Seelenmord – Was ein Mensch wert ist. Von W.K.Nordenham
07. Mai 2012 | Kategorie: Artikel, Justiz, Menschenwürde, Seelenmord, Was ein Mensch wert istSpiegel-online 12.3.2012
Kind für Missbrauch gezeugt – Langjährige Haftstrafen für Paar aus NRW
Essen.- Der Plan war so entsetzlich, die Umsetzung so grausam, dass die Tat „außerhalb des Bereichs unserer Vorstellung“ liege, betonte Staatsanwalt Gabriel Wais am Landgericht Essen. Melanie R., 26, und Benjamin P., 27, sollen ein Kind gezeugt haben – aus einem einzigen Grund: Sie wollten es sexuell missbrauchen.
Am Montag wurde das Urteil in dem Fall gesprochen. Der 27-jährige Angeklagte aus Gelsenkirchen wurde zu a c h t , seine ein Jahr jüngere Partnerin zu f ü n f J a h r e n Haft wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs verurteilt. D i e R i c h t e r b l i e b e n m i t d e m S t r a f m a ß für Benjamin P. u n t e r d e n von Staatsanwalt Wais g e f o r d e r t e n z e h n J a h r e n . Ein Gutachter hatte beide Angeklagten für v o l l s c h u l d f ä h i g erklärt.(…)
„Die Angeklagten haben einen schutzlosen Säugling zum bloßen Objekt ihrer sexuellen Begierde degradiert und seine M e n s c h e n- w ü r d e m i t F ü ß e n g e t r e t e n „, sagte der Vorsitzende Richter Heinz – Günter Busold in der Urteilsbegründung. Die Richter hätten im Verlauf des Prozesses in Abgründe menschlichen Handelns und Denkens geblickt, die sie “ f a s s u n g s l o s und b e t r o f f e n machen“, so der Vorsitzende.(…)
Wenn irgendjemand Zweifel an Sinn und Zweck der Frage gehabt hat, zu was eine human sich nennende Spezies nicht nur fähig, sondern auch imstande sei, welche Schandtat sie nie und nimmer begehen würde und was ihr unbedingt zuzutrauen sei, hier wird ihm Antwort zuteil. Das schlimmste Vorstellbare greift zu kurz, der Schrecken trifft mitten ins Herz. Sei es der schriftstellerische Auswurf des kranksten Gehirns oder seien es die Phantasieauswürfe psychopathischer Filmemacher, nichts, aber auch gar nichts, vermag die Ungeheuerlichkeit zu einzuholen, die durch die obige Mitteilung belegt wird und vor der noch der ärgste Alptraum kapitulieren muss. Der Artikel geht ins Detail. Ich sehe mich nicht in der Lage mehr von dem wiederzugeben, was niemand wissen will und keiner sich vorstellen kann. Lange habe ich gezögert überhaupt zu schreiben, da mir das Wort fehlte während der Zorn wuchs. Es gibt Ereignisse, die den Geist lähmen, in Lethargie verfallen lassen, wo man den Aufschrei der geschundenen Weltseele zu hören glaubt und sich das Bewusstsein aus Selbstschutz der Mitteilung verweigern will. Beim Ausbruch des 1.Weltkrieges, des großen aus einer Sektlaune begonnenen Völkermordens und als die Zeit durch die Nazis 1933 in Blut getaucht wurde, da wieder niemand Einhalt geboten hatte, gab es diese Momente für Karl Kraus. Das große Grauen beschreibt auf alle Zeit Auschwitz. Aber im scheinbar menschlich Kleinen, welches eben darum für groß zu gelten hat, wiederholt sich der tägliche Schrecken oder vielmehr, er setzt sich fort.
Die abgenutzte Metapher vom menschlichen Abgrund kann im vorliegenden Fall in ihrer Bedeutung vollendet und dem Wortsinn getreu erfahren werden, weil erst das Adjektiv „menschlich“ den Abstieg in die tiefsten Tiefen des Ekels und der Widerwärtigkeit beglaubigt und man allein deshalb dem Abgrund die Bodenlosigkeit zutraut, in die ein Tier sich nie je verirren würde. Kein noch so abgründiges Höllenwerk scheint der Unnatur des Menschen wesensfremd, eben gerade weil sie menschlich ist. Das ewig Menschliche zieht nicht hinan, sondern hinab. Die dünne Schicht kultureller Errungenschaften, welche die humane Unzulänglichkeit als Zivilisation ausgibt, kaschiert notdürftig, was dem Tier an Natur verloren ging, als es Mensch ward. Ohne das Menschsein je erlangt zu haben, gedachte dieser Missgriff der Schöpfung das scheinbar Animalische von sich abwerfen zu dürfen ohne sich über die Folgen Rechenschaft zu geben, die bloßes Menschsein nach sich ziehen würde. Nichts einfacher und daher unnützer als mit dem Kulturmäntelchen zudecken zu wollen, was selbst durch ein Zaubergewand nur unsichtbar, aber niemals ungeschehen gemacht werden könnte. Sophokles Wort aus Antigone – “ Ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch“- habe ich immer so verstanden, dass im Ungeheuer Mensch nicht nur Ungeheures sondern vor allem Ungeheuerliches angelegt ist.
Der Abscheu wird verstärkt durch die Tatsache, dass die Justiz selbst dieses unfassbare Delikt nicht des Höchstmaßes der Strafe für würdig erachtete, sondern Gründe fand, die offenbar Gelegenheit zu Milde boten. Die Würde des schutzlosen Säuglings sei „mit Füßen getreten“ worden, so der Richter. Selten klang eine Phrase so dümmlich und deplaziert. Wenn doch nur dieses geschehen wäre! Und zwischen den sodann aufgebotenen Befindlichkeitsadjektiven „fassungslos und betroffen“ scheint mir sehr wohl ein wertiger Unterschied, wobei man auf die Reihenfolge achte, welche die Floskel zuverlässig von echter Empfindung scheidet und den Mangel an Tiefe aufdeckt. Es ist das Urteil des Gerichtes, das die Würde des Kindes nochmals missachtete, als es die Tat der Höchststrafe für unwürdig befand. Schon lange – spätestens seit dem Versagen der belgischen Justiz im Falle Dutroux – bedrängt mich eine perfide Ahnung, als ob nämlich ein Hodenträger dem anderen aus unbewusstem Skrotalkonformismus nolens-volens etwas nachzusehen hätte, wenn es um Missbrauch geht, der ja durchweg von Männern ausgeführt wird oder wurden schon einmal vermehrt weibliche Päderasten entdeckt, die sich an Kindern oder gar Säuglingen vergingen? Vergewaltigen Frauen reihenweise Jungen und Mädchen oder hat auch hier die Riege der Hodenträger inklusive der per ordre Vaticano Depravierten die absolute Hoheit? Viel zu oft habe ich noch nach Jahrzehnten den Schmerz der Opfer miterleben müssen, als sie mir davon sprachen, wie wenn es gestern gewesen wäre, da man ihre Seele mordete. Im Talmud und später im Koran heißt es, dass wenn jemand einen Menschen tötet, so solle es sein, als hätte er die ganze Menschheit getötet. Es ist an der Zeit, dass sich die Hodenträger aus der Gesetzgebung für männliche Sexualtäter heraushalten und bei der Aburteilung dieser Taten vom Richteramt wegen Befangenheit zurücktreten, vielmehr dies Frauen überlassen, in der zugegeben vagen Hoffnung, dass Würde nicht noch mehr beschädigt und der Seelenmord, den jede dieser Taten unstrittig zur Folge hat, als solcher wahrgenommen wird und strafrechtlich im Sinne des Opfers wahrhaft gewürdigt.