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BORAT oder warum Sascha Cohen seinen Faustdildo behalten kann. Von Richard Schuberth

14. Mai 2012 | Kategorie: Notizen zur Zeit, Richard Schuberth

Richard Alexander Schubert ist Schriftsteller – unter anderem –  und lebt in Wien. Die Lektüre seiner Schriften sei nochmals dem empfohlen, der den Kopf nicht nur als Huthalter oder Frisierobjekt missbraucht, besonders der Text:

Richard Schuberth                                                                                  30 Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus

238 S. , EUR 24, Broschur mit Fadenheftung ISBN 978-3-85132-531-7, 2008

Der folgende zeitlose Text  erschien  vor ein paar Jahren unter dem Titel « Ein Waterloo der westlichen Spaßkultur» im «Standard» und trifft  auf  viele Comedyköpfe und Comedy-Konsumos zu. Mit der Bezeichung „Abrissbirne“, in passivischer Bedeutung, sei deren Halsaufsatz eine angemessene sprachliche Behausung zugewiesen. W.K. Nordenham

Wer Arschlöcher verarscht, ohne eine Welt ohne Arschlöcher zu wünschen, ist kein Kritiker, sondern ein Bandwurm.      Richard Schuberth

BORAT oder warum Sascha Cohen seinen Faustdildo behalten kann.von Richard Schuberth
Im rumänischen Romadorf Glod am Südhang der Karpaten lebt ein Mann namens Nicu Tudorache. Vor einigen Jahren hat der heute 56-jährige Großvater bei einem Arbeitsunfall seinen rechten Arm verloren. Als Prothese trug er bis vor einem Monat einen Faustdildo – ein Geschenk des britischen Comedy-Stars Sacha Baron Cohen –, bis die Journalistin Carmiola Ionescu ihn aufklärte, was er da mit Klebeband am Armstumpf fixiert hatte und warum Millionen Arschlöcher in westlichen Kinos über ihn lachen.

Es muss über 15 Jahre her sein, dass Freunde und ich eine zweifelhafte Travestie zu einiger Fertigkeit brachten. Wir mischten uns als Agents provocateurs unter Menschen wie du, aber nicht ich. Um aus ihnen Sexismus, Alltagsfaschismus und Dummheit herauszulocken, gebärdeten wir uns noch faschistischer, sexistischer und dümmer als sie und gefielen uns dann augenzwinkernd als tolle Hechte im Karpfenteich der kritischen Realsatire. Am besten bewährte diese Methode sich, wenn wir in unseren eigenen, linken Kreisen fündig wurden. Ansonsten jedoch traten bald ihre Mängel, aber auch ihre Motive zutage. Zuallererst, dass die Tore zur Wahrheit, die wir mit viel Lärm einschlugen, gar nicht verschlossen waren, dass sich der heroische Nachweis also, wie dumm Dummköpfe und wie rechts Rechte sind, bloß in eben dieser banalen Tautologie erschöpfte; weiters, unseren kritischen Anspruch aber ganz schön verdächtig machte, angesichts der wiehernden Freude, wenn uns wieder ein Opfer in die Falle gegangen war, und der Enttäuschung, wenn es nicht den Scheißnazi gab, als den wir es gern haben wollten. Es war ein Jammer, viele dieser Spaßverderber hätten bei uns, die wir alle Querverbindungen des falschen Bewusstseins, ja sogar zum falschen Bewusstsein kannten, zuerst in die Lehre gehen sollen, um das zu werden, dessen wir sie überführen wollten.

Unsere Art der Aufklärung offenbarte nicht die chemische Konsistenz des Abschaums, sondern bloß unsere angemaßte Allmacht im Abschaumbad, an der unsere Fans, zumeist Schnösel mit Mittelschulabschluss und Neigung zum „Titanic“-Abonnement, parasitär teilhatten, da sie nicht die vorgebliche Kritik des Zynismus, sondern den Zynismus unserer Methode, nicht die Kritik des Faschismus, sondern das Herrenmenschliche unserer Tabubrüche beklatschten. Als einziger Effekt der Parodie anitsemitischer Stereotype zum Beispiel blieb eine niedrigere Hemmschwelle bei deren Anwendung und das Kokettieren mit ihrer Immoralität. So erteilte uns die Wirklichkeit mit erhobenem Zeigefinger einmal mehr die Lehre, dass sie die Satire stets abzuhängen weiß. Zurück bleibt die automatisierte Persiflage, die, weil sie die Schäbigkeit nicht zu fassen bekommt, zum Lehrmodell neuer Schäbigkeit wird.

Wie interessant, anhand Sacha Baron Cohens Film „Borat“ zu beobachten, wie diese Methode erneut aus denselben Gründen scheitert, jedoch auf eine ausgefuchstere Wirklichkeit stößt als damals, bei uns, im vorigen Jahrhundert.

Durch offene Türen

Als Ali G hat Cohen die Provokationsrealsatire, die so genannte „Mockumentary“, zu manchem satirischen Höhepunkt geführt, mit der Figur des kasachischen Fernsehreporters Borat Sagdijev indes ist er so provokant wie ein Exhibitionist in einem dänischen Swinger-Club. Vielleicht möchte Baron Cohen ja gar nichts aufdecken, sondern nur um der Geschmacklosigkeit willen geschmacklos sein, also die Teenager der Cineplex-Center dieser Welt zum Lachen bringen.

Deren Lachen aber wird vom lauteren Poltern intellektueller Köpfe übertönt, welche unaufhörlich aus schwarzen Rollkrägen bloppen und alle gleich aussehen, weil sie in derselben Retorte gezüchtet wurden; in einer Nährlösung, die sich aus Spaßkultur und einigen Semestern Geisteswissenschaften zusammensetzt. Es sind dieselben Schnösel, die damals schon auf die Prolos eintraten, welche wir hinterrücks niedergestoßen hatten; später hörte man sie in Studentenkneipen in ihrem Mittelstandsakzent enthusiastisch „Das is dodaal politikäli ingorrekt“ krächzen, ehe der Caterpillar des Verwertungsschicksals sie in ihre Kulturbüros, Zeitungsredaktionen und Wein-&-Literatur-Abfüllkoben schob. Von dort aus bestimmen sie, weil sie sonst nichts gelernt haben, die kulturellen Diskurse und weiden sich an ihrem verhängnisvollen Irrtum, anderthalb Stunden über Muschiwitze kichern und sich Amis, verlausten Kasachen und anderen Balkannegern überlegen zu fühlen, seien Akte subversiver Gesellschaftskritik. Sie lassen sich’s nicht nehmen: Ihr Till Eulenspiegel handle in hohem intellektuellen und ethischen Auftrag. Daran ist er selbst nicht unschuldig, zumindest kokettiert der jüdischstämmige Brite, welcher an der Universität Cambridge über ethnische Minderheiten diplomiert hat, mit dieser Lesart seiner Satire.

Der wundersamste, völlig unerwartete Effekt von „Borat“ aber ist, dass die Wirklichkeit die Satire diesmal nicht übertreffen will, sondern es vorzieht, sie gelassen in ihre Schranken zu weisen. Sie lässt Cohen über den Zynismus seiner Gymnasiastenscherze stolpern und entkleidet diese durch unbeeindruckte Passivität ihres aufklärerischen Scheins. Einige Beispiele. Wann immer es Borat nicht gelingen will, seine Opfer als reaktionäre Idioten zu entlarven, flüchtet er sich in die sexuelle Provokation, doch seine Gesprächspartner, zumeist smarter als er, finden das nicht schockierend, sondern schlichtweg lächerlich. Die Feministin Linda Stein bricht souverän das Gespräch ab, anstatt ihn dorthin zu treten, wovon er am meisten spricht. Ein Fahrlehrer, in dessen markantes Gesicht das europäische Vorurteil sich gerne einen Redneck und Macho hineindenken würde, mahnt ihn zu mehr Respekt gegenüber Frauen, und die fundamentalistischen Christen, in deren Messe sich Borat schleicht, entpuppen sich als hilfsbereite, humorvolle Menschen. Cohens Versuche, die politisch Inkorrekten als auch die politisch zu Korrekten zu bashen, gehen allesamt in die Hose, aus der sie gekrochen sind – vorne wie hinten. Da hilft nur noch Niedertracht. Einem Autoverkäufer will er Minderheitenfeindlichkeit suggerieren, indem er ihn fragt, welchen Schaden eine Gruppe Zigeuner am Wagen anrichtete, wenn man sie damit rammen würde. Doch auch hier will die Rechnung nicht aufgehen, da das Publikum sofort merkt, dass der gute Mann nur deshalb Rede und Antwort steht, weil er das Wort „Zigeuner“ überhört hat und allgemein von Menschen ausging. Wieder nichts! Was tun? Ab in den Bible-Belt! Der ultrarechte Rodeoveteran Bobby Rowe spendet ihm endlich die Sager, um die er dauernd bettelt, doch selbst das Publikum im Rodeostadium von Salem, Virginia, reagiert mit Bestürzung, als Borat durchs Mikrofon seinem Wunsch Ausdruck verleiht, die Amerikaner würden jeden Mann, jede Frau und jedes Kind im Irak töten.

Wenn er aber dann mit dem Absingen einer fiktiven Hymne Kasachstans (zur Melodie der US-amerikanischen) die Dummheit jeglichen Nationalismus konzentriert, gibt Cohen eine Kostprobe davon, wozu er fähig wäre, wenn Klug- und Redlichkeit einander in den Sattel hülfen. Desgleichen die präzise Persiflage antisemitischer Paranoia, als er erkennen muss, bei Juden Bed & Breakfast bezogen zu haben, oder als netter Gag en passant: der Kopf des Bären im Kühlschrank seines Produzenten. Cohen hat das Zeug, subversive Unterhaltung zu liefern. Macht aber wenig Gebrauch davon. Auch die Figur des Borat ist im Grunde ein guter Wurf, der leider daneben geht.

Satire darf sich so viel Obszönität, Zynismus und Geschmacklosigkeit leisten, wie sie will, so diese als Mittel zur tieferen Einsicht in die verborgenen Obszönitäten, Zynismen und Geschmacklosigkeiten der Gesellschaft dienen. Dass das möglich ist, dafür bürgt eine würdige Traditionslinie, die sich von Jonathan Swift über Nestroy bis zu den „Simpsons“ spannt und der sich Baron Cohen nur in Ansätzen anschließen will. Denn der Spaß am Dreck ist größer als der Ekel davor, und der Witz affirmiert, indem er sich ihm angleicht, den Dreck, und wem das zu ethisch ist, dem möge das rationale Argument reichen, dass dieser Witz nur ein schlechtes Duplikat des Drecks schafft, und plötzlich vor der Erkenntnis staunen, dass Ethik und Ratio hierin als eineiige Zwillinge auftreten.

Ein Waterloo der westlichen Spaßkultur

Zeitgeistiger ausgedrückt: Wer Arschlöcher verarscht, ohne eine Welt ohne Arschlöcher zu wünschen, ist kein Kritiker, sondern ein Bandwurm. Wer aber unter dem Vorwand von Gesellschaftskritik die Bandwürmer mit Überlegenheitsgefühlen füttert, ist selbst ein Arschloch. Sacha Baron Cohen als solches zu bezeichnen, als so großes sogar, dass alle Faustdildos dieser Welt es nicht ausreichend stopfen könnten, würde jeder Ehrenbeleidigungsklage standhalten, so sich die Einwohner des Romadorfs Glod als Zeugen der Anklage gewinnen ließen. Denn was die Journalisten Bojan Pancevski und Carmiola Ionescu kürzlich über die Produktionsbedingungen des Films „Borat“ herausfanden, könnte den Ort zum Waterloo der westlichen Spaßkultur werden lassen. „Borats Heimatdorf“ liegt nämlich nicht in Kasachstan, sondern in Rumänien.

Und dass Cohen gerade einen realen Staat für sein fiktives Zurückgebliebistan aussuchte, dürfte gleichfalls kein Zufall sein. Kasachstan, multikulturell, gemäßigt islamisch und relativ frei von Judenfeindlichkeit, ist weit entfernt und würde keine als Pizzaboten verkleideten Gotteskrieger an Cohens Adresse schicken. Wir sehen: Feig- und Gemeinheit verabreichen sich in ihm die Bruderfaust.

Ob Rumänien oder Kasachstan, den westlichen Kulturjunkies ist es einerlei, sie bedürfen der ewigen Balkanfiktion eines schmierigen halbzivilisierten Ostens, um ihn wegen des Drecks, mit dem sie ihn beschmieren, zu verspotten – oder zu romantisieren.

Die Einwohner von Glod hätten bereits stutzig werden sollen, als Cohen ein Pferd vor sein Auto spannen ließ und sie dazu angehalten wurden, Kühe in ihre Wohnzimmer zu führen. Bis zu Drehschluss lebten sie in dem Glauben, wie Pancevski und Ionescu in ihrem Artikel für „Mail on Sunday“ berichten, man würde die Welt durch eine Sozialreportage auf die menschenunwürdigen Lebensbedingungen in ihrem Dorf aufmerksam machen. Diese Welt hingegen lernte sie als Menschen kennen, die es mit ihren Tieren und Kindern treiben, Pferdeurin trinken und gerne Juden jagen. Da lachen ganze Cambridger Rudermannschaften und die Schnösel krächzen wieder ihr unerträgliches „Hi Hi, politikäli ingorrekt!“

Der Mann, den Borat im Vorübergehen als „größten Vergewaltiger“ des Dorfes vorstellt, bekam – so wie der „Dorfschweißer und -abtreiber“, so wie die Frau, die er als seine Schwester und vierterfolgreichste Hure Kasachstans vorstellt – 14 Lei (4 Euro) für seine Statistenrolle. Cohen & Produzenten stiegen bei dem Deal erwartungsgemäß als Gewinner aus: Sie spielten mit „Borat“ an einem Wochenende 20 Millionen Dollar ein und bekamen als Mehrwert auch noch die Gastfreundschaft und die gegrillten Schweine einer Gemeinde ohne Arbeit, Hoffnung und Fließwasser.

Glod war gut gewählt, nirgends in Europa sind Menschen recht- und schutzloser. Gemäß der Hackordnung des kapitalistischen Systems ist es nur konsequent, dass die Unterhaltungsindustrie ihre Häufchen dorthin macht, wo Kläger unwahrscheinlich sind, und sich den Hintern mit der Gutgläubigkeit der so Erniedrigten auswischt. Da grunzen die rechten wie die linken Säue in Ein- und Niedertracht, Letztere mit der Rechtfertigung, Ali G alias Cohen sei ein Guter, weil er Antisemitismen aufdecke. Aber vielleicht macht er diese nur noch salonfähiger. Wer weiß!

So viele modische walisische und iranische und jüdische Ethnizitäten Sacha Baron Cohen zur Legitimation seines Campushumors auch auffahren lässt, in seinem Witz verbiedert sich der Cambridge-Schnösel mit dem gehobenen linksliberalen Mittelstand gegen die Schwächeren. Warum, fragt sich die Feministin Linda Stein, welcher Borat im Film nichts anhaben konnte, in der „Times“ ganz zu Recht, „hat Cohen nicht die Heuchler aus Harvard oder andere Intelligentsia verspottet?“ Ganz einfach, weil’s sich Pionierinnen der Frauenrechte und rumänische Zigeuner einfacher beschmutzen lässt als das eigene Nest. Eine „Mockumentary“ von neuem, von höherem Niveau ließe Nicu Tudorache, den Einarmigen aus Glod, in den Westen reisen und souverän all die pseudolinken Spaßkultur-Schnösel in all ihrer prachtvollen Lächerlichkeit erstrahlen. Am Höhepunkt eines solchen satirischen Kunstwerks würde er an der Tür von Baron Cohens Luxusapartment in L. A. läuten, nicht um seinen und seines Dorfes Anteil an den 20 Millionen zu fordern, sondern den Faustdildo zurückzuerstatten, und zwar dort, wo er hingehört.