Sein oder Design ist nicht mehr Frage, sondern schon Antwort. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt.

Kaiser Wilhelm II. „Der Weltmord war ein Trunkenheitsdelikt.“ Von Karl Kraus

29. November 2011 | Kategorie: Artikel, Aus "Die Fackel", Notizen zur Zeit, Wilhelm II

Karl Kraus verlas in Innsbruck schier unglaubliche Augenzeugenberichte über Wilhelm II. Kaiser von Deutschland, den Mitinitiator des ersten Weltkrieges. Er ging nach dem Krieg ins Exil nach Holland, tat so, als wäre nichts gewesen, und niemand zog ihn je zur Rechenschaft.

Die Zeitung schreibt: Große Skandale bei einer Karl Kraus-Vorlesung in Innsbruck.

Der Korrespondenz Herzog wird aus Innsbruck telegraphiert: Bei einer Vorlesung, die der Schriftsteller Karl Kraus gestern Abend hier hielt, kam es zu einem ungeheuren Skandal. Als Kraus aus seiner Schrift »Die Letzten Tage der Menschheit« einige Kapitel vorlas, kam es bei der Verlesung des Vortrages »Kaiser Wilhelm mit seinen Generalen« zu furchtbaren Lärmszenen. Von der Galerie herab ertönten Pfuirufe  …

Fakt ist,  dass die vorhergehende Meldung  bis auf die Tatsache der Vorlesung frei erfunden war, vielmehr waren die Zuhörer sprachlos von dem Gehörten. Das hätte die Presse, das hätten die Unbelehrbaren gern anders gehabt. Man lese im Folgenden selbst.

Die folgende „Würdigung“ sollte in die Geschichtsbücher, denn bei zu vielen ist die Botschaft über diesen Versager auf dem Kaiserthron noch nicht angekommen. Die  Hervorhebungen wurden hier aus drucktechnischen Gründen  etwa wie in „Die Fackel“, aber „fett“ abgedruckt. Die unten erwähnte  Szene „Wilheln und die Generale“, wurde in „Die letzten Tage der Menschheit“ veröffentlicht.

DIE FACKEL

Nr. 531—543 APRIL 1920 XXII. JAHR S. 196 -306

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…Ich habe ihnen gesagt, dass ich den Berichten entsetzter Augen- und Ohrenzeugen manche Anregung zu der Szene »Wilhelm und die Generale« verdanke. So die widerwärtige Frage an den einen Flügeladjutanten, seinen erotischen Geschmack betreffend, die in Donau-Eschingen gesprochen ward und für die nicht Wilhelm, sondern ich ein Pornograph genannt wurde; sie war, als Eingriff in eine eheliche Intimität, noch weit abscheulicher als die an einen erfundenen Namen geknüpfte Wendung. Ferner jenen scherzhaften Fußtritt für den andern Flügeladjutanten, der sich in Schönbrunn ereignet hat, und zwar im Beisein Franz Josefs, des Prinzregenten und von allem was dazu gehört, auf der Szene des höchsten Zeremoniells, das sich die untertane Phantasie ausmalt, vor den verblüfften Vertretern aller Höfe. Ich habe nichts als den Schauplatz dieser Grässlichkeiten verändert, ihn ins deutsche Hauptquartier verlegt und die Rüpelszene mit dem Bombast der Gottesaufmachung kontrasthaft verbunden. Das Material zu dem eigenartigen Unfug, den ich den gekrönten Tollhäusler mit seiner Generalität treiben lasse — die heute kaum die Unbefangenheit aufbringen wird, als das letzte, was ihr geblieben ist, ausgerechnet die Ehre vorzuweisen — entstammt dem Werk »Der Seekrieg« von Kontreadmiral Persius (Verlag der Weltbühne, Charlottenburg 1919), aus dem ich hiermit die folgenden Stellen zitiere:

— — Die schon vorliegenden Veröffentlichungen und die sicherlich noch zahllosen nachfolgenden über Wilhelm den Zweiten werden auch Dem, dessen Blick bisher byzantinisch verschleiert war, klar machen, dass von Pflichttreue, ernster Auffassung seiner Stellung und dergleichen nicht die Rede sein kann. Krasser Materialismus war die Triebfeder für fast jede Handlung des Exkaisers. — —

— — Der Gedanke, dass Wilhelm der Zweite, einer seiner Söhne oder sein Bruder Heinrich ernste Arbeit leisten könnten, ist einfach absurd. — —

— — Die guten Eigenschaften der meisten Mitglieder des Seeoffiziercorps wurden durch den übeln Einfluss Wilhelms des Zweiten vielfach ertötet. Kriecherei nach oben, Fußtreten nach unten, ungesundes Strebertum, Genusssucht, Bombastereien wurden durch ihn großgezogen, und dem Material hat er durch sein Dreinreden in die Kriegsschiffkonstruktion unendlich geschadet. Unter dem Motto: »Mehr scheinen als sein« entstand so mancher Kriegsschiffbau. Es war im Königlichen Schloss zu Berlin, am 25. Februar 1905: ich war aus Ostasien in die Heimat zurückgekehrt und hatte Wilhelm dem Zweiten die Abgabe meines Kommandos zu melden. Ich erzählte ihm, dass die Chinesen mein Schiff mit geringschätzigen Augen betrachtet hätten, weil es nur Einen Schornstein führte. Schiffe mit mehreren Schloten, auch wenn sie schwächer armiert waren, hätten sich der Achtung dieser Kinder in weit höherm Maße erfreut. »Nein, nein, so ists überall, nicht nur in China«, wurde ich unterbrochen. »Die Menschen wollen Sand in die Augen gestreut bekommen. Klappern gehört zum Handwerk, das sage ich Tirpitz immer. Powerful, powerful muss solch ein Kasten ausschauen. Das ist die Hauptsache.« — —

Im Kreise des Personals der Marine erfreute sich Wilhelm der Zweite keiner Sympathien. Die Offiziere der »Hohenzollern« — die Garde — und ähnliche Günstlinge unterdrückten selbstverständlich jede Kritik, aber sonst wurde offen über den Kaiser geschimpft. Man nahm ihn nicht ernst, wusste, dass er ein Scharlatan war.

Dem Korrespondenten der ‚Daily Chronicle‘ hat Wilhelm der Zweite erklärt, dass seine Generale ohne seine Zustimmung gemacht hätten, was sie wollten. Das taten sie, und das taten mehr oder minder alle Offiziere bereits im Frieden. Die zahllosen Allerhöchsten Kabinettsordres wurden mit einem Lächeln gelesen und beiseite gelegt. Niemand richtete sich danach. »Je mehr Luxus und Wohlleben um sich greifen, umso mehr hat der Offizier die Pflicht …« Wer kennt sie nicht, alle die leeren Worte! Luxus und Wohlleben wurden im Offiziercorps durch Wilhelm den Zweiten großgezogen.

Wilhelm der Zweite hat — wenn auch nur »mit dem Munde« — unsre Flotte geschaffen, leider, denn sie war der ureigenste Grund des Krieges und unsrer Niederlage. Ohne unsre Flotte hätte sich Großbritannien niemals unsern Feinden gesellt. Aber was tat nun Wilhelm der Zweite im Kriege für die Flotte? Er erschien oft in Kiel und Wilhelmshaven und hielt Ansprachen. Nach der Schlacht vor dem Skagerrak sagte er, am fünften Juni an Bord des Flotten-Flaggschiffs in Wilhelmshaven, zu der Abordnung der Mannschaften sämtlicher Schiffe: »Die englische Flotte wurde geschlagen. Der erste gewaltige Hammerschlag wurde getan, der Nimbus der englischen Weltherrschaft ist geschwunden. Ein neues Kapitel der Weltgeschichte ist von euch aufgeschlagen. Der Herr der Heerscharen hat eure Arme gestählt, hat euch die Augen klar gehalten. Kinder, was ihr getan habt, das habt ihr getan für unser Vaterland, damit es in alle Zukunft auf allen Meeren freie Bahn habe für seine Arbeit und seine Tatkraft …«Ein sehr loyaler, äußerst königstreuer alter Seeoffizier, der die Schlacht mitgemacht hatte und bei der Rede anwesend war, sprach bald darauf die folgenden Worte: »Wir lagen mit unsern arg zusammengeschossenen Schiffen am Bollwerk. Die vielen Toten und Verwundeten wurden an Land geschafft. An den Kais standen die schwarz gekleideten Angehörigen, Frauen und Kinder weinten herzzerbrechend. Uns war gar nicht siegestrunken zu Mut. Wir wussten, dass dies die erste und letzte Schlacht gewesen war, die wir schlagen konnten. Unerhörtes Glück hatten wir gehabt, undenkbar, dass es noch einmal so gut für uns abgehen würde. Da kam der Kaiser an Bord, sehr aufgekratzt, übersät mit Orden, umgeben von seinem großen Gefolge, das lachend gnädigst rechts und links Händedrücke und Glückwünsche austeilte. Die bombastische Ansprache des Kaisers, der ganze Zauber war mir so widerwärtig, dass ich mich schüttelte. Ich ziehe die Uniform aus, sobald es möglich ist.«

So also war die Wirkung »kaiserlichen« Gebarens! Überall verscherzte sich Wilhelm die Sympathien; von Keinem, der sich ein bisschen Rückgrat bewahrt hatte, konnte er geachtet werden.

In einem norwegischen Hafen wars. Wilhelm kehrte an Bord zurück. Wir Offiziere standen am Fallreep zur Begrüßung. Wilhelm stieg »high spirits«(d.h. betrunken. Anm. d. Red.) die Treppe herauf. Er schwankte ein wenig. Wir konnten ein despektierliches Lächeln nicht unterdrücken. Wilhelm bemerkte es und rief mit einer drastischen Handbewegung:
»Was, Ihr verf… Kerls, wollt Ihr euern Obersten Kriegsherrn auslachen? Ich werde euch …«

Ein Kreuzer hielt Schießübungen ab. Wilhelm an Bord. Heiterer Sonnenschein, warmes schönes Wetter. Wilhelm war in bester Laune. Hier und dort, wie er das bei solchen
Gelegenheiten liebte, teilte er mit seiner starken rechten Hand Schläge aus an — Bevorzugte, ulkte überall herum. Sein Leibmedicus, der
Generalarzt … stand auf der rechten Seite der Kommandobrücke, am hintern Geländer. Dem alten Herrn war das lange Stehen wohl beschwerlich. Traumverloren schaute er,
hintenüber gelehnt, aufs glitzernde Meer, in den blauen Himmel und ließ sich wohlig von der warmen Sonne bescheinen.
Da sprang Wilhelm auf ihn zu, griff ihm mit der rechten Hand zwischen beide … und rief ihm einige Worte zu, die ich, weil ich einige Schritte entfernt stand, nicht genau hören konnte. Der arme Generalarzt taumelte vor wahnsinnigem Schmerz und krampfte sich an das Geländer, um nicht niederzusinken. Kreidebleich war er geworden. Wilhelm war anfangs in ein tolles Gelächter ausgebrochen, wandte sich aber, als er die Wirkung seines Zugriffs sah, stumm ab und ging auf die andre Seite der Brücke. Es sollte wohl ein Scherz sein, aber es war ein höchst übler Scherz und ein unanständiger, besonders zu verurteilen, weil das Signalpersonal und verschiedene Matrosen den Vorfall mit ansahen.

Auf einem Schiff, mit dem Prinz Heinrich längere Zeit auf der ostasiatischen Station geweilt hatte, gab es bei der Heimkehr in Kiel Inspizierung durch Wilhelm. Es war im März
und das Linoleum auf der Kommandobrücke schwitzte bei der feuchten Witterung viele dicke Tropfen aus. Wilhelm war in übermütigster Laune und Riss einen Witz nach dem andern. Sein Flügeladjutant Admiral … stand vor ihm, mit dem Rücken zu ihm. Plötzlich sauste die rechte Hand Wilhelms mit aller Wucht auf des Admirals hintere Front nieder, so dass dieser sich vor Schmerzen krümmte. »Sind Sie verrückt geworden? P…. Sie mir doch nicht immer auf die Stiebeln«, schrie Wilhelm ihn an. Die breite große Kommandobrücke des Panzerkreuzers war voll von Offizieren, Unteroffizieren und Matrosen, die das Schauspiel grinsend mit ansahen. Kann Jemand ermessen, was solch ein Gebaren Wilhelms für einen Offizier bedeutete, der mit heißer Liebe an seinem Beruf hing, der loyal seine Kräfte in den Dienst seines Obersten Kriegsherrn zu stellen bemüht war? Nur Der kanns, der sich in ähnlicher Situation befand. Der weiß, wie einem der Ekel in den Hals stieg, wie man Jenen, der einem alle Begeisterung vernichtete, hätte anspeien mögen. Mir war an dem Tage die Freude über das Wiedersehen mit der Heimat geraubt. Als wir Offiziere am Schluss der Inspizierung, bevor Wilhelm von Bord ging, zusammen mit ihm für die ‚Woche‘ photographiert wurden, barg ich meinen Kopf hinter den Rücken eines Kameraden — ich wollte nicht mit S. M. auf einem Bild erscheinen. Und solche Fälle waren keineswegs Ausnahmen. Wie häufig machte man sich im engern Kameradenkreis Luft mit Worten wie: »Dieser Idiot!« oder: »Den Kerl kann ja kein Mensch ernst nehmen.« Und obgleich nur Eine Stimme über Wilhelm herrschte, obgleich alle ältern Seeoffiziere darin einig waren, dass er die Flotte und das ganze deutsche Volk dem Verderben zuführe, fand sich Niemand, konnte sich unter den obwaltenden Verhältnissen Niemand finden, der den Mut zur rettenden Tat aufgebracht hätte. Erst die Tragödie des viereinhalbjährigen Krieges führte zur Katharsis.

Wer mir vorwirft, ich hätte hier übertrieben, dem empfehle ich das köstliche Porträt Wilhelms des Zweiten von Johannes Fischart, das in der ‚Weltbühne‘ erschienen ist. Und wie ein andrer Seeoffizier — Admiral Foß — über seinen Obersten Kriegsherrn denkt, das entnehme man einigen Stichproben aus seinen »Enthüllungen über den Zusammenbruch«. »Wilhelm der Zweite war von vorn herein von der Überzeugung durchdrungen, dass ein durch Gottes Gnade an die Spitze eines Volkes gestellter Fürst Alles könne. Daraus entwickelte sich, geschürt durch eine grade bei seiner Veranlagung besonders verderbliche Vergötterung seitens seiner Umgebung eine schließlich krankhaft gewordene Eitelkeit, die dahin führte, dass er glaubte, die Fähigkeiten zu besitzen, sein eigner Kanzler und Generalstabschef sein zu können. Er duldete keine Einwendungen gegen seine Ansichten und Befehle. Wer sich zu Vorstellungen für verpflichtet hielt, wurde entfernt. So ist es gekommen, dass es schließlich keine aufrechten Männer mehr um ihn gab. Und wenn seine Verteidiger manche der Unbegreiflichkeiten seiner Handlungen seinen Beratern zur Last legen wollen, so muss darauf erwidert werden, dass er selbst daran schuld war, wenn diese nichts taugten. Es fehlte Wilhelm an Charakter. Es ist entschieden irrig, wenn von ihm als einem pflichtgetreuen Mann gesprochen wird. Sein ganzes Tun war nur von persönlichen Launen und Neigungen bestimmt. Überall wollte er mitreden, auch in Sachen, von denen er schon deswegen nichts verstehen konnte, weil er sich ein Urteil nur auf Grund von Studien hätte bilden können, zu denen ihm die dazu erforderliche Zeit und der dazu nötige Fleiß fehlten. Sein Wissen war ganz oberflächlicher Art. Es gab kein Gebiet, in das er sich versenkt hätte. Weder taktisch noch strategisch kam er als Führer in Betracht, weil dazu neben andrer Begabung Nerven gehören, und die besaß er nicht. Alles trieb er in oberflächlicher, spielerischer, dilettantischer Art, ließ eine Sache fallen, die er zuerst mit Feuer aufgenommen hatte, da sie nach kurzer Zeit das Interesse für ihn verlor, oder kümmerte sich nicht mehr um sie, wenn er auf nicht ohne weiteres zu überwindende Hindernisse stieß. Seine Überzeugung, alles zu verstehen, ging so weit, dass er sich sogar an einem vom Reichsmarineamt ausgeschriebenen Wettbewerb betreffend den Entwurf von Plänen für den Bau zu einem Panzerkreuzer beteiligte. Natürlich fehlte ihm dazu die erforderliche technische Bildung, und so wurde ihm ein Techniker als Mitarbeiter und Handlanger zur Verfügung gestellt. Das Unglück wollte aber, dass dieser lange der Praxis entrückte Herr seiner Aufgabe ebenso wenig gewachsen war, und so erklärt es sich, dass, wie bei der Prüfung festgestellt wurde, der kaiserliche Kreuzer umgefallen sein würde, wenn er ausgeführt und zu Wasser gebracht worden wäre. Wilhelm duldete keinen aufrechten Mann in seiner Umgebung. Schon seine krankhafte Eitelkeit erlaubte nicht, dass sich in seiner Nähe ein geistig hochstehender Mann sehen ließ. Er dachte nur an sich und sein Vergnügen. Ein sehr kluger und hoher Seeoffizier sagte im Sommer 1918: ‚Wehe dem Lande, an dessen Spitze ein solcher Feigling steht‘!«

Genügt das? Man erkennt, dass Admiral Foß weit schärfer spricht, als ich es getan. Danach brauch’ ich wohl nichts mehr von der andern Seite hierherzusetzen, von der Partei des Grafen Schulenburg, der »die liebe starke Hand unter Tränen zum letzten Mal küsste«, bevor Wilhelm als Deserteur über die holländische Grenze floh.

Der Admiral Foß ist ein Alldeutscher. Eine Stelle aus dem »Porträt«, auf das Persius verweist, betrifft die von mir verwertete Kaviar-Episode und lautet:

Der Kaiser war, am ersten Juli 1901, auf dem kleinen Kreuzer »Nymphe«, um in der Lübecker Bucht einem Torpedo-Versuchsschießen im Anschluss an die Kieler Woche beizuwohnen. Ein großes Gefolge war an Bord. In den Zwischenpausen der Anläufe kam Wilhelm ins Kartenhaus und erledigte hier Unterschriften. Tirpitz legte ihm die Schriftstücke vor. Als es ihm zu langweilig wurde, blickte er zu dem Offizier neben sich auf:

»Schrecklich, dieser Tirpitz mit seiner Tinte! Ein Glas Sekt wär’ mir lieber.« »Zu Befehl«, schnarrte der Offizier, sprang hinaus nach einer Ordonnanz und ließ eine Flasche besten Heidsieck kommen. (Für den Kaiser musste freilich der französische Champagner mit dem Etikett »Burgeff-Grün« versehen werden, weil er zu glauben wünschte, dass er vorzüglichen deutschen Sekt vor sich habe.) Der Kaiser trank das Glas bis auf einen kleinen Rest aus, ging, impulsiv, auf die Kommandobrücke, rief auf das Verdeck, wo sich das ganze Gefolge in Gala aufgestellt hatte: »Ha — Hahnke, Sie möchten wohl auch Sekt«, und schwippte den Rest auf das Gefolge. »Zu gnädig, Euer Majestät«, stammelten die Herren da unten und verbeugten sich tief. Der Kaiser kam belustigt ins Kartenhaus zurück und verlangte etwas zu essen. Man reichte ihm geröstete Kaviarschnitten. Er schmierte von einer mit dem Zeigefinger der rechten Hand den Kaviar und die Butter herunter, strich sie sich in den Mund, trat wieder hinaus auf die Kommandobrücke, rief hinunter: »Ha — Hahnke, möchten wohl auch Kaviar haben …!« und warf das leere Stück Brot unter die Hahnke und Konsorten. Ein neues: »Zu gnädig, Euer Majestät« war die devoteste Antwort. Dann erkundigte Majestät sich ganz leise bei dem Offizier nach der Geschwindigkeit dieses Kreuzers und fragte, belehrt, hinunter: »Ha — Hahnke, wieviel Knoten fährt das Schiff in der Stunde?« Und als der Generaloberst stammelnd seine Unkenntnis zugestand: »Ha — Hahnke, wissen auch garnichts. Einundzwanzig Knoten, und Sie sind der zweiundzwanzigste.« »Zu gnädig, Euer Majestät.«

Dies, mit dem Herrn der Heerschaaren im Lästermaul, ist die Gestalt, die die Menschheit regiert und in den Tod geführt hat. Wie? ich habe, als ich sie vorführte, nicht diese, sondern mich in meiner »wahren Gestalt gezeigt«? Sie sahen in Innsbruck »die Mache eines eitlen Menschen, der klug genug war, sich den Anschein eines Gottesstreiters zu geben und so die Besten zu täuschen«? Vielleicht sehen sie sie jetzt! Sie erkannten »die namenlose Geschmacklosigkeit, den Wehrlosen zu treten«, sie wurden sich »mit einem Schlage bewusst«, hier sei einer »ohne Maske«? Ja, wer vermöchte sich denn auch dem Eindruck dieser Szenen an Bord, da eine animierte Majestät handgemein wird, zu entziehen, wer erlebte nicht schaudernd »die ekelerregende Minute der Offenbarung solcher Niedrigkeit«? Welche Enthüllung! Welch eine Wendung durch Gottes Fügung! Millionen starben und dieser Kaiser machte sich einen Jux. Der Weltmord war ein Trunkenheitsdelikt. Aber er war sich dennoch der Tat bewusst. Soweit bewusst: »die Früchte seiner Kälte einzuheimsen, die ihm freilich jede innere Anteilnahme verbot, und seine Eitelkeit damit zu füttern«. Wer sähe es nicht endlich! »Und wer sein von ekelhafter Eitelkeit gesättigtes Gesicht sah, als die Bravorufe seiner Getreuen die Empörung Ehrlicher niederschrieen, wer auf diesem Gesicht, deutlichst für alle, nur die Befriedigung las, dass um ihn da unten gerauft werde«, da unten, wo die Millionen starben, »der wusste alles von ihm«! Ich wusste es, vielleicht wissen sie es jetzt auch. »Wäre es ihm auch nur eine Sekunde ernst gewesen um das, was er mit tönenden Worten am Ende vortrug«, noch am Ende, »er hätte sich nie — niemals so lächelnd, so befriedigt zeigen können. Der blaue Mantel fiel, aber es war kein Erz darunter, nur ein Komödiant«. So ist es, so muss, wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, es endlich erkennen; denn Donner und Blitze eines, der als Gott aus der Kriegsmaschine zu der Menschheit sprach, sie waren nur »die Gemeinheit und letzte Aussage einer Verworfenheit, die, den eigenen Hass auszuspeien und eine Eitelkeit des Umstrittenseins zu befriedigen, selbst die Tragik —denn Tragik ist es doch! — nicht respektiert«. Merken die Innsbrucker, dass ich noch immer vom Weltkrieg spreche, »der längst zu Ende ist«? Haben sie mich nicht mit dem Wilhelm verwechselt, den ich ihnen vorführte, und den Wilhelm mit mir?

Es kann nicht anders sein! Sie haben Gestalt und Gestalter verwechselt. Daher der Lärm! Sie haben in Innsbruck gegen die Zumutung getobt, dass ein solcher Ausbund Kaiser aller Deutschen gewesen sein will, und es mich entgelten lassen. Merken sie schon, wie sie’s gemeint haben, und dass ich liebe, wenn ich hasse? Sie liebe ich nicht und von ihnen würde ich die Liebe nicht lernen. Es sind viele Schieber unter ihnen; doch die andern sind unehrlicher. Sie werden mir kein Denkmal errichten. Es wird mir jenes genügen müssen, das ich ihnen errichtet habe. Und noch ein solches sollte ihnen zu denken geben. Ich habe an der Küste eines norwegischen Fjords vor vielen Sommern einen Leichenstein gesehen, der dem Andenken eines dort plötzlich verstorbenen deutschen Offiziers errichtet ist, der gleichfalls Hahnke geheißen hat, aber nur Leutnant war. Einheimische waren zu einer Auskunft erbötig. Der Leutnant Hahnke hatte einen jener Späße, die die Majestät, wie gewohnt, an Bord trieb und den er als Angriff auf seine Menschenehre empfand, mit einer leiblichen Berührung seines Kaisers beantwortet und aus dem hierdurch entstandenen Konflikt mit der Offiziersehre augenblicklich den Weg in den Selbstmord gefunden. Ehre seinem Andenken! Er war der einzige Deutsche, der mit Wilhelm II. die Sprache gesprochen hat, die Wilhelm verstand. Hätten sich zwanzig Jahre später so mutige Männer gefunden, der größte Leichenstein, der je einen Planeten überragt hat, wäre dem unsern erspart geblieben.

Nachdem er aber errichtet war, erhob sich der Prinz Joachim von Hohenzollern von seinem Tische im Hotel Adlon, ließ »Deutschland, Deutschland über alles« spielen und befahl einem Amerikaner, der auf Krücken ging, sich zu erheben. Er befahl es auch einem Holländer, und als es auch die Franzosen nicht tun wollten, warf er mit deutschen Sektflaschen nach ihnen. In dieser großen Zeit brachten die illustrierten Blätter Bilder, auf denen der deutsche Soldat, von dem auslieferungsgierigen Feind am Arm gehalten, von der deutschen Mutter Abschied nimmt; es war jener, der ein Kind in den Armen der Mutter getötet hatte. Und der deutsche Offizier nahm herzbewegenden Abschied von dem deutschen Mädchen; es war jener, der nachhause geschrieben hatte: »Und dann gibt es hier junge Mädchen, die hübsch zu entjungfern sind«. Dass ein harter Sieger, der in fünf Jahren deutsch gelernt hatte, die Macht zur Sühne des Unrechts missbrauchen wollte, schrie zum Himmel, nicht unser Tun. Eine Woche nach dem Durchbruch bei Adlon feierte Berlin Seelenaufschwung und in Deutschland gab es zehntausend Tote. Wenn diese tiefe Unbelehrbarkeit, die aus dem Schaden so wenig klug ward, dass sie ihn wieder erleiden möchte, vor nichts ihrer Weltunmöglichkeit inne wird, so sollte sie sich doch fragen, ob sie damals, als sie trunken in die große Nacht dieser Bluthochzeit taumelte, darauf gefasst war, dass ihr einmal der Bezirksrichter dies Todesurteil schreiben würde: dass jedem Diebstahl ein Milderungsgrund zuteilwird gemäß der »nach dem Kriege allgemein erfolgten Herabsetzung der Moral«. Und ob der nicht wahr gesprochen hat, der ihnen prophezeite, dass sie so viel Glorie erwerben werden, um so viel Dreck zu behalten! Sie, die uns die Zukunft gemordet haben, wollen, dass ihre Vergangenheit begraben sei? Nichts ist lebendiger als die Vergangenheit, nichts haben sie außer ihr! Das von Mordlust und Raubgier gezeichnete Gesicht, das die Lüge ihnen verklärt hatte, die Totenmaske dieses Zeitalters, hält durch!