Notizen aus Medienland. Wulff im Schafspelz. Von W.K. Nordenham
24. Januar 2012 | Kategorie: Artikel, Notizen aus Medienland, Wulff§1 Die Würde des Menschen ist antastbar. Sie zu missachten und zu benutzen ist Aufgabe aller medialen Gewalt. (Entwurf für ein Grundgesetz der Tagespresse)
Mit der Geburt des Tagschreibers aus der Geistverlassenheit des Dünkels schloss sich der Ring der modernen demokratischen Unkultur. Karl Hauer (Das Gehirn des Journalisten. Aus „Die Fackel“ und DAS ROTE HEFT )
Kölner Stadtanzeiger 05.01.12
Schausten und die 150-Euro-Frage
Bundespräsident Christian Wulff im TV-Interview
Eigentlich sollte es ja um den Bundespräsidenten gehen. Aber der heimliche – und unfreiwillige – Mittelpunkt von Bürogesprächen und Internetforen ist seit der Ausstrahlung des Wulff-Interviews am Mittwochabend Bettina Schausten.(…)
Nach dem Interview des Bundespräsidenten in ARD und ZDF bleibt vor allem eine Frage offen: Zahlt Bettina Schausten wirklich (so viel) Geld für Übernachtungen bei Freunden? (…)
Wulff war nervös, aber gut vorbereitet. (…)
(…)Aber vielleicht passte es auch. Der biederen Mittelmäßigkeit dieses Bundespräsidenten standen die Interviewer an diesem Abend an biederer Mittelmäßigkeit nichts nach. Humorlos, pharisäerhaft, uninspiriert. Mehr als die 150-Euro-Frage wird von diesem Gespräch deshalb nicht bleiben. Und ein schlagkräftiger Bundespräsident hätte das genutzt. (…)
„Bild“ will Nachricht veröffentlichen 05.01.12
Die „Bild“-Zeitung geht in die Offensive und will nun die umstrittene Mailbox-Nachricht veröffentlichen, die der Bundespräsident bei Chefredakteur Kai Diekmann hinterlassen hat. Dazu will das Blatt die Zustimmung von Wulff einholen.
Hamburger Abendblatt 6.1.12
Berlin. „Die Redaktion bedauert diese Entscheidung.“ Kurz nach 16 Uhr am Donnerstag bildete die finale Reaktion der „Bild“-Zeitung den Schlusspunkt eines Briefwechsels, der für Bundespräsident Christian Wulff noch ein Nachspiel haben könnte. Einer Veröffentlichung seines Anrufs auf der Mobilbox von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann stimmte der Präsident trotz der Bitte Diekmanns nicht zu.
Hamburger Abendblatt 16.01.2012
Dem „Spiegel“ liegt nach eigenen Angaben eine Hotelrechnung vor, die Groenewold während des Oktoberfestes beglichen habe. Dieser habe damit nach eigener Aussage auch einen Teil der Kosten für die Unterbringung des Ehepaares Wulff übernommen. Wulffs Anwalt sagte dem Magazin dazu, sein Mandant habe eine eigene Hotelrechnung bekommen.(…) Groenewolds Anwalt sagte dem Blatt: „Mein Mandant hat dafür, dass Herr Wulff eine bessere Zimmerkategorie erhält, 200 Euro pro Übernachtung bezahlt. Es waren insgesamt zwei Nächte, also 400 Euro.“ Von der Kostenübernahme habe Wulff nichts gewusst.
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Der nette Kalauer „Wulff im Schafspelz“ ist mir, anders herum gedacht, auch eingefallen; spielt Herr Wulff eben nicht den verkleideten Wolf, sondern gibt die Rolle des Schafs, das mit seinem Blöken die Aufmerksamkeit nimmersatter Pressewölfe auf sich zieht. Aber lassen wir den Mann mal einen Augenblick beiseite, der es offensichtlich nicht recht kann und auch für sich selbst nichts. Ebenso zu vernachlässigen ist die „biedere Mittelmäßigkeit“ obiger Artikel, deren vollständige Lektüre ich dem Leser deshalb erspare. Auch das verkniffene, blutleere Geschwafel eines Hubertus Heil oder eines Oppermann zu dem Thema sei übergangen; denn ein Skandal ist immer zuerst ein Skandal des Journalismus, wie auch die obigen Zeilen zum Präsidenteninterview belegen. In anderen Gazetten findet sich Ähnliches. Da werden die Fragen an den Präsidenten kritisiert, die Art der Formulierung und dessen Antworten, versteht sich. Was hat er getan? Er hat sich einen Privatkredit mit Hilfe der Frau eines Freundes beschafft, dem er keinen Posten oder Auftrag verschafft hat und einen Bankkredit zu Konditionen, die er – als Präsident – bei etwas Nachdenken nicht hätte annehmen sollen. Aber der Präsident war und ist eben nur der Herr Wulff. Dazu leistete er sich als Präsident einen unbeherrschten Anruf, was nur insofern unter seiner Würde war, als der ihm gut bekannte Angerufene des Anrufs unwürdig war; handelte es sich doch um einen der Vordenker des gemeinen Bundesbürgers. Da versteht der Bundesblätterwald, in den man nichts hineinrufen muss, damit um so mehr herausschallt, keinen Spaß. Die selbsternannte Generalinquisition der Organe der Presse in Wort, Bild und Bild-Zeitung, der keine Organtransplantation gegen den täglichen Aussatz hülfe, wo die undeutlichste Ahnung für eine deutliche Meinung ausreicht und deren Falschheit die Bigotterie des mittelalterlichen Originals um Längen überragt, vertritt eine Anklage, der kein anderes Gesetz zugrunde liegt, als das ihrer Selbstgerechtigkeit. Eine Spezies, die noch für jede Veranstaltung Freikarten bekommt und verlangt, sich überall mit Presseausweis vordrängt, hohe Spezialrabatte bei Autokauf, bei Banken, Versicherungen, für Reisen, in Geschäften, Hotels, bei insgesamt 1700 Firmen von weit über 400 € erhält und selbstverständlich für lau als geladener Gast in fast jedem Regierungsflugzeug für sitzt, spielt sich auf als arbiter elegantiarum. Dass der Bundespräsident im dritten Wahlgang gewählt wurde, sich naiv und dumm verhalten hat und dass er, wie man da sieht, der zweitbeste Kandidat war, das ist ab sofort ganz allgemein bekannt und nachweisbar. Der Journaille reicht aber noch nicht, was mir schon bis oben hin steht, dass sich nämlich die Bild-Zeitung zum Kronzeugen seriöser Berichterstattung stilisiert sehen darf. Eine Pressefreiheit, die sich ohne Gewissensbisse überall und immer herausnimmt, was sie nichts angeht, soll durch einen dümmlichen, aber keineswegs strafbaren Anruf bei ausgerechnet der Bild-Zeitung bedroht worden sein, die täglich ungeahndet den Geist der Leser allein durch ihr bloßes Erscheinen nicht nur bedroht, sondern Seite für Seite mit Phrase und Halbwahrheit massakriert? Wie zum Beweis dessen streckte das Produkt fortlaufender Enthirnung vor Schloss Bellevue Schuhe in die Höhe und hielt diese Beleidigung aus Geistesschwäche für eine Demonstration, über die das Fernsehen betroffenheitschuldigst berichtete. Schon über das unlautere Motiv, von der Nachricht auf dem Anrufbeantworter gezielt verspätet zu sprechen, muss man nicht spekulieren, weil es Absicht war. Zwar hatte Herr Wulff hat sich bei Herrn Diekmann umgehend entschuldigt, und der hatte die Entschuldigung akzeptiert, aber das bedeutet nichts im Journalismus, weil akzeptierte Entschuldigungen eine Charakterschwäche darstellen, wenn dadurch die Steigerung der Auflage behindert wird, und diese Charakterschwäche kann sich kein Journalist erlauben, der einen Charakter hat, wie ein Journalist. Dennoch darf die Bild-Zeitung auf präsidiales Veto hin, das mitgeschnittene Telefonat nicht veröffentlichen, wo doch der Chefredakteur persönlich den Bundespräsidenten gebeten hatte, gewissermaßen auf Augenhöhe. Warum hatte er gebeten, der angenommenen Entschuldigung zum Trotz? Um für Transparenz zu sorgen. Transparenz mit Hilfe der Bildzeitung? Das bedeutete die Wendung des Begriffs ins Gegenteil. Der geschäftstüchtige Täter gibt sich als selbstloser Zeuge und erhofft, wie ein ertappter Dieb, durch Verlage des vertraulichen Guts den zu Bestehlenden zu blamieren. Privatsphäre? Da könnte jeder kommen, und jeden hätte man gar nicht erst gefragt. Was Herr Wulff losgelassen hat, kann sich ein jeder denken. Nur ein Redakteur und der Bundes-Bild-Bürger denken nicht. Der eine muss verweigern wegen der Auflage, der andere wegen der Geisteslage. Der Wortlaut wurde beiden auch nur solange erspart, bis die Diskretion der Bild-Zeitung dafür gesorgt hatte, dass der eher belanglose Inhalt unter dem Siegel der Verschwiegenheit bekannt wurde. Inzwischen weiß man, dass es nichts wirklich Überraschendes nur Ungeschicktes auf Band gab, und also zieht vor-Bild-lich investigativ das Extrablatt für den Nachrichtengourmet, der „Spiegel“, eine alte Hotelrechnung aus dem journalistischen Verdauungstrakt, zu Nutz und Frommen jenes Blattes, das Meinung produzieren muss, weil es sich zum ordentlichen Urteil schon immer unfähig wusste, damit auch die Leserschaft nichts genau weiß und immer mehr von dem wissen will, was man nicht weiß und nicht wissen muss, und es deshalb glaubt und daher immer ganz genau weiß, was kaum zu glauben ist.
Was auch nicht zu glauben ist, ist allerdings das, was sich die geballte Seriosität der journalistischen Diagonalintelligenz in Form von Herrn Deppendorf – der sich in Zukunft endgültig von Wilfried Schmickler vertreten lassen sollte – und vor allem Frau Schausten im Interview mit Christian Wulff leistete, beide legitimiert durch nichts, aber auch gar nichts, als ihr berufsbedingtes Dasein in Berlin. Über vierhundert Fragen der Presse zu den letzten zwanzig Jahren seines Lebens hatte Herr Wulff nach eigener Aussage im Vorfeld des Interviews zu bearbeiten und musste sich des Vorwurfs der Verzögerung erwehren, dass er es nicht schnell genug hinbekommen hätte mit seinen Antworten, wohingegen die ihm gegenüber sitzenden Nachrichtenhyänen, jeden auch nur Druckfehler umgehend zum Charakterdefizit erhoben hätten. Wer legitimierte überhaupt die Fragen auch nach Privatestem? Wie schon gesagt, Herr Wulff war und ist Herr Wulff, und er ist Bundespräsident, aus welchen Gründen auch immer. Er ist der, von dem man wissen konnte und musste, dass er so ist, wie er ist und dass Angela Merkel ihn eben deshalb zum Präsidenten wählen ließ: Als Biedermann für den deutschen Biedermann in all seiner Mittelmäßigkeit, und ohne jedes Genie gerät Anstand zur Minimalanforderung. Fast hat man den Eindruck, man nähme ihm eben das übel, „einfach“ – in des Wortes doppelter Bedeutung – nur so zu sein, wie das Schlitzohr von nebenan, dem man sich selbst auch ähnlich weiß oder es gern wäre. Er sagte im Interview das, was man sagen muss, wenn man bei Unanständigem erwischt wurde und sich zunächst vor unangenehmen Nachfragen drücken will. Das tat er im Rahmen seiner Möglichkeiten so überzeugend, wie sein jeweiliges Gegenüber Überzeugenderes umfänglich verabsäumte. Von Anbeginn spürte man bei allen Fragen die unlautere Absicht, einen Bundespräsidenten vorzuführen, vor allem bei Frau Schausten. Das war nicht degoutant, sondern einfach zum Kotzen. „Präsident auf Bewährung“ war noch die gelungenste der missratenen Metaphern. Aber wenn die Dame vorwurfsvoll-gelogen, mit treuem Augenaufschlag mitteilt, „Ja,“ sie zahle bei ihren „Freunden“ für eine Übernachtung und zwar 150 €, dann wird es hochnotpeinlich. Inzwischen hat sie „relativiert“, was genügen muss für eine Journalistin, die schlicht gelogen und nicht nur relativiert hat, wie etwa ein Bundespräsident, der nicht gelogen, kein Gesetz sicher gebrochen hat, wie ein Kanzler Kohl, aber alles relativiert und erst zu wenig gesagt und dann zu viel verschwiegen hat. Frau Schausten darf beim Fernsehen bleiben, Herr Wulff soll gehen. Das ZDF, dem es wohl die Sprache verschlagen hatte, mochte dazu nichts sagen, weil es „um Herrn Wulff“ gehe. Ach so! Ich bezahle übrigens Freunde nie, weil ich damit nachwiese, dass ich keine Freunde hätte und mich die, die ich habe, schon beim Angebot einer Bezahlung rauswerfen würden. Zugegeben, eine Ausnahme würde ich machen und würde Frau Schausten immer bezahlen, aber nie hereinlassen und wenn doch, dann hätte sie tatsächlich zu zahlen und zwar im Voraus. Man muss kein Prophet sein, um weitere, Enthüllung genannte Halbwahrheiten der Medien vorherzusagen, die sich um den Anstand, den sie bei anderen einfordern, keine Sorgen machen, weil dessen Missachtung das Pfund ist, mit dem sie Wucher treiben. Die Frage bleibt, wer oder was diese unkontrollierte Macht und ihr Unwesen legitimiert, die Leben umgehend aussaugt, wo sie allenfalls zu informieren gehabt hätte. Sie werden das Kind wie üblich in den von ihnen aufgedeckten Brunnen stürzen lassen, dann den Deckel wieder drauflegen, bis zum nächsten Mal. Sie werden alles darüber berichten und – mit Peinlichkeitsabstand – irgendwann später davon, dass sie sich für ihr Tun entschuldigt haben. Die Person Wulff ist mir mehr oder weniger gleichgültig, die Rolle der Presse nicht. Wie gesagt, ein Skandal ist immer zuerst ein Skandal des Journalismus.