Warum die Fackel nicht erscheint. Anfang Januar bis 12. Februar 1934. Von Karl Kraus
12. Dezember 2011 | Kategorie: Artikel, Aus "Die Fackel", Zeitzeugnisse/ZeitzeugenDie dritte Walpurisnacht ist angebrochen. Der Verleger der Fackel spricht über ein Schweigen von fast einem Jahr, dessen Echo nicht verhallen will und das in der schärfsten Anklage gipfelt:“ Zu Hitler fällt mir nichts ein.“
DIE FACKEL
Nr. 890—905 ENDE JULI 1934 XXXVI. JAHR
Warum die Fackel nicht erscheint
Anfang Januar bis 12. Februar 1934
Sehr geehrter Herr!
Als Verlag der Fackel bitten wir Sie, die folgende Erklärung entgegenzunehmen, von der wir fürchten, dass Sie sie noch weniger verstehen werden als das, was erklärt werden soll. Aber dann könnte man halt nichts machen, und es kommt doch nur darauf an, dass man alles versucht hat. Wir haben Ihnen also im Namen eines Schriftstellers, der der deutschen Literatur als Außenseiter angehörte, durch polemische Schriften Anteil an den Vorgängen der Umwelt zu nehmen schien und sich nun von deren Dummheit angegriffen, ja bis zur Erkenntnis seines Unvermögens überwältigt fühlt, das Folgende zu sagen:
Da der Herausgeber der Fackel und alleinige Verfasser ihres Textes — wie ihrer Umschlagsnotizen — nun einmal, für das Sie hauptsächlich interessierende Thema, den Vorsatz ausgesprochen hat, stumm zu bleiben und auch nicht »warum« zu sagen; da aus diesem Grunde noch mehr gefragt wird und mithin vielleicht doch ein Hindernis im Weg stände, wenn er tun wollte, was ihm beliebt, nämlich zu den kleinen Themen im Gebiete des Geisteslebens übergehen; da es ihm schwer fällt, die unterbrochene Verbindung mit den Interessen der Sprache, der Kunst, der Menschheit höhern Ranges ohne ein vermittelndes Wort aufzunehmen, so schwer, wie ein solches zu sprechen, womit er eben keinem innern Gebot gehorchte gleich jenem, das die Vermeidung des eigentlichen Themas auf die Dauer seiner Aktualität erzwungen hat; da — aber der Satz würde so lang wie diese, während der Anfang einer begehrteren und gleich in medias res gehenden Abhandlung kurz gelautet hätte: »Mir fällt zu Hitler nichts ein.«
Wohl wäre die Erläuterung, die gerade dieser Notstand erfordert, umfänglich gewesen und von vielerlei Einfällen begleitet, die inzwischen als Kleingeld unter die Leute gekommen sind — geschöpft aus dem Bereich jenes lähmenden Zaubers, der zum ersten Mal der politischen Phrase die Tat, dem Schlagwort den Schlag entbunden hat und dem die Stirn zu bieten nicht mehr im Schutz der Metapher gewährt ist. Um diese wahrhaft geistesgeschichtliche Neuerung, um das Ereignis, dass die Faust aufs Auge passt, hätte sich alle Betrachtung gruppiert. Doch wie könnte solcher Erlebnisinhalt einer Generation, die durch den Bericht um das Erlebnis gebracht ist, nahe gehen? Und er hätte ihr doch so nahe zu gehen, dass sie ihn überhaupt nicht mehr als Lesestoff begehrte! Verstände sie, dass Erschütterung vor dem Unsäglichen den Verzicht erzwingen kann, es zu sagen? Dort ist eine Welt durch die Redensart, die man beim Wort nahm, zur Tat aufgebrochen; hier ist eine zurückgeblieben, die, kaum von Fall zu Fall erlebend, immer noch den Rückweg für gangbar hält, die von ihr verluderte Freiheit mit Worten beschwörend, als lebte sie nicht in der Wirklichkeit, die sie beschreibt, immer noch wähnend, die Tat lasse mit sich reden. Was sich die Zivilisation, unwert ihrer Erfolge, da eingebrockt hat, nimmt sie, wo die Kraft ihrer Lenden protestieren gegangen ist, als »Reaktion« zur Kenntnis, als politischen Rückschlag, den sie »Faschismus« nennt, pochend auf Urväterhausrat einer politischen Opposition, die ein schönes Auskommen mit jener Tyrannei garantierte, deren Verkehrsformen von einem unwiederbringlichen kulturellen Inhalt bezogen waren. Glückliche Anlage einer Demokratie, die noch immer glaubt, sie sei dem Schutze des Publikums empfohlen, wenn nicht gar unter Denkmalschutz gestellt, welchem die deutsche Sozialdemokratie ihr Parteiarchiv vertraute, als Hannibal schon intra portas war. Und vollends die unsrige, die unverwüstliche komische Alte, die sich den Luxus leisten kann, gegen zwei Faschismen zugleich zu »kämpfen«, prinzipiell entschlossen, die Lebensrettung durch den sogenannten »Beelzebub« abzulehnen; dieser Glückspilz unter den Parteien, der nach jeglichem Unwetter phraseologisch gedeiht, von der Natur mit dem Talent ausgestattet, den Zusammenbruch als Unterpfand des Aufstiegs zu betrachten und noch am Grabe den »Wellenberg« aufzupflanzen, wenn man längst im Neandertal angelangt ist. Nein, sie machen keine Phrase, wenn sie sage: »Wir bleiben die Alten!«
Welche Entmutigung von diesen ungebrochenen Kampfscharen ausgeht zu einem, dem jetzt die Autorschaft der »Letzten Tage der Menschheit« nachgewiesen wird, und selbst dann ausginge, wenn er in der deutschen Katastrophe nicht die Wirklichkeit und Wirksamkeit erkennte, welche diejenigen nicht Wort haben wollen, die nur Worte haben — nicht einmal das lässt sich zur Sprache bringen. Doch was schiert es draufgängerische Leser, die, solange sie unbetroffen bleiben, mit dem angebornen oder erworbenen Mangel an Vorstellung für alles polemische Bedürfnis auskommen, indem sie, was geschehen ist, zwar wissen, aber nicht sehen, und was sie nicht erleben, wenigstens lesen möchten.
Denn selbst an die Grippe glaubt einer erst, wenn er sie hat — wenigstens seit der Erfindung des Mittels, das ihre Kenntnis verbreitet. Unerschrocken, weil vom papiernen Schrecken nicht berührt, vermissen sie an einer Prolongierung der letzten Tage der Menschheit, die sie ungefähr ahnen, den literarischen Nachtrag, welchen sie, immer auf die Fortsetzung gespannt, bis zum Hindernis des Giftgaskriegs in der Buchhandlung urgieren. »Wann erscheint endlich —?« »Warum erscheint nicht —?« »Warum schweigt er, wo doch gerade jetzt —?« »Er, der doch bekanntlich im Weltkrieg —«. Die einen geben die Hoffnung nicht auf; die andern stutzen und fangen an, ein »Mutproblem« zu erörtern; die sich lange genug der danklosen Mühsal des Verehrertums (mitunter glühend) unterworfen haben, benützen die Chance der Frechheit: Wanzen, die richtig vermuten, dass wegen größerer Gefahr nicht Licht gemacht wird.
Derlei Anfechtungen — denn es sind Kampfnaturen und stechen, wenn sie vom Vorkämpfer im Stich gelassen sind —; derlei bis zur Sicherheit wachsender ethischer Zweifel aus Regionen, mit denen es noch die Verbindung des Fußtritts gibt; derlei schamloser Versuch, unter Drohung mit Ausschluss aus einer »Gemeinschaft der Kämpfenden« (als ob man je zu so was gehört hätte) eine Gehirnleistung zu erpressen, von der sie doch nichts als Stoff und Meinung kapieren würden — all das vermag nun eine Haltung und Enthaltung, eine Untätigkeit (die nach Art, Maß, Grund und Ziel ihnen entrückt ist, wie nur das Werk selbst es wäre) wohl zu belästigen, keineswegs zu beeinflussen; zu stören, nicht zu hemmen. Ein geistiges Opfer muss nicht besser verstanden werden als eine geistige Tat, welche — wir verraten ein Redaktionsgeheimnis — gar keine wäre; und zu den tragischen Verlusten der Zeit, von denen die »Kämpfer« die allergeringste Ahnung und die Mitschuldigen kein Gran Bewusstsein haben, wäre es hinzunehmen, wenn sich vollends erwiese, was schon in der Friedenswelt den casus belli der Fackel gebildet hat: dass Leser den Ansprüchen, die sie ans Denken stellen, nicht gewachsen sind. Gleichwohl wurde ihr Wert und Beitrag niemals unterschätzt: wenn die vielen, die nicht auf die Kosten der Lektüre kamen, ihr treu blieben, so erkannten sie wohl die mäzenatische Pflicht, sie den wenigen zu sichern, um deren reinlicher Auswahl willen diese Klarstellung (welche ja gerade einem Verlag zusteht) erfolgen soll. Der Erhaltung einer publizistischen Möglichkeit für den Inhalt, auf den es ankommt, wird keine Konzession gemacht werden. Fünfunddreißig Lebensjahre eines Werkes und sechzig seines Autors gestatten vielleicht, die Unerbittlichkeit seiner geistigen Entscheidung bis zu dem Punkt der publizistischen Existenz zu führen, und Mäzenen, die Ansprüche stellen, könnte die Gelegenheit entzogen werden. Denn nun ist der Fall eingetreten, wo sie vermeinen, dass ihre Erwartung Inspiration, wenn nicht gar Auftrag sei, und ihre Enttäuschung hätte sich gewiss schon als Verzicht aufs Lesen geäußert, wenn sie nicht eben darin läge, dass die Zwanglosigkeit des Erscheinens der Fackel ihren höchsten Grad erreicht hat. Dieser suchen sie jedoch mit einem Zwang entgegenzuwirken, dem eine Zensur, die nur auf die Unterdrückung des Veröffentlichten abzielt, kein Pendant zu bieten hat. Ihr Meinungsdruck wirkt herrischer, weil der Inquisition der Freiheit kein analoges Mittel zu Gebote steht, indem es doch nicht einmal möglich ist, den Bezug einer Zeitschrift aufzugeben, die bloß dadurch Unzufriedenheit erregt, dass sie nicht erscheint. Es liegt aber der im Druckwesen gewiss seltene Fall vor, dass Nachfrage ungünstig einwirkt, Ermunterung einschüchtert und es fast den Anschein hat, dass sich da mit Gewalt überhaupt nichts richten lassen wird. Pflichtartikel einrückend zu machen — dieser Machtmöglichkeit hat sich die Freiheit begeben. So bleibt nichts übrig als das Schreiben von Mahnbriefen und im verschärften Fall deren Drucklegung, der publizistische Ausdruck der Beschwerde, der Enttäuschung, der Empörung darüber, dass im Gehirn eines Autors die Gedanken nicht reifen oder aus ihm nicht in Erscheinung treten wollen, die er pflichtgemäß haben müsste und an deren Identität mit den Gedanken der Erwartenden gar nicht zu zweifeln ist. Dass ihm zu Hitler nichts einfällt und gar aus dem Grunde, weil ihnen schon alles eingefallen ist, das fällt ihnen nicht ein, und nicht einmal den Komplizierteren unter ihnen: dass gut Ding Weile braucht und durch Zuspruch aufgehalten wird; dass einer so grandiosen Konzeption zur Erneuerung der Menschheit, die sich selbst auf Jahrtausende bemessen hat, doch zumindest ein satirischer Fünfjahrplan angepasst wäre. Was sich Leser und Schreiber unter schriftstellerischer Tätigkeit im Allgemeinen und der seinen im Besondern vorstellen, ist dem Autor der Fackel unbekannt. Bis zu seinem Schreibtisch sind sie noch nicht vorgedrungen, und das ist gut, weil sie sich dann vollends nicht auskennen würden. Er ist ja nicht faul gewesen, und es mag da vielleicht mehr versucht worden sein, als je an solchem Platze vollbracht wurde. Aber wie enttäuscht wären sie doch von dem Bild eines Vorkämpfers, der sich in Protagonie gegen die Zeit befindet, und nur noch imstande, sich selbst den bessern Nachruf zu schreiben als die Dummköpfe, die es unternommen haben. Will man ihn trotzdem nicht in Ruhe lassen? »Welch ein Tosen! Welch ein Wühlen! .. Wildbewegte Wünsche stürzen aus den überdrängten Herzen, wälzen sich zu mir empor.« Freilich zumeist vom Papier her, zuweilen aus einem rührenden Kinderglauben an das »Wort«, der beschämt würde von der simpelsten Vergegenwärtigung des Sachverhalts wie des Verhältnisses der Kräfte, wenn die Phantasie zu ihr noch fähig wäre. Hie Waffe, hie Wort: mit diesem schlichtsatirischen Hihi könnten wir uns eigentlich nach Hause schicken lassen; um, wenn wir fromm sind, zu beten, dass der Herr uns von dem Übel erlöse, und andernfalls, da wir in der Mehrheit wohl Freidenker sind, auf den Ablauf der Natur zu warten.
Doch stattdessen auf Polemik dringen, dazukönnte einer Gedankenarmut entsprechen, die unter Umständen an eine Rohheit streift, die der innersten Beziehung zum Übel nicht entbehrt. Es gibt einen Punkt der Betrachtung, von dem aus nichts mehr links oder rechts, sondern alles nur dumm erscheint. Der Hohlkopf, der sich überhaupt nichts vorstellt, stellt sich doch eine »Wirkung« vor, die etwas »umwirft«, etwas, dem er zufällig, meinungsmäßig, an der Oberfläche gefühlsmäßig widerstrebt, und womit er im tiefsten Grunde geistesverwandt ist. Als wäre es nicht ein Übel, von dem es leichter ist, umgeworfen zu werden! »Wollt ihr Macht? Der Mächt’ge hat sie.« Dem diente das »Wort« als der mitteilende Helfer der Tat und Untat. Doch zu sich gebracht, in den Bereich seiner Natur zurückgeholt, dem Element wiedergegeben, aus dem sich das Sprachbild von Tat und Untat gestaltet — versagt es die zeitige Gegenwirkung, die sein Teil nicht ist und nie gewesen; bewahrt sich, wenn noch so unmittelbar aus dem Tag erworben, als moralisches Erbe, verkümmert jedoch, bei aufgesparter Fülle, am ungemäßen Anspruch. Dies war immer das Problem der vom Aktuellen bezogenen Satire, welche erst in der Entfernung vom Anlass wirksam, ja verständlich wird. Wie erst, wenn der Stoff als solcher ihre geistige Möglichkeit negiert, wenn der Gegenstand der Satire spottet und in der zeitlichen Konkurrenz, nach Wesen und Maß, über jeden Versuch triumphiert, seiner habhaft zu werden! Über allem Erlebnis der Gewalt, der Lüge, des Irrsinns steht da, einzig gestaltbar, das Erlebnis des Inkommensurablen, der Unmöglichkeit diese Phänomene zu gestalten — mindestens in der Gleichzeitigkeit des Wirkens —; das Gefühl des Hinschwindens aller Gestalt als publizistischer Erscheinung, vermöge des ungemäßen Anspruchs auf Wirkung, des unerfüllbaren auf Bewältigung. »Sie töten den Geist nicht, ihr Brüder!« Trost einer Phraseologie, die andere der Gewalt ausgeliefert hat; Zitat aus einem schlechten Kampfgedicht, das unsereinem umso weniger sagt, als es dem Hingang einer Zeitung gewidmet war. Nicht weit entfernt von jenem unersetzlichen zerbrochenen Krug, mit dessen Eigenart ja alle Logik dieser Parteiwelten auskommt. Denn erstens töten sie den Geist vorbildlich, wenn er in Verkennung der Umstände sich unmittelbar manifestieren wollte; zweitens töten grade die Brüder den Geist, die ihn für sich reklamieren; drittens ist das, was sie so nennen, kein Geist, sondern bestenfalls Wahn, gemeinhin Betrug; und »letzten Endes« — zu welchem Begriff und Terminus sich die Gegner eben dann vereinigen — überlebt er beide, wenn er sich mit dem Geist, den sie begreifen, und mit der Freiheit, die sie meinen, in ihrer Gegenwart überhaupt nicht abgibt, sondern sich auf sich selbst zurückzieht. Ein letztes polemisches Objekt gewährt ihm die Zeit, die am Ende ist: das Geistgesindel, das dieses Problem nicht versteht, nicht wenigstens fühlt, sein Erleiden nicht ahnt, seiner Möglichkeit misstraut, und doch von den Brosamen fett wird eines Mahls, bei dem ein Schwelger fastet.
Aber bedarf es denn (wieder einmal und wohl zum letzten Mal): vor dem beispiellosen Aufbruch der Problematik des Wortes; vor der Erledigung der Sprache im Namen der Nation, wogegen es doch keinen andern und wirksamern Protest als ihre Aufrichtung gäbe; vor der Vernichtung der Metapher, der das eigentliche Anschauen der Zeitdinge bestimmt wäre — bedarf es der Klarstellung, dass das Wort in seiner Beziehungsfülle sich dichterisch allem verbindet, nur nicht dem, was die Meinenden gemeint haben? Hausväter-Unrat der Missdeutung: die Worte wären das Register der Sachen! Wenn sich nun die Sprache geflissentlich jenem Anspruch falscher Funktion entzieht, von dem die Gestaltung aus Farben und Klängen verschont bleibt (wofern sie nicht als Plakat, als Gassenhauer zu wirken hat); wenn sie sich an den außerzeitlichen oder zweckfernen Inhalt vergibt — sich etwa im Sprachspiel Shakespearescher Sonette vergeudend —: so scheinen »ihre Gaben, ihre Töne mädchenhaft« gleich Elporens Anbot, und die Zweckhungrigen, die sich nicht abspeisen lassen, werden ungebärdig, die Zeitstoffel werden rebellisch, die sich vorstellen, dass ein Satz aus nichts als ihrem Antrieb entsteht: das auszudrücken, was in ihnen vorgeht! Sind sie, denen dann der Vorwurf des »Ästhetentums« einfällt, nicht die eigentlichen Ästheten, welchen in ihrer Politisiertheit nichts näher liegt als der Wunsch, dass man das Unwirksame, zur Unwirksamkeit Verdammte, schöner als sie zum Ausdruck bringe? Es tritt der Moment ein, wo man nicht nur im akustischen Umkreis die beifällige Herabsetzung des satirischen Sprachwerks auf Ansicht und Anlass nicht mehr erträgt — älteste aller Beschwerden! —, nein, wo einem in jeglicher Verbindung die »eigenen Schriften« so unliebsam werden wie die Objekte, die sie zufällig betrafen und die ihnen jeweils den Beifall errungen haben; und wie die Subjekte, die, den Sprachwert verschmähend, nur auf dem eigenen Niveau einem begegnen wollen. Weil es hier nichts Mechanisches und nichts Zufälliges gibt, so deckt sich die Unwegsamkeit des Stoffes ganz und gar mit der Verhinderung durch den Leser. Sein Verlangen beweist nicht, wie sehr, sondern wie wenig er den Stoff erlebt hat. Er ist mit nichts als mit der Nervenspannung beteiligt, die den Kriminalaffären — hier einer von weltgeschichtlichem Format — den publizistischen Erfolg sichert; und wie er sonst nichts spürt, so spürt er vor allem nicht, wie wenig solchem Interesse der Anteil des Autors gemäß ist. In nichts leidet der Leser mit ihm: weit entfernt von der Vorstellung, dass einer, den er sich als publizistischen Sammler gegebener Eindrücke wünscht, dem bestürzenden Erlebnis erliege, welches vielleicht als Antrieb wirken könnte, sein Unmögliches zu gestalten, sicher aber als Hindernis aktueller Gegenwirkung.
Diese Lage, worin schließlich nach einem Bemühen, dessen Riesenmaß kein Tölpel ermisst, eine geistig-sittliche Rechenschaft entscheidet; worin Verantwortung den schmerzlichsten Verzicht auf den literarischen Effekt geringer achtet als das tragische Opfer des ärmsten, anonym verschollenen Menschenlebens — diese Lage, im allgemeinsten Erlebnis besonders durchlebt, sie könnte wahrlich weder durch die Enttäuschung einer törichten Anhängerschaft — auf die aus Offenbach gepfiffen sei! — noch durch die Schadenfreude der Lumperei alteriert werden. Hat diese oder jene Sorte denn eine Ahnung, wie sehr die anonyme Version, Herr Kraus habe »auch sonst Rücksicht zu nehmen«, den Nagel auf den Kopf trifft? Können sie vorstellungsmäßig ermessen, dass wenn der Satan, an dessen Greuelfähigkeit sie doch nicht zweifeln, eben deren Konsequenz betätigt, für polemische Taten, deren Nutzen nicht beweisbar wäre, um des Verdachtes der bloßen Anhängerschaft willen Menschenopfer fallen? Wissen sie, dass man ein Lump sein kann, wenn man durch seine verbotene Meinung, die man über die Grenze schmuggelt und die doch in Wort und Wirkung ein Mist bleibt, Proletarierleben in Gefahr bringt, und dass einer mehr Ehre aufhebt, wenn er einer zufällig nicht verbotenen Produktion den Markt freiwillig sperrt, damit Ahnungslose nicht noch die Opfer ihrer Bitte werden, sie »in geschlossenem Kuvert« zu erhalten? Weiß ein Lump, dass man auch einer sein kann, wenn man die Wahrheit sagt, sofern es sich um die Aussage über eine Pein handelt, die durch die Aussage vermehrt wird; und dass Samariter, sehend und wissend, sich vor dem Unabwendbaren entschlossen haben, zum Werkzeug des erpresserischen Willens zu werden, lieber zu schweigen und die Bitte um Schweigen zu verbreiten, als zu sagen, was ihnen das Herz beklemmt, und in ihren Traum die Vision einer Fortsetzung von Martern, vielleicht eines Verendens zu übernehmen? Sprechen ist Fortsetzung der Gewalt, Schweigen die der Erpressung: diese Notwahl ist ihre Gunst. Wer aber wagt, ohne Deckung durch die Gegenwaffe, die feldherrliche Entscheidung, dass zu größerem Nutzen Schaden zu bewirken sei — außer dem kämpferischen Pfuscher, der von seinem Meister alles, nur nicht das Gewissen stahl und der noch lügt, wenn er die Wahrheit sagt? Ahnt er, dass schon die Unmöglichkeit, solche Gedankengänge fortzusetzen — um den Zufall, der über Freiheit und Leben entscheidet, nicht in Plan zu wandeln —, eben den Inbegriff des Grauens, Problem und Inhalt des Ereignisses bildet? Nun haben sie, in die Umgebung ihrer Prominentenfreuden, glücklich die Sensation der Meldung eingebracht: »Das Schicksal« des besten Vertreters ihrer verlumpten Idee »besiegelt!«, nachdem sie durch Wochen ausposaunt hatten, Moskau (sonst nicht allzu rührig) rüste zu seinem festlichen Empfang und er werde vier Vorträge über Leipzig halten! (Vor einer Gefahr, gegen die Lindberghs es mit Lösegeld versucht hatten.) Zwischen Femina und Gyimes-Revue, wo sich alles Kulturgeschehen und alles Grauen der Menschheit einbettet, rufen sie das »Weltgewissen« auf — sanftestes Ruhekissen, das sich Herr Göring wünschen mag — und buchen die Opfer einer Dummheit, die den Triumph der Erbarmungslosigkeit herausfordert. Was spürt das Geistgesindel, das noch immer nicht weiß, was geschehen ist und wie viel und wie blutig es geschlagen hat, von dem Sinn eines Verhängnisses, dessen Stoff es zur Not registriert und von dem doch kein Ausweg ans Licht führt, keine Hoffnung als die auf die Erschöpfung der Quäler, keine Aussicht als die, die der große Mörder bei Shakespeare mit dem Wunsch bezeichnet, dass »der ganze Schatz der zeugenden Natur zusammentaumle, bis selbst Vernichtung matt wird«. Gewiss, auch wenn das Problem in den simplen Gehirnwindungen derer Platz hätte, die sich vom Erscheinen der Fackel den wirksamen Eingriff versprechen — auch dann wäre es klar, dass der »Aktivist«, der en geformten Ausdruck seiner Erregung begehrt, eben der nichtsnutzige Ästhet ist, als den er den Zeitflüchtling zu demaskieren glaubt. »Wer zu denken versteht, wird das absolute Schweigen, mit dem er dieses Jahr schließt, voll erfassen; denn es ist eine gewaltige Anklage.« Beim Papst verstehen es die einen. »Von diesem Tage an ist er verstummt.« Bei Theodor Wolff würdigen es die andern. »Das Da-Sein des großen Schweigenden« — George — »bedeutete uns eine der stärkenden Gegebenheiten dieser in der Grundfeste schwankenden Epoche«, und »sein zu solcher Stunde so beredtes Schweigen sprach eindringlicher als tausend schwirrende Worte«. Vor allem solche Schwirrer konnten nicht fassen, dass eher vom Dichter des siebenten Rings Stellung zum Dritten Reich zu erwarten und zu erlangen war — denn er hat sich ja schließlich doch zur »Ahnherrherrschaft« bekannt —, als von dem »Zeitkämpfer«, mit dessen Produktion die Namen Schober und Bekessy registerhaft verbunden sind. Doch sie sollen darum nicht glauben, dass er ein Werk so hoch schätzt wie sie, das so plumpen Missverstand ermöglicht hat!
Ganz und gar als Vertreter dieses Typus sprechen wir Sie, sehr geehrter Herr, an; des Typus, der seine Beschwerde in törichter Anfrage wie im publizistischen Angriff zum Ausdruck gebracht hat; des Typus, von dem den Herausgeber der Fackel, welcher den Mut hat, vor pseudonymen Fechtern als Feigling dazustehn, geistig dasselbe Blutmeer trennt wie moralisch von dessen Erzeugern. Eben von diesem Typus wünschen wir jenen, leider geringern, Teil der Leserschaft abgesondert, der auf die zehn Zeilen »Man frage nicht« mit Fühlen statt mit Grinsen geantwortet hat. Wir haben — und koste es auch etliche tausend Anhängsel — durchaus den Wunsch, die Grinser dort liegen zu lassen, wo sie liegen: links; — ohne dass uns ein anderer Gedanke als der der erkannten österreichischen Notwendigkeit mit rechts verbände. Wobei wir aber ganz und gar nicht die Gefahr scheuen, in politischen Verruf bei der prinzipiellen Hirnverbranntheit zu kommen, die zur Zeit damit beschäftigt ist, das Einmaleins zu sabotieren, auf das unser aller Leben durch ihre Schuld herabgesetzt wurde, und einer politischen Sachlichkeit, der sie hoffentlich ihre Lebensrettung verdanken wird, phraseologisch entgegenzuwirken. Denn wir machen natürlich kein Hehl daraus, dass wir die parlamentarische Inbrunst der Sozialdemokratie, nebst »Trutz« (mit dem man auf die Ringstraße geht), für keine respektwürdige Empfindung, sondern für groben Unfug halten; dass wir die tägliche Herabsetzung übermenschlicher Mühsal um leibliche Freiheit durch die Maulfreiheit »unerwünscht« finden, wie nur jenen deutschen Besuch, dem sie zu Hilfe kam, und dass wir seit dem Gruß von Aspern, den die Sozialdiplomatie gerügt hat, im Gehirn des einen kleinen Retters aus großer Gefahr mehr Grütze vermuten, als vierzig Jahre österreichischer Regierung und insbesondere österreichischer Opposition aufzuweisen hatten.
Viele Denkprobleme sind einem ja seit einer Wendung, die 1918 nicht abzusehen war, nicht geblieben, und der Kampf um die Bewahrung eines Landes vor der Pest verdient darunter gewiss den Vorrang vor der Debatte, ob drei Pfeile, die nicht mehr treffen, nach oben, nach unten, nach vorn oder nach hinten zu tragen sind. (Das ist beileibe kein Spaß, sondern die Erwägung fiel in eine Zeit, wo das Emblem dem armen deutschen Genossen, einstigen Oberpräsidenten von Schlesien, auf den Hosenboden genäht war und er, bei schwerer Lagerarbeit ich bückend, es belustigten Schindern sichtbar machte.) Was wir selbst jedoch innerhalb der Lebensmöglichkeit, die durch eine Reduktion auf das Problem der Rettung und Fristung hoffentlich gewährt bleibt, noch zu besorgen haben, das ist die Reinigung unserer spezifischen Sphäre von dem geistigen Mist, der trotz jahrelanger Abwehr immer wieder und nun geradezu peremptorisch aus jener Gegend uns angeht, wo die, dass Gott erbarm, intellektuellen Urheber des Debakels sich mausig machen. Der Zudrang erregter und mitteilsamer Dummköpfe, grundsätzlich und einzelweis verscheucht, er datiert von den »Letzten Tagen der Menschheit«, deren stoffliche Beurteilung als das gleiche Übel an den Verehrern wie an den Verdammern erscheint und von denen jene eine Vertraulichkeit hergeleitet haben, die einem noch anklebt, wo das Werk von ihnen längst geplündert und infolgedessen auch als »überholt« bezeichnet ist. An der Quantität des Zeitstoffes, aber ohne Ahnung der geistigen Verschiedenheit, ist dieser Zudrang, den wir durch die Schäbigkeiten der »Linkspresse« abgeleitet glaubten, leider gewachsen, mit allem Gemisch aus Hass und Verehrung, das der Literatensorte eignet und seit der Erfindung der Psychoanalyse seine Norm gefunden hat. Dass keine Fackel erscheint« — deren Verfasser doch auch etwas von der Problematik erleben dürfte, die solche Leser damit verknüpfen — scheint bereits, wenn nicht in Ordinationen, o doch in Redaktionen, die Rolle eines »Trauma« zu spielen. Und dabei kann der Herausgeber nicht einmal behaupten, dass seine Enttäuschung an den Lesern größer sei als umgekehrt. Wäre er aber nur halb so »eitel«, wie sie vermuten, die Popularität, die er der nicht erscheinenden Fackel verdankt, könnte ihn in einen Rausch versetzen wie einst die Wirkung nach dem gestohlenen Biberpelz. Nur zur Leistung, welche sich doch auf solcher Basis besonders empfehlen würde, wäre er nicht zu bringen; und mag ihm inzwischen auch alles geistige Gut gestohlen sein. Sie glauben, was einem scheinbar am Ruf zur Leidenschaft fehlt, durchs Stichwort ersetzen zu können. Gewissensmahnung nimmt exekutive Formen an, entartet zur Leibespfändung an gedanklicher Habe; wie bei Nestroy packen sie einen, der zum Glück selten ausgeht, »völlig auf der Gassen um Kapitalien an«, und es ist mit Passanten schon passiert, dass die Hoffnung, es werde bei der Bitte um Feuer sein Bewenden haben, durch die Frage nach der Fackel getäuscht wurde. So gebietet denn Notwehr den in Terrorzeiten möglichen Aufschluss: dass eher das, was der Überzeugung entgegen ist, zu erzwingen wäre, als was ihr entspricht; und dass ein Autor, der, seitdem er wirkt und nicht wirkt, Art und Ablauf seiner Produktion selbst bestimmt, sich lieber von Diktatoren etwas verbieten als von Verehrern etwas diktieren ließe. Mit dieser rückhaltlosen Erklärung glaubt er sich hinreichend weit von Freiheitskämpfern, deren Gesinnung er natürlich irgendwo irgendwie aus innerstem Drang widerstrebend teilt, entfernt zu haben, so weit, dass sie ihn füglich in Ruhe lassen könnten, welche noch immer eine weit größere Unruhe bedeutet, als auf sämtlichen Papierbarrikaden Platz hat. Er weiß, dass der einzige freie Geist der neudeutschen Welt, Frank Wedekind, so wenig durch sie wie durch ihre Antipoden eine Auferstehung zu erwarten hat; mit ihm bejaht er, ganz im Gegensatz zu ihnen und den andern Spießbürgern, jene weibliche Prostitutionsfähigkeit, bis zu deren sozialer Ächtung sie glücklich fortgeschritten sind. Er würde aber um keinen Preis der Welt ihr geistige Reize darbieten, von denen der Genießer früher als er weiß, dass sie zu »haben« sein werden. (Prostitution hier nicht als Begriff der Käuflichkeit, sondern der Verfügbarkeit gefasst.) Mit etwas, wofür er nicht zu »haben« ist, tritt er auf Wunsch des Kunden nicht in Erscheinung! Er zieht es sogar vor, mit der Abweisung dieses Wunsches einen andern zu betrauen. Er hat eingewilligt, dass uns seine Geduld reiße.
Und zwar gegenüber dem Anspruch, der mit der Uhr in der Hand seine Fähigkeit überwacht, Eindrücke aufzunehmen und zu verarbeiten, Einfälle zu haben und zu gestalten, zu schaudern oder zu spotten — Regungen, die doch im Nu ihre Kontrolle einbeziehen. Gegenüber dem Unterfangen, ihm, wenn ihm sein Widerwille, in dessen Tiefe er niemand Einblick schuldet, die Flucht aus der Zeitnahegelegt hat, schlechtgeschriebene Steckbriefe nachzusenden, als wäre die Flucht verdächtig und nicht die Zeit, die — nebst solchen Genossen! — sie verursacht hat. Beruf: Autor der »Letzten Tage der Menschheit«, besonderes Kennzeichen: »Mut«; und nun kann jede literarische Passkontrolle ihn dingfest machen. »Wer weiß etwas?« fragt im Briefkasten der anonyme Scherzbold, der an der Spitze des Blattes — Titel: »Wie sie uns fürchten« — verkündet, ein namentlich bezeichneter Proletarier sei mit 150 Exemplaren des Drecks über die Grenze gegangen und zu einer Zuchthausstrafe von 5 Jahren verurteilt worden:
Ruhm und Ehre den tapferen Kameraden, die für die Verbreitung der
Wahrheit selbstopfernd am Werk sind!
Wer etwas weiß? Der, der Rücksicht zu nehmen hat und, es ahnend, den armen Teufel an der Grenze zurückgehalten hätte, denn er weiß, dass an Prager Schreibtischen Schwachköpfe sitzen, die nicht einmal wissen, dass sie Lumpen sind. Bei aller Tauglichkeit zum Objekt Muss man ihnen selbst noch die Illusion nehmen, Stichwortbringer zu sein und die Antwort auf die Frage erzwungen zu haben, warum die Fackel nicht erscheint. Sie mögen die Adresse bilden, aber die Wohltat der Aufklärung verdanken sie doch anderen. Gerade solchen Lesern, denen für kein Briefpapier die Dummheit einfiele, die zu einem Druckpapier taugt. Da sich herausstellt, dass diese Gleichgestimmten zwar das nichtgesprochene Wort verstehen, aber den Zweifel der Phantasiearmut als Faktor mitleidig werten und den Zweifel der Frechheit für abweisungswürdig halten; dass sie vielleicht selbst — benommen von der Schwierigkeit, die zwischen den Neigungen des Gehirns und den Ansprüchen der Zeit eklatiert hat — ohne ausdrücklichen Hinweis auf die Lage aus ihr nicht herausfinden, oder doch meinen, andere, die guten Glaubens sind, würden aus ihr nicht herausfinden; da sich vor allem herausstellt, dass sie, zwischen den Belangen der Geistigkeit und denen der Wirklichkeit zwar unterscheidend, dennoch die unmittelbare Befassung mit Werten scheuen, deren Erlebnis Trost, deren Erkenntnis Protest wäre — so haben wir, der Verlag der Fackel, uns entschlossen, demjenigen das Heft aus der Hand zu nehmen, der sich so lange bedenkt, es herauszugeben, und der nun einmal zu einem Satz so viel Zeit braucht wie andere (und er selbst) zu einem Buch.
Wir sprechen in Vertretung eines Autors, dessen Meinung wir zu kennen glauben und dessen Stil wir uns durch langjährigen Vertrieb der Fackel mindestens so gut angeeignet haben, wie durch deren Lektüre die Polemiker, die heute nicht nur seinen Mut besitzen, sondern auch wegen seiner Zurückhaltung frech werden. So leicht wie diesen würde es uns natürlich nicht gelingen, die Expedition einer Meinung vorzunehmen, die jener nun einmal nicht äußert. Umso schwerer, an seiner Stelle die Begründung für sein »Versagen« (transitiv und intransitiv) zu finden, weil sie ja doch — wie sagen wir’s nur — das Sagen einbedingt. Aber hier ist, wenn schon keine geistige Notwendigkeit, so doch eine geistige Möglichkeit gegeben, die gewünschte stoffliche Konfrontierung herbeizuführen. Und zwar mit aller sittlichen Förderung durch eine Selbstzensur, während dem unmittelbaren Sagen doch nur jene Schrankenlosigkeit ziemte, die — solange das Thema lebt und der Polemiker zu leben wünscht, ja vielleicht bei Lebzeiten von Lesern — der gänzlichen »Selbstkonfiskation« zu weichen hat. Großmann, alte Liebe, die nicht rostet, hat es erraten, und weit gebracht der Herausgeber der Fackel, welcher von ihm — der nicht ahnen mag, wie viele anständige Juden seinem Pressewalten zum Opfer fielen — auf einer Regung des Schwachmuts, gleichsam in flagranti der Unterlassung, ertappt werden muss. (Beneidenswert aber jene ingeniöse Erfinderin des »Mausi« — an dem wie an der »Journaille« die Fackel nur das Verdienst der Verbreitung hat —, wenn ihr das ausgewachsenste Exemplar unterkommt und sie es auch bei einem Monolog belauschen kann:
.. und ich murmele zuweilen die Verse des größten deutschen Emigranten vor mich hin:
Denk ich an Deutschland in der Nacht,
Bin ich um meinen Schlaf gebracht.
Zum Glück habe ich den Boden Österreichs nie ganz unter meinen Füßen verloren ….
Auch der Boden weiß es sich zu schätzen, denn Großmann ist eigentlich Heimkehrer, während echte Emigranten uns versichern, dass sie die Schlaflosigkeit, die ihnen der Gedanke an Deutschland verursacht, durch Lektüre der Artikel überwinden konnten, die Großmann über ihre Lage veröffentlicht hat.) Der Herausgeber der Fackel, der sich ja alles selbst zuzuschreiben hat, darf sich nicht wundern, dass jetzt vieles, was da sonst vor ihm kreucht oder fleucht, standhaft wird und am Ende noch Haas und Swinegl zu kontrollieren anfangen, wie er ans Ziel kommt.
Die Gestaltung, zu der wir uns da vorwagen — und im Grunde schon das Wesentliche beigetragen haben —, gewinnt dem Hindernis allen Reiz ab und verdankt selbst der Unlust, die das Gebot des Lesers erzeugt, jenen Anstoß, der in Bewegung setzt. Sie erscheint etwa als Motivenbericht zu dem Diktum des Komikers Valentin, dessen gedankliche Elision immer die Ausfüllung der Zeitlogik bedeutet: »Ich sag gar nix. Das wird man doch noch sagen dürfen«. Hauptsächlich kommt aber der Widerstand als Anreiz zur Geltung, alles zu sagen, was gegen das letzte polemische Objekt zu sagen ist, das die Zeit gewährt: gegen eine Anhängerschaft, die sich lange genug als das aliquid bewährt hat, das semper haeret, aber nun endlich doch erkennen dürfte, dass die Freiheit, die sie meint, nicht so sehr die ihre ist, als die von ihr. Gegen den fordernden und enttäuschten Unverstand, der außerhalb der Wirklichkeit und darum nicht über sie hinaus denkt. Wurde der angebornen Farbe der Entschließung (die man wohl nicht von seinen Kopisten borgen Muss) die Blässe des Gedankens angekränkelt, so war es doch einer, den sie bisher noch nicht gestohlen haben: dass die Tat des Wortes ungemäß, weil unwirksam ist, und nicht verlockend, weil von Zuschauern gewünscht. Blieb sie eher wegen des Wunsches ungeschehen, als dass sie auf Wunsch geschehen könnte — so wird nun das »Versagen« (im Doppelsinn) zum Antrieb und zum Ausdruck. Die Materialverarbeitung ist hier ein Spiel neben dem Zwang, den, täglich wechselnd, das große Panorama brachte; die Erfassung und Verknüpfung der gedanklichen Motive schwieriger und darum reizvoller. Nicht mehr »Stellung zu nehmen« gilt es, sondern Klarstellung: welches Minus an Vorstellung dem Verlangen zugrundeliegt, und wie kongruent vom geistigen Punkt her alle Beschaffenheit papiernen Denkens wird, der sowohl das Übel erwuchs wie der Wunsch, dass das Wort von ihm erlöse. Als hätte es die Macht, die wir Gott und der Natur zutrauen wollen, oder die jener Gegengewalt, die wir uns nicht vorzustellen wagen und die — unsägliches Dilemma — wissend, dass ihr Heilmittel verderblicher sei als die Krankheit, sich bis zur Selbstvernichtung den Gebrauch versagt.
So sei denn die Forderung, die von kühnen Lesern gestellt wird, zwar nicht mehr mit Schweigen und dem Ausdruck des Schweigens beantwortet, sondern mit der ausdrücklichen Weigerung: Erscheinungen, die durch eine exorbitante Mischung von Blut und Boden, Persönlichkeit und Volkstümlichkeit dem Menschenmaß und menschlichem Urteil entrückt sind, Männern wie Hitler, Göring und Göbbels mit Geist, Mut, beziehungsweise Wahrheitsliebe entgegenzutreten. Wir sind, ganz im Sinne unseres Herausgebers, überzeugt, dass die Entfaltung dieser Eigenschaften, die ihm bisher einigen Ruf und große Unbeliebtheit errungen haben, dem Begriff des Ereignisses nicht gemäß wäre — weder für die Aussicht im sogenannten »Kampf«, den starkmutige, aber schwachsinnige Anhänger fordern, noch zur Selbsterhaltung, deren Notwendigkeit sie vielleicht einsehen: indem ein solcher Versuch der Bewährung, wenn er geistig überhaupt möglich wäre, weder hinreichenden Schutz des Kämpfers ermöglichte, noch, worauf es doch gewiss ankommen soll, Hilfe für die Bedrohten; im Gegenteil eher Vermehrung aller einschlägigen Gefahr. Das Wesentliche der Begebenheit erschöpft sich ja geradezu in dem Zwang, den sie dem Betrachter auferlegt; und eigentlich bleibt kein anderer Weg, ihre akute Wirksamkeit einzudämmen, als der der geistigen Entfernung: um nur ja nicht an den Zufall zu stoßen, der als der wahre Führer im Chaos über Geister und Leiber raubvogelartig plant und richtet. Da hat die Phantasie des Menschenfreundes es mit der des Erpressers aufzunehmen und tatsächlich eine »Rücksicht« zu entwickeln, die etwa uns, als Vertriebsstelle der Fackel, eben alles vermeiden und versagen lässt, was den (ahnungslosen und ausgesetzten) deutschen Leser zum Merkziel der Betrachtung machen könnte. Schon dass hier ein Verlust — zunächst freiwillig — bewirkt ist, der das Dasein einer Zeitschrift verlagsmäßig gefährdet, stellt sich der Reklamierende nicht vor, und der radikale Lump ahnt nichts von dem radikalen Unterschied zwischen ihm — aus dessen »Kampf« sich die Vorstellung, die er selbst nicht hat: von Geisel und Geißel, zu furchtbarer Fernwirkung verwirklicht — und dem Autor der Letzten Tage der Menschheit, der zwar Mut genug hatte, sich der legitimen Gefahr der Kriegsgewalt zu stellen, aber zu feige ist, den andern, den Unschuldigen, den Unbekannten dem nämlichen Grauen auszuliefern, dessen Gestaltung er ihm vorerst zur Lektüre überlässt. Was ist denn der Gräuel größtes: eine Menschheit, die sie begeht; eine, die sie nicht glaubt, weil sie sie nicht sieht; oder eine, die sie nur glaubt, während sie sie meldet, und der Konsequenz ihrer Vermehrung geistig nicht gewachsen ist? Sonst könnte sie dem Blut, das aus Papier aufbrach, nicht mit eben diesem zu imponieren glauben. Sonst würde sie sich mit der nützlichen und unerlässlichen Funktion, Tatsachen zu sammeln, begnügen, nicht aber gegen Tod und Teufel unzulänglich polemisieren und dem, der seinem Vorrang nicht Wert noch Wirkung zuschreibt, nicht mit einer durch keine Katastrophe zu erschütternden Frechheit und Flachheit begegnen. Sonst würde sie verstehen, dass sein Rückzug moralische und gedankliche Motive hat, die nicht hinter, sondern über ihrer dürftigen Front walten; dass er vermeintliche Mitkämpfer, der zwar nicht »beim Heraufziehen des Gewitters Offenbachlibrettos vorgelesen« hat, der Zeit seine tiefere Verachtung bewiese, wenn er mitten drin ihren Stoff im Hohn einer Geniemusik auflöste, als wenn er in diesem grässlichen Dschungel von Pressalien und Repressalien, an der überwältigenden Unmittelbarkeit des heillosesten Stoffes die Sprache ihre Ohnmacht erleiden lässt. Dass er, dem das Wort entschlief, bis dahin und dann noch im Traum mehr Einfälle zur täglichen Wirklichkeit hatte, als alle Marodeure ihm in dieser Lage stehlen könnten, dürfte doch wohl glaubhaft sein. Aber so hart die Vorenthaltung des Gedruckten sein mag und so unerwünscht der Zwang, zur Aktualität nur alte Wendungen der Fackel und eben jener Letzten Tage der Menschheit zu gebrauchen, deren pazifistisches Arsenal bald ausgeplündert sein wird — der Entschluss zu schweigen ist unumstößlich: sofern er den Verzicht auf den »Frontalangriff« Schulter an Schulter mit jenen bedeutet, deren Mut in der Unverantwortlichkeit besteht. Er entspricht der Erkenntnis, dass ein Werk unmöglich wäre, das ihrer Forderung genügte, weil es bloß besser sein könnte als alles, was sie selbst leisten und was — Ehre dem Ehre gebührt — um des Minus willen wirksamer ist. Die ermüdende Dummheit eines Postulats, das gleichermaßen von der Unterschätzung des Übels wie von der Überschätzung des Polemikers eingegeben ist, kommt sich besonders zugkräftig vor, wenn sie die »Haltung von heute« zu der Mutentfaltung von dazumal kontrastiert, und fast würde es ihr gelingen, dem Leser, den man leicht so blöd machen kann, wie der Schreiber schon ist, mangels jeder andern Vorstellung zu der Illusion zu verhelfen, dass der Autor der Letzten Tage der Menschheit einen Sturmangriff gegen Armeen unternommen habe, während er in Wahrheit bloß mit Zensoren zu ringen hatte, die nicht nur im Vergleich mit den Geisteswächtern des Dritten Reichs, sondern auch mit den Freiheitlern, die ein Nichterscheinen unterdrücken wollen, Kulturmenschen waren. Sie waren nicht ganz ohne Verständnis für die geistige Muthandlung, für das Verdienst, das darin bestand, dass einer als erster und allein gegen den Feind Vaterland kämpfte — denn erst jetzt führt es den »heiligen Verteidigungskrieg«! — und vor allem gegen eine Armee von Kriegsbarden, die später Revolutionäre wurden und ihn heute in die Front gegen ein Unheil optieren oder pressen möchten, das, jedenfalls als Kampfthema, mit dem damaligen gar nicht zu vergleichen ist; an dessen Einbruch sie mitschuldig sind und das mit dem Wort zu besiegen höchstens der Phantasie des Hohlkopfs gelingen könnte. Der Krieg gegen den Kriegsgeist war ein Kinderspiel, verglichen mit der Aktion gegen ein Wesen, das, wäre es selbst nicht mit solcher Fragwürdigkeit einer Kampfgenossenschaft verbunden, in seiner totalen oder totalitären Einfalt hundertmal abgründiger ist als alles, was zwischen Wahnschaffes und Schwarz-Gelbers sich damals angeknüpft hat, um heute aufzubrechen.
Nichts bleibt von dem Unsäglichen, als es nicht zu sagen und höchstens, wenn es gelänge: dies zu sagen. Das ist viel. Denn nichts gibt es, was im Umkreis des Primitiven — das Leben ist auf die Formel seiner Rettung gebracht — nicht problematisch geworden wäre, und so einfach wie es sich die Gegentröpfe vorstellen, ist nicht einmal ihr Fall selbst. So mag, was sich hier mit gebührendem Respekt vor einem Naturereignis indirekt ausspricht, gleich auch durch die mittelbare Form zu denken geben, deren Wahl zu weltgeschichtlichem Anlass und für weltanschauliche Dinge die Vorstellung des Kämpfers vorweg ernüchtern soll, der sein notorisches Ich zurückzieht und hinter dem bequemen Wir verbirgt, welches aber nicht die Majestät der öffentlichen Meinung, sondern nur den Verlag der Fackel vorstellt. Denn ihr Herausgeber hat, da ihm die Weltgeschichte zu dumm wurde — wie der Wunsch, sie zu meistern —, es einfach uns überlassen, mit den gesinnungsmäßigen Ansprüchen einer Zeit fertig zu werden, die sich noch immer nicht als Frist erkennen will; mit dem Plunder einer Freiheit, durch deren Gunst das Leben so wohlfeil wurde wie das Denken. Unsere Aufgabe ist umso schwerer, als sie dem Wesen einer Administration widerstrebt, und nur weil diese wegen des Nichterscheinens der Fackel unbeschäftigt ist, konnten wir jene übernehmen. Der Autor will sie besorgt haben, bevor er sich seiner Passion zuwendet, das zu tun, wovon andere durch andere Sorgen abgelenkt sind: im Spiegel der Sprache zu fechten; in ihm die Schuldigen zu erkennen, an der Missform und dem Verrat der Schöpfung, der sie verrät, in einem Abbild der Untergründe, worin Rechts und Links sich nicht mehr sondern. Denn wenn dem Ereignis überhaupt ein Sinn innewohnt, so ist es, meint er, nicht der der Hoffnung, dass auf der tabula rasa die neue Schrift erstehe. Nur der: Vorwort zum Nichts zu sein, welchem ein Geisteswesen zustrebt, das sich mit unreiner Intelligenz eingelassen hat. Kein unreiner Tor wird es erretten — meint er —, der mit ihren eigensten Mitteln von Technik und Tinte zur Herrschaft kam. Was immer für Ideale den Lebensgeschäften da und dort vorgewandt sein mögen, vom Humanitären bis zum Heroischen, von der Freiheit des Büros der zweiten Internationale bis zu einem Nationsbegriff, mit dem man im Käfig das Hirn des Kanarienvogels füttern könnte — es wird letzten Endes (bis dieses eintritt) darauf ankommen, auf der Flucht aus der Zeit den Steckbrief gegen die Verfolger zu erlassen, den die Sprache selbst diktiert und der ihnen darum unverständlich bleibt. Denn solange die ultima ratio des Teufels, die Natur zu vergiften, noch abwendbar ist, hat das Denken nicht aufgehört; nur soweit es den Teufel selbst betrifft, meint er. Wenn auf dem Fußbreit Leben, zwischen Phrasen und Gasen, statt des freien Entschlusses zur Selbstverblödung noch etwas satirische Laune Spielraum hat, so möchte sie sich wohl gleichermaßen dem Phänomen hingeben, wie die geschlagene Freiheit den Verlust der Freiheit ertrug, und die sieghafte Nation das Opfer der Sprache. Er weiß nicht, ob dies und das zu den kleinen Themen gehört, die der Fackel ihr Lebtag zum Vorwurf gereicht haben und zu denen die Erwartung kontrastiert, deren Schmeichelgift sie nun widersteht. Was immer aber an diesem Punkte der Entwicklung geleistet werden kann, wird den Ansprüchen gegenüber, die so späte Überschätzung behauptet, als der Entschluss wirken, beim Weltuntergang zu privatisieren. Und doch bleibt es ein Gegenstand, noch späterer Schätzung vorbehalten: der große Vorwurf, der der Zeit zu machen war und den sie sich durch leidenschaftliche Gewöhnung an die Presse wie kraft gänzlicher Unwirksamkeit der Fackel verdient hat.
Das alles verstehen Sie natürlich nicht, und auch nicht, wenn es Ihnen einfach damit erklärt würde, dass Gewalt kein Objekt der Polemik, Irrsinn kein Gegenstand der Satire sei und dass Ihr Zeitkämpfer, den Sie sich ganz anders vorgestellt haben und der nun vor der Beweiskraft der Bombe resigniert, bloß noch gegenüber einem Missvergnügen Anhang Mut gewinnt, indem er Satire gegen Dummheit und Polemik gegen Frechheit aufbietet, und selbst dies nicht von Mann zu Mann. Dies wäre ja schon darum schwierig, weil die Widersacher, die das Mutproblem aufrollen, unter Spitznamen wirken — wobei sie sich vielleicht auf den Sinn eines »nom de guerre« berufen können —, wie zum Beispiel jener »Arnold«, der sichtlich von einem Winkelried zurückgeblieben ist, so dass die Gasse der Freiheit schon etwas Anrüchiges bekam; und der im gerichtlichen Ernstfall sich von einer verantwortlichen Dame vertreten ließ. Was hätte unsereins auf solcher Barrikade, die zur Not als Verkehrshindernis in Betracht kommt, zu suchen? Doch vor allem trägt man ja, zaghaft wie man ist, Bedenken, sich persönlich auf ein Niveau der Debatte zu begeben, auf dem so ein er, sie oder es sich bewegt, ja man verleugnet überhaupt nicht einen gewissen Widerwillen vor der Nötigung einer Rechenschaft in geistigen und zugleich so persönlichen Dingen, vor der Zumutung, das Einmaleins mit einer Zeit- und Raumgenossenschaft abzuhandeln, die man doch lieber noch für die Vergangenheit kündigen als für die Gegenwart beziehen möchte. Der »ehemalige Redakteur der Fackel« kann sich zwar nie hinter ein Pseudonym zurückziehen, wohl aber hinter den Paravent, der ihm seit jeher eine starke satirische Aktivität ermöglicht hat, die er bei solcher Gelegenheit und gegen solchen Partner sonst nicht aufbrächte. Er kommt sich, wenn er so den Geschäftsträger vorschiebt, wie jene »Frau von Schimmerglanz« bei Nestroy vor, die auf die Frage des Holzhackers: »Gehn Euer Gnaden vielleicht um a Holz?« die Antwort erteilen läßt: »Sage er ihm: Nein!«. (»Nein, wir nehmen’s vom Greisler«, versetzt der Bediente mit analoger Herablassung, und damit ist die Sache erledigt, nur dass wir es noch ausführlich begründen.) Gewiss, groß ist die Enttäuschung, dass die Sprache, die einer nach alter Überlieferung und Anerkennung durch Analphabeten »beherrscht« (weshalb er geschwind ausdrücken soll, was sie sich denken), kein Bollwerk mehr sei, sondern bloß ein Asyl. Es stellt ich heraus, dass sie die »Abenteuer der Arbeit« für Zeitvertreib gehalten haben und deren Opfer für einen Journalisten. Doch können wir ihnen (Ihnen) versichern, dass »in sprachzerfallnen Zeiten im sichern Satzbau wohnen« auch keine Zuflucht mehr gewährt, seit eben dort die Schlieferl eingezogen sind und sich als Aftermieter selbständig gemacht haben — davon zu schweigen, dass sie noch dann das »Wort« reklamieren, um es zu verhunzen.
Und man soll ihnen zusammenfassend das sagen, was sie einem inzwischen vorabgeschrieben haben. Daraus wird nichts! Ja bei allem Vorrat zeitgemäßer und zeitgegnerischer Gedanken, mit dem eine Generation von Dieben zu versorgen wäre, reichte die psychische Lust nicht einmal zur Absage — wenn es nicht noch im Untergang Normen und Formen gäbe. Staunen Sie nur über den heitern Hochmut, mit dem einer selbst in dieses Stadium der Entwicklung die Ironie der Distanz einlässt. Hinreichend verdächtig durch den Umstand, dass er dem Scheiterhaufen entgangen ist — wiewohl es gewiss manches für sich hat, nicht mit Tucholsky verbrannt zu werden —, lässt er den Inquisitoren der Freiheit durch den Verlag der Fackel bekennen, dass er auch anders kann, als sie möchten. Das Moment der Stellvertretung — wie immer es zu deuten wäre, das heißt: wer hier wessen Stelle vertritt —, es entspricht ganz dem polemischen Maß, das uns der Herausgeber der Fackel stets auferlegt hat, sooft er es sich aufzuerlegen wünschte und sobald ihm das Objekt die Vorsicht empfahl, sich hinter uns zu verschanzen. Er ist trotz seinem Renommee eines Angreifers weder in der Lage, es mit dem ‚Angriff‘ noch mit dem ‚Gegenangriff‘ persönlich aufzunehmen. Immer, wenn ihm etwas zu dumm wird, schiebt er uns vor und überlässt uns so den Stolz, auf eine Sammlung von Satiren zurückzublicken, die er neidlos für ungleich wertvoller hält als alles, was er in der Ich-Form geschrieben hat, in der er sich überhaupt nicht so wohl fühlt wie diejenigen vermuten, die auf seine Eitelkeit bauen. Mit weit mehr Recht könnten sie ihn, der so sein Ich versteckt, für feige halten, für gleißnerisch, tückisch oder auch kindisch, weil er zwar selbst in dieser Form von sich spricht, aber per »er«. Dieser ungünstige Eindruck wird jedoch durch unsere beglaubigte Unterschrift ein wenig verwischt, und auch was den Inhalt betrifft übernehmen wir die volle Verantwortung, die er trägt. Indem die Trennung der Ressorts bei der Fackel (welche so lange schon a non lucendo so heißt) ganz anders durchgeführt ist als bei anderen Druckschriften, mögen Sie überzeugt sein, dass wir, die im Besitze jedes Redaktionsgeheimnisses sind — während der Herausgeber noch niemals in unsere Administration Einblick genommen hat —, alles sagen können, was wir über seine Beweggründe wissen. Wir hoffen es so zu sagen, dass Sie am Ende schwören werden, dieses Schreiben sei in Vertretung des Verlags der Fackel von deren Herausgeber verfasst. War es nicht bisher schon unverständlich genug? Wir können aber auch plaudern, und ausplaudern, dass schon so mancher Zusender an dieser Art der Abweisung Ärgernis genommen hat, ja einmal hat einer sogar gefunden, dass sie seiner geraden Natur widerstrebe, nach der er gewohnt sei, jedem ins Auge zu schauen — gewiss ein Vorzug vor dem Herausgeber der Fackel, der zwar vor tausenden kein Lampenfieber kennt, aber immer noch verzagt wurde, sobald er einem einzigen Shakespeareübersetzer ins Auge schauen sollte. Außerdem wäre zu bedenken, dass es manch ein Inkognito gibt, das selbst nach erfolgter Lüftung ein solches bliebe, während dem Autor der Fackel keine »Tarnung« hilft. Ferner wäre der Vorsprung kaum zu übersehen, den mancher Kämpfer schon vermöge seiner Nase hat, die ihn geradezu zwingt, mit offenem Visier zu kämpfen. Der Herausgeber der Fackel, als Haudegen überwertet, verschmäht solches gerade in Fällen, wo er der üblen Nachrede, ihm fehle es gegenüber der akuten Gefahr an Mut, satirisch entgegenkommen will, indem er darin ein Motiv der künstlerischen Gestaltung erblickt. Denn nichts geht ihm über diese und indem er noch auf der Flucht um sie besorgt ist, ist ihm tatsächlich selbst ein Komma wichtiger als der »Kampf«, ja als die Ehrensache einer Stellung zum »Mutproblem«, dem er keineswegs ausweichen, aber sowohl das Rauhe wie insbesondere das Heikle nehmen möchte, welches doch immer der Diskussion anhaftet, wenn man persönlich darüber aussagen soll, ob man ein Feigling ist oder nicht. Warum sollte da nicht der schon so oft ins geistige Vordertreffen gesandte Verlag der Fackel eingreifen, der den Fall doch kennt; der die Frage: »Wann erscheint —?« unmittelbar empfängt; und dessen Intervention in allen Lagen nun einmal als ein Genre beglaubigt ist, mit dem sich die künftige Literaturforschung, falls es eine geben sollte, wird befassen müssen und worin auch für den Kulturforscher die vorzügliche Hochachtung zum Ausdruck kommen wird, die dem angebrochenen Jahrhundert gebührt hat, mit welchem man sonst nichts anzufangen wüsste. Schließlich, ja letzten Endes wird sich in dieser Abschiedsformel das Bestreben nach äußerster Verfeinerung einer Verkehrsform ausgesprochen haben, die bei der Nation im Schwange war und deren Ausdruck ihr — im Gegensatz zum »Lebt wohl!« (Iphigenie) — als die einzige Willenserklärung ihres größten Dichters vorgeschwebt hat, die übrigens auch nicht direkt, sondern durch eine Mittelsperson bestellt wird. Selbst nun auf die Gefahr hin, dass Sie, sehr geehrter Herr, an solcher Beziehung Anstoß nehmen könnten, welche keineswegs eine persönliche Spitze hat, kann der Satiriker — dem es ja von der Natur noch weit mehr gegeben ist, über die Dummheit zu lachen, als die Schlechtigkeit anzuklagen — doch nicht umhin, auch diesmal, wo es nicht die Kalamität einer ‚Literarischen Welt‘, sondern die Katastrophe der Welt betrifft und der Adressat in der Gasse der Freiheit wohnt, zwischen ihn und sich unsere Firma einzuschieben, da es sich ihm in dieser Form leichter konversiert und umso mehr, als er stumm zu bleiben wünscht. Es ist ein Spiel der Einkreisung des Gegners und seiner ganzen Sphäre, das der direkten Aussprache, die immer etwas Brutales hat, vorzuziehen ist und schon von Eduard VII. gegenüber den Mittelmächten angewandt wurde. Es ist — bis man sich wieder mit Kleinigkeiten wie Shakespeare, Einfassung des
deutschen Verses in die Offenbach’sche Musik und so Dingen der Sprache abgeben kann — eine Art, um die Winkelriedforderung (Arnold) herumzukommen und vor den Spießruten der Dummheit zu lustwandeln.
Aber wenn man sonst gern in kleinem Druck beigab — der als solcher schon die Lust nährt, mit der Welt Verstecken zu spielen (es ist noch nicht aller Glossen Abend!) —, so muss doch diesmal, wo Schweigen wieder einer großen Zeit antwortet, auch dem Auge gedient sein. Wir wären ja keineswegs so unbescheiden, den »Kampf« als solchen für den Herausgeber der Fackel zu übernehmen, wiewohl er sich schon durch dieses Wort außer Gefecht gesetzt fühlt. Wir wollen Ihnen nicht einmal die entmutigende Wirkung beschreiben, die jener »Kampf« auf ihn hervorgebracht hat, der seit dem Weltkriegssterben, durch die sogenannte Revolution hindurch, und besonders seit der endgültigen Niederlage, von der freiheitlichen Publizistik geführt wird, indem zwar der Wilde schon an den Mauern tobt, aber der Dumme noch in den Redaktionen. Wir können Ihnen höchstens verraten, dass ihm nicht nur die Vergeudung von Papier, die solcher Zeitvertreib erfordert, sondern insbesondere die Vorstellung dessen, was mangels eben dieser von ihm selbst verlangt wird — denn er soll »vorkämpfen« —, beinahe das schwere Magenleiden zugezogen hätte, das vielfach als Erklärung seiner Passivität angenommen wird, weil man sich das Rätsel ja sonst gar nicht erklären könnte. Diese wohlwollende Deutung — denn dass er vor akustischen Gespenstern davonlief, würde niemand glauben — musste schließlich oder letzten Endes zu Gerüchten führen, auf Grund deren die Presse in aufopfernder Erfüllung ihrer traurigen Berufspflicht sich entschloss, Personen, die dem Verschollenen nahestehen und bei denen offenbar Details zu haben waren, mit der telefonischen Erforschung seines Ablebens aus dem Schlaf zu wecken, was gewiss nicht geschehen wäre, wenn man bloß plötzlich eingetretene Feigheit als Ursache des Verstummens vermutet hätte. Das begann in einer Nacht von Sonn- auf Montag, »in solcher Nacht«, wo der Chroniqueur auf Ehebrüche, Attentate, Lustmorde an Mitgeboten, Zwietracht in Staat und Familie lauert und zur Not mit dem Hingang eines stadtbekannten Satirikers vorlieb nähme, der sich ausgeschrieben hat. Der Verstorbene selbst wurde aus Furcht vor einem Lebenszeichen nicht geweckt; bloß sein Hausbesorger, der aber nicht informiert und mit Recht grob war.
Doch selbst wenn der Optimismus der Presse durch den Fall Nahrung fände, für den sie bereit ist, ihr Totschweigen zu brechen, würde der Herausgeber der Fackel uns nicht letztwillig mit seiner Stellung zu Göring belasten, die so lebhaft, und vielleicht gerade von seinen Todfeinden, begehrt wird, und von der wir nur sagen können, dass er sie lieber als Redaktionsgeheimnis mitnähme in das Land, von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt, ehe er einen Leser verleiten wollte, sie dorthin zu bringen, wo es gleichfalls passieren kann. Die Sehnsucht nach dem kräftigeren Ausdruck dessen, was jeder und vermutlich Göring selbst schon weiß, ist auf jenen schmeichelhaften Drang zurückzuführen, der nun einmal der lokalen Menschennatur innewohnt, welche sich nur schwer die Gefahren der Nachbarschaft vorstellt, nicht glaubt, was sie nicht vor Augen hat, und selbst wenn sie’s sähe, wahrscheinlich dächte, es werde schon nicht so arg sein. Das ist nun einmal die Spielart, die sich einzelweis für die Ausnahme und vom Zufall protegiert hält; sie will zugleich hören und sich die Ohren zuhalten; in dem Staatsmann, der ausnahmsweise tut, was andere mit dem Maul besorgen, erkennt sie nicht den Lebensretter, sondern den Feind der Redefreiheit, und zum Weltuntergang, wiewohl er in der Fackel sattsam erörtert war, braucht sie halt deren Erscheinen. Es ist ein Interesse, von dem kaum verwunderlich wäre, dass es jene Eitelkeit genährt hätte, die dieselbe Kundschaft noch lieber in Erscheinung treten sieht; das aber in Wahrheit überhaupt nichts nährt als Grausen und die Erkenntnis eben der Phantasiearmut, die dem Verderben die Bahn gebrochen hat und den Zug des Unheils beschleunigt. Wie sollte denn, wenn das Objekt schon den »Kampf« ermöglichte, der Anreiz entstehen, sich als Kämpfer für ein Milieu zu opfern, das alle Sorge und Sachlichkeit herabsetzt, »Mut«, der im Staatsleben am Platz ist und so sichtbar wird, dass die Maultrommler endlich verstummen müssten, verkleinert und dem Todfeind mit der Erwartung entgegentritt, er werde auf Gallert beißen! Zum großen Thema des Aufbruchs der Hölle versagt mit leidenschaftlicher Feigheit der, dessen Werk vergebens getan war: den Teufel an die Wand zu malen.
Ende Seite 33. Fortsetzung folgt.