Sein oder Design ist nicht mehr Frage, sondern schon Antwort. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt.

Notizen zur Zeit. “Gescheite Kamera” und : Wer fragt, muss raus !

24. August 2013 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Spiegel online 21.8.2013

Bayern: CSU-Fraktionsvize gönnt sich eine Luxuskamera

CSU-Fraktionsvize König: „Gescheite Kamera“ abgerechnet

Kaum ist die Verwandtenaffäre ausgestanden, da ist schon wieder Alarm bei der CSU: Ein führender Christsozialer im bayerischen Landtag langte bei der Kostenerstattung für Kommunikationsgeräte ordentlich zu. Der Betroffene hält alles für normal, Parteifreunde sind entgeistert.

Etwas Solides sollte es sein, eine Kamera, auf die man sich verlassen kann. Alexander König entschied sich für ein Modell der Firma Leica, bekannt für optische Geräte der Spitzenklasse. Der Preis für das Gerät, das der Fraktionsvize der CSU im bayerischen Landtag und Parlamentarische Geschäftsführer wählte: rund 6000 Euro. König zahlte nicht aus eigener Tasche. Vielmehr wurde der Kauf der „mandatsbedingten Aufwendung“ über die Kostenerstattung „für Informations- und Kommunikationseinrichtungen“ abgewickelt, die den bayerischen Parlamentariern in Höhe von 12.500 Euro pro Legislaturperiode zusteht. Die schöne Leica gab es für König damit    a u f   K o s t e n   d e s   S t e u e r z a h l e r s. (…)

Jetzt erscheint das Maximilianeum wenige Wochen vor der Landtagswahl ein weiteres Mal in einem äußerst ungünstigen Licht. Schon wieder geht es um Fälle, bei denen die Grenzen zwischen ordnungsgemäßem Verhalten und Selbstbedienung fließend sind. Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) will die Namen der betroffenen Abgeordneten zunächst nicht veröffentlichen, sondern Erklärungen der Parlamentarier einholen. Unklar ist deshalb weiterhin, welcher Parlamentarier es für nötig hielt, sich für eine 2 , 5 – s t ü n-     d i g e   S c h u l u n g  i n  d e r   S  ch w e i z   H o t e l k o s t e n  erstatten zu lassen. Oder welcher Abgeordnete s e c h s Rechnungen für die Beschaffung von „Informations- und Kommunikations –   einrichtungen“ einreichte – davon waren   f ü n f  Rechnungen  ü b e r    r u n d    3 9 0 0    E u r o    a n   e i n e   F i r m a   a d r e s s i e r t ,     “ d e r e n     G e s c h ä f t s f ü h r e r    d e r    A b g e o r d n e t e        s e l b s t   i s t „, wie es im Bericht des Rechnungshofs heißt.

Vor allem die CSU hat jetzt ein Problem

König sah sich offenbar aufgrund von Recherchen mehrerer Zeitungen gezwungen, den Kauf einzuräumen. Er habe sich r e g e l m ä ß i g  über d e f e k t e   k l e i n e   F o t o a p p a r a t e  geärgert und beim Landtagsamt  nachgefragt,  ob  er  sich  über die  Pauschale auch eine “ g e s c h e i t e “ Kamera kaufen könne, sagte König der Nachrichtenagentur dpa. Dies sei bejaht worden. Nicht nur König hat jetzt ein Problem, sondern vor allem auch die CSU: Erneut steht ein Vertreter der Christsozialen als Raffke da – und genau diesen Eindruck wollte die Partei unbedingt vermeiden, nachdem sie bereits vor wenigen Wochen in der Verwandtenaffäre ziemlich schlecht ausgesehen hatte. Nicht nur der inzwischen abservierte Fraktionschef Georg Schmid hatte eine Übergangsregelung genutzt, um seine Frau mit einem lukrativen Bürojob auf Steuerzahlerkosten zu versorgen, auch  s e c h s   K a b i n e t t s m i t g l i e d e r  waren verwickelt. Zwar gab es einen ähnlichen Fall in der SPD, aber keine andere Partei steckte so tief in der Affäre wie die CSU. (…)

Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge gilt die Kritik des Rechnungshofs weiteren CSU-Parlamentariern. So habe ein Christsozialer in den vergangenen  Jahren  s e i n e   k o m p l e t t e      M i t a r b e i t e r p a u s c h a l e  an eine Rechtsanwaltskanzlei überwiesen, die  v o n  i h m   s e l b s t  gegründet worden sei.(…) CSU-Fraktionschefin Christa Stewens hatte am Dienstag betroffenen Abgeordneten nahegelegt, sich mit einer E n t s c h u l d i g u n g  an die Öffentlichkeit zu wenden. Alexander König betonte zuletzt, seine Abrechnungen mit dem Landtagsamt seien in Ordnung. Er habe den Sachverhalt gegenüber der Nachrichtenagentur dpa vollständig erläutert, teilte der 52-Jährige SPIEGEL ONLINE schriftlich mit. „Mehr weiß ich dazu nicht zu erklären.“

Kölner Stadtanzeiger 27.8.2013

Seehofer attackiert den WDR

Knapp drei Wochen vor der Landtagswahl attackiert CSU-Chef Horst Seehofer den WDR. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in Würzburg wollte Landtagspräsidentin B a r b a r a  S t a m m  (CSU) Fragen eines ARD-Fernsehteams zur Verwandtenaffäre im bayerischen Landtag nicht beantworten, wie die „Main-Post“ (Montag) berichtete. S t a m m   f ü h l t e   s i c h  von den Reportern der WDR-Sendung „Monitor“  b e d r ä n g t   u n d   i n f o r m i e r t e  CSU-Chef Horst S e e h o f e r . Der erklärte dem „Main-Post“-Bericht zufolge anschließend: „Das geht so nicht. (…) D i e  m ü s s e n   r a u s  aus Bayern.“

 

Woraus  zum Teufel speist sich bloß diese Politikverdrossenheit? Wer nix weiß, hat nix zu erklären.  Fragen bleiben per ordre mufti unbeantwortet. Eine Entschuldigung wird nahe gelegt, greift aber bei weitem zu kurz. Die Dicke des Brettes vor dem Kopf, lässt auf den beklagenswerten Zustand dahinter schließen. Es kann im Zweifelsfall nur schlimmer kommen. Ein Wulff hätte dreimal gehen müssen. Bleibt die Frage : Macht das Leben in den Wirtshäusern und um sie herum wirklich so blöd, dass die CSU am 15. September wieder mit 50 % rechnen darf? Wetten dazu werden nicht angenommen, die Quote wäre zu schlecht. Noch benötige ich kein Visum für Bayern, würde wohl auch keines erhalten.


Notizen zur Zeit. Nachgiebig und empfindsam.

10. August 2013 | Kategorie: Artikel, Justiz, Nazis

Kölner Stadtanzeiger 07.08.2013

Nazi-Parolen bleiben unbestraft

Krawallstimmung in der Straßenbahn am R o s e n m o n t a g , e s  i s t  s p ä t e r   A b e n d. Vier angetrunkene Männer zwischen Mitte 20 und Mitte 50 sitzen jeweils zu zweit einander gegenüber, und statt Karnevalslieder zu singen, lassen sie braunes Liedgut hören. Und grölen Parolen wie „Deutschland den Deutschen“, „Ausländer raus“ und „Juden vergasen“. „Heil Hitler“ zu ausgestrecktem Arm darf auch nicht fehlen. Andere Fahrgäste sind verärgert  oder v e r ä n g s t i g t, zumal solche a u s l ä n d i s c h e r Herkunft. Am beherztesten reagiert ein junges Paar: Die Frau fordert die Männer auf, mit dem „Scheiß“ aufzuhören, erntet aber bloß hämisches Gelächter. Der junge Mann verständigt an der Haltestelle „Zoo“ die Polizei. Die stoppt die Straßenbahn am Wiener Platz; den zwei Beamtinnen kommen verstörte Passagiere entgegen.   D a n k   d e r   Z e u g e n a u s s a g e n   d e s   P a a r s   w e r d e n   d i e   M ä n n e r, die  sich verbal ausgetobt haben,   i d e n t i f i z i e r t und bekommen eine Strafanzeige.

Hat sich dieser Vorfall am 11. Februar dieses Jahres nach 23 Uhr in einer Bahn der Linie 18 tatsächlich so abgespielt? Darum ging es am Dienstag vor dem Kölner Amtsgericht. Von den vier Beschuldigten machten drei von ihrem Schweigerecht Gebrauch. Nur der 30 Jahre alte Alexander G. (Name geändert) sagte aus, indem er einen Text verlas, den Richter Rolf Krebber als „ P a m p h l e t “ bezeichnete und der den  V e r d a c h t  d e r  R e c h t s r a d i k a l i t ä t  n u r  s t ä r k e n  k o n n t e . Darin ist die Rede von der „Intoleranz und Willkürhaltung unseres sogenannten Rechtsstaates“, in dem etwas eine „strafrechtliche Relevanz“ bekomme, das eine „Bagatelle“ sei. Das „Recht auf gesunden Nationalstolz“ werde den Deutschen verweigert: „Wir sind immer die Verfolgten mit dem Stempel der Nazi-Ideologie.“ (…) Das Paar, 26 und 27 Jahre alt, wiederholte im Zeugenstand, was es mitbekommen haben will. „Es war echt extrem“, sagte die Studentin; ihr Freund, ein Mediendesigner, gab an, „in so einer Form“ habe er rechte Pöbeleien noch nicht gehört: „Es war krass.“ (…) Wie die Studentin konnte er die gehörten Sprüche nicht einzelnen Personen zuordnen. Trotzdem  sah die Staatsanwältin „ n i c h t  d e n  H a u c h   e i n e s   Z w e i f e l s “ an der Richtigkeit der Anklage und beantragte Freiheitsstrafen,  im    Fall  von   Alexander  G.,     der    m e h r f a c h  v o r b e s t r a f t ist, sogar ohne Bewährung.

Richter Krebber aber sah aber keine andere Möglichkeit, als den Anträgen der Verteidigung zu folgen, und sprach alle Männer frei. In den 25 Jahren seines Dienstes sei ihm „noch keine Entscheidung so schwergefallen“. Doch für eine Bestrafung sei es nötig, „jede Äußerung jedem Einzelnen zuordnen zu können“. Der Rechtsstaat habe sich an Regeln zu halten und zeige sich „ a m  s t ä r k s t e n  d a n n,  w e n n   e r    n a c h g i e b i g   u n d   e m p f i n d s a m   i s t“.

Dass mir nicht die Tränen kommen!  So empfindsam wie mit dem empfindsamen Alexander G. ging man mit der Linken nie um. Schwer ist es ihm gefallen, dem Richter. Das kann man verstehen, weil man es kaum begreift. Der NSU-Porzess war ihm vor lauter Empfindsamkeit nicht präsent. Am Rosenmontag zweifelsfrei erkannt, lässt sich nicht mehr sagen, wer was gesagt hat. Rosenmontag immerhin und einige Monate her. Alle haben was gesagt, das ist klar. Jetzt sagen drei von vieren nichts, nur einer entleert eine paar eindeutig braune Parolen. Es gibt ein Polizeiprotokoll des Vorgangs,  das sollte für alle reichen, aber das reicht dem immer Richter nicht. Mir reicht´s.  Es wird  zu viel freigesprochen  von deutschen Richtern,  so lange, bis man nicht mehr frei sprechen kann. Es finden sich Orte in Deutschland, wo das schon  erreicht ist, nachgiebig und empfindsam, versteht sich.


Notizen zur Zeit. Wie man 1905 schon erkannte .

07. August 2013 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Mayer Rothschild : Handbuch der gesamten Handelswissenschaften 1905   Band 1 Seite 415

Die Tilgung der Staatsschuld ist, im Hinblick auf die kommenden Generationen, Pflicht einer guten Finanzverwaltung. Als Mittel zur Tilgung können ordentliche und außerordentliche Einnahmen verwendet werden. Einen eigenen Tilgungsfond zu schaffen ist nicht nötig; zweckmäßiger eine freie Tilgung in der Weise, das in jeder Finanzperiode so viel von der vorhandenen Schuld zurückgezahlt wird, als unter den gegebenen Verhältnissen möglich ist. Die Tilgung erfolgt je nach Maßgabe der bei der Kontrahierung der Anleihen eingegangenen Bedingungen und des Zinsfußes der verschiedenen Schuldarten. Begreiflicherweise wird man jene Schulden zuerst tilgen, deren Tilgung für die Staatskasse am vorteilhaftesten ist.

Die neueste Finanzpolitik nimmt auf Rückzahlung der Staatsschulden immer seltener Betracht.Zur Schuldentilgung gehört auch die Wiedereinziehung von umlaufendem Papiergeld. Sie wird zur Pflicht eines geordneten Staatswesens namentlich dann, wenn das Papiergeld unter pari gesunken ist.

Die Federal Reserve – ein Privatunternehmen  –  steuert eine Politik, die alle Regeln vergessen machen will.  Die Notenbanken  drucken munter, was die Druckerpressen nur hergeben.  Die Inkompetenz der politischen Klasse ist und bleibt  die einzige Konstante in der Geschichte.

 


Notizen zur Zeit. In der Mitte der Gesellschaft : Die Hodenträger. Von W.K. Nordenham

25. Juli 2013 | Kategorie: Hodenträger, Medizin, Notizen zur Zeit

Deutsches Ärzteblatt  28.06.2013

 

ÄSTHETISCHE CHIRURGIE

Zahl der Schamlippenverkleinerungen steigt

Intimchirurgische Eingriffe bei Frauen werden immer häufiger. 2011 nahmen die plastischen Chirurgen in Deutschland allein 5440 Schamlippenkorrekturen vor, wie aus einer Erhebung der Deutschen Gesellschaft der plastischen, rekonstruktiven und ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) hervorgeht. Solche Operationen seien i n  d e r  M i t t e  d e r  G e s e l l s c h a f t angekommen, teilte die Fachgesellschaft mit. „Wir werden darüber diskutieren müssen, wie man mit dem Thema umgeht“, sagte Prof. Dr. med. Peter M. Vogt, Präsident der DGPRÄC. In vielen Fällen seien die Operationen notwendig, etwa bei stark vergrößerten, schmerzhaften Schamlippen. „Aber natürlich sorgt die  s t a r k e  m e d i a l e  A u f m e r k s a m k e i t  auch dafür, dass viele Frauen ihre Schamlippen nicht mehr als ,schön‘ empfinden.“ Da es an S t a n d a r d s  mangele, arbeite die DGPRÄC an einer S 1- L e i t l i n i e  zur Intimchirurgie der Frau. Der  W e l t ä r z t i n n e n b u n d  hingegen  hatte  sich  kürzlich  g e g e n   i n t i m c h i r u r g i s c h e   E i n g r i f f e  aus rein ästhetischen Gründen ausgesprochen. Weitere Ergebnisse: Brustvergrößerungen, Augenlidstraffungen und Fettabsaugungen sind die häufigsten ästhetische Operationen. Insgesamt wurden mehr als 138 000 Eingriffe gezählt. Die Daten stammen aus einer Umfrage unter DGPRÄC-Mitgliedern. G e n a u e  Z a h l e n   über  alle  „Schönheitsoperationen“  in  Deutschland  g i b t   e s    n i c h t.

 

Jetzt weiß ich endlich, wo die Mitte der Gesellschaft anzusiedeln ist. Sie befindet sich exakt in der Mitte der Deutschen Gesellschaft der plastischen, rekonstruktiven und ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), die den Menschen nicht nur plastisch, rekonstruktiv und ästhetisch nach ärztlicher Notwendigkeit versorgt, sondern jeden kosmetisch aktuell erwünschten Körperteil in die Mitte ihrer Gesellschaft aufnimmt und gesellschaftskompatibel herzurichten bereit ist. Da wird die Schönheit einer Scham von einer Gesellschaft ins chirurgisch normierte Auge gefasst, der  doch gewöhnlich jede Scham abgeht, wenn es den Umsatz fördert. „Die Gesellschaft ist genitalbewusster geworden“, sagte dazu vor einem Jahr ein Dr. Schmidt-Rhode in der Zeitschrift Brigitte. „Vor allem junge Frauen, unter 35, haben heute höhere ästhetische Ansprüche als früher“, führte er aus. Ein genitalbewusster, ästhetisch anspruchsvoller Gynäkologe, natürlich Hodenträger, machte sich da mausig, der, wie seine Kollegen, an seine Hoden aus ästhetisch-kosmetischen Gründen niemals irgendjemand lassen würde. In Hamburg sah ich in der Bahn eine Reklame: „Keine falsche Scham“. Welche bitte ist denn die gesellschaftlich, ästhetisch, genitalbewusst richtige Scham? Die trendkorrekt Operierte ? Wie wärs mit einer S 1- L e i t l i n i e  zur Intimchirurgie des Mannes, etwas wie „Hoden auf den Tisch!“ ? Der pharmazeutisch-kosmetische Komplex optimiert seine Geldquellen. Nach Botoxlippenhalloween kommt er mit einer neuerlichen kosmetischen Lüge, die ein wahrhaft natürliches Lippenbekenntnis der Natur entreißt und ein Geschäft daraus macht. Es erschreckt mich zutiefst, wie leicht sich Frauen immer wieder von Hodenträgern instrumentalisieren lassen, die niemals die Pille für den Mann einnähmen und sich den Hodensack verkleinern ließen, der unstrittig großmächtig dort sitzt, wo die kleinen Schamlippen naturgemäß anzutreffen sind. Hat  schon einmal  irgendwer etwas von einer Empfehlung zur Hodenkorrektur gehört, ja doch mindestens für männliche Radfahrer? Ich nicht. Die Frauen sollten zuerst den ä s t h e t i s c h  k o r r e k t e n  H o d e n zur Bedingung machen, vorzugsweise zuerst beim Operateur, bevor sie wieder ein Stück von sich auf dem Altar einer Schönheitschirurgie opfern, deren Hohepriester durchweg Hodenträger sind, die, wenn sie zum Herzen greifen, lediglich den Sitz der Geldtasche überprüfen. Wer wirklich Beschwerden hat, darf oder muss sich sogar operieren lassen. Aber das ist  klar und außer Diskussion – auch für den W e l t ä r z t i n n e n b u n d.  Wer es jetzt immer noch nicht glaubt, soll sich die Tour de France noch einmal anschauen, mit seit Jahrzehnten genital unkorrigierten Hodenträgern. Fazit: Liebe Frauen, hört nicht auf Hodenträger!

Zum Nachweis eine Ä r z t i n :  http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/article/534924/voellig-normal-wenn-kleinen-schamlippen-grossen-hinausragen.html


Was ich will, ist, dass die Presse aufhöre zu sein – Kraus und der Journalismus. Von Richard Schuberth

19. Juli 2013 | Kategorie: Artikel, Richard Schuberth

Richard Alexander Schuberth ist Schriftsteller – unter anderem –  und lebt in Wien. Die Lektüre seiner Schriften sei dem empfohlen, der den Kopf nicht nur als Huthalter oder Frisierobjekt missbraucht. Der  Text, dem weitere folgen werden, wird hier mit seiner ausdrücklichen Genehmigung abgedruckt. Er entstammt dem Buch

Richard Schuberth                                                                                      30 Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus

238 S. , EUR 24,-
Broschur mit Fadenheftung
ISBN 978-3-85132-531-7, 2008

Was ich will, ist, dass die Presse aufhöre zu sein – Kraus und der Journalismus

Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus, Teil 4

Du brauchst nicht mehr zu wissen noch zu denken,
Ein Tagblatt denkt für dich nach deiner Wahl.
Die Weisheit statt zu kaufen steht zu schenken,
Zu kaufen brauchst du nichts als das Journal.

Franz Grillparzer (aus Dem internationalen Preßkongreß)

Richard Schuberth  05.03.2006

Auf dem Höhepunkt des bürgerlichen Zeitalters, in der Periode zwischen 1848 und 1914, profiliert sich die Zeitung als Medium der Emanzipation und Bildung. Feuilletonisten und Leitartikler machen den seit der Aufklärung heroisierten Dichtern und Denkern Konkurrenz. Besonders die Ästhetizisten als Künder des ewig Wahren und Schönen wehren sich gegen die Anmaßungen des täglich neu gedruckten und weggeworfenen Worts. Hugo von Hofmannsthal z. B. gefällt es gar nicht, dass auf den elendsten Zeilenschreiber etwas vom Glanz der Dichterschaft abfällt. Dem hätte Karl Kraus wohl zugestimmt und von Hofmannsthal und seinesgleichen gleich den Glanz mit runterpoliert.

Dass Karl Kraus in der Journaille, wie er das journalistische Gewerbe nannte, seinen Hauptfeind bekämpfte, ist beinahe eine Untertreibung. Mehr noch war die 1899 gegründete Fackel die unversöhnliche Antithese zur Presse schlechthin, in ihrem Titel schon leuchtet die Doppelbedeutung von Erhellung und Brandlegung auf, jener Productivkraft schöpferischer Zerstörarbeit, deren deklariertes Ziel die Trockenlegung des weiten Phrasensumpfes war.

Karl Kraus kannte die Produktionsbedingungen des bürgerlichen Journalismus gut genug, schrieb er doch seit 1892 selbst für die damals wichtigste meinungsbildende Kraft Mitteleuropas, die Neue Freie Presse sowie in der Wochenschrift Die Wage. Als das Gerücht, der begabte junge Autor wolle eine eigene Zeitschrift gründen, auch in die Redaktion der Neuen Freien Presse drang, wollte die ihn als Redakteur an sich binden. Karl Kraus Selbstbewusstsein war indessen stark genug für die Gewissheit, dass er nicht reif für die NFP sei, sondern diese reif für ihn. Er gründete 1899 die Fackel und formulierte  bereits in der Nullnummer sein Programm: kein tönendes Was wir bringen, aber ein ehrliches Was wir umbringen hat sie sich als Leitwort gewählt.

Beim Morgenkaffee plötzlich Daliegendes

Kraus Kampf gegen den Journalismus ist ein vielschichtiges Unternehmen und es bedarf profunden Studiums, bis sich einem die disparaten Elemente seiner Kritik als schlüssiges Ganzes offenbaren. Seine Pressekritik beherbergt sprach- und moralkritische, politische, ökonomische und medienphilosophische Aspekte. Diese aber sind so klug ineinander verzahnt, dass jeder Versuch ihrer analytischen Trennung von ihrem Verständnis wegführte. Hier nur der Anflug eines Versuchs, Eckpunkte eines Lebenswerkes zu skizzieren.

Der Sprachverfall ist zugleich Ursache, Folge und Symptom all dessen, was Kraus verabscheut und apokalyptisch überhöht, die Presse sein Brennglas.

Zunächst ist Kraus nur daran gelegen, den Schuster bei seinem Leisten bleiben zu lassen. Als sachlicher Informationsdienst ist ihm die Zeitung durchaus willkommen, eine knappe unprätentiöse Sprache sogar literarisch inspirierend. Störend wird der Journalismus erst, wenn er sich mit dem Anspruch von Objektivität und schlimmer noch als Meinungsbildner zwischen den denkenden Menschen und die Wirklichkeit stellt, und ihm die Möglichkeit autonomer Reflexion durch die Fütterung mit dem selbstgerechten Meinungsbrei des Leitartikels abnimmt.

Mit selten einfühlsamer Pädagogik fordert Kraus den Leser zur Mündigkeit auf: Freundlicher Leser! Der du noch immer die Zeitung für ein von geheimnisvoller Macht Erschaffenes, aus pythischem Munde Weisheit Kündendes, beim Morgenkaffee plötzlich Daliegendes hältst, der du vom Offenbarungsschauer dich angewehet und der Ewigkeit näher fühlst, wenn Löwy oder Müller im Wir-Ton leitartikeln , werde misstrauisch, und einer von Druckerschwärze fast schon zerfressenen Kultur winkt die Errettung. Lasse den Zeitungsmenschen als Nachrichtenbringer und kommerziellen Vermittler sich ausleben, aber peitsche ihm den frechen Wahn aus, dass er berufen sei, geistigen Werten die Sanction zu erteilen. Nimm das gedruckte nicht ehrfürchtig für baare Münze! Denn deine Heiligen haben zuvor für das gedruckte Wort baare Münze genommen.

Schon früh läutet Kraus eine Revolution in der Medienkritik ein. Beschränkte sich diese vor ihm zumeist auf Bildungsdünkel oder Entsetzen über die Verflachung der Sprache, so wirft Kraus sein satirisches Schlaglicht auf die politischen und ökonomischen Bedingungen der Wirklichkeitsproduktion. Und findet seinen Erzfeind nicht in den Pöbelblättern der Deutschnationalen, sondern im vorgeblich kleineren Übel, der liberalen, fortschrittlichen Neuen Freien Presse.

Den Schlüssel zur Heuchelei der interesselosen Meinungs- und Faktenfabrikation findet Kraus in den üppigen Inseratenteilen der Zeitungen. Sein Zeitgenosse, der Nationalökonom Karl Bücher definierte die moderne Zeitung als Erwerbsunternehmen, das Annoncenraum als Ware verkauft, die nur durch einen redaktionellen Teil verkäuflich wird. Diese scharfsinnige Spitze mag heute nicht mehr stechen, so selbstverständlich ist die Verabsolutierung kapitalistischer Marktprinzipien geworden.

Auch der Arbeiter Zeitung, der er zwischen Wohlwollen und Distanz verbunden blieb, rechnete Kraus früh die Widersprüche zwischen Absicht und Tat auf:

Aufsehen erregt haben seinerzeit die Artikel der Arbeiter-Zeitung über die Mordschiffe der Donau-Dampfschiffahrt-Gesellschaft durch die Kühnheit ihrer Sprache. Seit damals Herbst 1898 erscheinen statt der Mordschiffe in kleinen Intervallen Mordsinserate der Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft. () Die Mordschiffe werden allerdings nicht angegriffen; sie sind zwei Jahre älter geworden. Und zeigte mit dieser Sentenz, wie brillant sich das als seicht verschriene satirische Mittel des Kalauers mit einer Sache gegen eine Sache rüsten ließ.

Kraus ging jedoch einen bedeutenden Schritt weiter und wurde nicht müde nachzuweisen, dass der redaktionelle Teil selbst geheimer Umschlagplatz der Warenform ist. Nicht nur dem heuchlerischen Nebeneinander von Geist und Kommerz gilt seine Kritik, sondern der schleichenden Kommerzialisierung des Geistes, die er am Sprachgebrauch diagnostiziert.

Die Presse als Bote, Partei und Ereignis

Damals wie heute wirkt Kraus Totalisierung des Pressunwesens, ihre Hypostase zur Hauptursache aller gesellschaftlichen Übel, als überspannt, gerade so, als hätte sich ein narzisstischer Kritiker eine freie Nische gefunden, deren Bedeutung er zur Überhöhung der eigenen überhöhen muss.

Wohl ist er sich bewusst, wo die Basis, wo der Überbau ist: Ich habe die Presse nie als Ursache, sondern immer nur als Wirkung verklagt. () Ich weiß schon, dass die Nässe nicht am Regen schuld ist; aber sie informiert mich darüber, dass es regnet.

Und doch bildet die Nässe Dunst, der aufsteigt, um zu neuen Regenwolken sich zu ballen. Im Frühjahr 1908 nennt der konservative Abgeordnete Gröber die anwesenden Journalisten im deutschen Reichstag Saubengels. Aus Protest stellen diese die Berichterstattung über den Reichstag ein, was die vorübergehende Einstellung der parlamentarischen Tätigkeit zur Folge hat. Kraus dazu in der Fackel: Die Öffentlichkeit hat wieder einmal dazugelernt und weiß jetzt, dass die Weltgeschichte aufhören muss, wenn sichs die Staatsmänner mit den Stenographen verderben.

Bei Kraus Fehde mit der Presse verhält es sich wie bei den anderen Feldern seiner Kritik. Ganz dem Grundsatz gemäß, dass nur die Übertreibung der Realität gerecht wird, lässt ihn sein kritischer Geist, gerade dort, wo er am verschrobensten wirkt und durch keine Sache mehr gedeckt scheint, Mauern vor der Wahrnehmung einreißen, wofür die damalige Wissenschaft und Gesellschaftskritik der Methoden entbehrte. Als erster Mensch der Geschichte formuliert er Zusammenhänge, welche zum wesentlichen Topos der Medien- und Kulturkritik des 20. Jahrhunderts avancieren würden, ohne dass die es ihm je gedankt hätten. Karl Kraus kommt dem Prinzip der Substitution der Wirklichkeit durch die Medien auf die Schliche.

Seinen Zeitgenossen evident wird diese Macht spätestens durch die Rolle der Presse im I. Weltkrieg: Längst nicht mehr ist sie Vollzugsorgan politischer Macht, sondern lenkt die Ereignisse selbst kraft ihrer Deutungshegemonie.

Schon 1909, als ein gewisser Minister Aerenthal der bereits damals kriegsbegeisterten NFP durch den Historiker Friedjung Falschinformationen über eine Verschwörung Kroatiens mit Belgrad zuspielen lässt und somit einen Krieg gegen Serbien vom Zaun brechen will, erkennt Kraus die Omnipotenz der Presse als Wirklichkeitsmanipulator. Er verfolgt diesen Pfad bei der Berichterstattung über die Balkankriege und findet seine anfänglich polemische Position durch die Rolle der Presse im I. Weltkrieg bestätigt:

die Presse ein Bote? Nein, das Ereignis. Eine Rede? Nein, das Leben. Sie erhebt nicht nur den Anspruch, dass die wahren Ereignisse ihre Nachrichten über die Ereignisse seien, sie bewirkt auch diese unheimliche Identität, durch welche immer der Schein entsteht, dass Taten erst berichtet werden, ehe sie zu verrichten sind …

Hiermit nimmt Karl Kraus, der sich längst nicht auf Sprache beschränkt, sondern Photographie, Reklame und Film in sein Denken mit einbezieht, die größten Leistungen der späteren Kulturindustrie- und Medienkritik vorweg, wie Sigfried Kracauers Analyse der Photographie in den 20er Jahren etwa (In den Illustrierten sieht das Publikum die Welt, an deren Wahrnehmung es die Illustrierten hindern.), oder Günther Anders Analyse des Fernsehens (Am Anfang war die Sendung, für sie geschieht die Welt.) oder die schwachbrüstigere Medienkritik eines Marshal MacLuhan, weitschichtig auch die Simulakrentheorie von François Baudrillard.

Kraus contra Békessy, Thurnherr und Sperl

Nach dem Krieg sieht sich Kraus einem neuen Typus von Journaille gegenüber: In den Revolverblättern des Erpressers und Medientycoons Imre Békessy wird die idealistische Maske fallen gelassen, auf welche die NFP noch Wert legte, und der Prototyp des populistischen Boulevardjournalismus geschaffen, der auch heute noch den Zeitungsmarkt beherrscht. Die Dramaturgie des folgenden Kampfes nimmt jene des Westerns High Noon vorweg. Dass Békessy mit offenen Karten spielte, Korruption und Lüge als journalistisches Prinzip ehrlich zugab Niedertracht unter dem Vorwand der Niedertracht , mag den Dialektiker Kraus sogar amüsiert haben, ehe sich dieser wieder mit dem Ethiker zugesellte und mit den donnernden Worten Raus mit dem Schuft aus Wien! einem Schieberimperium, dem sich Kraus alte Feinde wie Felix Salten und Anton Kuh nur zu gerne andienten, den Krieg erklärte. Ein Krieg, den er völlig alleine führen würde. Ich kenne keine Parteien mehr. Ich kenne nur Feiglinge. Zwei Jahre später, 1926, ergriff Békessy die Flucht nach Paris. Einer der wenigen Erfolge, den Satire je gezeitigt haben dürfte.

Wie sehr den Zeitungsintellektuellen unserer Tage die Angst vorm Fackelkraus im Nacken sitzt, beweist die magische Praxis des Zitats. Man zitiert Kraus, weil er nicht mehr lebt und damit er nicht mehr lebt. Der rituell-magische Charakter des Zitats funktioniert auf zwei Ebenen. Das Krauszitat lässt den Journalisten magisch an dessen geistiger Autorität teilhaben und dient zugleich als Schutzzauber. Wogegen? Gegen Kraus selbst, dessen Geist ja noch immer durch die Redaktionsstuben spuken und die eigenen Texte ihrer ganzen Dürftigkeit überführen könnte.

Die Frage indes, wie Karl Kraus sich zur heutigen Presselandschaft äußern würde, zählt selbst schon zu den automatisierten Phrasen des Feuilletons oder Impulsreferats. Sicher ist, dass er sich nicht mit Peanuts abgeben, sondern seine Kritik erst bei jenen so genannten Qualitätsblättern ansetzen würde, deren vorgebliches Niveau sich hierzulande aus der Distanz zur Kronen Zeitung ableitet. Die Chefredakteure, Leitartikler und Feuilletonisten von, Presse, Profil, besonders aber Standard und Falter, die sich aus Mangel an Alternativen den Lesern als das äußerst Mögliche an kritischem Geist aufdrängen, lebten in ständiger Angst und Hoffnung, dass sich die Privatwirtschaft ihrer erbarmte, wenn der Redakteurssessel zu heiß würde.

Richard Schuberth


Joachim Ringelnatz, vor 130.Jahren geboren: Und auf einmal steht es neben Dir…

01. Juli 2013 | Kategorie: Anthologie der Menschheit, Leseempfehlung, Ringelnatz, Verdichtetes

„Joachim Ringelnatz (* 7. 8.1883 17.4.1934, eigentlich Hans Gustav Bötticher) war ein deutscher Schriftsteller, Kabarettist und Maler , der vor allem für humoristische Gedichte um die Kunstfigur  Kuttel Daddeldu bekannt ist.“ So klingt das bei wikipedia. Damit wird jener vor nunmehr 130 Jahren Geborene vorgestellt, der eben weit mehr als „Daddeldu“ und vor allem  Dichter war. Dies sei hier zum Geburtsjubiläum mit den folgenden Gedichten nachgewiesen und seine gesammelten Werke zur Lektüre empfohlen.

Kindersand

Das Schönste für Kinder ist Sand.
Ihn gibt´s immer reichlich,
Er rinnt unvergleichlich
zärtlich durch die Hand.

Weil man seine Nase behält,
wenn man auf ihn fällt –
ist ja so weich.
Kinderfinger fühlen,
wenn sie in ihm wühlen,
nichts und das Himmelreich.

Denn kein Kind lacht
über gemahlene Macht.

*

Vor einem Kleid

Karo ist in deinem Kleid,
eine ganze Masse
Karo-Asse.

Wieviel Karos ihr wohl seid
in dem Kleid? – Das Kleid ist nett.
Karos sind im armen Bett.

Nun, ich habe nicht gezählt,
wenn mich auch die Frage,
wieviel es wohl sind, doch quält.
(Immer wieder seh ich hin.)

Weil ich männlich bin,
Rock und Hose trage,
passt solch Muster nicht für mich.
Karo ist zu munter.

Aber ich bestaune dich,
fremdes Mädchen, hübsche Maid.
Karo ist in deinem Kleid.
Ist ein Coeur darunter?

*

Zu dir

Sie sprangen aus rasender Eisenbahn
und haben sich gar nicht weh getan.

Sie wanderten über Geleise,
und wenn ein Zug sie überfuhr,
dann knirschte nichts. Sie lachten nur,
und weiter ging die Reise.

Sie schritten durch eine steinerne Wand,
durch Stacheldrähte und Wüstenbrand,

durch Grenzverbote und Schranken
und durch ein vergehaltnes Gewehr;
durchzogen viele Meilen Meer –
meine Gedanken.

Ihr Kurs ging durch, ging nie vorbei.
Und als sie dich erreichten,
da zitterten sie und erbleichten
und fühlten sich doch unsagbar frei.

*

 

Ich habe dich so lieb!

Ich hab dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
eine Kachel aus meinem Ofen schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei – verjährt –
doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
ist leise.

Die Zeit entstellt
alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
an einem Sieb.

*

Und auf einmal steht es neben dir

Und auf einmal merkst du äußerlich:
wieviel Kummer zu dir kam,
wieviel Freundschaft leise von dir wich,
alles Lachen von dir nahm.

Fragst verwundert in die Tage.
Doch die Tage hallen leer.
Dann verkümmert deine Klage …
Du fragst niemanden mehr.

Lernst es endlich, dich zu fügen,
von den Sorgen gezähmt,
willst dich selber nicht belügen,
und erstickst es, was dich grämt.

Sinnlos, arm erscheint das Leben dir,
längst zu lang ausgedehnt. –
Und auf einmal –: Steht es neben dir,
an dich gelehnt –
Was?
Das, was du so lang ersehnt.


Die Fackel Nr. 1 Wien, Anfang April 1899 . Von Karl Kraus

29. Juni 2013 | Kategorie: Aus "Die Fackel", Notizen zur Zeit

War nicht ein gewisser  Obama, Präsident und Friedensnobelpreisträger, der nach wie vor Chef von Guantanamo, der Herr über Drohnen- Schwadronen und NSA, kürzlich in Berlin?

Die Fackel Nr. 1 WIEN, ANFANG APRIL 1899

Schwierigkeiten gibt es nur für den, der sie nicht überblickt. Der Mann, an dessen Intelligenz gemessen, die Konflikte unserer Politik klein erscheinen würden, ist aber noch nicht gefunden. Hat die individualistische Auffassung in der Geschichte Unrecht, die den historischen Verwicklungen nur die Aufgabe zuerkennt, die Persönlichkeit zu zeitigen, die ihrer Herr wird?


Von den übrigen aktuellen Nebendarstellern , etwa von Frau Schröder, Rösler, Bahr, de Maiziere und wie sie sonst heißen mögen, gar nicht zu reden, außer  mit den folgenden Sätzen aus „Die Fackel“:

 

Die Fackel Nr. 1 WIEN, ANFANG APRIL 1899

Die Verworrenheit unserer politischen Zustände hat einen großen Vorteil; sie erleichtert die Beurteilung der führenden Männer. Unter minder schwierigen Umständen konnte sich ein Minister jahrelang der Feststellung seines Wertes entziehen. Selbst der Geschichte fehlen die Anhaltspunkte zur Beurteilung einzelner Staatsmänner. Aber dieses historische Dämmerlicht ist vorüber. Heute ist die Beleuchtung so grell, dass man die Umrisse politischer Unfähigkeit weithin erkennt. Unsere Zeit richtet jeden Minister binnen ein paar Tagen — standrechtlich. Auch auf die Abstufungen der Mittelmäßigkeit lässt sie sich nicht mehr ein.

 



Karl Kraus der Sozialismus III: Rosa Luxemburg . Von Richard Schuberth

17. Juni 2013 | Kategorie: Artikel, Richard Schuberth, Sozialismus

Richard Alexander Schuberth ist Schriftsteller – unter anderem –  und lebt in Wien. Die Lektüre seiner Schriften sei dem empfohlen, der den Kopf nicht nur als Huthalter oder Frisierobjekt missbraucht. Der  Text, dem weitere folgen werden, wird hier mit seiner ausdrücklichen Genehmigung abgedruckt. Er entstammt dem Buch

Richard Schuberth                                                                                      30 Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus

238 S. , EUR 24,-
Broschur mit Fadenheftung
ISBN 978-3-85132-531-7, 2008

 

Karl Kraus der Sozialismus III:                Rosa Luxemburg

Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus (und Rosa Luxemburg), Teil 19

„Ich bin unzufrieden mit der Art, wie man in der Partei meistens die Artikel schreibt. Es ist alles so konventionell, so hölzern, so schablonenhaft. Das Wort eines Börne klingt jetzt wie aus einer anderen Welt. Ich weiß – die Welt ist ja eine andere und andere Zeiten wollen andere Lieder haben. Aber eben ‚Lieder’, unser Geschreibsel ist ja meistens kein Lied, sondern ein farbloses und klangloses Gesurr, wie der Ton eines Maschinenrades. Ich glaube, die Ursache liegt darin, dass die Leute beim Schreiben meistenteils vergessen, in sich tiefer zu greifen und die ganze Wichtigkeit und Wahrheit des Geschriebenen zu empfinden. Ich glaube, dass man jedes Mal, jeden Tag bei jedem Artikel wieder die Sache durchleben, durchfühlen muss, dann würden sich auch frische, vom Herzen und zum Herzen gehende Worte für die alte, bekannte Sache finden.“

Rosa Luxemburg in einem Brief an Robert Seidel

Die beiden kannten einander nicht persönlich. Sie warf von Zeit zu Zeit ein paar neugierige Blicke in sein Schaffen, nicht ohne das Gefühl der Überlegenheit eines marxistisch geschulten Geists gegenüber einer bürgerlichen Bürgerkritik, aber auch nicht ohne tiefen Respekt vor seiner menschlichen und sprachlichen Größe. Er indes erschauderte vor der menschlichen und sprachlichen Größe ihres marxistisch geschulten Geistes, nachdem er per Zufall, ein Jahr nach ihrem Tode, einen ihrer Briefe fand.
Die Geschichte, die hier erzählt wird, soll als Liebesgeschichte erzählt werden – nicht weil sich Karl Kraus und Rosa Luxemburg wirklich geliebt haben, das war gar nicht nötig – sondern als Geschichte der Liebe zwischen geistigen Prinzipien, die die dingliche Welt durchdringen und sich von Zeit zu Zeit sprach- und denkmächtiger Menschen bedienen, um einander Liebesbotschaften zu schreiben.
Das Wort Sozialismus im Titel ist eine Irreführung. Ausnahmsweise soll dieses Mal weniger die Sphäre des Politischen behandelt werden, als jene persönliche und literarische, in der die Kommunistin Luxemburg und Kraus sich treffen, dem Politik, wie er bekannte, „bloß als Voraussetzung für ein Leben ohne sie beträchtlich“ war, was wiederum, wie sie ihn hätte lehren können, durchaus dem marxistischen Fernziel des „Absterbens des Staats“ entspräche.
Nicht unproblematisch ist das, besonders im Fall der kämpferischen Intellektuellen Luxemburg, deren privaten Briefe zu Ungunsten ihres theoretischen Werks die denkfaulen, aber gefühlsgierigen Rezipienten zum Kult um ihre Person verleiteten. Und es bestärkt die populäre Halbwahrheit, dass Kraus nie auf Theorie, sondern das Wirken von Tatmenschen vertraute, der Revolutionärin also, nicht der Revolution seine postume Wertschätzung galt, die sie sich dann sogar mit einem Dollfuß teilen musste, so wie sie sich schon Bismarck mit dessen sozialistischen Widersacher Wilhelm Liebknecht hatte teilen müssen.
Zu Recht fühlten die Theorien von den gesellschaftlichen Wirkkräften sich der idealistischen Überbewertung des Individuums überlegen, doch pochte stets in ihnen die Gefahr, in vorauseilendem Gehorsam die letzten unzerstörten Überreste tatsächlicher Persönlichkeit zu negieren. Sowohl Karl Kraus als auch Rosa Luxemburg hatten einen besonderen Riecher dafür, wenn unter dem Vorwand, dass das Sein das Bewusstsein zu bestimmen habe, jegliches Bewusstsein, welches aufs Sein hätte positiv zurückwirken können, erstickt wurde. Das Wissen um die soziale Determiniertheit der Person entlastet nicht von der Pflicht zur Persönlichkeit; die sich nicht etwa im charismatischen sozialistischen Führer zeigt, welcher in den Massen kaum andere Impulse entfesselt als der faschistische, sondern am Beispiel gelebter unkorrumpierbarer Individualität. Die Aparatschiks von einst wünschten einer solchen den Tod, die Intellektuellen von heute erklären diesen, aber nur, um sich die entspannte Gleichzeitigkeit von Kulturpessimismus, Spaß am Kitsch und einem gut bezahlten Posten in der Kulturindustrie oder anderswo nicht madig machen zu lassen.
Wie mit der Dialektik der Persönlichkeit, so verhält es sich mit jener von Humanität und Naturbeziehung. So überlegen sich rational reflektierende Gesellschaftskritik einer bloß moralischen zeigte, so sehr fiel jene hinter diese zurück – und kalter Zweckrationalität in die Hände, sobald sie sich ihres ethischen Fundaments enthob. Denn die berechtigte Kritik der Heulsusen wird nur zu oft von den Gefühlsarmen zur Denunziation der letzten Emotionsstarken benutzt. Desgleichen die begrüßenswerte Entlarvung von zivilisationsfeindlichem Ökologismus und eskapistischem Naturkitsch sich allzu leicht der Verdinglichung von Natur, auch der menschlichen unterwirft. Und Ergriffenheit etwa, die ein Sonnenuntergang auslöst, mit der Ergriffenheit, die ein Ölbild davon auslöst, gerne von jenen verwechselt wird, welche gar nichts mehr ergreift. Sentimentalität ist eine verdächtige Gefühlslage, doch das coole Prahlen mit Unsentimentalität um nichts besser, weil bloß das sich erfahrener dünkende Diapositiv dieser.
Zu ihrer Zeit gelang einzig Luxemburg und Kraus ein dialektisches Fortschreiten aus besagten Widersprüchen, weil sich beide nicht nur die rationalste und kaltschnäuzigste Kritik bürgerlicher Ideologie leisten konnten, ohne auf zartfühlende Humanität und Naturliebe zu verzichten, sondern sich das auch von niemandem als Widerspruch aufschwatzen ließen.
Rosa Luxemburg hatte es da als Frau besonders schwer. Zu schnell legte man ihre Emotionalität als die Rebellion ihrer femininen Seite gegen die angebliche Männlichkeit ihrer theoretischen und agitatorischen Arbeit aus. Nichts ist unsinniger! Gerade jenes Zartgefühl, das ihre Gefängnisbriefe beseelt, zeigt sich stets als Ausdruck von Selbstbewusstsein und Stärke. Auch hier trifft sie sich mit Kraus, der nie auf die Idee gekommen wäre, seine Empathie für Menschen und Dinge als seine Anima, seine weibliche Seite, wahrzunehmen. „Ein ganzer Kerl“ zu sein, dürfte für beide eine geschlechtsneutrale Forderung gewesen sein. Einer Anekdote zufolge soll Rosa Luxemburg beim Lunch mit August Bebel und Karl Kautsky sich und Clara Zetkin als die letzten Männer der deutschen Sozialdemokratie bezeichnet haben.

… entehrt, im Blute watend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da


Mannigfaltig sind die Parallelen zwischen Kraus und Luxemburg. Beide wuchsen als deutsprachige Juden in slawischer Umgebung auf, er in Österreichisch-Böhmen, sie in Russisch-Polen. Beide erlebten früh die beginnende Nationalisierung der Bevölkerungen. Und beide glichen sie sich in sprachlichem Duktus, Ironie sowie ihrer begründeten Überheblichkeit. Sie hinkte von klein auf, er litt unter einer Rückgratverkrümmung. Dafür, dass er kaum Marx gelesen haben dürfte, verblüfft sein dialektischer Denkstil, dafür, dass sie Marxistin war, verblüfft ihre Schöngeistigkeit. Die Lösung findet sich in beider geistigen Wurzeln in der ersten bürgerlichen Moderne, der Aufklärung, als Ratio und Empfindung, Naturverehrung und Fortschrittsglaube noch ein Programm waren. Wie sehr hätte ihn aber beeindruckt, dass auch sie Goethe dem politischeren Schiller, Börne dem rebellischen Heine den Vorzug gab. Rosa Luxemburg lobte Kraus’ frühen sozialkritischen „Fackel“-Artikel, wovon er freilich nichts wusste. Eine erstaunliche Verbindung stellt sich auch durch ihre Einschätzung des seinerzeit als kritisches Gewissen Deutschlands gefeierten Publizisten Maximilian Harden her. Immerhin hatte Harden 1899 dem jungen Kraus den beinahe marxistischen Rat gegeben, sich in seiner Kritik mehr mit den ökonomischen Verhältnissen als korrupten Einzelpersonen und der Presse zu beschäftigen. Den gleichen Rat sowie eine präzise Polemik gegen Hardens Bildungshuberei, wie sie später Hauptbestandteil seiner eigenen Harden-Kritik werden sollte, hätte Kraus von R. Luxemburg bereits 1905 bekommen können, als er und Harden noch Freunde waren. Darin mokierte sie sich, wie dieser mit der Kenntnis der Völker des Zarenreichs prahlt („aus dem Brockhaus abgeschrieben“), um schließlich deren Demokratieunfähigkeit zu behaupten. „Es ist eigentlich recht merkwürdig, dass von der Höhe oder vielmehr von der Tiefe der bürgerlichen Dekadenz aus jeder Literatenbengel, an dem kein heiler Faden ist, sich berufen fühlt, über die Reife oder Unreife ganzer Völker letztinstanzliche Urteile zu fällen.“
Rosa Luxemburgs Kritik von Bürokratismus und Philistertum, speziell innerhalb der Sozialdemokratie, hätten Karl Kraus’ ungeteilte Zustimmung gefunden, ebenso ihr Engagement für den Arbeiteraktionismus, vor allem aber ihr unerbittlicher Antinationalismus und Pazifismus, der ihren Bruch mit der SPD besiegelte.
Das Erlebnis des Weltkriegs synchronisierte letztlich beider Auffassung und Sprachgewalt. Folgende Worte der Revolutionärin hätten ebenso von Kraus stammen können: „Geschändet, entehrt, im Blute watend, vor Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie, geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und Rechtsstaat mimt – als reißende Bestie, als Hexensabbat der Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit, so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt.“ Nach Kriegsende gründete Rosa Luxemburg gemeinsam mit Karl Liebknecht in Berlin den Spartakusbund, den Vorläufer der KPD. Jänner 1919 wurde sie von rechten Milizen gelyncht.

Brief einer Unsentimentalen


Ein Jahr nach ihrer Ermordung entdeckt Kraus in der „Arbeiter-Zeitung“ einen Brief, den R. Luxemburg aus dem Gefängnis an Sonja Liebknecht geschrieben hat. Sofort druckt er ihn in der „Fackel“ ab mit den Geleitworten: „Schmach und Schande jeder Republik, die dieses im deutschen Sprachgebrauch einzigartige Dokument von Menschlichkeit und Dichtung nicht (…) zwischen Goethe und Claudius in ihre Schulbücher aufnimmt und nicht zum Grausen vor der Menschheit dieser Zeit der ihr entwachsenden Jugend mitteilt, dass der Leib, der solch eine hohe Seele umschlossen hat, von Gewehrkolben erschlagen wurde.“ Und nahm diesen als einen der wenigen zeitgenössischen Texte – zwischen Goethe und Claudius – in sein Lesetheater auf. In ihrem Brief beschreibt sie ein Erlebnis im Gefängnishof, wie ein zum „Kriegsdienst“ requirierter Büffel von einem Soldaten mit einem Stock malträtiert wird. Der Text ist neben seiner hohen dichterischen Qualität weit mehr als ein rührendes Dokument „weiblichen“ Mitgefühls mit dem erniedrigten „Tierbruder“, es enthüllt in lyrischem Ton die Ideologie von Naturunterdrückung, der Knechtung menschlicher wie nichtmenschlicher Natur. „Mit bösem Lächeln“ antwortet der Soldat der Aufseherin, die ihn zur Rede stellt: „Mit uns Menschen hat auch niemand Mitleid.“ – Eine Fackel-Abonnentin, eine Innsbrucker Aristokratin, reagiert auf diesen Text mit ihrem anonymen „Brief einer Unsentimentalen“, in der sie ihre Verachtung gegenüber der „Volksaufwieglerin“, die besser „Wärterin in einem zoologischen Garten“ hätte werden sollen – „dann hätte sie gewiss keine Bekanntschaft mit Gewehrkolben gemacht“ – mit ihrem Spott über Luxemburgs Sorge um ein stumpfsinniges Nutztier verknüpft. Als ehemalige Gutsbesitzerin in Südungarn wüsste sie, dass die Viecher keine andere Sprache verstünden als Schläge …
Der Ekel, den dieser sich ihm anbiedernde Brief in Kraus hervorruft, eruptiert in einem dermaßen wuchtigen Einklang von Wut, stilistischer Brillanz und Gedankendichte, der „stärksten bürgerlichen Nachkriegsprosa“, als welche Walter Benjamin sie erkannte, dass Einzelzitate daraus eine Beleidigung der Gesamtkomposition darstellten. Es ist so, als würde Kraus dem Soldaten den Stock aus der Hand reißen und sowohl den Stier als auch die Revolutionärin an dieser „Megäre“, dieser „Bestie“, wie er sie nennt, und mit ihr an ihresgleichen und ihresgleichen Gesinnung rächen, und jeder Stockhieb lässt statt Blut Erkenntnis spritzen. Mit der dialektischen Progression des Gefängnisbriefs, dem der „Unsentimentalen“ und des Satirikers Antwort darauf, nehmen Luxemburg und Kraus – sie positiv, er negativ – die Verschränkung von Unmenschlichkeit und pragmatischer Rationalität in die Zange, und geben Lehrbeispiele für den Gleichklang von Ethos, Stil und Denken, die eigentlichen Protagonisten dieser Liebesgeschichte. Kraus’ Antwort auf die Unsentimentale markiert den endgültigen Bruch mit den Illusionen der Vorkriegszeit, zugleich seinen letzten großen Reifesprung. Und es war zweifellos Rosa Luxemburg, die ihm dazu verhalf.
Die lehrreichste und bezauberndste Analogie zwischen den beiden aber ist die Selbstverständlichkeit, mit dem in ihrer Wesen und Denken Natur mit Vernunft versöhnt ist. Das ästhetische Naturerlebnis war für sie, deren Negativität sich Utopismus verbat, der lebenslange Geheimpfad zurück in die Unbeschwertheit der Kindestage. Karl Kraus’ Erinnerungen werden wiederholt von Schmetterlingen umflattert. „Als ich zehn Jahre alt war, verkehrte ich auf den Wiesen von Weidlingau ausschließlich mit Admiralen. Ich kann sagen, dass es der stolzeste Umgang meines Lebens war. Auch Trauermantel, Tapfauenauge und Zitronenfalter machten einem das junge Leben farbig.“ Und traurig, doch zielsicher resümiert er: „Mit Fliegenprackern schlägt die Menschheit nach den Schmetterlingen. Wischt sich den farbigen Staub von den Fingern. Denn sie müssen rein sein, um Druckerschwärze anzurühren.“ Was die Schmetterlinge Karl Kraus bedeuteten, das waren für Rosa Luxemburg die Singvögel.
In einem Brief an eine Freundin verordnete sie: „Auf meiner Grabtafel dürfen nur zwei Silben stehen. Zwi-zwi. Das ist nämlich der Ruf der Kohlmeisen, die ich so gut nachmache, dass sie sofort herlaufen.“

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Karl Kraus antwortet der  unsensiblen Gräfin unter anderem mit dem überzeugendsten Argument für eine starke linke Kraft, das je in solcher Prägnanz formuliert wurde, zur Mahnung an alle saturierten Konservativwähler, Sesselsitzer und Finanzjongleure :

Was ich meine, ist — und da will ich einmal mit dieser entmenschten Brut von Guts- und Blutsbesitzern und deren Anhang, da will ich mit ihnen, weil sie ja nicht deutsch verstehen und aus meinen »Widersprüchen« auf meine wahre Ansicht nicht schließen können, einmal deutsch reden, nämlich weil ich den Weltkrieg für eine unmissdeutbare Tatsache halte und die Zeit, die das Menschenleben auf einen Dreckhaufen reduziert hat, für eine unerbittliche Scheidewand — was ich meine, ist: Der Kommunismus als Realität ist nur das Widerspiel ihrer eigenen lebensschänderischen Ideologie, immerhin von Gnaden eines reineren ideellen Ursprungs, ein vertracktes Gegenmittel zum reineren ideellen Zweck — der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen und alle andern zu deren Bewahrung und mit dem Trost, dass das Leben der Güter höchstes nicht sei, an die Fronten des Hungers und der vaterländischen Ehre treiben möchten. Gott erhalte ihn uns, damit dieses Gesindel, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frechheit, nicht   noch   frecher  werde,      d a m i t         d i e        G e s e l l s c h a f t     d e r     a  u  s  s  c  h l i e ß l i c h       G e n u s s –        b e r e c h t i g t e n ,  d i e    d a    g l a u b t ,   d a s s    d i e    i h r    b o t –  m ä ß i g e   M e n s c h h e i t   g e n u g    d e r   L i e b e    h a b e ,            w e n n   s i e   v o n    i h n e n     d i e   S y p h i l i s   b e k o m m t ,           w e n i g s t e n s   d o c h  a u c h   m i t    e i n e m    A l p d r u c k             z u   B e t t e   g e h e !     D a m i t    i h n e n   w e n i g s t e n s   d i e          L u s t    v e r g e h e ,  i h r e n    O p f e r n   M o r a l   z u   p r e d i g e n,   u n d   d e r    H u m o r ,   ü b e r   s i e   W i t z e   z u   m a c h e n !

 

Siehe auch unter :  Rosa Luxemburg

 

 

 



Karl Kraus und der Sozialismus II: Zu Unbotmäßigkeit und Adel verpflichtet … . Von Richard Schuberth

29. Mai 2013 | Kategorie: Artikel

Richard Alexander Schuberth ist Schriftsteller – unter anderem –  und lebt in Wien. Die Lektüre seiner Schriften sei dem empfohlen, der den Kopf nicht nur als Huthalter oder Frisierobjekt missbraucht. Der  Text, dem weitere folgen werden, wird hier mit seiner ausdrücklichen Genehmigung abgedruckt. Er entstammt dem Buch

Richard Schuberth                                                                                      30 Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus

238 S. , EUR 24,-
Broschur mit Fadenheftung
ISBN 978-3-85132-531-7, 2008

Karl Kraus und der Sozialismus II: Zu Unbotmäßigkeit und Adel verpflichtet …

Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus, Teil 20

„Sie sagen: Wer nicht arbeit’t, der soll auch nicht essen – und wissen gar nicht, wen Sie allen mit diesem Ausspruch zum Hungertod verurteilen.“

Johann Nepomuk Nestroy

„Die Demokratie teilt die Menschen in Arbeiter und Faulenzer. Für solche, die keine Zeit zur Arbeit haben, ist sie nicht eingerichtet.“

Karl Kraus

„Mitgefühl und Liebe zu Leidenden ist bequemer als die Liebe zum Denken. Daher machen sie sich mit bewundernswertem, obschon falsch gerichteten Eifer sehr ernsthaft und gefühlvoll an die Arbeit, die Übel, die sie sehen, zu kurieren. Aber ihre Mittel heilen diese Krankheit nicht; sie verlängern sie nur. Ihre Heilmittel sind geradezu ein Stück der Krankheit.“

Oscar Wilde

1924 schickte sich der sozialdemokratische Parteipublizist Oskar Pollak mit dem Artikel „Ein Künstler und Kämpfer“ an, der großen linken Anhängerschaft von Karl Kraus die Augen für dessen wahren ideologischen Standort zu öffnen. Sein Hauptvorwurf zielte auf Kraus’ vermeintlich konservative Kapitalismuskritik. Er verwerfe „den Liberalismus als den Zerstörer einer vergangenen, aus der beschaulichen Primitivität der feudalen Ausbeutung erwachsenden Einzelkultur, anstatt ihn als die Halbheit künftiger allgemeiner Höhe ungenügend zu finden.“ Pollak billigt Kraus’ moralische Gesellschaftskritik bloß als probate Durchgangsphase zu einem theoretisch fundierten sozialistischen Bewusstsein, denn die „Schlacht, die jetzt kommt, wird nicht mehr um die Vorstellungen der bürgerlichen Geistigkeit, sondern um die Hauptstellungen der kapitalistischen Wirtschaftsmacht geschlagen. Dieser Kampf gegen das Kapital findet Karl Kraus nicht mehr an der Front.“ – Die folgenden zehn Jahre sollte Kraus dieser Sozialdemokratie auf Schritt und Tritt nachweisen, dass sie es sei, welche die Front habe zusammenbrechen lassen, und dass die Schlacht um die „Vorstellungen der bürgerlichen Geistigkeit“ nicht abgeblasen wurde, um besser gegen’s Kapital zu kämpfen, sondern um die Operettenränge eben dieser „Geistigkeit“ zu usurpieren.
Aus marxistischer Perspektive mag vieles an Kraus’ Kritik tatsächlich wie eine bürgerliche Vorstufe der sozialistischen Gesellschaftskritik wirken, doch – und hier die These des Artikels – gibt Kraus so viel her und passt so schlecht in nur irgendeine Konservatismus-Schablone, dass er ebenso zu einer Weiterentwicklung jener Kritik taugt, und diese ehrenvolle Rolle gilt es herauszustreichen.
Es mag stimmen, dass er der „great civilizing influence of capitalism“ (Marx) mit Skepsis begegnet, doch nicht um sich zivilisierenden Einflüssen allgemein zu versagen. Denn keinesfalls ist Kraus ein Apologet einer vorkapitalistischen Gesellschaft, seine Ansichten über Architektur, Technik und soziale Ungleichheit weisen ihn als pessimistischen Modernisten aus; er flieht nicht vor der Stadt aufs Land, sondern vor den Wienern, und dankt es der Erfindung des Automobils; er verherrlicht nicht die Vergangenheit, sondern fahndet in ihr nach den Momenten, als sie noch eine Zukunft hatte. Sein Faible für Aristokratie gilt auch vor dem Weltkrieg weniger einer Klasse und ihren Angehörigen als dem normativen Habitus von Ritterlichkeit, Stil und stolzer Unbeugsamkeit, einem ideellen Adel, den er zeitlebens in allen Klassen, bei Proletariern wie bei Revolutionären suchen, finden und ehren wird.
Selbst sein Antiparlamentarismus der Vorkriegszeit lässt sich weniger mit nietzscheanischem Elitarismus oder der Loyalität zum K.u.k.-Absolutismus erklären als mit seiner Verachtung gegen die liberalen Repräsentanten des Reichsrats. Zur Erreichung sozialer Ziele sympathisiert er wiederholt mit außerparlamentarischem Aktionismus, mit Streik und syndikalistischen Tendenzen, sein Anarchismus ist also weit entfernt von jenem bürgerlich-romantischen, der die spätmittelalterliche Handwerkerkommune zum gesellschaftlichen Maß nimmt. Allerdings hört sich’s mit seinem Anarchismus bei der Kritik des Staates auf, dessen Rolle als Bändiger der Kartelle, Trusts und Monopole ihm unerlässlich scheint: „Und so bekenne ich, dass ich den Standpunkt des Staatsfreundes, der von der Gesetzgebung immer wieder das verlangt, was der manchesterliche Schwindelgeist höhnisch ‚Bevormundung’ nennt, ausschließlich dann beziehe, wenn ich das Geltungsgebiet ökonomischer Werte betrachte.“
Karl Kraus sucht weder außerhalb noch vor noch nach der bürgerlichen Welt das soziale Ideal, doch scheint ihm nicht nur als polemische Volte jede Gesellschaft besser, deren Vorstellungskraft und Denkpotenzial noch nicht von Markt, Wissenschaft und Presse formatiert ist – anhand vieler Beispiele belegt er etwa die Überlegenheit des geistigen Bewusstseins im Vormärz, als Journalismus noch eher in schnörkelloser Berichterstattung denn in feuilletonistischer Meinungsbildung bestanden haben soll.
Kraus ist sich des zivilisatorischen Fortschritts der liberalen Epoche wohl bewusst. Wann immer diese aber ihre Überlegenheit anhand ihrer ökonomischen Verfasstheit behauptet, ein Fortschritt, in dem er bloß ein Fortschreiten der Barbarei erblickt, weiß er, wo er zu stehen hat. Als zum Beispiel der Polarforscher und Friedensnobelpreisträger Fridtjof Jansen begann, seine Schilderung der Eskimositten und die daraus abgeleitete Zivilisationskritik auf ein sozialpolitisches Fundament zu stellen, erntete er von vielen Seiten Spott und Empörung. Kein Wunder, hatte er doch geschrieben: „… fast kommunistisch sind ihre Leitmotive. Ihre Regel heißt: ‚Ich habe heute einen schlechten Fang getan, gib mir von deinen Fischen; morgen, wenn es dir schlecht geht, will ich aushelfen.’“ Den Spöttern spottete Kraus in einer Glosse: „Was diese Europäer anlangt, so haben sie allerdings mehr Kunst und leben nicht sich selbst, sondern vom Nebenmenschen. Ihre Regel heißt: ‚Ich habe heute einen guten Fang getan, indem ich mir von deinen Fischen nahm; morgen, wenn es dir schlecht geht, will ich mir aushelfen.’“

Wohltätigkeit und Weltanschauung

Kraus gab von seinen Fischen gerne ab. Durch Erbschaft zeitlebens vom Überlebenskampf entlastet, ließ er seine Einkünfte aus Lesungen stets karitativen Zwecken zukommen, konterkarierte diese Praxis aber mit Aphorismen wie: „Man sollte die Wohltätigkeit aus Weltanschauung bekämpfen, nicht aus Geiz.“ Die christlich-soziale Ethik fundiert die Barmherzigkeit auf individueller, die Sozialdemokratie auf nationaler, die Antiglobalisierungsbewegung fundiert sie auf internationaler Basis – was den Kapitalismus abmildern mag, aber in seiner Totalität nicht in Frage stellt. Kraus wusste, dass Mitgefühl strukturelle Kritik nicht ersetzen könne, aber gleichfalls wusste er, dass es sich mit einer solchen Kritik leicht vorm Mitgefühl drücken ließ. Sein Zweifel an der Wohltätigkeit ist nicht von Marx inspiriert, sondern vom Dandy und „Lilienpoeten“ Oscar Wilde, dessen kaum beachteten Essay „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ er 1904 in der „Fackel“ als „das Tiefste, Adeligste und Schönste, das der vom Philistersinn gemordete Genius geschaffen“ habe, als „das wahre Evangelium modernen Denkens“ bezeichnete. Wiewohl man Wilde solch ein Werk nicht zugetraut hat, enthält es viele Stellen, welche den antiliberalistischen Sternsingern dringlicher denn je ins Poesiealbum geschrieben gehören – wie die folgende: „…aber die besten unter den Armen sind niemals dankbar. Sie sind undankbar, unzufrieden, unbotmäßig und aufsässig. Sie haben ganz Recht, so zu sein. Sie fühlen, dass die Wohltätigkeit eine lächerlich ungenügende Art der Rückerstattung ist oder eine gefühlvolle Spende, die gewöhnlich von einem unverschämten Versuch seitens der Gefühlvollen begleitet ist, in ihr Privatleben einzugreifen. (…) Unbotmäßigkeit ist für jeden, der die Geschichte kennt, die recht eigentliche Tugend des Menschen. Durch die Unbotmäßigkeit ist der Fortschritt gekommen, durch Unbotmäßigkeit und Aufsässigkeit.“

Gott erhalte uns den Kommunismus!

Es gibt viele Verbindungen zwischen Kraus’ Gedankenwelt und der des Linksradikalismus, gerade dort aber sind sie nicht zu finden, wohin linke Kraus-Verwehrer gerne verweisen, zu seiner Sympathie für Einzelmenschen, für Luxemburg, Liebknecht Vater und Sohn, Brecht, zu Mühlen oder Dimitrov, die er nicht wegen ihres Kommunismus verehrt, sondern wegen jenes Surplus, den ihre Persönlichkeiten auf ihre Doktrinen draufschlagen – Doktrinen, mit denen sich Brecht zum Beispiel – in Kraus’ Worten – „als eigener Vampir das Blut abzapfe“. Dass der Musikwissenschaftler Georg Knepler, der Kraus vier Jahre lang bei seinen Offenbach-Rezitationen am Klavier begleitet hat, Marxist war, beweist auch nicht viel. Der bulgarische Kommunist Georgi Dimitrov wird von Kraus als der „wertvollste Vertreter der eigenen Sache“ geachtet, nicht jedoch der Sache wegen, sondern aufgrund seiner heroischen Beweislastumkehr gegen die Nazis als Angeklagter beim Reichstagsbrandsprozess 1933. Und die kommunistische Schriftstellerin Hermynia zu Mühlen, weil sie „ihren Adel verloren, aber nicht eingebüßt und auch nichts davon an die Gesellschaft abgegeben hat, die sie genössisch umgibt“. Wenn er Rosa Luxemburg in seiner „Antwort auf die Unsentimentale“ aber als „Bändigerin von Menschenbestien“ und „Gäterin menschlichen Unkrauts“ ehrt, erweitert das seine Sympathie für den „Adel“ ihrer Person bereits auf ihre politische Funktion und erhellt sein zwiespältiges Verhältnis zum Kommunismus.
Kraus’ Ablehnung der revolutionären Bestrebungen nach dem I. Weltkrieg speist sich aus dem Vorurteil, bei den Revolutionären handele es sich durchwegs um zweitklassige Journalisten und Dichter, die ihre Chance witterten, nicht mehr in den Cafés, sondern in Arbeiter- und Soldatenräten zu posieren. Nur zu gern glaubte er jede Propaganda der bürgerlichen Presse über deren Gewaltbereitschaft.
Die Fortsetzung jenes Ungeistes, den er schon an der bürgerlichen Gesellschaft verabscheut hatte, erblickte er in der technokratischen Verzahnung von Verwissenschaftlichung, Verwaltung und Zurichtung des Menschen, mit dem die vulgärmarxistische Praxis ihre idealistischen Ziele umzusetzen trachtete. Diese Praxis dürfte kaum dem entsprochen haben, was Kraus mit der Befreiung des „Lebenszwecks“ vom „Lebensmittel“ gemeint hatte. Am widerlichsten war ihm aber der marxistische Fachjargon, mit dessen Verspottung als „Moskauderwelsch“ er den Konservativen einen ihrer Lieblingskalauer in die Hände spielte.
Jedoch in zweierlei Hinsicht – einer ethischen und einer pragmatischen – verneigt sich Kraus vor dem Linksradikalismus. So gilt seine Hochachtung dem aufrichtigen Idealismus vieler seiner Aktivisten, besonders wenn sie als Bürgerliche ihr eigenes Klasseninteresse opfern, also aus Tugend, nicht aus Not Linke werden. „Ein Hungerleider, der Anarchist wird“, schreibt er, „ist ein verdächtiger Werber für die Sache. Denn wenn er zu essen bekommt, wird er eine Ordnungsstütze. Oft sogar ein Sozialdemokrat. Nichts ist dagegen sinnloser, als sich über die Söhne besitzender Bürger lustig zu machen, die anarchistischen Ideen anhängen. Sie können immerhin Überzeugungen haben. Jedenfalls verdächtigt kein abgerissenes Gewand die geistige Echtheit ihrer kommunistischen Neigungen.“ – „Die geistige Welt des Kommunismus“, konzediert Kraus diesen Eiferern, ob mit oder ohne abgerissenem Gewand, „– in einem kürzeren Moratorium, vor dessen Ablauf das Machtmittel den Zweck verzehren könnte – sie organisiert sich doch aus dem Gedanken jener letzten Hoffnung, die die Verzweiflung bildet, und der Mut seiner Bekenner, der volle Einsatz auf einer Barrikade, die die Sozialdemokratie vor der Stirn hat, verbindet ihn wie mit dem Tod auch mit dem Leben.“
So bleibt der Kommunismus die angsteinflößendere und effizientere Rute im Fenster: „Der Kommunismus als Realität ist nur das Widerspiel ihrer eigenen lebensschänderischen Ideologie, immerhin von Gnaden eines reineren ideellen Ursprungs, ein vertracktes Gegenmittel zum reineren ideellen Zweck – der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen und alle anderen zu deren Bewahrung und mit dem Trost, dass das Leben der Güter höchstes nicht sei, an die Fronten des Hungers und der vaterländischen Ehre treiben möchten. Gott erhalte ihn uns, damit dieses Gesindel, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frechheit, nicht noch frecher werde, damit die Gesellschaft der ausschließlich Genussberechtigten, die da glaubt, dass die ihr botmäßige Menschheit genug der Liebe habe, wenn sie von ihnen die Syphilis bekommt, wenigstens doch auch mit einem Alpdruck zu Bett gehe! Damit ihnen wenigstens die Lust vergehe, ihren Opfern Moral zu predigen, und der Humor, über sie Witze zu machen.“
Und Karl Kraus bleibe einer Linken als geistiger Stachel erhalten, damit sie Wohltätigkeit aus Weltanschauung bekämpfe, Weltanschauung aus kritischer Vernunft und diese, falls zum Selbstzweck sie gefriert, aus Menschlichkeit. Damit aus seiner Haltung sie die Lehre ziehe, dass Repression man nicht mit Regression beikommt, die Underdogs nicht aufrichtet, indem man sich ihnen auf allen Vieren nähert und im Schritt beschnüffelt; dass sich der Erniedrigung des Menschen zur Massenware nicht mit fertig verpackter Diskont-Sprache widerstreben lässt, weder mit Moskauderwelsch noch mit Post-Französeln noch mit knalligem Untergrundeln; dass – und jetzt das dicke Ende – Adel nicht erbens-, doch erwerbenswert ist.


Karl Kraus und der Sozialismus I: Die Sozialdemokraten. Von Richard Schuberth

17. Mai 2013 | Kategorie: Artikel, Richard Schuberth, Sozialismus

Richard Alexander Schuberth ist Schriftsteller – unter anderem –  und lebt in Wien. Die Lektüre seiner Schriften sei dem empfohlen, der den Kopf nicht nur als Huthalter oder Frisierobjekt missbraucht. Der  Text, dem weitere folgen werden, wird hier mit seiner ausdrücklichen Genehmigung abgedruckt. Er entstammt dem Buch

Richard Schuberth                                                                                      30 Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus

238 S. , EUR 24,-
Broschur mit Fadenheftung
ISBN 978-3-85132-531-7, 2008

Karl Kraus und der Sozialismus I: Die Sozialdemokraten

Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus, Teil 18

„Nur die Krawatte, die Krawatte mit den wimmelnden weißen Bohnen, die den Blick förmlich faszinieren! – So eine Krawatte ist ein Scheidungsgrund.“

Rosa Luxemburg über Karl Kautsky, um 1900

„Jede Annäherung an die Parteibande hinterlässt in mir ein derartiges Unbehagen, dass ich mir jedes Mal danach vornehme: drei Seemeilen weiter vom tiefsten Stand der Ebbe! (…) Nach jedem Zusammensein mit ihnen wittere ich so viel Schmutz, sehe so viel Charakterschwäche, Erbärmlichkeit etc., dass ich zurückeile in mein Mauseloch.“

Rosa Luxemburg, um 1900

„In welcher Fabrik der Atem hergestellt wird, der die Sozialdemokratie am Leben erhält, ist ihr Parteigeheimnis. Sie ist lebendig gewordene Langeweile, der organisierte Aufschub, unterbrochen von Inseraten der Bourgeoisie und den meinem Sprachschatz entnommenen Witzen über dieselbe. (…) Sie ist in keinem Geist zuhause – sie geht uns nichts mehr an.“

Karl Kraus, 1932

Die Frage, wie links oder rechts, wie progressiv oder reaktionär Karl Kraus war, lässt sich schwer beantworten, denn so er überhaupt ein Programm verfolgte, dann das, alle die nach seiner Farbe fahndeten, konsequent vor den Kopf zu stoßen. Ein Schleichpfad jedoch zum Begreifen seines politischen Bewusstseins führt über sein Verhältnis zur Sozialdemokratie. Zu keiner politischen Kraft hatte sich Kraus expliziter geäußert, zu keiner war er in wechselhafterem Verhältnis gestanden.
Die ersten Jahrgänge der „Fackel“ sind noch von erwartungsvollem Wohlwollen für die junge Sozialdemokratie gekennzeichnet. Darin flankiert Karl Kraus deren Bestrebungen auch noch mit sozial engagierten Artikeln, z. B. gegen die Ausbeutung der Minenarbeiter in Schlesien, die ihm das Lob Rosa Luxemburgs eintragen. Als Kraus die Redaktion der „Arbeiter-Zeitung“ kritisiert, Annoncen der Privatwirtschaft abzudrucken – August Bebel hatte nicht lange zuvor den Parteiausschluss solcher Redakteure verlangt –, erteilt ihm der von ihm geschätzte Viktor Adler einen Rüffel, der eine Tradition sozialdemokratischer Kritikabwehr initiiert, die bis in die Gegenwart fortwirkt: Wann immer Karl Kraus die Sozialdemokratie von links kritisierte, will heißen, an ihren eigenen Ansprüchen maß, würde diese einen Parteiintellektuellen ins Feld schicken, der ihm vorwirft, ein bourgeoiser Gefühlssozialist zu sein, von Theorie keine Ahnung zu haben und mit seiner Sprach-, Presse- und Kunstkritik lediglich im gesellschaftlichen Überbau herumzuirren. In den 20er Jahren übernimmt Oscar Pollack diese Aufgabe, und Mitte der 70er Jahre rächt sich die Sozialdemokratie für die Wahrheiten, die ihr Kraus eintätowiert hatte und immer noch unter ihrer Haut brennen, durch das ambitionierte Werk eines jungen Politologen. Alfred Pfabigans Buch „Karl Kraus und der Sozialismus“, erschienen im ÖGB-eigenen Europa Verlag, versteht sich als linke Kritik des „Fackel“-Herausgebers, enthält viel Wahres, strotzt vor Verkürzungen, und beruht auf dem Missverständnis vieler Krausverehrer, das Objekt ihrer Verehrung für einen Sozialisten zu halten. Ein Missverständnis, dass weniger Kraus’ Unkenntnis marxistischer Theorie als die seiner sozialistisch gesinnten Anhänger bekundet. Bereits 1909 wusste der Sozialist Robert Scheu in seiner Festschrift zum 10-jährigen Bestehen der „Fackel“: „Er ist kein Sozialdemokrat, kein Anarchist, aber am allerwenigsten Bourgeois.“
Folgende Worte Kraus’ schallen all die 37 Jahre, die die Fackel bestand, als Kampfruf mit unverminderter Lautstärke (selbst wenn sie erst 1923 formuliert wurden): „Ich, der allem Missverstand zum Trotz weit von jeder Möglichkeit steht, es mit einer Partei zu halten, aber nie vor der Gefahr, um nicht für einen Politiker zu gelten, die Partei der Menschlichkeit zu verlassen, behaupte in diesen Dingen doch den einen unverrückbaren Standpunkt, das Bürgertum in allen Gestalten und in seinem ganzen Ausdruck in Presse und Staatsleben mit einem Hasse zu hassen, der ihm durch Generationen anhaften wird.“
Anders als die liberale Presse, die es nicht zu verbessern, sondern zu vernichten galt, hatte er in der „Inseratenaffäre“ die „Arbeiter-Zeitung“ mit besorgter Anteilnahme zur Einstellung dieser bürgerlichen Praxis gemahnt. Seit Viktor Adlers Polemik distanzierte sich Kraus von der Partei, für die er fortan, zum Zeitpunkt seiner Hinwendung von „Gesellschaftskritik zur Kulturkritik“ (R. Scheu) nur noch Spott übrig haben würde. So folgte eine Phase in seinem Schaffen, die Pfabigan und andere lediglich mit Ästhetizismus, Elitarismus, Antidemokratismus sowie Hang zu Reaktion und Aristokratie zu assoziieren wissen. Wie eigenartig nimmt sich da ein Artikel des Eisenbahnergewerkschaftsblatts „Verkehrs-Zeitung“ aus dem Jahr 1910 aus, den Karl Kraus vollständig in der „Fackel“ abdruckte, von Pfabigan jedoch mit keinem Sterbenswörtchen erwähnt wird. Dessen Autoren geben im Grunde Karl Kraus’ elementare Kritik der Parteileitung späterer Jahre wieder, die sich keineswegs nur auf deren kulturelle Verbürgerlichung beschränken, sondern durchaus ihre politische Praxis ins Visier nehmen würde. „Die Logik der Sozialdemokratie“, konstatieren sie, „wird immer famoser, immer befremdender für gewöhnliche Arbeiter. Die Logik der Sozialdemokratie wird immer mehr die Logik der Verwaltungsratsliberalen und der Geldmännercliquen.“ So kritisieren die Autoren unter anderem, dass Viktor Adler „ nicht durch Streiks und Gewerkschaftstätigkeit (…) für den Metallarbeiter höhere Löhne erzielen“ wolle, „sondern einzig und allein durch Bittgänge für die Industriellen“. Der Artikel endet mit einem Aufruf, der sich mit Kraus’ Intentionen gedeckt haben dürfte: „Das alles gefällt selbst den Folgsamsten unter den Sozialdemokraten nicht mehr. Mögen diese stutzig gewordenen Leute auf die Stimmen im Innern hören lernen. Wir wollen hoffen, dass diese Leute wieder Sozialisten werden, wirklich freie Gewerkschaftler, welche (…) bei den Worten ‚parlamentarische Intervention’, ‚einflussreiche Tagespresse’ und ‚große politische Partei’ einfach ausspucken.“

Hühneraugenoperation an Krebskranken

Auch Karl Kraus sparte nicht mit radikalen Breitseiten, die marxistische Opportunismus- und Revisionismuskritik zu überdonnern schienen, wenn er zum Beispiel schrieb, dass „Sozialpolitik der verzweifelte Entschluss“ sei, „an einem Krebskranken eine Hühneraugenoperation vorzunehmen.“ – oder aber im Ton Jack London’scher Kraftmeierei feststellte, dass es „… auf Erden unter allen Lebewesen, die sich nach rechts und links zugleich krümmen können, nebst dem Regenwurm nichts annähernd so Erbärmliches wie einen Rechtssozialisten gebe“. Doch wusste er nur zu gut, wovon er da schrieb. Bereits am Vorabend des I. Weltkriegs war die europäische Sozialdemokratie dem nationalistischen Taumel erlegen – einzig der französische Sozialistenchef Jean Jaurès bildete eine rühmliche Ausnahme, die er mit dem Leben bezahlen musste. Die österreichischen Sozialdemokraten revidierten ihre anfängliche Kriegsbegeisterung und reiften zur neben Kraus einzigen pazifistischen und oppositionellen Kraft innerhalb der Habsburger-Monarchie. Aus dem Zweckbündnis wurde wechselseitige Sympathie, zur Liebe aber reichte es nie. Auf den Trümmern der Habsburgermonarchie agitierte Karl Kraus, der es weiter vorzog, als kritische Instanz „parteimäßig unverschnitten“ zu bleiben, nun eifrig für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), rief zweimal zu ihrer Wahl auf, führte ihr viele junge bürgerliche Intellektuelle zu und fand in den Arbeitern Wiens sein bislang enthusiastischstes Publikum. Die Sympathie für die Proletarier sollte ihm bleiben, jene für die Partei sich jedoch alsbald in wechselseitige Aggression auflösen. Kraus’ Popularität bei den Arbeitern und vielen linken Intellektuellen war der Parteibürokratie ein Dorn im Auge. Die Vorwürfe ihrer Funktionäre (wie Oscar Pollak) lassen sich in der hier gebotenen Kürze darauf reduzieren, Kraus sei ein unmarxistischer bürgerlicher Individualist, worauf dieser konterte, sie seien weder individualistisch noch marxistisch, dafür aber bürgerlich, kleinbürgerlich sogar. Am übelsten nahm ihnen Kraus, die Arbeiterschaft – per Eintrittskartenermäßigung – zum Konsum der verhassten bürgerlichen Populärkultur zu animieren, deren Überwindung, wie in der jungen UdSSR, ihr Ziel hätte sein sollen. „Aber ehe Sie mit dem vorliebnehmen, was aus den Garküchen des bürgerlichen Geschmacks Ihnen gegönnt wird und was Sie schmecken müssen, wenn die verwöhnteren Kostgänger nicht mehr zusprechen wollen – sollen Sie lieber zum Hungerstreik entschlossen sein!“
Und Sie sollen getrost glauben, dass sogar in der Kneipe der Lebensgenüsse Ihre Menschenwürde besser bewahrt bleibe als beim Fusel der neuzeitlichen Operette! Nein, ich könnte darin kein Kennzeichen revolutionärer Gesinnung erblicken, dass man Sie animiert, an den Zerstreuungen der Bourgeoisie teilzunehmen, sich mit den Todfeinden im Gelächter über deren Hanswurste zu begegnen und im Einverständnis der Zoten, mit denen jene, für einen Abend Freigelassene ihrer Heuchelei, die Knechtschaft ihres Geschlechtslebens begrinsen.“
1926 war Kraus, vor allem nachdem sie ihn im Kampf gegen den kriminellen Medientycoon Békessy im Stich gelassen hatte, fertig mit der SDAP. Als aber am 15. Juli 1927 Sicherheitskräfte auf Befehl des Polizeipräsidenten Schober, im Laufe einer spontanen Demonstration gegen den Freispruch der Mörder von Schattendorf, 84 Demonstranten töteten und über tausend verletzten, sistierte Kraus seinen Bruch mit der Partei und nahm für kurze Zeit noch deren Assistenz im leidenschaftlich geführten Kampf gegen den „Arbeitermörder“ Schober in Anspruch.
Danach würde, gemäß der kritischen Krausforschung, die Phase folgen, in der Karl Kraus wieder zum Reaktionär, ja zum Austrofaschisten wurde, was alle seine linken Verbalradikalismen rückwirkend entwertete, wäre da nicht jene berühmte Rede unter dem Titel „Hüben wie Drüben“ aus dem Jahr 1932, die er der SPDA, jener „staatlich konzessionierten Anstalt für Verbrauch revolutionärer Energien“ als Abschiedsgeschenk hinterließ und deren starke Echos noch immer unerträglich durch die Parteibüros der SPÖ hallen müssten. Seine Kritik der Verbürgerlichung der Partei wurde darin ein letztes Mal an Intensität gesteigert, nun aber durch seine spezifische Variante der Sozialfaschismusthese ergänzt: Die Sozialdemokraten – so Kraus – trügen Mitschuld am Siegeszug des Nationalsozialismus. Dass sie seit 1919 immer wieder den Anschluss an Deutschland als einen weiteren Schritt in Richtung Internationalismus anstrebten, wertete Kraus als Selbstbetrug – „… doch Schicksalsgemeinschaft ist eine nationale Phrase, denn als sozialer Gedanke müsste sie ganz ebenso die österreichische und die französische Arbeiterklasse vereinen.“
Ganz gleich, ob Kraus ein „romantischer Sozialist“ (Ernst Fischer) war oder den „Sozialismus des Kavaliers“ (Ernst Bloch) pflegte, wenn sich die Linke dem Antisemitismus, jenem „Sozialismus der dummen Kerle“, als den ihn August Bebel bezeichnet hatte, oder dem Nationalstolz annäherte, wenn also Marx „Turnunterricht bei Vater Jahn“ nahm, bekannte er nicht nur Persönlichkeit, sondern Farbe. Und mit kräftigen Farben malte er sein Bild von einer Sozialdemokratie, welche ihre Resignation vor den Kapitalinteressen durch kleinbürgerliche Vereinsmeierei, bürokratischen Korpsgeist, allerhand Wimpeln, Fahnen und Arbeiterfolklore kompensiere, die nahtlos in die echte Folklore, die Bodenständigkeits- und Deutschtümelei übergehe. Somit stelle sie die Weichen für eine Entwicklung, an deren Ende ihr die Nazis den Rang abliefen.

Gebot der Reinlichkeit

„Wäre Kraus ein diszipliniertes Parteimitglied gewesen, hätte er sich – im Guten wie im Schlechten – nie zu dem entwickeln können, was er wurde. Umgekehrt wäre eine Sozialdemokratie, der Kraus, ohne seinen Überzeugungen untreu zu werden, hätte beitreten können, ein sicherlich hochinteressantes, romantisches, politisch jedoch völlig ineffizientes Gebilde gewesen“, folgert Alfred Pfabigan im Jahr 1976 durchaus plausibel. Nun, eine klassische No Win/NoWin-Situation, wie man heute sagen würde, denn die europäischen Sozialdemokratien sind auch 30 Jahre später weder romantisch noch interessant, hingegen – gemessen an ihrer einstigen Programmatik – noch ineffizienter, als es ihnen Kraus seinerzeit aufgerechnet hatte. Natürlich wusste er um die Inhumanität eines totalitären Kommunismus, zudem wusste er jedoch, dass selbst sozialpolitische Errungenschaften in demokratischem Rahmen nicht durch Kuschen vor liberalen Interessen, sondern allein durch den unerbittlichen Kampf gegen diese durchzusetzen sind. Ein Kapitalismus, den keine Gegenkraft das Fürchten lehrt, schwingt sich, wie’s geschieht und geschehen ist, zu totaler Herrschaft auf. Kraus wies aber der Sozialdemokratie auch ihre fast naturhafte Neigung nach, vor diesen Widersprüchen in Rechtspopulismus zu flüchten, nicht durch Anbiederung an nationale Sentimentalität etwa, sondern durch bewusstes Schüren dieser – hüben wie drüben, 1932 wie 1992. Denn wie der Politologe Peter Zuser in einer Studie detailliert nachgewiesen hat, war es nicht die FPÖ, sondern die SPÖ, welche die Anti-Ausländer-Hetze Anfang der 90er Jahre vom Zaun gebrochen hatte. Haiders Yuppie-Faschisten war danach zwar nicht das Wasser abgegraben, aber gemeinsam mit der SPÖ setzten sie den Rassismus fort. Karl Kraus hielt den Antinationalismus für die edelste Errungenschaft der Linken; lassen wir uns also ruhig von einem Nichtsozialisten lehren, dass man eine linkspolitische Kraft, die die Interessen der Wirtschaft erfüllt und Modernisierungsverlierern am Stammtisch Heimatliebe und Ausländerhass beibringen will, links liegen zu lassen hat.