Sein oder Design ist nicht mehr Frage, sondern schon Antwort. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt.

Notizen zur Zeit. „Prommis“. Von W.K.Nordenham

29. Dezember 2011 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit, Prommis

Handelsblatt

Oktoberfest in München: Bier, Busen, B-Promis

18.09.2011

Zeigt her eure Krüge: Auf der Wiesn geht die Party ab – in diesem Jahr sind viele so genannte Promis mit dabei. Selbst Politiker geben sich ungewohnt volksnah. Ein Überblick über die diesjährige Gaudi.(…)

—————————

Karl Kraus machte die Inflation der  „Prominenten“ seinerzeit am Beispiel von – heute würde man sagen – Begleitdamen oder Hostessen, zum Gegenstand einer Glosse mit dem Titel „Prominente Pupperln“ *, die ihre Prominenz allein durch die Tatsache der  Begleitung eines der  Prominenz  ebenfalls Unverdächtigen, etwa eines Kommerzienrates, erlangten. Heutzutage, allseits von Prominentendunst umweht, tut man sich schwerer im Umgang mit einer Spezies, die sich in den schnellen Brütern der Redaktionsstuben, unter dem Schutz übergroßer Druckbuchstaben und bunter Hochglanzbilder,  in ungehemmter, vorwiegend ungeschlechtlicher Vermehrung befindet. Es scheint fast, als glaubte sich, als Folge ständiger Verrieselung der Redaktionsabwässer auf  cerebralem Brachland, eine geschätzte Hälfte der Bildangucker verdächtig, zur Prominenz zu taugen. Wie erstünde sonst tagtäglich die Unsumme neuer Namen in Zeitungen und Gazetten, die, wie durch faulen Zauber über Nacht in Wort, Bild und Ton herbeigegaukelt, Aug und Ohr umschmeicheln, um einem hypertrophierten Prominentengedächtnis einverleibt zu werden, das sich parasitär den Rest der eben noch frei verfügbaren  Hirnmasse angeeignet hat. Es gehört kaum mehr als ein Nichts dazu, etwa das Schnipsen von irgendeinem Bundbildseitenmacho, der die Finger sowieso in allen Spalten besonders der Klatschpresse zu haben hat, und es klicken alle Verschlüsse, auch die der Kameras. Wie schnell wird man verwechselt mit jemand oder man ist es tatsächlich selbst, und ehe man sich versieht,  ist man prominent. Kaum dass eine Prominente oder eine Prominenter  eine Tochter oder einen der Sohn bekommt, schon sind diese selbst – gewissermaßen von der Nabelschnur an – prominent oder wie es zeitstimmig zurechtgestutzt  heißt:  „Prommis“!  Die richtige Schreibweise verlangt dem phonetischen Auswurf folgend ein Doppel-„m“ und rückt den Prommi akustisch  in die Nähe zum „Dummy“ oder „Lemming“, bei denen man aber wenigstens weiß, dass sie echt sind.  Eine Kamera, ein Foto und etwas Fernsehen vielleicht, und es hat es sich mit der Anonymität, deren Gegenteil, die „Prommität“, sich aufführt,  als sei sie eine Aufmerksamkeit wert.

Wenn jemand erst mal  richtig promminent ist, kann man fast nix mehr machen. Seibst Überwachungskameras oder Paparazzi wirken in der Folge eher hilfreich als bedrohlich. Das veröffentlichte Gedächtnis, dem jeder echte Gedanke verdächtiger vorkommt als der oberflächlichste Schwatzbrei, und ein Bedachtes gründsätzlich als ein vom Unwesentlichen Ablenkendes beargwöhnt, merkt sich noch Gesicht und Namen eines jeden Dumpfkopfes, der zum Titelbild mit Schlagzeile erkoren ward. Man kann sich kaum mehr ausreichend konzentrieren, möchte man doch sogleich den Hinweis auf einen Promminenten versäumen, den man versäumen möchte. Dabei brauchte niemand mehr die Augen aufzureißen, um der Promminenz ansichtig zu werden. Man müsste sie vielmehr schließen, um sicher zu gehen, dass man keines Promminenten ansichtig wird, so haben sie zugenommen, die Promminenten mit ihren Nachkommen. Diese Promminenz  promeniert so promminent, das jeder Nichtpromminente sofort erkennt: Das muss ein Promminenter sein, der da so promminent daherwatschelt. Tag für Tag erstehen aus dem mir nichts dir nichts, aufgeblasen wie Heißluftballons, die Sternchen, Stars, Superstars, Megastars, Supermegastars, Ultrasupermegastars und ungezählte Subprime-Prommis, die vor hundert Jahren noch Kommis hießen und sich damals wie heute schon mal als Ladenschwengel oder Model für gewisse Stunden verdingen mussten, bevor sie Kaiser, König bzw. Gräfin Koks oder Schauspieler, Sportler und sonstige Hochstapler der Thermoaeroindustrie wurden, zu denen sich neuerdings die Riegen der TV Suppenkasper und ungezählte Schwatzbirnen in Diagonalformat gesellen. Dafür wird auf  Teufel komm raus gecastet, was offensichtlich mit der Schublade und dem Kasten zu tun haben muss, in den eine gepackt wird oder auf dem einer nichts hat, die dafür das richtige Zeug, wenn schon nicht haben, so zumindest anhaben, und das  landet umgehend auf einer Superstarbühne oder als Prommi-Star in einer Vorabendserie, wo die Neu-Promminenten von morgens bis abends verhanswurstet  werden. Da prommeniert  die Form, dünkt sich als Inhalt und verwechselt Design mit einem Dasein, das sich frei nach Karl Kraus darin erschöpft, dass man da und dabei ist. Der „Augenblick des höchsten Glücks“, der für ein „ganzes Menschenleben“ reichen könnte, wird dort nicht gefunden. Er reicht allenfalls bis zum Kater am nächsten Morgen oder Übermorgen. Und das unterscheidet die Promminenz von jener Prominenz, die in des Wortes Bedeutung herausragt. Aber von der war an dieser Stelle nicht die Rede.

*in Suche eingeben und lesen.