenen Propheten Mohammed aus der arabischen Halbinsel hervorbrachen und in unaufhaltsamem Siegeszug ganze Kontinente vom Indus bis zu den Pyrenäen eroberten. Was sich dagegen heute unter ständiger Berufung auf die einstige Größe als Wiedergeburt des Islam gebärdet, ist nicht als der Reflex auf die historische Schwäche der arabischen Welt, ist Schein und Vorspiegelung, ungedeckt durch reale Energien und die Gunst der geschichtlichen Stunde. Die Aufforderung des islamischen Fundamentalismus, zur Strenge der Frühzeit zurückzukehren, dient der Flucht aus diesseitiger Enttäuschung  in die Verheißung jenseitigen Glücks.  (…)

Das Symbol für die verhasste Überlegenheit aber, die tatsächlichen und die eingebildeten Demütigungen, die fremd- und selbstverschuldeten Untergänge, die schlimme Gegenwart und deprimierende Perspektive, das Symbol also für den „Westen“ und seine Hauptmacht USA, den „Großen Satan“- ist Israel. Das sind die größeren Zusammenhänge seiner Bedrohung durch die Araber.

Entgegen anderslautenden Zweckbeteuerungen, die sich während des Golfkriegs nur noch einmal als platonisch entpuppten, ist dem Judenstaat, mit der zerbrechlichen ägyptischen Einschränkung, von seinen Gegnern nie etwas anderes entgegengebracht worden als der gemeinsam arabische Wille zu seiner Vernichtung. Er ist die Ursache der israelischen Unnachgiebigkeit, der israelischen Angst. Ohne ihre Aufhebung wird es keine Lösung geben . (…)

Was sind das für Leute, die Flugzeuge vom Himmel herunterholen mit Menschen, die am israelisch-palästinensisch-arabischen Konflikt völlig unbeteiligt und also gänzlich unschuldig sind – wie jene Passagiere des PanAm Flugs 103 am 21. Dezember 1988 (6) über Lockerbie abstürzten? Was ist das für eine Mentalität, die sich da zum Scharfrichter über 271 Menschen machte und den Massenmord mit eigenen Problemen rechtfertigte? Was sind das für Leute, die während einer Flugzeugentführung den Leichnam des erschossenen Piloten aus der Maschine auf das Rollfeld klatschen ließen wie damals in Mogadischu? Oder die auf dem italienischen Kreuzfahrtschiff „Achille Lauro“ einen jüdischen Amerikaner, Leon Klinghofer, erst töteten und ihn dann mit seinem Rollstuhl ins Meer stießen? Was sind das für Leute, die tatsächliche oder angebliche Kollaborateure  auf der Westbank und im Gazastreifen  auf so grausame Weise langsam Glied um Glied sterben lassen, Kinder, Hausfrauen, alte  Männer, dass ich die Wiedergabe solcher Abschlachtungen (7) meinen Lesern nicht zumuten mochte?

Was sind das für Leute, die hoffen, dass die Intifada – ich weiß, wovon ich spreche – möglichst viele „Märtyrer“ hervorbringen wird? Was sind das für Leute, die in Tel Aviv und seinen Hotels nur deshalb nicht das geplante Blutbad anrichten konnten, weil die Motoren ihrer Schnellboote beim Angriff auf die Küste versagten? Was sind das für Leute, die aus der Tatsache, dass ihnen das eigene Leben gleichgültig ist, den Schluss ziehen, es anderen einfach nehmen zu dürfen? Und welchen Einfluss würden sie in einem Palästinenserstaat ausüben?

Das Elend der Palästinenser, in das ich tiefen Einblick nehmen konnte, muss gewendet, ihre Not beseitigt werden. Ich habe nichts davon vergessen, kein Wort und kein Bild ihres Leids. Gaza verfolgt mich bis in die Träume. Die Parole palästinensischer Selbstbestimmung steht auf der Welttagesordung, und von da kommt sie nicht eher herunter, bis sie durchgesetzt sein wird. (…)

Ich mache hier aus meinem Herzen keine Mördergrube, sondern erkläre meine tiefe Skepsis gegenüber der Friedensfähigkeit einer Organisation, deren Antlitz weit mehr geprägt ist von den Fraktionen der Terroristen als von allen anderen. Natürlich gibt es Differenzierungen, ich selbst habe gemäßigte Palästinenser kennengelernt, ja, Freunde unter ihnen gewonnen, wie dieses Buch ausweist. Aber nicht sie haben bisher das Feld beherrscht. Dennoch ist die PLO (8) die Vertretung der Palästinenser, und wie ich diese kennengelernt habe, werden sie an ihr festhalten.“

 

Anmerkungen von mir:

(1)  Soweit ich weiß, besteht  die Todes-Fatwa immer noch

(2)  Es ist in die Luft geflogen im arabischen Frühling, mündete in Autokratie in Ägypten, eine zerbrechliche Demokratie in Tunesien, EU/USA mit induziertes Chaos in Libyen und aus derselben Ursache einen andauernden Bürgerkrieg in Syrien.

(3) Aktuell sieht sogar ein Nicht-Araber wie Erdogan, immerhin Muslim, die EU am Werk, die Türkei unterdrücken zu wollen.

(4) Man erinnert sich Arafat umarmte Saddam Hussein und die Palästinenser standen auf ihren Hausdächern um den Untergang Israels durch Saddams mit Gas bestückte Raketen zu feiern.

(5) Inzwischen trifft  die ganze Welt der Wahnwitz des IS , Al Quaida,  lokal  Al Shabaab, Bokoharam, Jemaah Islamiah und ungezählter  muslimischer Mordbanden.

(6) Kürzlich der Abschuss einer russischen Maschine mit über dem Sinai. An Bord des Flugs Kogalymavia-Flug 9268  am 31. Oktober 2015 befanden sich 224 Personen (darunter 25 Kinder sowie sieben Besatzungsmitglieder).

(7) Hat Al Quaida und IS inzwischen massenhaft in Bildern nachgeliefert.

(8)  Die PLO lehnt Israel 2014 offiziell als Staat ab, will aber selbst einer sein. Hier die Quelle:

http://www.welt.de/politik/ausland/article125657136/Applaus-fuer-Ablehnung-Israels-als-juedischer-Staat.html

 

 

 


Notizen zur Zeit: Ralph Giordanos nicht gehaltene Rede aus 2007

25. April 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Ich hatte noch kurz vor seinem Tode mit Ralph Giordano wegen der Bitte um Veröffentlichung eines Textes in „DAS ROTE HEFT“ korrespondiert, der sich mit der freien Meinung beschäftigte.  Damals  schrieb ich an ihn:

„Die  Freiheit des Denkens und des freien Sprechens mit der Achtung vor dem Andersdenkenden kann nie zur Disposition stehen. Das erläutern Sie exemplarisch  in der Rede. In dem Zusammenhang  fällt mir  auf, das muslimische Themen, allein das kritische Nennen des Namens Mohammed, bei vielen Redakteuren schon Schüttelfrost auslösen. Kritische Briefe zu Islamterror im Sinne von Religionskritik finden keine Öffentlichkeit, wenigstens meine Briefe nicht. Ich denke, dass die Schere im demokratischen Kopf  des Redakteurs  bereits gut schneidet. Beinahe erschrak ich über den Gedanken, das ich Ihre Rede schon deshalb abdrucken müsste, um ein Zeichen für die Freiheit des Wortes zu setzen, ungeachtet des Inhaltes, der den Kern erfasst,  nämlich das Problem des reaktionären, religiösen Fanatismus. Dabei erscheinen mir die islamistischen Mörder als die Gefährlichsten, weil Entschlossensten. Es gibt da eine bemerkenswerte Verkehrung der Bedeutung des Wortes Märtyrer, von einem, der für den Glauben den Tod erleidet,  zu einem, der für den Glauben mordet. Und die Eltern der toten „Märtyrer“ , ihrer  Kinder sind darauf noch „stolz“.

Aber auch der  Mörder Rabins und die geistigen Brandstifter dahinter,  gehören zu den Verblendeten des Glaubens. Aber sie werden wenigstens nicht gefeiert wie die sogenannten Märtyrer. Falls es einen Gott gibt, was auch Jeshajahu Leibowitz nicht wusste und die Gebote gerade deswegen hielt, so wird jener sich kaum mit Mördern umgeben wollen. Warum leuchtet das Muslimen nicht ein? Vermutlich wurzelt das in derselben Untiefe, die in Kentucky die Kreationslehre der Bibel für verbindlich erklärt, und jüdische Siedler nach 2000 Jahren Land beanspruchen lässt, in dem inzwischen andere Menschen wohnen. Leibowitz sah übrigens die Gabe des gelobten Landes durch Gott als vor 5000 Jahren erfüllt an und lehnte eine aktuelle, zweite Aneignung ab, da nicht in der Thora vermerkt. Das muss irgendwie glöst werden. Aber ohne Toleranz und Freiheit auch des Wortes kann es kein Zusammenleben geben.

Ich gebe zu, für  einen Moment aus gewissermaßen einer „islamic correctness“ –   gefährlicher als die political correctness  –   in meiner Absicht gezögert zu haben,  Sie um Veröffentlichung zu bitten . Soweit haben es die Sirenen selbst bei mir schon gebracht, dass ich überlege, was ich noch tun und sagen darf,  weshalb ich  hiermit den Wunsch nach Abdruck  bekräftige. „

Die Erlaubnis für den Abdruck wurde damals erteilt. Ich bin übrigens für eine Moschee in Köln, meinetwegen auch ein große Moschee, und sie steht jetzt ja auch. Aber warum bezahlt und organisiert das der türkische Staat in Deutschlands Städten, wie auch in Duisburg oder anderswo?  Werden in der Türkei neue Kirchen genehmigt? Im Sinne einer Mogelpackung ja, vor über 4 Jahren für aramäisch-assyrische Christen in Istanbul. Aber nichts ist passiert außer Einsprüchen und Verzögerung. Man sollte in Köln mit der Öffnung der Moschee  so lange warten, bis die Istanbuler Kirche fertig ist. Das wär mal was, auch für die deutschen Muslime. Es spricht Bände für die Toleranzebene, dass die Demonstration damals 2007  aus „Sicherheitsgründen“ nicht stattfinden konnte. Man fürchtete den Mob säkularer und religiöser couleur. Was muss ein Mann wie Giordano gedacht haben?

Aus gegebenem Anlass, nämlich der zu bewältigenden Ankunft von mindestens einer Million muslimischer Flüchtlinge, sei  die Rede Ralph Giordanos nochmal ins Gedächtnis gerufen und der türkische Minsterpräsident Recip Tayyip Erdogan mit seinem Ausspruch:

»Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.«

Es gibt jedoch  eine Basis für Integration : Die uneingeschränkte Gültigkeit des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu jedem Zeitpunkt und für alle. Mehr wird nicht verlangt.  Der Islam als Glaube an  Allah steht dem nicht im Wege. Aber für einen Islam schon à la Erdogan,  mehr noch à la Muslimbruderschaft oder gar Wahhabismus/Salafismus kann deshalb hier kein Platz sein.  Die sollten in der Tat hingehen, wo das Recht und die „Freiheit“ so gehandhabt wird. Was hindert jene eigentlich zu gehen?  Ich habe meinen Koran in mehreren autorisierten Übersetzungen gut gelesen. Dabei lautet nach genauer Prüfung die wesentliche, hochmoralische Forderung, den rechten Glauben bei sich selbst zu suchen. Das ist die Aufgabe. Der Rest beschreibt Administration und Auslegung. Doch dafür gilt hier das Grundgesetz,  zu garantieren von Polizei, wirksam zu schützen von der Justiz, zu begleiten von Politik.  Die bisherige sogenannte Integration macht allerdings nicht viel Mut. Dennoch, unter diesen Prämissen kann man es schaffen. Es wohl besteht auch keine Wahl.

Hier noch einmal die  nicht gehaltene Rede Ralph Giordanos  aus 2007

Cicero   26. September 2007

Eigentlich wollte der Publizist Ralph Giordano auf einer zentralen Kundgebung am 11. September 2007 in Köln eine Rede gegen den Bau der geplanten Großmoschee halten. Die Demonstration wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Wir dokumentieren seine ungehaltene Rede.

Mitkämpferinnen und Mitkämpfer – deutsche, muslimische und andere, welcher ethnischen Herkunft auch immer!

Dies an den Anfang, in alle Ohren, die hören können, urbi et orbi – erstens: Falls sich Anhänger der „Pro-Köln“-Partei hierher verirrt haben sollten, können sie sich kategorisch aufgefordert fühlen, den Schauplatz auf das Schnellste zu verlassen und sich dahin zu verfügen, wo Rassisten, Ausländerfeinde, Neo- und Altnazis hingehören – auf den Kehrichthaufen der Geschichte! Ich komme auf diese parasitären „Bundesgenossen“ im Verlaufe meiner Rede noch zurück – so leicht wollen wir diese falschen Fuffziger für ihre braunen Anschleimungsversuche nicht davonkommen lassen.

Zweitens: Hier ist kein Haufen von Türkenschrecks zusammengekommen, keine Horde von Anti-Muslim-Gurus, und zum Bürgerkrieg ist auch nicht aufgerufen worden. Wir sind hier angetreten, um auf ein schwerwiegendes Problem der deutschen Innen- und Außenpolitik hinzuweisen, das seit Jahrzehnten regierungsübergreifend von den Politikern unter der Decke gehalten, geleugnet, verdrängt oder geschönt worden ist: auf das instabile Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Minderheit, vorwiegend türkischen Ursprungs. Es rührt an die Grundfesten unserer demokratischen Gesellschaft.

Noch war der erste Pulverdampf des Kampfes um den Bau einer zentralen Großmoschee in Köln-Ehrenfeld nicht ganz verflogen, da meldete sich auch schon eine spezifische Furcht von bundesweiten Ausmaßen – die Furcht vor einer schleichenden Islamisierung unseres Landes. Sie ist nur zu begründet – lokal, national und international.

Mein öffentlicher Vorstoß gegen den Bau der Moschee vom 11. Mai 2007 in einem vom Kölner Stadtanzeiger initiierten Streitgespräch mit einem Funktionär der Ditib hatte offenbar vielen aus der Seele gesprochen. Anders ist die geradezu sturzflutartige Medienlawine nicht zu erklären, die aufdeckte, wie virulent, überall gegenwärtig und hoch bewusst da etwas vor sich hin geschwelt hat, was von der Politikerklasse über Jahrzehnte hin regierungsübergreifend sträflich verdrängt, hartnäckig geleugnet und immer wieder geschönt worden ist. In Hunderten und Aberhunderten von Briefen, Faxen und Telefonaten an mich hieß es, so einheitlich wie bestürzend: „Wir stehen hinter Ihrer Kritik, wagen aber nicht, es auszusprechen, weil wir dann in die falsche, die neonazistische Ecke gestellt werden, wo wir nicht hingehören…“

Auf der ganzen Linie also Triumph des niederträchtigsten aller niederträchtigen Totschlagargumente der „political correctness“: „Wer gegen die Moschee ist oder am Islam Kritik übt und das laut sagt, besorgt die Sache der Nazis von heute.“ Genau in diese Ecke sollen auch unsere Veranstaltung, ihre Organisatoren und ihre Redner gestellt werden, genau damit sollten auch wir erpresst werden. Darauf eine klare, unmissverständliche Antwort: Man braucht, verdammt noch mal, kein Überlebender des Holocaust zu sein, um mit bürgerlichem Selbstbewusstsein deutschen Diffamierungsversuchen und muslimischer Drohung couragiert die Stirn zu bieten (sage ich, der gerade im Fadenkreuz beider steht).

Ein Wort zu meinem persönlichen Strauß mit „Pro Köln“. Als die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Partei mich mit der Losung „Giordano auf Pro-Köln-Kurs“ zu vereinnahmen suchte, nannte ich sie „die lokale Variante des zeitgenössischen Nationalsozialismus, die, wenn sie könnte, wie sie wollte, mich in eine Gaskammer sperren würde.“ Was die braune Truppe veranlasste, mit einem Verfahren zu drohen, dem ich, falls es zustande käme, mit freudiger Erregung entgegensehe. An meiner politischen Charakteristik jedenfalls hat sich nichts geändert.
Zur lokalen Dimension: Der wahre Bauherr der zentralen Großmoschee in Köln-Ehrenfeld ist, über ihren verlängerten Arm Ditib, die Religionsbehörde Dyanet in Ankara. Dort ist das Projekt ausgeheckt worden, für mich von Anfang an ein Zeichen der Landnahme auf fremdem Territorium, das Symbol einer integrationsfeindlichen Identitätsbewahrung, eine Kriegserklärung. Das einzig Gute an diesem einen verräterischen Schritt zu weit nach vorn: das durch Fehleinschätzung der Reaktionen unfreiwillige Bekenntnis zu den wahren Absichten hinter der Fassade. Sollte der Bau in seiner jetzigen Gigantomanie tatsächlich hochgezogen werden, so geschähe das gegen den erklärten Willen einer nicht unbeträchtlichen Bevölkerungsmehrheit.
Zur nationalen Dimension: Vor uns liegt der Scherbenhaufen einer Immigrationspolitik, die sich zäh geweigert hat, Deutschland zu einem Einwanderungsland zu erklären und es mit den entsprechenden Gesetzen und Regularien auszustatten. Über Jahrzehnte hin gab es deutscherseits nichts als Hilflosigkeit, Konfliktscheue und falsche Toleranz, das ganze Arsenal gutmenschlicher „Umarmer“: verinnerlichte Defensive christlicherseits bei den sogenannten „interreligiösen Dialogen“; verheerende Nachsicht der Justiz bei Straftaten, bis in den Versuch, Teile der Scharia in die deutsche Rechtsprechung einzuspeisen; überängstliches Vorgehen und wehrloses Wegschauen von Polizei und Verfassungsschutz auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik; beängstigende Reserve gegenüber islamischen Organisationen, die den Terror unterstützen, wie auch gegenüber Plänen für eine schleichende Umwandlung westlicher Staaten in eine islamische Staatsform.

Hier ein paar Zitate aus einigen der unzähligen Briefe gleichen Tenors: „Ich bin entsetzt über Politiker der 68er-Generation, die in meinen Augen blauäugig und in falschem weich gespülten Toleranzgebaren einer hoch aggressiven Religion die Hand reicht, ohne die Dynamik dieser Glaubensgemeinschaft einschätzen zu können.“ Eine andere: „Ich bin entsetzt über Politiker, die sich auch aus intellektueller Bequemlichkeit weigern, eine entschiedene Auseinandersetzung mit islamischen Vertretern zu führen.“

Und eine dritte: „Mir macht Islam erhebliche Angst, besonders als Frau stößt mich diese Religion mit ihrem autoritären patriarchalischen Ehrbegriff ab. Mehr Angst aber noch machen mir Politiker, die ihre Denkmuster von Toleranz und Antirassismus heute nicht einer Neudefinition unterziehen. Nur wenige ihrer Vertreter sind in der Lage, die intellektuellen Wertmesser ihrer Jugend infrage zu stellen.“

Die hartnäckigen Versäumnisse hatten nach dem Zustrom vorwiegend türkischer „Gastarbeiter“ der 60er- und 70er-Jahre eine gewaltige Zuwanderungswelle zur Folge gehabt. Was dann nahezu unkontrolliert und in philanthropischer Furcht vor dem Stempel „Ausländerfeindlichkeit“ nachströmte, waren Millionen von Menschen aus einer gänzlich anderen Kultur, die in nichts den völlig berechtigten Eigennutzinteressen des Aufnahmelandes entsprachen, ohne jede Qualifikation waren und nur bedingt integrationsfähig und -willig. Und dazu gewaltige Belastungen der Sozialkassen.

Das Ergebnis im Spiegelbild der Gegenwart: 40 Prozent der türkischen Jugendlichen sind, primär bedingt durch mangelnde Sprachkenntnisse, ohne Schulabschluss, also beruflich und sozial ausgegrenzt. Was heißt, dass die Sprachdefizite vor allem der Mütter inzwischen in die dritte Generation der Kinder weitergegeben worden sind, ohne dass eine Änderung dieser Situation in Sicht ist. Zumal nach wie vor den weiblichen Mitgliedern eines religiös dominierten Kulturkreises die Teilnahme am sozialen Leben der deutschsprachigen Mehrheit versagt bleibt. Erschreckenderweise deuten viele Anzeichen darauf hin, dass die dritte Generation islamischer denkt als ihre Eltern und Großeltern und dass ein Teil von ihnen anfälliger ist für radikale Ideen als diese.

Nicht dass es keine Beispiele gelungener Einordnung in die Mehrheitsgesellschaft gäbe – es gibt sie. Nur: Exemplarisch werden sie auch dadurch nicht, dass türkische Verbände immer wieder versuchen, die Ausnahme zur Norm zu erklären.

Die erste, unbequeme und für beide Seiten schmerzhafte Wahrheit ist: Die Integration ist gescheitert! Und die „Parallelgesellschaften“ sind der deprimierende Ausweis dafür. Es sind türkische Kritikerinnen und Kritiker, die uns authentisch berichtet haben von einem Alltag der Unterdrückung, der Abschottung, der Ausbeutung, der Zwangsehe und der Gefangenschaft muslimischer Frauen und Mädchen als Norm, bis hinein in die namenlose Perversität der sogenannten „Ehrenmorde“.

Wir müssen lernen, die Dinge beim Namen zu nennen, sowohl was die deutschen Defizite im Verhältnis von Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Minderheit betrifft als auch die nicht hinnehmbaren Akte von türkischer Gewaltkultur, Nationalismus, Fundamentalismus und öffentlichem Siegergebaren mit der Drohung demografischer Expansion. Der Stand der Dinge zwischen Mehrheitsgesellschaft und muslimischer Minderheit ist ungefestigt. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, was sein würde, wenn die beiden von Muslimen gelegten Kofferbomben in Köln gezündet hätten, mit vielen Toten und Verletzten. Es bleibt nichts als die Hoffnung, dass dieser Fall nicht eintritt. Denn erreichte uns der Terror ohne sichtbare Fortschritte bei der Integration, würden der Republik Erschütterungen von bisher unbekannten Ausmaßen ins Haus stehen.

Sowenig wie die muslimische Minderheit unter Generalverdacht gestellt werden kann, so wenig kann ihr ein Blankoscheck für Wohlverhalten überreicht werden. Wenn ihre Mehrheit denn ein friedliches Leben will (und davon ist auszugehen), so wäre sie gut beraten, das unmissverständlich zu bekunden, und zwar so oft die Lage es erfordert. Solche Proteste hat es gegeben, keineswegs aber schon in der Lautstärke, die die Voraussetzung für ihre Glaubwürdigkeit wäre.

Lassen Sie mich noch ein Wort sagen zu der höchst zwielichtigen Rolle der geradezu inflationär emporschießenden türkisch-muslimischen Migrantenverbände in Deutschland, allen voran die am Tropf der türkischen Religionsbehörde Diyanet hängende Ditib, die Türkisch Islamische Union der Anstalten für Religion e.V. Obwohl sie dauernd ihre Treue zum Grundgesetz beteuert, hielte ihr vorgegebenes laizistisches Islamverständnis einer näheren Prüfung nicht stand. Türkische Kritiker halten sie für von radikal-nationalistischen Organisationen unterwandert und nennen Querverbindungen zu Verbänden und Parteien, die statt auf Integration auf kulturelle Identitätsbewahrung der Immigranten und ihrer Nachkommen hinarbeiten. Dazu wird bekannt, dass Ditib-Imame eine Sonderausbildung erhalten, die den Völkermord an den Armeniern 1915/16 im türkisch-osmanischen Reich zu einem „Mythos“ erklärt – „Auschwitz-Lüge“ auf Türkisch.

Was wissen wir von der Tätigkeit der vielen zugewanderten international-islamistisch orientierten Funktionsträger innerhalb der nicht mehr zu zählenden Verbände? Und wie ehrlich können denn Bekenntnisse zu den Prinzipien der säkularen Demokratie sein, wenn es doch die Taqiyya gibt – also die ausdrücklich religiös sanktionierte Erlaubnis zu Täuschung und Verstellung in der Auseinandersetzung mit „Ungläubigen“? Nirgendwo bin ich auf mehr Unfähigkeit zur Selbstreflexion, zu Selbstkritik und Selbstironie gestoßen als in diesen Kreisen, dafür aber auf einen Dauerzustand nervösen Beleidigtseins, das seine Sensibilitäten zur letzten Instanz machen will.

Buchstäblich rot sehe ich auch, wenn die Ditib und andere Verbände wieder einmal penetrant auf Religionsfreiheit pochen – womit ich die Religionsfreiheit hier nicht aufgehoben wissen will, wohl aber darauf hinweise, um wie viel glaubwürdiger diese Berufung wäre, wenn auch nur die kleinsten parallelen Bemühungen für Religionsfreiheit in der Türkei erkennbar sein würden. Sie sind es nicht.

Da wird ein Prinzip sichtbar, das über allen Aktivitäten muslimischer Verbände steht, eingeschlossen den „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZDM) oder die „Islamische Gemeinschaft in Deutschland“ (IGD): zu fordern, fordern, fordern, ohne jeden Sinn für eine Bringschuld.

Zur dritten, der internationalen Dimension: Die unbequemste, ja, bedrohlichste Frage unter all den unbequemen und bedrohlichen Fragen lautet: Ist Islam reformierbar, modernisierbar? Sind er und die Scharia, das islamische „Rechtssystem“, in Übereinstimmung zu bringen mit Demokratie, Menschenrechten, Meinungsfreiheit, Pluralismus und, dies die Schlüsselfrage überhaupt, Gleichstellung der Geschlechter? Fragen, die den Islam auf den Prüfstand der Geschichte stellen – und die überraschenderweise am negativsten von kritischen Muslimen selbst beantwortet werden. Und das so punktgenau und tabulos, wie es kein Europäer oder Amerikaner je auszusprechen wagen würde – Zitat: „Kaum ein islamischer Geistlicher, geschweige denn ein frommer Laie ist willens und in der Lage, das Kernproblem in der Denkstruktur des eigenen Glaubens zu sehen. Sie sind nicht bereit zur kritischen Analyse der eigenen Tradition, zu einer schonungslosen Gegenüberstellung ihres Glaubens mit der Lebenswirklichkeit in modernen Gesellschaften.“ So der große türkische Lyriker Zafer Senocak.

Was sind Salman Rushdies „Satanische Verse“ gegen diese Analyse, die die Lehre und Praxis des muslimischen Glaubens schonungslos als die eigentliche Quelle der enormen Schwierigkeiten des Islam bei seinem Versuch einer Anpassung an die Moderne vorführt, also eigene Übel zum wahren Ursprung des Terrors erklärt und die Säkularisierung des Islam zur Voraussetzung einer Zukunft macht?

Ein riesiger, revolutionsüberreifer Teil der Menschheit, die Ummah, die globale Gemeinschaft der Muslime, so differenziert sie in sich ist, droht an ihrer eigenen Rückständigkeit zu ersticken. Richtig, die Türkei bietet eine Ausnahme, aber was den Grundkonflikt anbetrifft, Islam und Moderne, steckt sie mittendrin.

Wenn es denn stimmen sollte, dass es einen Unterschied zwischen Islam und Islamismus gibt (was wiederum gerade Muslime bestreiten), dann sollte der Islam bemüht sein, den Unterschied glaubhaft zu machen. Denn wenn das nicht geschieht, kann er bald schon identifiziert werden mit einer Bewegung, die das Zeug zum Totalitarismus des 21. Jahrhunderts in sich trägt. Die Merkmale anhand gegebener historischer Vergleichsmöglichkeiten sind alarmierend genug, bis hinein in das erklärte Ziel des politischen Islam: „Umsturz der gottlosen Regierungen des Westens und ihre Ersetzung durch islamische Herrschaft.“

Ich glaube nicht daran, dass diese wahnsinnigen Fiktionen Wirklichkeit werden könnten. Aber auch über ihren Versuch schon könnte die Welt zuschanden werden, und nicht nur die islamische. Dieser Kampf ist in vollem Gange – und Europa,  Deutschland stecken mittendrin. Deutschland wird sich an den Gedanken gewöhnen müssen, dass Integration auch weiterhin ein Wunschbild bleiben wird, Mehrheitsgesellschaft und muslimische Minderheit aber dennoch miteinander auskommen müssen. Von allen Geschichtsbildern ist dies das wahrscheinlichste. Es schließt individuelle Integration nicht aus, versagt sich aber einer kollektiven Einordnung. Oberstes Gebot: Gewaltlosigkeit!

Und zum Schluss, noch einmal: Ich bin kein Türkenschreck, kein Anti-Muslim-Guru, ich habe nicht zum Bürgerkrieg aufgerufen. Ich habe lediglich im Interesse beider Seiten mitgeholfen, ein verdrängtes, hochexplosives Thema deutscher Innenpolitik in das öffentliche Bewusstsein zu befördern.

Ich werde also auch weiterhin auf meiner kulturellen Selbstbestimmung beharren, auf einer Lebensform, die die meine ist und in mannigfacher Hinsicht mit der islamischen nicht übereinstimmt. Ich werde mich auch weiter abgestoßen fühlen durch verhüllte Frauen, wobei sich meine Abscheu nicht gegen die Frauen richtet, sondern gegen ein religiös dominiertes Patriarchat und seine Verwalter. Auch werde ich meine Ansicht von Meinungsfreiheit nicht einem Ungeist anpassen, der sie so auslegt: „Alle haben das Recht, ihre Meinung frei auf eine Weise auszudrücken, die der Scharia nicht zuwiderläuft.“ Nein und dreimal nein!

Ich will sagen dürfen, dass ich die Scharia, das Gesetz des Islam, für notorisch grundgesetzwidrig halte, für einen skandalösen Anachronismus, das Fossil einer überholten geistesgeschichtlichen Epoche und ein schweres Hindernis auf dem Wege zur Reformierung und Modernisierung des Islam. Sie wird von mir genauso selbstverständlich in die kritische Methode einbezogen wie der Koran, die Biografie Mohammeds und das Alte und das Neue Testament. All das und mehr will ich sagen, schreiben und denken dürfen – offizielle Fatwa-Drohung hin, inoffizielle her. Und das unter der Überschrift: Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem!

Wo sind wir denn, dass wir uns überlegen müssten, ob unser Tun und Handeln radikalen Muslimen gefällt oder nicht? Wo sind wir denn, dass wir uns in vorauseilendem Gehorsam von religiösen und anderen Fanatikern vorschreiben ließen, was wir veröffentlichen dürfen und was nicht? Wo sind wir denn, dass wir in die Knie gehen vor jenen offenbar jederzeit abrufbaren Zorn- und Empörungskollektiven zwischen Kairo und Bali, die der Streit um die dänischen „Mohammed“-Karikaturen uns so drastisch vorgeführt hat? Wie lange sollen wir noch strammstehen vor Traditionen, Sitten und Gebräuchen, die jede Kritik in Beleidigung umfälschen, selbst aber höchst verschwenderisch mit Verbalinjurien gegen Andersdenkende zur Hand sind? Ich wehre mich gegen ein Erpresserpotenzial, das uns unter islamischer Beobachtung halten will und seine Tentakeln von Zentral- und Vorderasien bis in die Mitte Europas ausgeworfen hat, mit dem Motto: „Wer nicht kuscht, der lebt gefährlich!“

Ich werde mir aber auch weiterhin von der Seele schreiben, was dabei ist, mich auf meine späten Tage das Fürchten zu lehren: der politische, der militante Islam und seine Funktionsträger, die grüne Blauäugigkeit deutscher „Umarmer“ und die Sirenentöne der professionellen Taqiyya-Rhetoriker.

Und zum Schluss ein Wort an Kölns politische Spitze, die sich mit einer Überheblichkeit sondergleichen über den immer deutlicher artikulierten Protest einer großen Bevölkerungsgruppe hinweggesetzt hat und sich dabei nicht entblödete, mit den verschämten Korrekturen an der – nach wie vor – Großmoschee nichts als architektonische Kosmetik zu betreiben. Wenn es denn wahr ist, dass auch diese Moschee als eine Fatih-Moschee geplant war, also wie viele andere in Deutschland nach einem osmanischen Eroberer benannt werden sollte, dieses Vorhaben nun aber nach der stürmischen Gegenwehr zurückgenommen würde, so bestätigt sich damit nur eine Taktik der Anpassung, die nichts von der ursprünglichen Absicht dahinter wegnähme: mehr Macht, mehr Einfluss – schleichende Islamisierung.

Ich kann deshalb zum Schluss meiner Rede nur noch einmal an den Oberbürgermeister der Stadt Köln und die befürwortenden Stadträte appellieren, den Bau in Ehrenfeld zu stornieren. Zwischen Hinterhof- und Großmoschee gäbe es viele Abstufungen ohne den Abschreckungseffekt, den der Reißbrettentwurf hervorgerufen hat.

Wenn es denn der Preis sein sollte, ohne Schmusekurs in diesem Konflikt Freunde zu verlieren und persönlich bedroht zu werden, dann bin ich bereit, ihn zu zahlen. Und das, wie bisher, weiter an der Seite so tapferer Frauen wie Necla Kelek, Arzu Toker, Emine Özdamar, Seyran Ates, Ayaan Hirsi Ali und aller anderen, aller anderen friedlichen Muslimas und Muslime.


Notizen zur Zeit: Böhmermann entlarvt das Scheitern Merkels. Von Wolfram Weimer

16. April 2016 | Kategorie: Artikel

Artikel zuerst bei ntv von Wolfram Weimer. Er ist ein deutscher Verleger und Publizist, u.a.  ab 2004 des von ihm gegründeten Politik-Magazins Cicero. 2012 gründete er die Weimer Media Group, in der eine Reihe von Wirtschaftsmedien verlegt werden. (Quelle wikipedia)

Was würde Wolfram Weimer heute sagen, wo die Strafverfolgung Böhmermanns durch Angela Merkel gestattet wurde?  Ein Schelm, wer nichts Arges dabei denkt.  Die Hervorhebung des letzten Shakespeare-Satzes aus dem immer aktuellen König Lear  habe ich aus gegebenem Anlass vorgenommen.  W. K. Nordenham

ntv  12.4.2016  1)

Böhmermann entlarvt das Scheitern Merkels

Von Wolfram Weimer

Merkel verstrickt sich in der Schmäh-Affäre in Peinlichkeiten. Der Skandal untergräbt ihre Glaubwürdigkeit und entlarvt ihre misslungene Migrationspolitik. Denn Merkels Böhmermann-Skandal ist vor allem ein unglaublicher Kotau vor einem Despoten.

Jan Böhmermann gelingt, was weder Roland Koch noch Friedrich Merz, weder Gregor Gysi noch Jürgen Trittin, weder Peer Steinbrück noch Sigmar Gabriel je geglückt ist, obwohl sie genau das wollten: Angela Merkel einmal in ernste Schwierigkeiten zu bringen. Ausgerechnet ein Gedicht entlarvt die Kanzlerin mit ihrer misslungenen Migrationspolitik und untergräbt ihre Integrität schwer. Merkel hätte zu den Schmäh-Reimen des Kölner TV-Narren einfach schweigen können, so wie sie sich in ihrer Karriere häufig bloß kühl nach oben geschwiegen hat.

Doch Böhmermanns böse Satire lüftet auf derart schamlose Weise den Schleier von einer zweifelhaften Politik, dass aus miserablen Reimen plötzlich eine Staatskrise wird. Zunächst reagiert der angegriffene Erdogan, wie Despoten immer auf Kritik reagieren – humorlos, gereizt, aggressiv. Er fordert den juristischen Kopf des Satirikers, so wie er es in der Türkei gewohnt ist und so wie er Hunderte von Regimekritikern brutal verfolgt. Doch dann springt die Kanzlerin Erdogan überraschend zur Seite, ruft eilfertig den türkischen Ministerpräsidenten persönlich an und kritisiert demonstrativ das Gedicht. Hinterher lässt sie das auch noch alle Welt offiziell wissen und ihr lyrisches Urteil verbreiten: „bewusst verletzend“. Unerträglich. Obendrein belobigt sie im Gestus einstiger Ostblockregime, dass das Gedicht zensiert und vom Netz genommen worden sei.

Der Vorgang ist ein dreifacher Eklat. Zum einen, weil Angela Merkel damit die Meinungs- und Kunstfreiheit auf grobe Weise untergräbt. Im Fall der Terrorattacken auf europäische Karikaturisten hatte die Bundesregierung noch feierlich proklamiert, die Freiheit der Satire sei unantastbar und werde immer verteidigt. Auch Merkel war Charlie. Nun aber ist sie nur noch Recep und begräbt bei einem lächerlichen Fall die Kunstfreiheit mit bewusster Geste. Der Schaden ist so groß, dass Regierungssprecher Seibert minutenlang erklären muss, was eigentlich selbstverständlich sein sollte; dass nämlich in Deutschland Meinungs- und Kunstfreiheit herrsche. Die Kanzlerin wolle „unmissverständlich“ deutlich machen, dass der Artikel fünf des Grundgesetzes über die Freiheit der Meinungsäußerung, der Kunst und Wissenschaft „selbstverständlich höchstes Gut“ sei, er sei „weder nach innen noch nach außen verhandelbar“, so Seibert in der Bundespressekonferenz. Wenn ein Regierungssprecher die Grundgesetztreue der Kanzlerin beschwören muss, dann ist etwas gewaltig aus den Fugen geraten.

Zweitens ist der Ärger über Merkel so groß, weil sie ausgerechnet einem Feind der Menschenrechte zur Seite springt. Als die Kirche, der Papst oder Jesus Christus von Satirikern und Künstlern aufs Übelste geschmäht, beleidigt und erniedrigt wurden, da schwieg die Kanzlerin. Nun aber sucht sie demonstrativ den satirekritischen Schulterschluss mit einem Mann, der Künstler und Journalisten willkürlich verhaften und verfolgen lässt, der ein Regime der Angst etabliert und blutige Kriege gegen Kurden und Syrer führt, dessen Kulturverständnis den Odem eines islamistischen Säbels atmet. Erdogans eigenes (auch bewusst verletzendes) Lieblingsgedicht stammt von Ziya Gökalp mit so entlarvenden Zeilen wie: „Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette.“ Dass Merkel ausgerechnet in dieser Situation, da Erdogan die Presse brutal verfolgt, die Freiheit des Wortes in Deutschland infrage stellt, erschüttert selbst enge Mitarbeiter im Kanzleramt. Sie akzeptiert damit die düsteren Spielregeln eines Neo-Sultans, der Menschen- und Freiheitsrechte mit Stiefeln tritt.

Der dritte und größte Eklat liegt darin, dass Merkel um Eklatrisiko 1 und 2 genau wusste – und trotzdem so handelte. Damit verrät sie, wie sehr sie sich selbst in politischer Not und von Erdogan abhängig sieht. Nun wird der ganzen Welt offenbar, dass Erdogan von Berlin nicht nur Kopfgeld-Milliarden und Visa-Erleichterungen und EU-Beitrittsverhandlungen erzwingen kann. Er kann die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, deren Integrität bislang enorm gewesen ist, dazu bringen, die Meinungsfreiheit in Deutschland zu relativieren. Merkels Böhmermann-Skandal ist vor allem ein unglaublicher Kotau vor einem Despoten aus Ankara. Sie unterwirft sich der Repressionslogik von Erdogan, weil ihre Migrationspolitik dahin führt, dass Deutschland von der Türkei erpressbar geworden ist. An der Winzigkeit eines miserablen Gedichts entlarvt sich die ganze Tragödie von Merkels Zuwanderungs-Irrungen. Weil sie die Grenzen zu weit aufgerissen hat und sich seither weigert, die eigene Grenzsicherung entschieden in Angriff zu nehmen, stattdessen aber die Türkei als dubiosen Grenzpolizisten einkaufen will, degradiert sie sich und Deutschland zum Spielball fremder Interessen und Ansichten – und seien es die über Satire. Die Bundeskanzlerin erniedrigt sich und die Bundesrepublik.

Sie fügt damit ihrer Fehlerkette in der Migrationspolitik einen weiteren, grotesken hinzu. Einem Narren wie Böhmermann gelingt damit mit Satire, was Horst Seehofer seit Monaten  mit Argumenten vergeblich versucht – die Entlarvung eines faulen, mephistophelischen Deals. Das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist schlichtweg nicht integer und Angela Merkel hat daran ihre politische Seele verkauft. Jan Böhmermann gelingt ein historischer Coup der Satire. Wie vor Jahrhunderten die besten schmitzig-schlauen Bänkelsänger, Königen und Kaisern lustig-listig den Spiegel vorhalten durften, so hat er es mit Erdogan und Merkel gegen deren Willen getan.

Böhmermann ist der systemspielende Grenzgänger der deutschen Komödianten, der immer wieder die Spielregeln der deutschen Mediengesellschaft provozierend hinterfragt. Einmal ist Böhmermann bei einer Lukas-Podolski-Parodie Urheber des Ausspruchs „Fußball ist wie Schach – nur ohne Würfel!“, hernach wird der aber lebenslang (und doch fälschlich) Lukas Podolski zugeschrieben. Ein anderes Mal mimt er für verschiedene TV-Sender einen Schweinegrippekranken und entlarvt damit die Rechercheschwäche und Panikmache des Fernsehens. Dann verblüfft er die Rollenspiele der Migranten mit Polizeiraps oder verwirrt Deutschlands Mediengläubige mit der Behauptung, er habe das Video mit dem Stinkefinger des griechischen Finanzministers manipuliert.

Er spielt mit scheinbaren Gewissheiten einer Gesellschaft, die in Wahrheit um viele Gewissheiten nicht mehr weiß. Er hinterfragt zweifelhafte Spielregeln mit dem Regelspiel. Auch sein Erdogan-Schmähgedicht hat er nicht als Gedicht platziert, sondern als erklärtes Experiment über die Grenzen der Freiheit. Merkel ist darauf hereingefallen. Sie wirkt nun wie Shakespeares King Lear, der sein Königreich an die falschen vergibt und von einem Narren schließlich gesagt bekommt: „W a h r h e i t   i s t   e i n   H u n d ,    d e r    i n s    L o c h    m u s s   u n d   h i n a u s g e p e i t s c h t   w i r d ,  w ä h r e n d   M a d a m e   S c h o ß h ü n d i n   a m   F e u e r   s t e h e n   u n d   s t i n k e n   d a r f .“

1) http://www.n-tv.de/politik/politik_person_der_woche/Boehmermann-entlarvt-das-Scheitern-Merkels-article17443021.html

 


Notizen zur Zeit: Der Aufschrei Döpfner – Böhmermann und die Folgen. Von Sebastian Knüll

12. April 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit, Was man so lesen muss

Solidarität mit Jan Böhmermann!
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article154171281/Solidaritaet-mit-Jan-Boehmermann.html

Wenn Springer-Chef Mathias Döpfner ran muss, um Jan Böhmermanns vermeintliche „Schmähkritik“  und damit Presse- und Satirefreiheit höchstselbst zu verteidigen, spricht das Bände über den schmählichen Zustand derselben. Und wer hat sich dieser Tage nicht verwundert gefragt: wo ist sie denn nun, die breite Solidarität von Medien- und Volksvertretern, von jenen, die selten um ein klares Statement verlegen sind? Wo sind die, die bei unzureichender Rücksicht auf das, was des Menschen Grundrecht sei, auch gerne und vorschnell die moralische Keule freiwestlicher Rechtschaffenheit schwingen? Nicht nur Jan Böhmermann dürfte dies in seiner Demokratiegläubigkeit „erschüttert“ haben. Dass Kanzlerin Merkel dieser Farce durch Ihr devotes, – gleichwohl naives – politisches Anbiedern die Bühne bereitet hat, ist hinreichend dokumentiert.  Apropos, wurde nicht Angela Merkel in der türkischen Zeitschrift „Vakit“ als Hitler gezeigt[1]? Das war echte Schmähkritik, nicht als Satire gemeint und etwa analog Böhmermann ausdrücklich satirisch als solche vorab deklariert. Doch vielleicht gilt das türkischen Regierungsvertretern dieser Tage gar nicht als Schmähung?

Nun springt Mathias Döpfner heldenhaft auf die Szene und ruft ins Gedächtnis, was Kunst und Satire nach Tucholsky durfte und darf. Wie der Papst in der „Titanic“, so Erdoğan bei Böhmermann! Fast schon möchte man applaudieren. Hatte man ihn doch herbeigesehnt, den Verbündeten im schmählichen Spiel! Doch halt, was passiert im letzten Akt, will heißen: Absatz? Hier demontiert sich der Meinungsmogul selbst, indem er sich der Angstvision und -fiktion der europäischen Rechten „unterwirft“. Gleichzeitig versteht er die Provokation eines Michel Houellebecqs einseitig. Jener hatte zu seinem Roman „Unterwerfung“ in einem Interview[2] geäußert: „Ich spiele mit der Angst. Nur weiß man nicht genau, ob man vor den Identitären oder den Muslimen Angst haben soll“. Die Identitären, das sind die islamophoben, selbsternannten Verteidiger einer „abendländischen Kultur“ unserer Tage. Mit Ihnen macht sich Döpfner gemein, wider das Diktat der Despotie am Bosporus.

Jan Böhmermann hingegen gleicht Houellebecq in seinem Hang zur Provokation, zum Grenzdiskurs. Sicher auch zu verstehen als Gegenentwurf zu den geistig Gestrigen, im Abend- wie im Morgenland. Aus diesem Grund gebührt Jan Böhmermann die uneingeschränkte Solidarität aller europäischen Freigeister. Gerade jetzt bedarf es des Aufschreis der Mitte der Gesellschaft und der jungen Generation, deren Teil er ist.

Mit dem formellen Strafantrag Erdoğans[3] tritt nun das ein, was nicht nur die zum großen Teil Mathias Döpfner unterstellten Mediengestalter dieser Lande gleich einer „self-fulfilling prophecy“ herbeigetextet haben. Im Zweifelsfall für die eigene Quote! Und so eine Steilvorlage ungenutzt zu lassen, um den politischen Verhandlungspartner in diplomatische Zwangshaft zu nehmen, wäre aus Sicht des Fußballers Erdoğan[4] taktisch töricht. Wobei die Türkei hierbei, wie Vize-Ministerpräsident Kurtulmus meint betonen zu müssen, „absolut keinen politischen Druck“ auf Deutschland ausüben will. Dies soll man glauben, nachdem die Türkei wegen eines saloppen Satireliedes den deutschen Botschafter schon glaubte zweimal einbestellen zu müssen.

Angesichts solchen, politischen Blütentreibens scheint das Gebot der Stunde: Wer morgen nicht mundtot sein will, muss heute Wortmeldung machen. In diesem Punkt – und im Zweifelsfall nur diesem Einen – sollten wir uns solidarisch mit Mathias Döpfner machen. Und  in allen Punkten mit Jan Böhmermann.

Von Sebastian Knüll (Zusendung an DAS ROTE HEFT und hier von mir veröffentlicht, W.K. Nordenham)

Quellen:

[1] http://www.freenet.de/unterhaltung/promis/hakenkreuz-und-hitler-baertchen-tuerkische-zeitung-greift-merkel-an_841652_4729180.html

[2] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/boulevard_nt/
article136067088/Michel-Houellebecqs-Spiel-mit-der-Angst.html

[3] https://www.tagesschau.de/inland/tuerkei-boehmermann-107.html

[4] http://www.rp-online.de/sport/fussball/international/recep-tayyip-erdogan-erzielt-hattrick-auf-dem-fussballplatz-aid-1.4412645