Sein oder Design ist nicht mehr Frage, sondern schon Antwort. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt.

Notizen aus Medienland – Der Tod ist das Geschäft. Oktober 2011. Von W.K.Nordenham

24. Oktober 2011 | Kategorie: Artikel, Journalisten, Notizen aus Medienland, Was man so lesen muss

Gaddafi ist tot. Die Bild-Zeitung und Spiegel  zeigen das Bild des Erschossenen. Dazu die

Süddeutsche Zeitung.

Toter Gaddafi im „Spiegel“. Wenn ein Diktator zur Trophäe wird 24.10.2011

Von wegen kritische Distanz im Journalismus: Im aktuellen „Spiegel“-Heft ist ein Foto zu sehen, das den toten Muammar al-Gaddafi als Trophäe zeigt. Und auf eigenartige Weise an Hemingway erinnert. Das höchste  Glück des Großwildjägers ist das Foto zum Schluss. Es zeigt den Waidmann mit Gewehr neben dem erlegten Tier, der Trophäe. Hemingway ließ sich so gerne ablichten (mit Leopard). Der Trophäen-Journalismus dieser Tage lebt davon, tote Gruselgestalten abzubilden, Diktatoren etwa.   Im  aktuellen   „Spiegel“  posiert,  gleich  vorn  in  der  „Hausmitteilung“,  eine  Redakteurin  neben  dem  toten  Muammar  al-Gaddafi. Der libysche Schreckensherrscher liegt auf einer Matratze, in einem „gut  gekühlten  Raum  von  den  Ausmaßen  einer  Autogarage“, wie  es  hausmitteilt;  die  Reporterin  trägt  eine  Art  Shopper-Bag. Keine Rolle spielen ethische Fragen, die Agentur AFP hat sich sogar des „weltweiten Scoops“ gerühmt, die Fotos des Toten verbreitet zu haben. Der Deutsche Journalistenverband hat einst festgehalten, Journalisten sollten zu Akteuren „kritische Distanz“ bewahren, sich politisch nicht instrumentalisieren lassen. Die Würde der betroffenen Menschen sei zu achten, hieß es.

Das war 2002, in der Steinzeit des „modernen Journalismus“.

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Wenigstens gut gekühlt hatte es die Redakteurin, deren Namen die „Süddeutsche“ nicht mitteilt und die wohl eiskalt genug für den Auftrag war. Das sei der Grundparagraph solcher Journalisten :

Die Würde des Menschen ist antastbar. Sie zu missachten und zu benutzen ist Aufgabe aller medialen Gewalt.

Dass sie keinen Respekt vor einem toten Gaddafi haben, der sicherlich ein Verbrecher war und dem sie als bedrohlich Lebenden zu seinen Machtzeiten doch sonst wohin hinterher- und  hineingekrochen wären, verwundert nicht. Aber die Achtung vor der Würde eines Toten und vor allem der Majestät des Todes hätten die Veröffentlichung eines solchen Bildes verboten. Mich werden sie dafür als weltfremd abtun und machen doch mir die Welt fremd.

Nun gehörte Würde und Achtung noch nie zum Anstandskatalog der Bild-Zeitung und wie man da sieht,  auch  nicht zu der des „Spiegel“, dessen Journaille- Ethos, falls es so etwas überhaupt gibt, vor dem Bild des toten Gaddafi ungerührt kollabiert. Das fällt sogar der Münchner Konkurrenz auf.  Leider verharmlost die „Süddeutsche“ unzulässig. Sie macht eine journalistische Würde im Jahr 2002 aus, in der Fehleinschätzung, der Journalismus habe  damals die zu achtende Würde noch zu berücksichtigen gehabt, die er doch längst auf dem Boulevard erledigt hatte. Vermutlich wurde sie im dafür besonders erwähnten Shopper-Bag mitgeführt.  Der noch an jedem Thema oder Foto sich willig prostituierende journalistische Informationsgehalt, der schon beim toten Saddam als rechtfertigende Notwendigkeit herhalten musste, fände das passende Spiegelbild in einem abfälligen Grinsen aus den Redaktionszellen, an dem solcher Einwand abtropfte. Dort sitzt beisammen, was eine Klientel bedient, der gleich ihnen von jeher der Geifer zu leicht von den Lefzen troff, zurechtgeknüppelt mit  den Schlagzeilen ungezählter Millionenauflagen, gepresst noch aus jedem Kadaver, zum tagtäglichen Abfüllen der Großbuchstabenkonsumos.

Um den Wegstrecke der Zeitungskilometer zu ermessen, die bis in die Untiefen solchen Geschmacks führte, sei eine kurze Bemerkung eingefügt. Ein NDR-Redakteur berichtete von einem Geburtstag seiner etwa zehnjährigen Tochter, als Fernsehen noch nicht überall die Schule der Nation darstellte. Es waren Kinder vom Dorfe eingeladen und der Vater besaß ein Filmvorführgerät. Zur Feier des Tages wurde ein Film gezeigt, der die Dorfkinder mehrfach dazu veranlasste, aus Angst vor den sie aufregenden Bildern, das Gesicht hinter den Händen zu verbergen.  Der Titel des Film lautete: „Der gestiefelte Kater“.

Welche Seelenverbildung, welche optischen Grausamkeiten sind zu erdulden, bis sich eine Leserschaft zu Leichenbildern z. B. ein Mittagessen servieren lässt, um nebenbei ganz angenehm bei laufendem Fernsehbild über Brutalität und Menschenverachtung der Welt zu räsonieren? Hinter jedem Täter, der auf einem Bahnsteig in der U-Bahn einen Mitmenschen erledigt, steht eine lange Reihe von Schreiberlingen und Bildmachern, die den Boden bereiteten auf dem das wuchs. Das Bild des erschossenen Gaddafi passt nahtlos in diesen Kontext. Eine Menschheit daran gewöhnt zu haben, bezeichnet eine Sünde, die nicht vergeben werden kann.

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Aus DIE FACKEL  Nr. 418—422 8. APRIL 1916 XVIII. JAHR

Wehe, wehe über die Tagespresse! Käme Christus jetzt zur Welt, so nähme er, so wahr  ich lebe, nicht Hohepriester aufs Korn, sondern die Journalisten!

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Gott im Himmel weiß: Blutdurst ist meiner Seele fremd, und eine Vorstellung von einer Verantwortung vor Gott glaube ich auch in furchtbarem Grade zu haben: aber dennoch, dennoch wollte ich im Namen Gottes die Verantwortung auf mich nehmen, Feuer zu kommandieren, wenn ich mich nur zuvor mit der ängstlichsten, gewissenhaftesten Sorgfalt vergewissert hätte, daß sich vor den Gewehrläufen kein einziger anderer Mensch, ja auch kein einziges anderes lebendes Wesen befände als — Journalisten.

Sören Kierkegaard, 1846.

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Und nach siebzig Jahren, wo es um so viel siebzigmal wünschenswerter wäre, als es siebzigmal mehr Gewehrläufe und Journalisten gibt, stehen sie nicht vor ihnen, sondern dahinter, haben sie laden geholfen und sehen zu, man zeigt ihnen, wie es schießt und fließt, und wartet, bis sie kommen, es zu beschreiben.

Welche Verantwortung nimmt die Erde, die solches will und erträgt, im Namen Gottes auf sich!

Karl Kraus