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Notizen zur Zeit: Der Aufschrei Döpfner – Böhmermann und die Folgen. Von Sebastian Knüll

12. April 2016 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit, Was man so lesen muss

Solidarität mit Jan Böhmermann!
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article154171281/Solidaritaet-mit-Jan-Boehmermann.html

Wenn Springer-Chef Mathias Döpfner ran muss, um Jan Böhmermanns vermeintliche „Schmähkritik“  und damit Presse- und Satirefreiheit höchstselbst zu verteidigen, spricht das Bände über den schmählichen Zustand derselben. Und wer hat sich dieser Tage nicht verwundert gefragt: wo ist sie denn nun, die breite Solidarität von Medien- und Volksvertretern, von jenen, die selten um ein klares Statement verlegen sind? Wo sind die, die bei unzureichender Rücksicht auf das, was des Menschen Grundrecht sei, auch gerne und vorschnell die moralische Keule freiwestlicher Rechtschaffenheit schwingen? Nicht nur Jan Böhmermann dürfte dies in seiner Demokratiegläubigkeit „erschüttert“ haben. Dass Kanzlerin Merkel dieser Farce durch Ihr devotes, – gleichwohl naives – politisches Anbiedern die Bühne bereitet hat, ist hinreichend dokumentiert.  Apropos, wurde nicht Angela Merkel in der türkischen Zeitschrift „Vakit“ als Hitler gezeigt[1]? Das war echte Schmähkritik, nicht als Satire gemeint und etwa analog Böhmermann ausdrücklich satirisch als solche vorab deklariert. Doch vielleicht gilt das türkischen Regierungsvertretern dieser Tage gar nicht als Schmähung?

Nun springt Mathias Döpfner heldenhaft auf die Szene und ruft ins Gedächtnis, was Kunst und Satire nach Tucholsky durfte und darf. Wie der Papst in der „Titanic“, so Erdoğan bei Böhmermann! Fast schon möchte man applaudieren. Hatte man ihn doch herbeigesehnt, den Verbündeten im schmählichen Spiel! Doch halt, was passiert im letzten Akt, will heißen: Absatz? Hier demontiert sich der Meinungsmogul selbst, indem er sich der Angstvision und -fiktion der europäischen Rechten „unterwirft“. Gleichzeitig versteht er die Provokation eines Michel Houellebecqs einseitig. Jener hatte zu seinem Roman „Unterwerfung“ in einem Interview[2] geäußert: „Ich spiele mit der Angst. Nur weiß man nicht genau, ob man vor den Identitären oder den Muslimen Angst haben soll“. Die Identitären, das sind die islamophoben, selbsternannten Verteidiger einer „abendländischen Kultur“ unserer Tage. Mit Ihnen macht sich Döpfner gemein, wider das Diktat der Despotie am Bosporus.

Jan Böhmermann hingegen gleicht Houellebecq in seinem Hang zur Provokation, zum Grenzdiskurs. Sicher auch zu verstehen als Gegenentwurf zu den geistig Gestrigen, im Abend- wie im Morgenland. Aus diesem Grund gebührt Jan Böhmermann die uneingeschränkte Solidarität aller europäischen Freigeister. Gerade jetzt bedarf es des Aufschreis der Mitte der Gesellschaft und der jungen Generation, deren Teil er ist.

Mit dem formellen Strafantrag Erdoğans[3] tritt nun das ein, was nicht nur die zum großen Teil Mathias Döpfner unterstellten Mediengestalter dieser Lande gleich einer „self-fulfilling prophecy“ herbeigetextet haben. Im Zweifelsfall für die eigene Quote! Und so eine Steilvorlage ungenutzt zu lassen, um den politischen Verhandlungspartner in diplomatische Zwangshaft zu nehmen, wäre aus Sicht des Fußballers Erdoğan[4] taktisch töricht. Wobei die Türkei hierbei, wie Vize-Ministerpräsident Kurtulmus meint betonen zu müssen, „absolut keinen politischen Druck“ auf Deutschland ausüben will. Dies soll man glauben, nachdem die Türkei wegen eines saloppen Satireliedes den deutschen Botschafter schon glaubte zweimal einbestellen zu müssen.

Angesichts solchen, politischen Blütentreibens scheint das Gebot der Stunde: Wer morgen nicht mundtot sein will, muss heute Wortmeldung machen. In diesem Punkt – und im Zweifelsfall nur diesem Einen – sollten wir uns solidarisch mit Mathias Döpfner machen. Und  in allen Punkten mit Jan Böhmermann.

Von Sebastian Knüll (Zusendung an DAS ROTE HEFT und hier von mir veröffentlicht, W.K. Nordenham)

Quellen:

[1] http://www.freenet.de/unterhaltung/promis/hakenkreuz-und-hitler-baertchen-tuerkische-zeitung-greift-merkel-an_841652_4729180.html

[2] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/boulevard_nt/
article136067088/Michel-Houellebecqs-Spiel-mit-der-Angst.html

[3] https://www.tagesschau.de/inland/tuerkei-boehmermann-107.html

[4] http://www.rp-online.de/sport/fussball/international/recep-tayyip-erdogan-erzielt-hattrick-auf-dem-fussballplatz-aid-1.4412645