Sein oder Design ist nicht mehr Frage, sondern schon Antwort. So schafft die entstellteste Menschheit das höchste Bruttosozialprodukt.

Notizen zur Zeit. Wie man 1905 schon erkannte .

07. August 2013 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Mayer Rothschild : Handbuch der gesamten Handelswissenschaften 1905   Band 1 Seite 415

Die Tilgung der Staatsschuld ist, im Hinblick auf die kommenden Generationen, Pflicht einer guten Finanzverwaltung. Als Mittel zur Tilgung können ordentliche und außerordentliche Einnahmen verwendet werden. Einen eigenen Tilgungsfond zu schaffen ist nicht nötig; zweckmäßiger eine freie Tilgung in der Weise, das in jeder Finanzperiode so viel von der vorhandenen Schuld zurückgezahlt wird, als unter den gegebenen Verhältnissen möglich ist. Die Tilgung erfolgt je nach Maßgabe der bei der Kontrahierung der Anleihen eingegangenen Bedingungen und des Zinsfußes der verschiedenen Schuldarten. Begreiflicherweise wird man jene Schulden zuerst tilgen, deren Tilgung für die Staatskasse am vorteilhaftesten ist.

Die neueste Finanzpolitik nimmt auf Rückzahlung der Staatsschulden immer seltener Betracht.Zur Schuldentilgung gehört auch die Wiedereinziehung von umlaufendem Papiergeld. Sie wird zur Pflicht eines geordneten Staatswesens namentlich dann, wenn das Papiergeld unter pari gesunken ist.

Die Federal Reserve – ein Privatunternehmen  –  steuert eine Politik, die alle Regeln vergessen machen will.  Die Notenbanken  drucken munter, was die Druckerpressen nur hergeben.  Die Inkompetenz der politischen Klasse ist und bleibt  die einzige Konstante in der Geschichte.

 


Notizen zur Zeit. In der Mitte der Gesellschaft : Die Hodenträger. Von W.K. Nordenham

25. Juli 2013 | Kategorie: Hodenträger, Medizin, Notizen zur Zeit

Deutsches Ärzteblatt  28.06.2013

 

ÄSTHETISCHE CHIRURGIE

Zahl der Schamlippenverkleinerungen steigt

Intimchirurgische Eingriffe bei Frauen werden immer häufiger. 2011 nahmen die plastischen Chirurgen in Deutschland allein 5440 Schamlippenkorrekturen vor, wie aus einer Erhebung der Deutschen Gesellschaft der plastischen, rekonstruktiven und ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) hervorgeht. Solche Operationen seien i n  d e r  M i t t e  d e r  G e s e l l s c h a f t angekommen, teilte die Fachgesellschaft mit. „Wir werden darüber diskutieren müssen, wie man mit dem Thema umgeht“, sagte Prof. Dr. med. Peter M. Vogt, Präsident der DGPRÄC. In vielen Fällen seien die Operationen notwendig, etwa bei stark vergrößerten, schmerzhaften Schamlippen. „Aber natürlich sorgt die  s t a r k e  m e d i a l e  A u f m e r k s a m k e i t  auch dafür, dass viele Frauen ihre Schamlippen nicht mehr als ,schön‘ empfinden.“ Da es an S t a n d a r d s  mangele, arbeite die DGPRÄC an einer S 1- L e i t l i n i e  zur Intimchirurgie der Frau. Der  W e l t ä r z t i n n e n b u n d  hingegen  hatte  sich  kürzlich  g e g e n   i n t i m c h i r u r g i s c h e   E i n g r i f f e  aus rein ästhetischen Gründen ausgesprochen. Weitere Ergebnisse: Brustvergrößerungen, Augenlidstraffungen und Fettabsaugungen sind die häufigsten ästhetische Operationen. Insgesamt wurden mehr als 138 000 Eingriffe gezählt. Die Daten stammen aus einer Umfrage unter DGPRÄC-Mitgliedern. G e n a u e  Z a h l e n   über  alle  „Schönheitsoperationen“  in  Deutschland  g i b t   e s    n i c h t.

 

Jetzt weiß ich endlich, wo die Mitte der Gesellschaft anzusiedeln ist. Sie befindet sich exakt in der Mitte der Deutschen Gesellschaft der plastischen, rekonstruktiven und ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC), die den Menschen nicht nur plastisch, rekonstruktiv und ästhetisch nach ärztlicher Notwendigkeit versorgt, sondern jeden kosmetisch aktuell erwünschten Körperteil in die Mitte ihrer Gesellschaft aufnimmt und gesellschaftskompatibel herzurichten bereit ist. Da wird die Schönheit einer Scham von einer Gesellschaft ins chirurgisch normierte Auge gefasst, der  doch gewöhnlich jede Scham abgeht, wenn es den Umsatz fördert. „Die Gesellschaft ist genitalbewusster geworden“, sagte dazu vor einem Jahr ein Dr. Schmidt-Rhode in der Zeitschrift Brigitte. „Vor allem junge Frauen, unter 35, haben heute höhere ästhetische Ansprüche als früher“, führte er aus. Ein genitalbewusster, ästhetisch anspruchsvoller Gynäkologe, natürlich Hodenträger, machte sich da mausig, der, wie seine Kollegen, an seine Hoden aus ästhetisch-kosmetischen Gründen niemals irgendjemand lassen würde. In Hamburg sah ich in der Bahn eine Reklame: „Keine falsche Scham“. Welche bitte ist denn die gesellschaftlich, ästhetisch, genitalbewusst richtige Scham? Die trendkorrekt Operierte ? Wie wärs mit einer S 1- L e i t l i n i e  zur Intimchirurgie des Mannes, etwas wie „Hoden auf den Tisch!“ ? Der pharmazeutisch-kosmetische Komplex optimiert seine Geldquellen. Nach Botoxlippenhalloween kommt er mit einer neuerlichen kosmetischen Lüge, die ein wahrhaft natürliches Lippenbekenntnis der Natur entreißt und ein Geschäft daraus macht. Es erschreckt mich zutiefst, wie leicht sich Frauen immer wieder von Hodenträgern instrumentalisieren lassen, die niemals die Pille für den Mann einnähmen und sich den Hodensack verkleinern ließen, der unstrittig großmächtig dort sitzt, wo die kleinen Schamlippen naturgemäß anzutreffen sind. Hat  schon einmal  irgendwer etwas von einer Empfehlung zur Hodenkorrektur gehört, ja doch mindestens für männliche Radfahrer? Ich nicht. Die Frauen sollten zuerst den ä s t h e t i s c h  k o r r e k t e n  H o d e n zur Bedingung machen, vorzugsweise zuerst beim Operateur, bevor sie wieder ein Stück von sich auf dem Altar einer Schönheitschirurgie opfern, deren Hohepriester durchweg Hodenträger sind, die, wenn sie zum Herzen greifen, lediglich den Sitz der Geldtasche überprüfen. Wer wirklich Beschwerden hat, darf oder muss sich sogar operieren lassen. Aber das ist  klar und außer Diskussion – auch für den W e l t ä r z t i n n e n b u n d.  Wer es jetzt immer noch nicht glaubt, soll sich die Tour de France noch einmal anschauen, mit seit Jahrzehnten genital unkorrigierten Hodenträgern. Fazit: Liebe Frauen, hört nicht auf Hodenträger!

Zum Nachweis eine Ä r z t i n :  http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/article/534924/voellig-normal-wenn-kleinen-schamlippen-grossen-hinausragen.html


Die Fackel Nr. 1 Wien, Anfang April 1899 . Von Karl Kraus

29. Juni 2013 | Kategorie: Aus "Die Fackel", Notizen zur Zeit

War nicht ein gewisser  Obama, Präsident und Friedensnobelpreisträger, der nach wie vor Chef von Guantanamo, der Herr über Drohnen- Schwadronen und NSA, kürzlich in Berlin?

Die Fackel Nr. 1 WIEN, ANFANG APRIL 1899

Schwierigkeiten gibt es nur für den, der sie nicht überblickt. Der Mann, an dessen Intelligenz gemessen, die Konflikte unserer Politik klein erscheinen würden, ist aber noch nicht gefunden. Hat die individualistische Auffassung in der Geschichte Unrecht, die den historischen Verwicklungen nur die Aufgabe zuerkennt, die Persönlichkeit zu zeitigen, die ihrer Herr wird?


Von den übrigen aktuellen Nebendarstellern , etwa von Frau Schröder, Rösler, Bahr, de Maiziere und wie sie sonst heißen mögen, gar nicht zu reden, außer  mit den folgenden Sätzen aus „Die Fackel“:

 

Die Fackel Nr. 1 WIEN, ANFANG APRIL 1899

Die Verworrenheit unserer politischen Zustände hat einen großen Vorteil; sie erleichtert die Beurteilung der führenden Männer. Unter minder schwierigen Umständen konnte sich ein Minister jahrelang der Feststellung seines Wertes entziehen. Selbst der Geschichte fehlen die Anhaltspunkte zur Beurteilung einzelner Staatsmänner. Aber dieses historische Dämmerlicht ist vorüber. Heute ist die Beleuchtung so grell, dass man die Umrisse politischer Unfähigkeit weithin erkennt. Unsere Zeit richtet jeden Minister binnen ein paar Tagen — standrechtlich. Auch auf die Abstufungen der Mittelmäßigkeit lässt sie sich nicht mehr ein.

 



Notizen zur Zeit. Die Rente ist sicher bei der Versicherung. Von W.K. Nordenham

08. April 2013 | Kategorie: Artikel, Notizen zur Zeit

Politiker rechnen nicht wirklich, außer ständig mit dem Schlimmsten,am Liebsten dann, wenn damit auf keinen Fall zu rechnen ist. Tritt das Schlimmste tatsächlich ein, findet man nicht nur scheinbar eine vollkommen überraschte Handlungselite, sie ist es tatsächlich. So geschieht es regelmäßig, und so wird es auch der Riesterrente ergehen. Jenseits jeder Polemik  darf ein ind diesem Falle sogar Betrug am Bürger formuliert werden. Man muss nämlich kein mathematischer Überflieger sein, um den Nonsens der Rentenpolitk zu erkennen, einfaches Zusammenzählen reicht. Das beginnt mit dem Abschluss des Riester-Vertrages, der kein Rentenvertrag sondern in erster Linie ein Versicherungsvertrag ist.  Fragte man den Versicherungs a g e n t e n – nie passte der Name besser – nach den anfallenden Gebühren und der Provision, gesellte sich zum Fehlen jeder Transparenz die Abwesenheit der einfachsten Grundrechenarten hinzu. Man erfährt auf Nachfrage nichts Präzises, weil er vielleicht auch nicht weiß, was die Versicherung genau weiß, und beide nicht sagen, dass Provisionen und in der Folge Gebühren in namhafter Größe anfallen. Provision ist etwas, wie der Name sagt, wovon jede Versicherung eine V i s i o n hat, nämlich die des zu optimierenden Gewinns. Nach Einschätzung von externen Fachleuten zahlt der Bürger allein für den Abschluss des Vertrages zwischen 3000 € und 5000 € an Gebühren. Nicht auf einmal verlangt man die Summe ab, denn das wäre auffällig, sondern versteckt und verteilt über Jahre, damit kein Versicherungsnehmer etwas merkt und was deshalb kein Verkäufer auch genau zu beziffern sich in der Lage sehen will. Der Betrag muss in den folgenden Jahren mit den Beiträgen erst einmal „angespart“ werden, und er geht direkt an die Versicherung und ihre Agenten, bevor nach langer Zeit überhaupt ein Guthaben für den Versicherten selbst entstehen kann. Für den Verwaltungsaufwand der Kontoführung des Riesterkontos werden nämlich pro anno noch einmal gut 100 € berechnet. Das ist das Vielfache der Kosten eines Bankkontos, aber niemand scheint sich daran zu stören, weil man es nicht offenbart.  Es fällt halt viel Arbeit an, wenn der Computer alles ganz allein addiert. Aber man braucht ja auch nicht darüber sprechen, wenn man ebenso ungestraft davon schweigen darf. Was kann nach Jahrzehnten noch übrig bleiben? In jedem Fall zu wenig, um  sich nach den Grundsätzen eines ehrlichen Kaufmanns als Kunde gewürdigt zu sehen.

Zudem rechnen die Versicherungen inzwischen mit Lebenszeiten bei Männlein und Weiblein von sage und schreibe 100 Jahren bzw. 110 Jahren. Nicht dass die Menschen tatsächlich so alt würden, nein! Sie sehen nur so alt aus, weil die Rente durch Streckung auf 40 und mehr Jahre deutlich niedriger ausfällt, damit die Gewinne bei den Versicherungen verbleiben können. 15 Millionen Verträge seit 2002 mit Riester mal 3000 € bis 5000 €, das macht zwischen 45 und 75 Milliarden allein an Gebühren nur für den Abschluss. Mit 100 € als Verwaltungsgebühr multipliziert mit 15 Millionen lassen sich alljährlich weitere 1,5 Milliarden jährlich „erwirtschaften“. Man stelle sich vor, man hätte das Geld samt den Einlagen der Bürger in einen staatlichen Rentenfonds gesteckt, anstatt zuerst in die Taschen der Versicherungen, und der Staat hätte das Seine dazugetan und das seit zwölf Jahren. Da wäre bis heute eine Summe von einigen hundert Milliarden zusammen gekommen mit steigender Tendenz. Doch was liegt stattdessen vor? Viele unzureichende Riesterrenten, wobei durch weitere Maßnahmen, etwa die Senkung des Rentenniveaus und Hebung des Rentenalters auf 67 Jahre, sich das Problem weiter verschärfen wird. Schon werden weitere Gesetze für notwendig gehalten, damit es später reicht. Vielleicht noch eineVersicherung“? Man muss also unterscheiden zwischen den Riesterlosen, den „R i e l o s“ und den „R i e v e r a s“, den Riesterverarschten. Wenn je ein Versagen der Politik in den Grundrechenarten einfach darzulegen war, dann bei der Riesterrente. Aber da dieselbe Politik, die die Misere verursacht hat, gleichzeitig in den Aufsichtsräten der Versicherungen die Sitzkissen bedampft, herrscht zu dem Thema Schweigen. Ich warte auf ein Angebot, das mich gegen Politiker versicherte, aber die Gebühr wäre vermutlich unbezahlbar.


Randnotizen. Anmerkung zur Staatsgewalt. Von W.K. Nordenham

24. März 2013 | Kategorie: Nazis, Notizen zur Zeit, Randnotizen

In Dortmund wurden kürzlich zwei Rechtsradikale wegen schwerer Körperverletzung verurteilt, die einen  fremd Aussehenden erst angepöbelt und dann zusammen geschlagen hatten. Sie waren im Gerichtssaal  gutgelaunt erschienen und nach Mode der Rechtsszene gekleidet. Im Zuschauerraum befanden sich etliche  Sympathisanten derselben Couleur. Dennoch oder deswegen fand der Richter in wegweisender Genialität heraus, dass man im Augenblick der  Tat  nicht sicher sein könne, ob wirklich rechte Gründe der Anlass waren oder ob es nicht etwa die Worte des Angegriffenen waren, die zur Tatvollendung führten,  dass es  a l s o   i n  e b e n   d i e s e n  M o m e n t e n   k e i n e n  rechten  Hintergrund gegeben haben könne, also eine Tat etwa aus  politischen Motiven deshalb v e r n e i n t  werden müsse und nur wegen Körperverletzung zu verurteilen sei. Man würde es gern für ein Märchen halten, aber so geschah es.

In Dortmund war es auch,  wo  Ende 2011 als Weihnachtsmänner verkleidete Nazis im Dezember die Frau des Dortmunder Oberbürgermeisters Ullrich Sierau (SPD)  z u   H a u s e   b e s u c h t e n , die Aktion filmten und das Video stolz im Internet  präsentierten. S e i t d e m  gibt es dort eine Taskforce, und der Polizeipräsident greift durch, aber der Richter hatte davon wohl noch nichts erfahren.  Muss man sich wundern, wenn rechte Straftaten zunehmen?

Warum verbietet man eine Partei wie die NPD nicht, die sich vorwiegend aus Steuermitteln der Bürger finanziert, nur weil  sie in Karlsruhe verbal verfassungstreu tut ? Wenn etwas aussieht wie eine Ente, watschelt wie eine Ente, wenn es quakt wie eine Ente, dann ist es eine Ente. Nur Karlsruhe und eine ängstliche Politik erkennen auf Huhn. Weimar lässt grüßen.

Warum gibt sich der Rechtsstaat so wehrlos und vor allem ratlos gegen die, die ihn de facto abschaffen?  Vielleicht, weil  die Machtträger bislang  verschont sind – anders als bei Baader-Meinhoff. Man muss von jedem, der hier  Bürger sein will,  den Respekt vor dem Grundgesetz und dessen Einhaltung uneingeschränkt einfordern. Mit einem Kompromiss in dieser Sache  kompromittierte sich die staatliche Gewalt. Sie ist auf dem besten Wege dies zu tun.

P. S.  In Berlin leben laut Presseberichten übrigens inzwischen einige Tausend Menschen aus Großfamilien,  mutmaßlich aus den türkischen Kurdengebieten, nach mehr oder weniger eigenen Gesetzen.  Eine Mutter, die ihren Sohn nach Straftaten für ein paar Jahre im Gefängnis wusste, hielt dies für eine gute Schule, um – so  wörtlich –  „zum Manne“ zu reifen. Wenn das subjektiv erlitten werden muss und objektiv staatlicherseits ungerührt hingenommen wird, kann eben gerade von Integration nicht die Rede sein.  Lassen wir es also laufen und Los Angeles, South Central entsteht  bald auch bei uns?

 

 


Randnotiz zum 8. Zusatzartikel der Verfassung der USA

01. Oktober 2012 | Kategorie: Menschenwürde, Notizen zur Zeit, Randnotizen

Excessive bail shall not be required, nor excessive fines imposed, nor cruel and unusual punishments inflicted.

Es sollen weder übermäßige Kautionen verlangt noch übermäßige Bußgelder verhängt noch grausame und ungewöhnliche Bestrafungen angewendet werden.

Amnesty: Zustände in Kaliforniens Gefängnissen „schockierend“ 27. September 2012

Los Angeles – Die Menschenrechtsorganisation Amnesty international hat scharfe Kritik an den Zuständen in kalifornischen Gefängnissen geäußert. Rund 3000 Häftlinge seien in Gefängnissen des US-Bundesstaats in fensterlosen Isolationszellen inhaftiert ohne Zugang zu Arbeit, Mithäftlingen oder Rehabilitierungsprogrammen, erklärte Amnesty am Donnerstag. 78 Häftlinge seien bereits mehr als zwei Jahrzehnte in derartigen Zellen eingesperrt.(…)Laut Amnesty sind die Isolationszellen eigentlich für besonders gefährliche Häftlinge wie Gang-Mitglieder vorgesehen, doch viele der Insassen litten unter Geistes- und Verhaltensstörungen oder würden für wiederholte kleinere Vergehen bestraft. Wright erklärte, Amnesty erkenne zwar die Notwendigkeit an, im Falle von Bandenkriminalität einzelne Häftlinge zu isolieren. Doch sollte Isolationshaft nur in außergewöhnlichen Fällen und nur für kurze Zeit eingesetzt werden. (APA, 27.9.2012)

Focus 28.09.2012,San Francisco

Amnesty: «Grausame» Haftbedingungen in Kalifornien

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat scharfe Kritik an den Zuständen in kalifornischen Haftanstalten geübt. (…) Die kalifornische Gefängnisverwaltung wehrte sich gegen die Vorwürfe. Die Haftanstalten würden der « n a t i o n a l e n   N o r m » entsprechen, sagte die  Beamtin  Terri McDonald   der  «Los Angeles Times». «  S i e    s i n d   s a u b e r .   S i e   s i n d   s i c h e r .» (dpa)

Wenn das also die  n a t i o n a l e  N o r m  ist, wir uns über  S a u b e r k e  i  t  u n d  S i c h e  r  h e  i  t  keine Sorgen machen müssen, dann haben wir gleichzeitig eine Erklärung dafür bekommen, warum die Befürworter der Foltermethode des sogenannten Waterboarding aus der Zeit der Regierung des George W. Bush  nicht zur Verantwortung gezogen werden. Man   hielt   eine  Simulation  des  Ertrinkens vermutlich auch für  im  Rahmen  der   N o r m ,  da  durch den Gebrauch von Wasser die  S a u b e r k e i t  u n d   S i c h e r h e i t  nicht gefährdet wurde, wohl aber die Verfassung,  der  8.  Z u s a t z a r t i k e l    d e r   a m e r i k a n i s c h e n  Ve r f a s s u n g  b e s c h m u t z t  w u r d e      u n d  w e i t e r h i n   w i r d ,  weil  Haftbedingungen, wie die oben beschriebenen, zur N o r m  erklärt werden können, und stattdessen eine öffentliche Erklärung  hinreicht, dass  alles  s a u b e r  u n d  s i c h e r  ist. Wo gehobelt wird, da fallen späne, weiß der Volksmund, seinen es auch Späne vom Stammholz der einer Verfassung. Amnesty  irrt daher, wenn man ausführt,  dies würde allein internationale Richtlinien verletzen. Ein Blick in die amerikanische Verfassung genügt. Ich fühle mich hier,  in der zugegeben intellektuellen Diaspora des vor 250 Jahren aufgeklärten Europa, aber keinesfalls sicher und auch nicht sauber, wenn ich an Haftanstalten hierzulande denke, in denen nach Grundgesetz Artikel 1 die Würde des Menschen unantastbar zu sein hat, sie zu achten und zu schützen die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist. Aber vermutlich handelt sich da bei mir um ein Missverständnis. „Würde“  scheint dem Konjunktiv des Verbs  „sein“  entlehnt und zwar grammatikalisch im Imperfekt –  Vergangenheit also.  „Würde“ sei also Konjunktiv Imperfekt von „sein“, und auf einmal wird alles wieder stimmig.  Das klingt dann ebenfalls sauber und sicher und bewegt sich absolut im Rahmen der Norm.


Notizen zur Zeit. Niederschlagen erlaubt.

14. Juli 2012 | Kategorie: Notizen aus Medienland, Notizen zur Zeit

Kölner Stadtanzeiger  14.7.2012

84-Jährigen beraubt und geschlagen

Ein Räuber hat am Donnerstag einen Senioren überfallen und zwei wertlose Gegenstände gestohlen. Kurz vor Mitternacht schlug der Täter den 84-Jährigen auf der Diepenbeekallee zu Boden. Jedoch trug dieser keine Wertgegenstände bei sich – nur einen Roman und einen Regenschirm. Mit    d e m   D i e b s t a h l   d i e s e r   D i n g e   hat sich der gesuchte T ä t e r  s t r a f b a r   g e m a c h t . Die Polizei bittet nun Zeugen, die Hinweise zur Tat und zum Täter machen können, sich unter der Telefonnummer 0221/2290 zu melden.

Hätte der Täter nur zugeschlagen, hätte man nachsichtig sein können, weil ein Niederschlag schon mal passieren kann, wofür man ja den Regenschrirm mit sich führte, aber bei samt Roman gestohlenem Regenschirm gibt es offenbar kein Pardon mehr oder habe ich da etwas missverstanden?


Die Macht und das Recht und das Geld. Von W.K. Nordenham

29. Juni 2012 | Kategorie: Artikel, Geld, Justiz, Notizen zur Zeit

Handelsblatt 1.8.2011

Urteil gegen Ex-IKB-Chef rechtskräftig – BGH verwirft Revision.

Karlsruhe/Düsseldorf (dpa) – Die Strafe gegen den Ex-Chef der Mittelstandsbank Stefan Ortseifen, ist rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision der Verteidigung, wie ein Sprecher des Gerichtshofs am  Montag  in  Karlsruhe  mitteilte (Az.: 3 StR 506/10).  Ortseifen war   wegen  v o r s ä t z l i c h e r  Marktmanipulation zu  z e h n   M o n a t e n   H a f t   a u f   B e w ä h r u n g  und zur Zahlung von 1 0 0   0 0 0   Euro verurteilt worden. Damit war er der   e r s t e   d e u t s c h e     S p i t z e n b a n k e r, der für sein Fehlverhalten in der Finanzkrise schuldig gesprochen worden war. Mit dem Bekanntwerden der dramatischen Schieflage der IKB hatte die internationale Finanzkrise 2007 Deutschland erreicht.

Er war der Erste und Einzige bis dato der Letzte. Ich habe auf weitere Urteile gewartet, aber nichts geschah. Die Macht und das Recht tun sich nichts, weil die Macht das Recht hat. Für Herrn Ortseifen sind 100 000 € angesichts des angerichteten Schadens von 10 Mrd. € so zuverlässig zu verschmerzen, wie sie es für den Steuerzahler nicht sind. Die Westdeutsche Landesbank, in deren Aufsichtrat die Vertreter der Politik von Steinbrück bis Rütgers die Aufsicht innehatten, gab sich mit solchen Beträgen nicht zufrieden. Der Stadtanzeiger Köln vermeldete im April 2011 in Sachen West LB, dass 77 Mrd.  Euro in eine Abwicklungsgesellschaft „ausgelagert“ wurden. Dazu kamen im Mai noch 15 Mrd. dazu. Vor Jahren wurden schon mal  6  Mrd. im Investmentsumpf versenkt.  Das summiert sich zu einem  1 0 0 – Milliarden Euro Deal mit Totalverlust und ein Ende scheint  nicht abzusehen. Da haben Banker oder soll man sagen „Bankgster“, unter  stetiger gutbezahlter Aufsicht und mit Wissen der Landesregierung einen Supergau hingelegt, und fragt man nach konkreter Verantwortlichkeit, so beherrscht allgemeines Achselzucken die Szene. Ich weiß woher das Achselzucken kommt. Da wurde mal wieder eben schnell die Verantwortung von den Schultern abgeworfen, und es  „zuckt“ noch nach. Die  soeben noch stolz sich mit der Verantwortung  brüsteten,  ergreifen umgehend die Flucht in den gut gepolsterten Ruhestand oder auf andere Posten, wo einmal vor dem Wähler  Haltung gezeigt werden sollte. Aber das sieht die Regie im Schauspiel Politik nicht vor. Mit jeder Vorstellung  gerät die Aufführung  erbärmlicher und könnte vergessen werden, hätte man nicht mit den verspielten Milliarden alle nur denkbaren Kitas bezahlen können, Lehrer in Masse einstellen, Schulen und Unis ausbauen und die halben Schulden von NRW begleichen. Wie gesagt, man fasst es ebenso wenig wie man die Täter nicht fasst, vielmehr einfach laufen lässt. Was ist ein Aufsichtsrat? Das ist ein Rat, der rät was Aufsicht ist.


Notizen zur Zeit . Hervorragende Verdienste. Von W.K. Nordenham

24. Juni 2012 | Kategorie: Artikel, Journalisten, Notizen zur Zeit

Süddeutsche Zeitung 05.05.2012

Medienpreis für Sprachkultur

Marietta Slomka und Stefan Niggemeier ausgezeichnet

ZDF-Moderatorin Slomka und Medienjournalist Niggemeier sind für ihre „hervorragenden Verdienste um die Sprache und Sprechkultur“ ausgezeichnet worden. In Wiesbaden hat die Gesellschaft für deutsche Sprache ihnen die Auszeichnung übergeben. Auch eine Nachwuchsjournalistin wurde geehrt.

ZDF-Moderatorin Marietta Slomka und Medienjournalist Stedan Niggemeier. haben den diesjährigen Medienpreis für Sprachkultur erhalten. Beide werden damit für ihre „hervorragenden Verdienste um die Sprache und Sprechkultur“ ausgezeichnet, sagte der Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprachkultur, Armin Burkhardt, zur Begründung bei der Verleihung am Samstag in Wiesbaden.

Beinahe hätte ich vergessen dieses Ereignis dem geneigten Publikum mitzuteilen. So ist das mit den Preisen. Irgenjemand muss sie bekommen. Niggemeyer mag eine gewisse Berechtigung zugestanden sein, aber wie kommt die Gesellschaft für deutsche Sprachkultur –  ich lese da immer Sprachklistier – auf  „hervorragende Verdienste“ von Marietta Slomka?  Es kann sich eigentlich nur um den Verdienst für eine journalistische Sprachkultur handeln, die zwischen der und das Verdienst im Allgemeinen sowieso keinen Unterschied mehr kennen muss und jenen deshalb nicht macht.  Der Rheinländer hat die Antwort: „Mer weiß et nit!“


BORAT oder warum Sascha Cohen seinen Faustdildo behalten kann. Von Richard Schuberth

14. Mai 2012 | Kategorie: Notizen zur Zeit, Richard Schuberth

Richard Alexander Schubert ist Schriftsteller – unter anderem –  und lebt in Wien. Die Lektüre seiner Schriften sei nochmals dem empfohlen, der den Kopf nicht nur als Huthalter oder Frisierobjekt missbraucht, besonders der Text:

Richard Schuberth                                                                                  30 Anstiftungen zum Wiederentdecken von Karl Kraus

238 S. , EUR 24, Broschur mit Fadenheftung ISBN 978-3-85132-531-7, 2008

Der folgende zeitlose Text  erschien  vor ein paar Jahren unter dem Titel « Ein Waterloo der westlichen Spaßkultur» im «Standard» und trifft  auf  viele Comedyköpfe und Comedy-Konsumos zu. Mit der Bezeichung „Abrissbirne“, in passivischer Bedeutung, sei deren Halsaufsatz eine angemessene sprachliche Behausung zugewiesen. W.K. Nordenham

Wer Arschlöcher verarscht, ohne eine Welt ohne Arschlöcher zu wünschen, ist kein Kritiker, sondern ein Bandwurm.      Richard Schuberth

BORAT oder warum Sascha Cohen seinen Faustdildo behalten kann.von Richard Schuberth
Im rumänischen Romadorf Glod am Südhang der Karpaten lebt ein Mann namens Nicu Tudorache. Vor einigen Jahren hat der heute 56-jährige Großvater bei einem Arbeitsunfall seinen rechten Arm verloren. Als Prothese trug er bis vor einem Monat einen Faustdildo – ein Geschenk des britischen Comedy-Stars Sacha Baron Cohen –, bis die Journalistin Carmiola Ionescu ihn aufklärte, was er da mit Klebeband am Armstumpf fixiert hatte und warum Millionen Arschlöcher in westlichen Kinos über ihn lachen.

Es muss über 15 Jahre her sein, dass Freunde und ich eine zweifelhafte Travestie zu einiger Fertigkeit brachten. Wir mischten uns als Agents provocateurs unter Menschen wie du, aber nicht ich. Um aus ihnen Sexismus, Alltagsfaschismus und Dummheit herauszulocken, gebärdeten wir uns noch faschistischer, sexistischer und dümmer als sie und gefielen uns dann augenzwinkernd als tolle Hechte im Karpfenteich der kritischen Realsatire. Am besten bewährte diese Methode sich, wenn wir in unseren eigenen, linken Kreisen fündig wurden. Ansonsten jedoch traten bald ihre Mängel, aber auch ihre Motive zutage. Zuallererst, dass die Tore zur Wahrheit, die wir mit viel Lärm einschlugen, gar nicht verschlossen waren, dass sich der heroische Nachweis also, wie dumm Dummköpfe und wie rechts Rechte sind, bloß in eben dieser banalen Tautologie erschöpfte; weiters, unseren kritischen Anspruch aber ganz schön verdächtig machte, angesichts der wiehernden Freude, wenn uns wieder ein Opfer in die Falle gegangen war, und der Enttäuschung, wenn es nicht den Scheißnazi gab, als den wir es gern haben wollten. Es war ein Jammer, viele dieser Spaßverderber hätten bei uns, die wir alle Querverbindungen des falschen Bewusstseins, ja sogar zum falschen Bewusstsein kannten, zuerst in die Lehre gehen sollen, um das zu werden, dessen wir sie überführen wollten.

Unsere Art der Aufklärung offenbarte nicht die chemische Konsistenz des Abschaums, sondern bloß unsere angemaßte Allmacht im Abschaumbad, an der unsere Fans, zumeist Schnösel mit Mittelschulabschluss und Neigung zum „Titanic“-Abonnement, parasitär teilhatten, da sie nicht die vorgebliche Kritik des Zynismus, sondern den Zynismus unserer Methode, nicht die Kritik des Faschismus, sondern das Herrenmenschliche unserer Tabubrüche beklatschten. Als einziger Effekt der Parodie anitsemitischer Stereotype zum Beispiel blieb eine niedrigere Hemmschwelle bei deren Anwendung und das Kokettieren mit ihrer Immoralität. So erteilte uns die Wirklichkeit mit erhobenem Zeigefinger einmal mehr die Lehre, dass sie die Satire stets abzuhängen weiß. Zurück bleibt die automatisierte Persiflage, die, weil sie die Schäbigkeit nicht zu fassen bekommt, zum Lehrmodell neuer Schäbigkeit wird.

Wie interessant, anhand Sacha Baron Cohens Film „Borat“ zu beobachten, wie diese Methode erneut aus denselben Gründen scheitert, jedoch auf eine ausgefuchstere Wirklichkeit stößt als damals, bei uns, im vorigen Jahrhundert.

Durch offene Türen

Als Ali G hat Cohen die Provokationsrealsatire, die so genannte „Mockumentary“, zu manchem satirischen Höhepunkt geführt, mit der Figur des kasachischen Fernsehreporters Borat Sagdijev indes ist er so provokant wie ein Exhibitionist in einem dänischen Swinger-Club. Vielleicht möchte Baron Cohen ja gar nichts aufdecken, sondern nur um der Geschmacklosigkeit willen geschmacklos sein, also die Teenager der Cineplex-Center dieser Welt zum Lachen bringen.

Deren Lachen aber wird vom lauteren Poltern intellektueller Köpfe übertönt, welche unaufhörlich aus schwarzen Rollkrägen bloppen und alle gleich aussehen, weil sie in derselben Retorte gezüchtet wurden; in einer Nährlösung, die sich aus Spaßkultur und einigen Semestern Geisteswissenschaften zusammensetzt. Es sind dieselben Schnösel, die damals schon auf die Prolos eintraten, welche wir hinterrücks niedergestoßen hatten; später hörte man sie in Studentenkneipen in ihrem Mittelstandsakzent enthusiastisch „Das is dodaal politikäli ingorrekt“ krächzen, ehe der Caterpillar des Verwertungsschicksals sie in ihre Kulturbüros, Zeitungsredaktionen und Wein-&-Literatur-Abfüllkoben schob. Von dort aus bestimmen sie, weil sie sonst nichts gelernt haben, die kulturellen Diskurse und weiden sich an ihrem verhängnisvollen Irrtum, anderthalb Stunden über Muschiwitze kichern und sich Amis, verlausten Kasachen und anderen Balkannegern überlegen zu fühlen, seien Akte subversiver Gesellschaftskritik. Sie lassen sich’s nicht nehmen: Ihr Till Eulenspiegel handle in hohem intellektuellen und ethischen Auftrag. Daran ist er selbst nicht unschuldig, zumindest kokettiert der jüdischstämmige Brite, welcher an der Universität Cambridge über ethnische Minderheiten diplomiert hat, mit dieser Lesart seiner Satire.

Der wundersamste, völlig unerwartete Effekt von „Borat“ aber ist, dass die Wirklichkeit die Satire diesmal nicht übertreffen will, sondern es vorzieht, sie gelassen in ihre Schranken zu weisen. Sie lässt Cohen über den Zynismus seiner Gymnasiastenscherze stolpern und entkleidet diese durch unbeeindruckte Passivität ihres aufklärerischen Scheins. Einige Beispiele. Wann immer es Borat nicht gelingen will, seine Opfer als reaktionäre Idioten zu entlarven, flüchtet er sich in die sexuelle Provokation, doch seine Gesprächspartner, zumeist smarter als er, finden das nicht schockierend, sondern schlichtweg lächerlich. Die Feministin Linda Stein bricht souverän das Gespräch ab, anstatt ihn dorthin zu treten, wovon er am meisten spricht. Ein Fahrlehrer, in dessen markantes Gesicht das europäische Vorurteil sich gerne einen Redneck und Macho hineindenken würde, mahnt ihn zu mehr Respekt gegenüber Frauen, und die fundamentalistischen Christen, in deren Messe sich Borat schleicht, entpuppen sich als hilfsbereite, humorvolle Menschen. Cohens Versuche, die politisch Inkorrekten als auch die politisch zu Korrekten zu bashen, gehen allesamt in die Hose, aus der sie gekrochen sind – vorne wie hinten. Da hilft nur noch Niedertracht. Einem Autoverkäufer will er Minderheitenfeindlichkeit suggerieren, indem er ihn fragt, welchen Schaden eine Gruppe Zigeuner am Wagen anrichtete, wenn man sie damit rammen würde. Doch auch hier will die Rechnung nicht aufgehen, da das Publikum sofort merkt, dass der gute Mann nur deshalb Rede und Antwort steht, weil er das Wort „Zigeuner“ überhört hat und allgemein von Menschen ausging. Wieder nichts! Was tun? Ab in den Bible-Belt! Der ultrarechte Rodeoveteran Bobby Rowe spendet ihm endlich die Sager, um die er dauernd bettelt, doch selbst das Publikum im Rodeostadium von Salem, Virginia, reagiert mit Bestürzung, als Borat durchs Mikrofon seinem Wunsch Ausdruck verleiht, die Amerikaner würden jeden Mann, jede Frau und jedes Kind im Irak töten.

Wenn er aber dann mit dem Absingen einer fiktiven Hymne Kasachstans (zur Melodie der US-amerikanischen) die Dummheit jeglichen Nationalismus konzentriert, gibt Cohen eine Kostprobe davon, wozu er fähig wäre, wenn Klug- und Redlichkeit einander in den Sattel hülfen. Desgleichen die präzise Persiflage antisemitischer Paranoia, als er erkennen muss, bei Juden Bed & Breakfast bezogen zu haben, oder als netter Gag en passant: der Kopf des Bären im Kühlschrank seines Produzenten. Cohen hat das Zeug, subversive Unterhaltung zu liefern. Macht aber wenig Gebrauch davon. Auch die Figur des Borat ist im Grunde ein guter Wurf, der leider daneben geht.

Satire darf sich so viel Obszönität, Zynismus und Geschmacklosigkeit leisten, wie sie will, so diese als Mittel zur tieferen Einsicht in die verborgenen Obszönitäten, Zynismen und Geschmacklosigkeiten der Gesellschaft dienen. Dass das möglich ist, dafür bürgt eine würdige Traditionslinie, die sich von Jonathan Swift über Nestroy bis zu den „Simpsons“ spannt und der sich Baron Cohen nur in Ansätzen anschließen will. Denn der Spaß am Dreck ist größer als der Ekel davor, und der Witz affirmiert, indem er sich ihm angleicht, den Dreck, und wem das zu ethisch ist, dem möge das rationale Argument reichen, dass dieser Witz nur ein schlechtes Duplikat des Drecks schafft, und plötzlich vor der Erkenntnis staunen, dass Ethik und Ratio hierin als eineiige Zwillinge auftreten.

Ein Waterloo der westlichen Spaßkultur

Zeitgeistiger ausgedrückt: Wer Arschlöcher verarscht, ohne eine Welt ohne Arschlöcher zu wünschen, ist kein Kritiker, sondern ein Bandwurm. Wer aber unter dem Vorwand von Gesellschaftskritik die Bandwürmer mit Überlegenheitsgefühlen füttert, ist selbst ein Arschloch. Sacha Baron Cohen als solches zu bezeichnen, als so großes sogar, dass alle Faustdildos dieser Welt es nicht ausreichend stopfen könnten, würde jeder Ehrenbeleidigungsklage standhalten, so sich die Einwohner des Romadorfs Glod als Zeugen der Anklage gewinnen ließen. Denn was die Journalisten Bojan Pancevski und Carmiola Ionescu kürzlich über die Produktionsbedingungen des Films „Borat“ herausfanden, könnte den Ort zum Waterloo der westlichen Spaßkultur werden lassen. „Borats Heimatdorf“ liegt nämlich nicht in Kasachstan, sondern in Rumänien.

Und dass Cohen gerade einen realen Staat für sein fiktives Zurückgebliebistan aussuchte, dürfte gleichfalls kein Zufall sein. Kasachstan, multikulturell, gemäßigt islamisch und relativ frei von Judenfeindlichkeit, ist weit entfernt und würde keine als Pizzaboten verkleideten Gotteskrieger an Cohens Adresse schicken. Wir sehen: Feig- und Gemeinheit verabreichen sich in ihm die Bruderfaust.

Ob Rumänien oder Kasachstan, den westlichen Kulturjunkies ist es einerlei, sie bedürfen der ewigen Balkanfiktion eines schmierigen halbzivilisierten Ostens, um ihn wegen des Drecks, mit dem sie ihn beschmieren, zu verspotten – oder zu romantisieren.

Die Einwohner von Glod hätten bereits stutzig werden sollen, als Cohen ein Pferd vor sein Auto spannen ließ und sie dazu angehalten wurden, Kühe in ihre Wohnzimmer zu führen. Bis zu Drehschluss lebten sie in dem Glauben, wie Pancevski und Ionescu in ihrem Artikel für „Mail on Sunday“ berichten, man würde die Welt durch eine Sozialreportage auf die menschenunwürdigen Lebensbedingungen in ihrem Dorf aufmerksam machen. Diese Welt hingegen lernte sie als Menschen kennen, die es mit ihren Tieren und Kindern treiben, Pferdeurin trinken und gerne Juden jagen. Da lachen ganze Cambridger Rudermannschaften und die Schnösel krächzen wieder ihr unerträgliches „Hi Hi, politikäli ingorrekt!“

Der Mann, den Borat im Vorübergehen als „größten Vergewaltiger“ des Dorfes vorstellt, bekam – so wie der „Dorfschweißer und -abtreiber“, so wie die Frau, die er als seine Schwester und vierterfolgreichste Hure Kasachstans vorstellt – 14 Lei (4 Euro) für seine Statistenrolle. Cohen & Produzenten stiegen bei dem Deal erwartungsgemäß als Gewinner aus: Sie spielten mit „Borat“ an einem Wochenende 20 Millionen Dollar ein und bekamen als Mehrwert auch noch die Gastfreundschaft und die gegrillten Schweine einer Gemeinde ohne Arbeit, Hoffnung und Fließwasser.

Glod war gut gewählt, nirgends in Europa sind Menschen recht- und schutzloser. Gemäß der Hackordnung des kapitalistischen Systems ist es nur konsequent, dass die Unterhaltungsindustrie ihre Häufchen dorthin macht, wo Kläger unwahrscheinlich sind, und sich den Hintern mit der Gutgläubigkeit der so Erniedrigten auswischt. Da grunzen die rechten wie die linken Säue in Ein- und Niedertracht, Letztere mit der Rechtfertigung, Ali G alias Cohen sei ein Guter, weil er Antisemitismen aufdecke. Aber vielleicht macht er diese nur noch salonfähiger. Wer weiß!

So viele modische walisische und iranische und jüdische Ethnizitäten Sacha Baron Cohen zur Legitimation seines Campushumors auch auffahren lässt, in seinem Witz verbiedert sich der Cambridge-Schnösel mit dem gehobenen linksliberalen Mittelstand gegen die Schwächeren. Warum, fragt sich die Feministin Linda Stein, welcher Borat im Film nichts anhaben konnte, in der „Times“ ganz zu Recht, „hat Cohen nicht die Heuchler aus Harvard oder andere Intelligentsia verspottet?“ Ganz einfach, weil’s sich Pionierinnen der Frauenrechte und rumänische Zigeuner einfacher beschmutzen lässt als das eigene Nest. Eine „Mockumentary“ von neuem, von höherem Niveau ließe Nicu Tudorache, den Einarmigen aus Glod, in den Westen reisen und souverän all die pseudolinken Spaßkultur-Schnösel in all ihrer prachtvollen Lächerlichkeit erstrahlen. Am Höhepunkt eines solchen satirischen Kunstwerks würde er an der Tür von Baron Cohens Luxusapartment in L. A. läuten, nicht um seinen und seines Dorfes Anteil an den 20 Millionen zu fordern, sondern den Faustdildo zurückzuerstatten, und zwar dort, wo er hingehört.