Notizen zur Zeit. Grober Unfug. Von W.K. Nordenham
06. April 2012 | Kategorie: Artikel, Grass, Notizen zur ZeitWelt online 6.4.2012
Hamburger Autorenvereinigung
Grass-Gedicht „Viel Lärm um nichts“
Hamburg (dpa/lno) – Die Hamburger Autorenvereinigung rät in der kontroversen Debatte um das jüngste Gedicht von Günter Grass zu mehr Gelassenheit. «Man sollte alles ein wenig tiefer hängen», sagte der Vorsitzende der Vereinigung, Gino Leineweber, am Freitag in Hamburg. «Betrachtet man das sogenannte Gedicht ohne den Namen des Verfassers, wäre es dieser Kunstform kaum zugeordnet worden. Es ist literarisch ein Nichts, dessen Bewertung die Mühe nicht lohnt.» Wenn Günter Grass seinen Ruf schädige, sei das bedauerlich für einen Schriftsteller, der Großes geleistet habe, betrachte man sein gesamtes künstlerisches Schaffen.
Der Hamburger Autorenvereinigung ist zu danken, auch dafür, dass sie das Lebenswerk von dem „Gedicht“ trennt. Wenn sie meint, eine Bewertung lohne d e r Mühe nicht, so trifft das zu, unterschlägt aber die Wirkung der Grass-Polemik auf antisemitische Wirrköpfe und Schweinehunde im Geiste, deren Gebell aus dumpfen Tiefen umgehend herauftönt und die deutsch-reflexartig den Täter für das Opfer halten möchten. Darin gibt es seit den Tagen des SS-Mannes Grass eine stillschweigende Übereinstimmung im Lande der Vollstrecker, die sich mit übertreibender Kritik am Opfer zu exkulpieren versucht. Welche Atombombe wir man fürchten müssen? Die israelische oder die Iranische? Das zu verwechseln erfordert eine betrrächtliche Atherosklerose. Die Folgen hätten einem Günter Grass bewusst gewesen sein müssen. Dennoch hat er sich geäußert. Aber so wenig ich zum Beispiel von einem Bäcker etwas über Fleischwaren erfahren möchte oder umgekehrt vom Metzger über Backwaren, so wenig will ich von einem Schriftsteller pseudopolitisch , ja was eigentlich, informiert, belehrt, belästigt, ungebeten mit dem Wort überfallen werden? Es ist von Allem etwas dabei. Profundere Köpfe haben sich zu dem Thema geäußert, allen voran sei Jeschajahu Leibowitz genannt, der schon 1987 mit vierundachtzig Jahren mehr wusste, als Günther Grass bis heute offenbar vergessen hat.
Dass Selbstgerechtigkeit als einzig verwirklichte Gerechtigkeit zu gelten hat, ist weder neu noch überraschend. Aber es stößt in diesem Falle besonders unangenehm auf, wenn Herr Grass sich nämlich nach der Veröffentlichung seiner Polemik, als zu Recht Kritisierter, selbstredend in die Opferrolle begibt und sich darin gefällt, plötzlich das ein oder andere an seinem Text zu relativieren, der doch „mit letzter Tinte“ in die Tastatur getippt, als ultima ratio angelegt war und dem nun minima ratio nachgewiesen wird. Denn was da als „Gedicht“ daherkommt, erfüllt weder nach Form noch nach Inhalt die Erwartung oder den Anspruch, den man nur an einen Prosatext des noblen Preisträgers stellen dürfte. Es erweist sich , dass er vom Subjekt, über das er schreibt, keine Ahnung hat und daher objektiv nur fehlen kann, und er beweist sich daher weniger als Antisemit, denn als alter Simpel. Karl Kraus hätte ihn unter die „Mausis“ eingereiht. Der Herr macht sich eben nur mausig, und der bislang bemerkenswerteste Vorschlag, auf den Unsinn zu reagieren, stammt von dem scharfsinnigen Menschen Sebastian K., der vorschlug, Günter Grass anzuzeigen, wegen groben Unfugs nämlich!